BGer 1P.779/1999 | |||
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BGer 1P.779/1999 vom 25.02.2000 | |
[AZA 0]
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1P.779/1999/boh
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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25. Februar 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Sigg.
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In Sachen
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S.________, Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern,
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Obergericht des Kantons Luzern,
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betreffend
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Ernennung eines ausserordentlichen Staatsanwalts, hat sich ergeben:
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A.- S.________ reichte am 21. Juni 1996 unter anderem gegen die Mitglieder des Obergerichts des Kantons Luzern, der Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte im Kanton Luzern und der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern Strafklage ein wegen verschiedener Delikte, welche diese Personen im Zusammenhang mit dem Entzug seines Anwaltspatentes begangen haben sollen. Das Kantonale Untersuchungsrichteramt, Abteilung Wirtschaftsdelikte, wies die Strafklage am 9. Juli 1999 von der Hand.
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B.- Gegen diesen Entscheid reichte S.________ am 5. August 1999 eine Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern ein. Am 20. Oktober 1999 stellte die Staatsanwaltschaft beim Obergericht das Gesuch, es sei ein ausserordentlicher Staatsanwalt zu ernennen, weil sich die Strafklage von S.________ gegen alle Mitglieder der Staatsanwaltschaft richte. Mit Beschluss vom 8. November 1999 entsprach das Obergericht dem Gesuch; es ernannte Rechtsanwalt W.________ zum ausserordentlichen Staatsanwalt für die Behandlung der Beschwerde S.________s vom 5. August 1999 gegen den Entscheid des Kantonalen Untersuchungsrichteramtes vom 9. Juli 1999.
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C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. Dezember 1999 stellt S.________ die Anträge, der Beschluss des Obergerichts vom 8. November 1999 sei aufzuheben und es sei ein ausserkantonaler Staatsanwalt zu bestimmen, welcher seine Beschwerde vom 9. Juli 1999 zu behandeln habe. Am 13. Januar 2000 stellte S.________ ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Nach Auffassung des Beschwerdeführers haben die Oberrichter und der Obergerichtsschreiber, die am angefochtenen Beschluss mitgewirkt haben, einen Entscheid in eigener Sache gefällt, denn sie seien alle als Angeschuldigte am umstrittenen Strafverfahren beteiligt. Der Beschwerdeführer rügt, sie hätten § 29 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 3. Juni 1957 über die Strafprozessordnung (StPO) verletzt und damit zugleich gegen das Willkürverbot (Art. 4 aBV) sowie gegen das Gebot des "fair trial" nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen.
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Das Obergericht hält dieser Rüge entgegen, es habe nicht über die eigene Strafsache der Oberrichter befunden, sondern nur einen ausserordentlichen Staatsanwalt bestellt, der dann seinerseits über den Rekurs des Beschwerdeführers zu befinden habe.
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b) Nach Art. 58 Abs. 1 aBV (Art. 30 Abs. 1 der neuen Bundesverfassung [BV]), Art. 4 aBV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat der Einzelne einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unvoreingenommenen, unparteiischen und unbefangenen Richter oder Beamten beurteilt wird. Damit soll gewährleistet werden, dass keine Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise oder zugunsten einer Partei auf das Urteil einwirken; es soll verhindert werden, dass jemand als Richter tätig wird, der unter solchen Einflüssen steht und deshalb kein "rechter Mittler" mehr sein kann. Dabei genügt es, dass Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtungsweise geeignet sind, den Anschein von Befangenheit zu begründen. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in bestimmten äusseren Gegebenheiten funktioneller oder organisatorischer Art begründet sein (BGE 124 I 121 E. 3a S. 123; 120 Ia 184 E. 2b; 114 Ia 50 S. 53 ff.).
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Der Beschwerdeführer nennt als einzigen Umstand, der in sachwidriger Weise auf den Wahlbeschluss des Obergerichts hätte einwirken können, die Tatsache, dass der vom Obergericht bestellte ausserordentliche Staatsanwalt einen Entscheid in einem Strafverfahren treffen muss, das sich gegen die am Beschluss mitwirkenden Oberrichter richtet. Als das Obergericht den angefochtenen Beschluss fasste, beschränkte sich seine Tätigkeit ausschliesslich auf die Bestellung eines ausserordentlichen Staatsanwalts. Auf dessen Entscheid über die hängige Beschwerde kann das Obergericht hingegen keinen Einfluss nehmen, da ihm keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber einem Staatsanwalt zusteht. Der vom Beschwerdeführer genannte Umstand hat deshalb nicht in sachwidriger Weise auf den Entscheid des Obergerichts eingewirkt. Das Obergericht kannte denn auch den genauen Inhalt der Beschwerde nicht, für deren Beurteilung es einen ausserordentlichen Staatsanwalt bestellt hat. Das Obergericht verfiel auch nicht in Willkür, wenn es den in § 29 Ziff. 1 StPO genannten Ausstandsgrund, wonach ein Richter in den Ausstand treten müsse, wenn es sich um seine eigene Sache handle, als nicht anwendbar betrachtete. Soweit der Beschwerdeführer mit seiner staatsrechtlichen Beschwerde rügt, alle am angefochtenen Beschluss mitwirkenden Oberrichter und der Obergerichtsschreiber seien befangen gewesen, ist seine Beschwerde unbegründet.
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2.- a) Der Beschwerdeführer rügt ausserdem, das Obergericht habe ihm das rechtliche Gehör verweigert, weil es sich mit seinem in der Beschwerde vom 5. August 1999 gestellten Antrag, die Strafuntersuchung sei einer ausserkantonalen Behörde zu überweisen, nicht auseinander gesetzt habe.
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Das Obergericht hält der Rüge unter anderem entgegen, es habe den angefochtenen Beschluss gefällt, ohne dass es den Antrag des Beschwerdeführers aus der Beschwerde vom 5. August 1999 gekannt habe.
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b) Wie oben ausgeführt (E. 1) hatte das Obergericht, als es den angefochtenen Beschluss fällte, ausschliesslich die Aufgabe, einen ausserordentlichen Staatsanwalt zu bestellen, der die Beschwerde vom 5. August 1999 zu beurteilen hat. Damit das Obergericht das Wahlgeschäft ausführen konnte, musste es wissen, dass der Beschwerdeführer am 5. August 1999 bei der Staatsanwaltschaft eine Beschwerde eingereicht hatte. Den Inhalt der Beschwerde brauchte das Obergericht hingegen nicht zu kennen und kannte ihn auch gar nicht. Das Obergericht hat deshalb dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht verweigert, wenn es im angefochtenen Beschluss keine Stellung nahm zu einem Antrag in der Beschwerdeschrift auf Überweisung der Strafsache an eine ausserkantonale Behörde. Die staatsrechtliche Beschwerde ist auch unbegründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs rügt.
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3.- a) Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, der vom Obergericht bestellte ausserordentliche Staatsanwalt sei befangen, weil er als Rechtsanwalt in derselben Kanzlei arbeite wie ein bis vor kurzem amtierender langjähriger Obergerichtsschreiber.
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b) Gemäss § 30 Abs. 1 StPO kann eine Partei aus verschiedenen, in Ziff. 1 bis 4 der Bestimmung aufgezählten Gründen den Ausstand eines Richters oder eines Beamten beantragen. Ist der Ausstand eines Staatsanwalts streitig, entscheidet nach § 31 Ziff. 4 StPO das Obergericht über die Ausstands- oder Ablehnungsgründe. Der Beschwerdeführer hätte somit im Kanton beantragen können, der vom Obergericht bestellte ausserordentliche Staatsanwalt habe in den Ausstand zu treten. Das hat er bis heute nicht getan, weshalb ein gemäss Art. 84 Abs. 1 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbarer Entscheid des Obergerichts über eine allfällige Ausstandspflicht des ausserordentlichen Staatsanwalts fehlt. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten, als der Beschwerdeführer geltend macht, der ausserordentliche Staatsanwalt müsse in den Ausstand treten.
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4.- Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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Dem Begehren des Beschwerdeführers um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege kann mit Rücksicht auf die gesamten Umstände des Falles entsprochen werden (Art. 152 OG). Auf eine Gerichtsgebühr ist zu verzichten. Der Zuspruch einer Parteientschädigung fällt mit Rücksicht auf den Prozessausgang ausser Betracht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Es werden keine Kosten erhoben.
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3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 25. Februar 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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