BGer 1P.9/2000 | |||
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BGer 1P.9/2000 vom 26.01.2000 | |
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1P.9/2000/boh
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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26. Januar 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
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I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
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Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiber Sassòli.
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In Sachen
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R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Herbert Heeb, Neustadtgasse 7, Zürich,
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gegen
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Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro C-12, Bezirksgericht Zürich, Haftrichter,
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betreffend
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persönliche Freiheit (Haftentlassung),
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hat sich ergeben:
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A.- R.________ ist ein in Schlieren wohnhafter deutscher Staatsangehöriger. Er gibt zu, am Morgen des 8. November 1999 auf seine schlafende frühere Freundin G.________ eingestochen zu haben. Als sie aufgewacht sei und reagiert habe, habe er von ihr abgelassen. Er hat daraufhin ihre Wohnung verlassen und sich der Polizei gestellt. Diese nahm ihn fest, und er befindet sich seither wegen des Vorwurfs der versuchten vorsätzlichen Tötung in Untersuchungshaft. Am 16. Dezember 1999 beantragte R.________ seine Haftentlassung und den Erlass von Ersatzmassnahmen. Dieses Gesuch wies der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich am 22. Dezember 1999 wegen dringenden Tatverdachts und Fluchtgefahr ab, wobei er das Vorliegen von Kollusionsgefahr verneinte und die Frage der Ausführungsgefahr offen liess.
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B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt R.________ die Aufhebung des haftrichterlichen Entscheids, eventuell seine Entlassung aus der Haft.
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Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Bezirksanwaltschaft Zürich stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, und führt aus, auch wenn eine Fluchtgefahr verneint werden sollte, sei jedenfalls Ausführungsgefahr gegeben. In einer Replik vom 25. Januar 2000 hält R.________ an seinen Anträgen fest.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit, von Art. 4 aBV und von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK. Dazu ist er als Untersuchungsgefangener legitimiert (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
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b) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen Haftentscheid kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 124 I 327 E. 4b/aa S. 333 mit Hinweisen).
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Der entsprechende "Eventualantrag" des Beschwerdeführers ist daher zulässig.
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2.- Nach Zürcher Strafprozessrecht darf Untersuchungshaft nur angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem noch einer der speziellen Haftgründe der Flucht-, Wiederholungs-, Ausführungs- oder Kollusionsgefahr gegeben ist. Die Untersuchungshaft ist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr bestehen (§ 58 des Zürcher Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH, LS 321]).
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Der Beschwerdeführer beruft sich, um seine Haftentlassung zu erreichen, auf das unter der alten, bis Ende 1999 gültigen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (aBV) ungeschriebene verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit, das jetzt in Art. 10 Abs. 2 der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) gewährleistet ist. Spezifische Garantien im Falle eines Freiheitsentzugs enthält daneben Art. 31 BV. Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf diese Rechte wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches erhoben werden, prüft das Bundesgericht angesichts von Art. 31 Abs. 1 BV und im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 268 E. 2d S. 271 mit Hinweis).
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3.- Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer Fluchtgefahr.
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a) Nach der Rechtsprechung braucht es für die Annahme der Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Hierfür genügt die theoretische Möglichkeit einer Flucht nicht. Für die Beurteilung der Fluchtgefahr sind vielmehr die gesamten konkreten Umstände des betreffenden Falles in Betracht zu ziehen. Der Charakter des Betroffenen, sein bisheriges Verhalten, sein Wohnsitz, sein Beruf, seine Vermögensverhältnisse, seine Familienbande und seine Beziehungen im Staat, in dem er der Strafverfolgung unterliegt, sind zu berücksichtigen (vgl. Urteil des EGMR i.S.
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Neumeister c. Österreich vom 27. Juni 1968, Serie A, Band 7, Ziff. 10). Dabei darf auch die Schwere der drohenden Strafe als ein Indiz für die Fluchtgefahr gewertet werden, aber sie alleine genügt nicht für deren Bejahung (vgl. BGE 117 Ia 69 E. 4a S. 70 mit Hinweisen, zuletzt bestätigt in BGE 125 I 60 E. 3a S. 62). Die Tatsache, dass der Angeschuldigte Ausländer ist, genügt nicht als alleiniges zusätzliches Indiz, sondern auch dann kann eine Gesamtwürdigung der Beziehungen zur Schweiz es erlauben, auf eine geringe Fluchtgefahr zu schliessen. Anderseits kann auch die Wahrscheinlichkeit einer Flucht in ein Land, aus dem der Beschwerdeführer wieder in die Schweiz ausgeliefert werden könnte, eine Untersuchungshaft rechtfertigen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Dies muss auch gelten, wenn die Gewähr dafür besteht, dass ein Land, in das er zu fliehen droht, die Strafverfolgung übernehmen würde.
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b) Im angefochtenen Entscheid wird zum speziellen Haftgrund der Fluchtgefahr einzig ausgeführt, der Beschwerdeführer müsse mit einer hohen Freiheitsstrafe rechnen, weshalb Fluchtgefahr bestehe, unabhängig davon, ob sein Lebensmittelpunkt sich in der Schweiz oder in Deutschland befinde.
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Der Haftrichter hat somit nur auf die drohende Freiheitsstrafe abgestellt und alle weiteren Gesichtspunkte für die Beurteilung der Fluchtgefahr bewusst ausser Acht gelassen.
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Dadurch sind entscheidrelevante Punkte ausdrücklich offen gelassen worden und mithin der allgemeine Verweis auf die Ausführungen der Bezirksanwaltschaft relativiert worden.
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Daher kritisiert der Beschwerdeführer zu Recht, dass die Begründung des angefochtenen Entscheids verfassungswidrig sei, weil sie der erwähnten Bundesgerichtspraxis widerspreche, wonach die Höhe der drohenden Strafe nicht als alleiniges Indiz für eine Fluchtgefahr genüge. Der Haftrichter hätte sich vielmehr mit den Ausführungen des Beschwerdeführers im Haftentlassungsgesuch zu seinen persönlichen Verhältnissen und den entsprechenden Einwänden der Bezirksanwaltschaft auseinandersetzen müssen und erst gestützt auf eine Gesamtwürdigung die Streitfrage entscheiden dürfen. Da er dies nicht getan hat, widerspricht sein Entscheid Verfassung und EMRK. Ob die Haftentlassung, wie die Bezirksanwaltschaft geltend macht, auch gestützt auf den speziellen Haftgrund der Ausführungsgefahr hätte abgelehnt werden können, kann das Bundesgericht nicht entscheiden. Der Haftrichter hat ausdrücklich darauf verzichtet, diese Frage zu prüfen.
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Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, in den Akten selbständig nach ausreichenden Haftgründen zu suchen (vgl.
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Entscheid des Bundesgerichts vom 12. September 1996, in EuGRZ 1997, S. 15 E. 2d/aa).
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4.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Der Beschwerdeführer beantragt "eventualiter", er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Da nicht auszuschliessen ist, dass die Haftgründe der Fluchtgefahr und möglicherweise der Ausführungsgefahr gegeben sind, kann das Bundesgericht eine Freilassung nicht anordnen (vgl. BGE 125 I 113 E. 3 S. 118; 116 Ia 60 E. 3b S. 65; 114 Ia 88 E. 5d S. 92 f.). Der entsprechende Antrag wäre daher auch dann abzuweisen, wenn er nicht als Eventualantrag gestellt worden und infolge der Gutheissung des Hauptantrags dahingefallen wäre. Die Sache ist an den Haftrichter zur erneuten Prüfung der Fluchtgefahr und eventuell der Ausführungsgefahr zurückzuweisen.
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Bei diesem Ergebnis werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 156 Abs. 2 OG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). Der Antrag des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Rechtspflege ist somit gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Haftrichters des Bezirks Zürich vom 22. Dezember 1999 aufgehoben.
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2.- Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.- Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'800.-- zu entschädigen.
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4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Bezirksanwaltschaft Zürich, Büro C-12, und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 26. Januar 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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