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Informationen zum Dokument  BGer 2A.321/1999  Materielle Begründung
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BGer 2A.321/1999 vom 31.01.2000
 
[AZA 0/4]
 
2A.321/1999
 
126 II 49
 
6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Januar 2000 i.S. Baugenossenschaft I. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung und Eidgenössische Steuerrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Art. 17 VStG (Verjährung).
 
Die Verrechnungssteuer unterliegt keiner absoluten Verjährung (E. 2).
 
Art. 17 LIA: prescription.
 
L'impôt anticipé n'est soumis à aucune prescriptionabsolue (consid. 2).
 
Art. 17 LIP: prescrizione.
 
L'imposta preventiva non è soggetta a prescrizioneassoluta (consid. 2).
 
Die Baugenossenschaft I. erwarb mit Kaufverträgen vom 2. Dezember 1976 von der S. AG zwei in X. gelegene Baulandparzellen zum Preis von Fr. 2'250'000. -. Beim Abschluss dieses Kaufgeschäfts war sie durch R.S. vertreten, der nicht Genossenschafter war. Die Kaufverträgeenthielten u.a. die Verpflichtung der Baugenossenschaft I.,den Generalunternehmerauftrag für die Erstellung derprojektierten Bauten, insbesondere des Hochhauses D, an R.S. zu erteilen. Der Generalunternehmervertrag wurde inder Folge am 7. Februar 1977 abgeschlossen. Der Werkpreiswurde auf pauschal Fr. 18'300'000. - festgesetzt. Hinsichtlich der Zahlungsbedingungen wurde vereinbart, dassder Generalunternehmer für den nötigen Baukredit und die Restfinanzierung besorgt sei und ein Baukreditkontoeröffnet werde, über das je nach Baufortschritt sämtliche Zahlungen an die Handwerker direkt geleistet würden. Ausserdem wurde vereinbart, dass über dieses Baukreditkontoder Generalunternehmer mit Einzelzeichnung verfüge und die Organe der Baugenossenschaft I. ein jederzeitiges Kontrollrecht hätten, sowie dass eventuelle Mehrleistungenlaufend zusammengestellt und separat verrechnet würden.
 
Die Baugenossenschaft I. schrieb R.S. am 31. Dezember1981 einen Betrag von Fr. 4'000'000. - gut. Die Eidgenössische Steuerverwaltung verlangte daraufhin von der Baugenossenschaft I., diese Gutschrift zu begründen und zubelegen. Nach diversen Stellungnahmen der Baugenossenschaft I. erachtete die Eidgenössische Steuerverwaltung dieses Betreffnis als geschäftsmässigunbegründet und unterstellte es dementsprechend alsgeldwerte Leistung einer Verrechnungssteuer von Fr. 1'400'000. - (35 Prozent), mit der Anweisung, die Steuer aufden Begünstigten zu überwälzen. Eine dagegen erhobene Einsprache hiess sie teilweise gut, veranschlagte diegeldwerte Leistung auf Fr. 3'844'000. - und verpflichtetedie Baugenossenschaft I. an Verrechnungssteuern Fr. 1'345'400. - (zuzüglich Verzugszinsen von 5 Prozent seit dem5. Dezember 1986) zu erstatten, ferner den Steuerbetrag auf R.S. zu überwälzen. Das Bundesgericht hiess mit Urteil vom 14. Dezember 1992eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Baugenossenschaft I. gegen den Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 13. Dezember 1989 im Sinne der Erwägungen gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück (Verfahren 2A.115/1990). Am 10. März 1993wies das Bundesgericht ein gegen dieses Urteil gerichtetes Revisionsgesuch der Baugenossenschaft I. ab (Verfahren2A. 46/1993). Die Eidgenössische Steuerverwaltung verlangtein der Folge von der Baugenossenschaft I. zusätzliche Auskünfte und Unterlagen. Mit Entscheid vom 6. März 1998hiess sie die Einsprache der Baugenossenschaft I. teilweisegut und verpflichtete sie, der Eidgenössischen Steuerverwaltung den Betrag von Fr. 1'345'400. - nebst Verzugszinsen zu zahlen.
 
Dagegen gelangte die Baugenossenschaft I. mit Beschwerdean die Eidgenössische Steuerrekurskommission. Diese wiesdas Rechtsmittel mit Entscheid vom 21. Mai 1999 (eröffnetam 25. Mai 1999) ab und bestätigte den Einspracheentscheidvom 6. März 1998. Sie wies dabei die Verjährungseinrede der Baugenossenschaft I. ab und erachtete es nicht alserwiesen, dass die fragliche Gutschrift in weiterem Umfangals bisher angenommen der Abgeltung für von R.S. erbrachte Mehrleistungen gedient habe.
 
Gegen diesen Entscheid hat die Baugenossenschaft I. mit Eingabe vom 24. Juni 1999 erneut Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhobenmit dem Antrag, den Entscheid der Steuerrekurskommissionvom 21. Mai 1999 aufzuheben und festzustellen, dass keine Verrechnungssteuer geschuldet sei. Sie beruft sich auf die Verjährung des Steueranspruchs.
 
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
 
aus folgenden Erwägungen:
 
2.- Zu prüfen ist einzig die von der Beschwerdeführerinerhobene Einrede der Verjährung. Sie macht geltend, dassfür die Verrechnungssteueraufgrund richterlicher Lückenfüllung eine absolute Verjährungsfrist von 15 Jahren gelten müsse, die in ihrem Fall nicht eingehalten worden sei.
 
a) Nach einem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatzunterliegen öffentlichrechtliche Ansprüche des Staatesgegenüber dem Bürger auch ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung einer Verjährung. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des staatlichen Verhaltens nach Treu und Glauben (vgl. statt vieler BGE 119 Ib 311 E. 4a S. 321; 101 Ia 19 E. 4a S. 21 f.; 112 Ia 260 E. 5 S. 262 ff.). Sofern der massgebliche Erlass keine Vorschriften enthält, die Beginn und Dauer der Verjährungsfrist regeln, sind die gesetzlichen Fristenregelungen anderer Erlasse für verwandte Ansprücheheranzuziehen (BGE 112 Ia 260 E. 5 S. 263; 119 Ib 311 E. 4b S. 322). Kennt das fragliche Gesetz eine Verjährungsordnung, ist zu prüfen, ob diese allenfallslückenhaft und durch eine richterliche Verjährungsfrist zuergänzen ist (vgl. BGE 119 Ib 311 E. 4b S. 322).
 
b) Die Frage, ob durch Lückenfüllung eine absolute Verjährungsfrist für die Veranlagung anzunehmen ist, stellte sich bisher vorab für die direkte Bundessteuer. Der Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940 (BdBSt) begrenzt das Recht, die Veranlagung einzuleiten, auf drei Jahre nach Ablauf der Veranlagungsperiode (Art. 98 BdBSt; Veranlagungsverwirkung) und stellt eine Verjährungsfristfür den Bezug der Steuer von fünf Jahren ab der Fälligkeitder Forderung auf (Art. 128 BdBSt; Bezugsverjährung). Eine(absolute) Frist, innert der die Veranlagung abzuschliessenist (Veranlagungsverjährung), ist nicht vorgesehen. Die Verjährungsfrist von Art. 128 BdBSt gilt nach der Praxissowohl für den Bezug als auch für die Veranlagung der Steuer (nicht veröffentlichtes Urteil vom 24. November1998, Verfahren 2A.442/1997, E. 5). Das Bundesgericht hatdie Frage, ob die Veranlagung innert einer absoluten Fristabzuschliessen ist, früher in Bezug auf die Nachsteuerverneint (vgl. ASA 59 S. 256), jedoch in der späteren Praxis offen gelassen (vgl. BGE 119 Ib 311 E. 4a S. 321f. ). In dem (bereits erwähnten) Entscheid vom 24. November1998 hat das Bundesgericht in E. 5 wiederum erkannt, dasseine Frist, innert der die rechtzeitig eingeleitete Veranlagung abzuschliessen ist, nicht unerlässlich sei. Der Fristenlauf von Art. 128 BdBSt, der an die Fälligkeit der Steuerforderung anknüpft, sei unabhängig vom Abschluss des Veranlagungsverfahrens. Das biete dem Steuerpflichtigenausreichenden Schutz gegen eine unzumutbare Verzögerung der Veranlagung (so schon ASA 59 S. 256 mit Hinweis). In Bezugauf die Strafsteuer bzw. Busse wegen versuchter Steuerhinterziehung hat das Bundesgericht in einem Entscheid vom 10. August 1998 (StR 53/1998 S. 733) eineabsolute Verjährung bejaht, indem es nach dem Grundsatz derlex mitior in einem Fall, in dem es um versuchte Steuerhinterziehung ging, der nach den materiellen Vorschriften des Bundesratsbeschlusses über die Erhebungeiner direkten Bundessteuer zu beurteilen war, die absolute Verjährungsfrist von Art. 184 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642. 11) in Verbindung mit Art. 184 Abs. 2 DBG zur Anwendung brachte. In Bezug auf die Veranlagung der Steuer hat das Bundesgericht die Frageeiner absoluten Veranlagungsverjährungsfrist in diesem Entscheid wiederum offen gelassen. In einem neueren Entscheid vom 26. November 1999 (BGE 126 II 1 E. 3) hat das Bundesgericht an seiner in ASA 59 S. 250 publizierten Praxis erneut festgehalten und erkannt, dass das Fehleneiner ausdrücklichen Bestimmung zur absoluten Verjährung im Bundesratsbeschluss nicht als Lücke, sondern alsqualifiziertes Schweigen aufzufassen sei. Demnach bestehtkeine absolute Frist, innert der die Veranlagung zurdirekten Bundessteuer unter der Herrschaft des Bundesratsbeschlusses über die direkte Bundessteuerabzuschliessen ist; ob für altrechtliche Steuerforderungeneine Veranlagungsverjährung im Jahre 2010 anzunehmen ist, hat das Bundesgericht offen gelassen (E. 4).
 
c) Die Verjährung der Verrechnungssteuer ist in Art. 17des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechungssteuer (VStG; SR 642. 21) geregelt. Nach Art. 17 Abs. 1 VStG verjährt die Verrechnungssteuer fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden ist. Bei Kapitalerträgen, zu denen auch Erträge aus Genossenschaftsanteilen (Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG) sowiegeldwerte Leistungen an nahe stehende Personen gehören(Art. 20 der Vollziehungsverordnung vom 19. Dezember 1966zum VStG [VStV; SR 642. 211]), entsteht die Steuerforderungnach Art. 12 Abs. 1 VStG im Zeitpunkt, in dem diesteuerbare Leistung fällig wird. Die Steuer auf Erträgenvon Genossenschaftsanteilen ist gemäss Art. 16 Abs. 1 lit. b VStG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 4 VStV innert 30 Tagen nach Eröffnung der Veranlagungsverfügung zuentrichten. Nach Art. 17 Abs. 3 VStG wird die Verjährungdurch jede auf Geltendmachung des Steueranspruchsgerichtete Amtshandlung, die einem Zahlungspflichtigen zur Kenntnis gebracht wird, unterbrochen, wobei die Frist mitder Unterbrechung von neuem beginnt.
 
Vorliegend geht es um die Verrechnungssteuer auf der R.S. am 31. Dezember 1981 gewährten Gutschrift von Fr. 4'000'000. -. Die fünfjährige Frist von Art. 17 Abs. 1 VStGfür die Verjährung der Steuerforderung wurde jeweils durchauf Geltendmachung des Steueranspruchs gerichtete Amtshandlungen unterbrochen, so u.a. mit dem Schreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 18. November 1985, mitdem die Beschwerdeführerin aufgefordert wurde, die Gutschrift zu begründen und zu belegen, mit dem Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltungvom 13. Dezember 1989, dem Entscheid des Bundesgerichts vom14. Dezember 1992, dem Auskunftsbegehren der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 10. April 1995 und dem Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltungvom 6. März 1998. Somit ist die Verjährung nach Art. 17 Abs. 1 VStG nicht eingetreten.
 
d) Das Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer kenntnach Wortlaut und Gesetzessystematik keine absolute Verjährungsfrist, innert der die Steuer rechtskräftigfestzusetzen ist, wie sie neuerdings in Art. 120 Abs. 4 DBGund in Art. 47 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642. 14) vorgesehen ist. Somit muss auch in Bezug auf die Verrechnungssteuer angenommen werden, dass der Gesetzgeber- durch ein qualifiziertes Schweigen - bewusst keineabsolute Verjährungsfrist einführen wollte. Es kann nichtgesagt werden, dass er durch den Verzicht auf die Statuierung einer absoluten Frist in Art. 17 VStG einelückenhafte Verjährungsordnung erlassen oder gegenübergeordnete Grundsätze verstossen hat. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen genügt, dass eine Verjährung vorgesehenwird. Dies ist für die hier strittige Verrechnungssteuergeschehen. Wie die Verjährungsordnung im Einzelnenausgestaltet wird, obliegt der weitgehend freien Entscheidung des Gesetzgebers; insbesondere steht es diesem- wie das Bundesgericht soeben erneut für die direkte Bundessteuer bestätigt hat (oben lit. b) - frei, von einerabsoluten Verjährung der Steuerforderung oder der Steuerveranlagung abzusehen. Die Verjährung der Steuerforderung nach Art. 17 Abs. 1 VStG bietet dem Steuerpflichtigen in der Regel - etwa abgesehen von einemtreuwidrigen Verzögern nötiger Amtshandlungen - genügend Schutz gegen ein unerträglich langes Verfahren (vgl. ASA 59 S. 256).
 
Lausanne, 31. Januar 2000
 
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