BGer 1P.773/1999 | |||
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BGer 1P.773/1999 vom 15.03.2000 | |
[AZA 0]
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1P.773/1999/bmt
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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15. März 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Aeschlimann, Bundesrichter Féraud und Gerichtsschreiber Sassòli.
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In Sachen
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B.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Jakob Huber, Dorfstrasse 7, Kaltbrunn,
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gegen
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StaatsanwaltschaftdesKantons Zürich,
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Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich,
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VerwaltungsgerichtdesKantons Zürich, 4. Abteilung,
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Einzelrichter,
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betreffend
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Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes Gericht,
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Willkür, Anspruch auf rechtliches Gehör, Wirtschaftsfreiheit
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(Bewilligung einer Nebenbeschäftigung),
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hat sich ergeben:
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A.-B.________ ist ausserordentlicher Bezirksanwalt des Kantons Zürich. Im Jahre 1994 ersuchte er um die Bewilligung, nebenberuflich und ausserhalb der Arbeitszeit als Verwaltungsrat einer Familienaktiengesellschaft tätig sein zu dürfen. Die kantonalen Behörden lehnten dieses Gesuch ab, und das Bundesgericht wies am 5. Dezember 1995 eine gegen diese Ablehnung gerichtete staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es auf sie eintrat. Wie teilweise schon zuvor arbeitet B.________ mit einem Beschäftigungsgrad von 79,76 %. Im April 1998 wurde er zum Präsidenten des Verwaltungsrats der genannten Gesellschaft gewählt. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Mit Schreiben vom 21. Januar 1999 teilte ihm diese mit, sie stelle dieses Verfahren ein, weil die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen etwas unklar seien, forderte ihn aber auf, das Verwaltungsratsmandat samt Präsidium niederzulegen. Hiergegen rekurrierte B.________ an die Direktion der Justiz und des Inneren, die das Rechtsmittel abwies. Gegen diese Abweisung führte er Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Mit Entscheid vom 20. Oktober 1999 hielt sich der Einzelrichter an der 4. Abteilung des Verwaltungsgerichts angesichts des Streitwerts für die Behandlung der Beschwerde für zuständig und wies sie ab, soweit er auf sie eintrat.
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B.-Gegen den Entscheid des Einzelrichters vom 20. Oktober 1999 führt B.________ staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4, 31 und 58 aBV. Er beantragt dessen Aufhebung und die Rückweisung der Sache an das Verwaltungsgericht in gesetzeskonformer Besetzung.
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Das Verwaltungsgericht (der Einzelrichter der 4. Abteilung) und die Direktion der Justiz und des Inneren des Kantons Zürich beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung. Nachdem B.________ eine Frist für eine allfällige Replik eingeräumt worden war, verzichtete das Bundesgericht im weiteren Verlauf der Instruktion auf eine solche Replik.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.-Die Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen besonderen Ausführungen Anlass.
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2.- a) Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie eine Verletzung seines Anspruchs auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Dieser Anspruch floss früher aus Art. 58 Abs. 1 aBV und ist heute in Art. 30 Abs. 1 der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) gewährleistet. Er garantiert auch die Einhaltung der jeweils geltenden staatlichen Zuständigkeitsordnung (BGE 117 Ia 190 E. 6a S. 191). Bei staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen eine Verletzung des Rechts auf den verfassungsmässigen Richter geltend gemacht wird, überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Gesetzesrechts unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Mit freier Kognition prüft es, ob die als vertretbar erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien nach Art. 58 Abs. 1 aBV vereinbar ist (BGE 123 I 49 E. 2b S. 51 mit Hinweisen; s. auch 119 Ia 13 E. 3a S. 17). Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer einzig geltend, dass nach der kantonalen Gesetzgebung nicht der Einzelrichter, sondern eine Kammer des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung seines Rechtsmittels zuständig gewesen wäre. Daher ist die Beschwerde gutzuheissen, wenn die im angefochtenen Entscheid vorgenommene Auslegung der kantonalen Zuständigkeitsordnung willkürlich, also offensichtlich unhaltbar ist oder eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt (BGE 125 I 166 E. 2a S. 168 mit Hinweisen).
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b) In seiner seit 1. Januar 1998 gültigen Fassung sieht § 38 des Zürcher Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG; LS 175. 2) vor, dass das Verwaltungsgericht Streitigkeiten grundsätzlich in Dreierbesetzung beurteilt. Der Einzelrichter behandelt unter anderem "Rekurse, Beschwerden und Klagen, deren Streitwert Fr. 20'000. -- nicht übersteigt". Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Beschwerde, mit der er sich gegen ein Verbot einer Nebenbeschäftigung gewehrt habe, habe offensichtlich keinen konkreten Streitwert.
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aa) Dem Wortlaut von § 38 Abs. 2 VRG lässt sich nicht entnehmen, wann eine Beschwerde einen Streitwert hat. Es fragt sich insbesondere, ob ein solcher auch gegeben ist, wenn eine Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - nicht zum Ziel hat, dass der Staat eine geldwerte Leistung erbringen soll, sondern sich gegen das staatliche Verbot einer Tätigkeit wendet, die von Privaten entlöhnt wird. Die Materialien und der Zweck der am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Revision des VRG helfen bei der Beantwortung dieser Auslegungsfrage nicht weiter. In der Lehre wird ausgeführt, als Fälle mit einem Streitwert würden nur solche unmittelbar vermögensrechtlicher Natur gelten, nicht aber solche über Bewilligungen, obwohl es bei ihnen zumeist auch um finanzielle Interessen gehe (vgl. Alfred Kölz/Jürg Bosshard/ Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, 1999, S. 571). Eine Durchsicht der publizierten Entscheide des Verwaltungsgerichts aus dem Jahre 1998 ergibt auch, dass Einzelrichter, abgesehen von den ihnen in § 38 VRG ausdrücklich zugewiesenen Fällen, ausschliesslich solche über reine Geldforderungen gegen den Staat entschieden haben (vgl. Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich an den Kantonsrat, 1998, Nr. 7, 8, 10, 51, 66, 68, 83-87, 91, 145, 163 und 172; im Entscheid Nr. 21 vom 11. Juni 1998 wird ausgeführt, bei Streitigkeiten finanzieller Natur müsse ein Streitwert festgelegt werden).
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bb) Der Einzelrichter führt in seiner Vernehmlassung aus, zum Verständnis des Begriffs des Streitwerts müsse die Zivilprozessordnung vom 13. Juni 1976 (ZPO; LS 271) herbeigezogen werden. Nach deren Kriterien habe der ihm vorgelegte Streit einen Streitwert.
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Die Zuständigkeit zur Beurteilung von Zivilprozessen oder deren Weiterziehbarkeit lässt sich an einen Streitwert knüpfen, sobald es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt. Eine solche liegt im Zivilrecht vor, wenn der Rechtsgrund des streitigen Anspruchs letzten Endes im Vermögensrecht ruht, mit der Klage letztlich und überwiegend ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (vgl. BGE 118 II 528 E. 2c S. 531 mit Hinweisen). Bei Zivilrechtsstreitigkeiten ist dies auch der Fall, wenn die strittige Leistung nicht unmittelbar vermögensrechtlicher Natur ist, aber, wie etwa ein Arbeitszeugnis, die Geltendmachung vermögensrechtlicher Interessen erleichtern soll (vgl. BGE 116 II 379 E. 2b S. 380 f. mit Hinweisen).
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An sich lässt sich auch im Verwaltungsprozess ein Wert des Beschwerdegegenstandes für den Kläger oder Beschwerdeführer berechnen und davon die Zulässigkeit eines Rechtsmittels abhängig machen (vgl. etwa zur Rechtslage in Deutschland Michael Zimmer/Thomas Schmidt, Der Streitwert im Verwaltungs- und Finanzprozess, München, 1991, S. 57-116). Wenn es nach Schweizer Rechtsverständnis für die Beurteilung, ob ein Streit vermögensrechtlich ist, auf die Natur des vorwiegend verfolgten Zwecks ankommt, unterscheidet sich jedoch der angefochtene Entscheid von einem Zivilurteil darin, dass die von beiden Parteien verfolgten Interessen nicht gleicher Natur sind. Während die vom Beschwerdeführer verfolgten als vermögensrechtliche bewertet werden können, sind diejenigen der Gegenpartei, des Staates, ausschliesslich öffentliche, nicht wirtschaftliche. Eine Nebenbeschäftigung wird einem Mitarbeiter des Staates weder aus vermögensrechtlichen Gründen verweigert, noch um zu verhindern, dass er ein höheres Einkommen erzielt. Die Nebenbeschäftigung ist vielmehr dann zu untersagen, wenn sie mit der amtlichen Aufgabenerfüllung und der dienstlichen Stellung nicht vereinbar ist (vgl. § 53 Abs. 1 des Zürcher Personalgesetzes vom 27. September 1998 [PG; LS 177. 10]). Das vom Staat verfolgte Interesse ist ein hoheitliches; es geht darum, die Unabhängigkeit der Mitarbeiter zu wahren.
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Die Zuständigkeitsordnung gemäss § 38 VRG bezweckt die Zuteilung der Streitigkeiten an den Einzelrichter oder das Dreiergericht je nach der Bedeutung des Falles. Die Frage, ob ein Mitarbeiter eine Nebenbeschäftigung ausüben darf, hängt für den Staat nicht in erster Linie davon ab, wieviel der Mitarbeiter bei dieser Nebenbeschäftigung verdient. Die Gefahr einer Kollision zwischen den mit der Nebenbeschäftigung zusammenhängenden Interessen des Mitarbeiters und den hoheitlichen, die dieser im Rahmen seiner Hauptbeschäftigung für den Staat verfolgen soll, kann sogar bestehen, wenn die Nebenbeschäftigung unentgeltlich ist. Dass der Beschwerdeführer, wie auch seine Berufung auf die Handels- und Gewerbefreiheit zeige, wirtschaftliche Interessen verfolge, kann somit entgegen der Ansicht des Einzelrichters nicht entscheidend sein; ganz abgesehen davon, ist sogar im Zivilrecht ein Streit nicht wegen der vorgebrachten Rügen ein vermögensrechtlicher (vgl. BGE 108 II 77 E. 1b S. 80).
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3.- Zusammenfassend erscheint es angesichts der Unterschiedlichkeit der auf dem Spiele stehenden Interessen unhaltbar, im vorliegenden Fall analog zu zivilrechtlichen Streitigkeiten einen Streitwert zu berechnen und aufgrund dessen die Zuständigkeit des Einzelrichters anzunehmen. Ebenso unhaltbar ist die Annahme, im verwaltungsrechtlichen Streit zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kanton würden vorwiegend vermögensrechtliche Interessen verfolgt. Der Einzelrichter hat somit § 38 VRG/ZH willkürlich ausgelegt, als er seine Zuständigkeit zum angefochtenen Entscheid bejahte. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das Verwaltungsgericht wird über die kantonale Beschwerde in richtiger Besetzung neu zu entscheiden haben. Daher erübrigt es sich, über die anderen Rügen des Beschwerdeführers zu entscheiden.
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Bei diesem Ergebnis werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Einzelrichters der 4. Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Oktober 1999 aufgehoben.
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2.- Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.- Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000. -- zu entschädigen.
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4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft, der Direktion der Justiz und des Innern, dem Verwaltungsgericht (4. Abteilung, Einzelrichter) sowie dem Regierungsrat des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 15. März 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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