VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer U 241/1999  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer U 241/1999 vom 14.04.2000
 
«AZA»
 
U 241/99 Vr
 
IV. Kammer
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Arnold
 
Urteil vom 14. April 2000
 
in Sachen
 
Z.________, 1965, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. I.________,
 
gegen
 
Waadt Allgemeine Versicherungsgesellschaft, Place de Milan, Lausanne, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
 
A.- Der 1965 geborene Z.________ war von 1989 bis
 
30. Oktober 1996 bei der Firma X.________, Obst- und Landesprodukte, in der Sortiererei, Packerei sowie als Chauffeur tätig und damit bei der Waadt Allgemeine Versicherungsgesellschaft (nachfolgend: Waadt) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert, als er am 2. Juli 1995 beim Fussballspielen am rechten Knie einen Kreuzbandriss erlitt. Die Waadt anerkannte ihre Leistungspflicht, übernahm die Kosten der Heilbehandlung, welche namentlich eine zweimalige transarthroskopische vordere Kreuzbandplastik (14. September 1995 und 6. September 1996) umfasste, und richtete Taggelder aus. Mit Verfügung vom 25. September 1997 eröffnete die Waadt Z.________, dass sie ihm - gestützt auf den Bericht ihres Vertrauensarztes, Prof. Dr. med. V.________, Spezialarzt Chirurgie FMH, vom 10. September 1997 - bis 14. Oktober 1997 noch Taggeld für hälftige Arbeitsunfähigkeit und anschliessend bis 31. Dezember 1997 Taggeld auf der Grundlage einer Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 33,33 % ausrichte; ab 1. Januar 1998 bestehe kein Anspruch auf Taggeldleistungen mehr. Auf Einsprache hin hielt die Waadt mit Entscheid vom 5. Dezember 1997 an ihrem Standpunkt fest.
 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 21. Juni 1999).
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Z.________ beantragen, es sei ihm, unter Aufhebung des vorinstanzlichen und des Einspracheentscheides, Taggeld auf der Grundlage einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit auszurichten; eventuell seien die Ansprüche auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung zu prüfen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung.
 
Die Waadt schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich nicht vernehmen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Die gesetzliche Grundlage für die Taggeldberechtigung (Art. 16 Abs. 1 UVG) wie auch die bezüglich Anfang und Ende des Taggeldanspruchs geltende Ordnung (Art. 16 Abs. 2 UVG) sind im angefochtenen Entscheid zutreffend wiedergegeben, worauf verwiesen wird.
 
Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist in allen Sozialversicherungszweigen derselbe (RKUV 1987 Nr. U 27 S. 394 Erw. 2b). Eine Person gilt als arbeitsunfähig, wenn sie infolge eines Gesundheitsschadens ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr, nur noch beschränkt oder nur unter der Gefahr, ihren Gesundheitszustand zu verschlimmern, ausüben kann (BGE 114 V 283 Erw. 1c; RKUV 1987 Nr. U 27 S. 394 Erw. 2b, je mit Hinweisen). Massgebend ist grundsätzlich die auf Grund ärztlicher Feststellungen ermittelte tatsächliche Unfähigkeit, am angestammten Arbeitsplatz nutzbringend tätig zu sein, nicht hingegen die bloss medizinisch-theoretische Schätzung der Arbeitsunfähigkeit (BGE 114 V 283 Erw. 1c; RKUV 1987 Nr. U 27 S. 394 Erw. 2b, je mit Hinweisen). Der Grad der Arbeitsunfähigkeit ist indessen, wie bereits die Vorinstanz ausgeführt hat, nur solange unter Berücksichtigung des bisherigen Berufs festzusetzen, als von der versicherten Person vernünftigerweise nicht verlangt werden kann, ihre restliche Arbeitsfähigkeit in einem andern Berufszweig zu verwerten. Versicherte, die ihre restliche Arbeitsfähigkeit nicht verwerten, obgleich sie hiezu unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage und gegebenenfalls einer bestimmten Anpassungszeit in der Lage wären, sind nach der beruflichen Tätigkeit zu beurteilen, die sie bei gutem Willen ausüben könnten (BGE 115 V 133 f. Erw. 2 mit Hinweisen); das Fehlen des guten Willens ist nur dort entschuldbar, wo es auf einer Krankheit beruht. Bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf hat die versicherte Person daher andere ihr offen stehende Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen, und zwar solange, als man dies unter den gegebenen Umständen von ihr verlangen kann (BGE 114 V 283 Erw. 1d; RKUV 1987 Nr. U 27 S. 394 f. Erw. 2b).
 
2.- a) Der Beschwerdeführer war, abgesehen von einem gescheiterten teilzeitlichen Arbeitsversuch im Frühjahr 1996, seit dem Unfall vom 2. Juli 1995 nicht mehr erwerbstätig. Mit Blick auf die medizinischen Akten, insbesondere die Berichte der Dres. med. S.________ und W.________, Rehaklinik (vom 18. März 1997) und des Prof. Dr. med. V.________ (vom 10. September 1997) ist erstellt, dass der Versicherte über zwei Jahre nach dem Unfallereignis unter Restbeschwerden mit Schmerzen im rechten Knie litt, welche die angestammte Arbeit, namentlich die damit verbundene Tätigkeit als Chauffeur, im Zeitpunkt des strittigen Einspracheentscheides (vom 5. Dezember 1997) voraussichtlich dauernd als unzumutbar erscheinen liessen. Hingegen war ihm auf Grund der Stellungnahmen der genannten Ärzte zur Arbeitsfähigkeit eine leidensangepasste, in wechselnder, vorwiegend sitzender Position ausgeübte mittelschwere Tätigkeit ganztags möglich. Davon abzuweichen besteht nach den Akten entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kein Anlass. Der Einwand der fehlenden Verwertbarkeit der festgestellten Restarbeitsfähigkeit schliesslich ist unbegründet, da die dem Beschwerdeführer zumutbaren Tätigkeiten einerseits Gegenstand von Angebot und Nachfrage auf dem ihm offen stehenden, ausgeglichenen Arbeitsmarkt sind (vgl. BGE 110 V 276 Erw. 4b; ZAK 1991 S. 320 Erw. 3b) und der Versicherte anderseits in deren Ausübung nicht derart eingeschränkt ist, dass der allgemeine Arbeitsmarkt die entsprechenden Stellen praktisch nicht kennt oder eine Beschäftigung nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines Arbeitgebers möglich wäre (nicht veröffentlichtes Urteil P. vom 9. November 1987, I 289/87).
 
b) Die Rechtsprechung leitet die Pflicht des Versicherten zur beruflichen Neueingliederung vom Gebot der Schadenminderung ab (BGE 114 V 281 Erw. 3a mit Hinweis); der Versicherte soll alles Zumutbare unternehmen, um die erwerblichen Folgen seines Gesundheitsschadens bestmöglich zu mildern; denn die Sozialversicherung soll nicht Schäden ausgleichen müssen, welche die versicherte Person durch geeignete Vorkehren vermeiden oder beheben könnte. Die durch die Schadenminderung gebotene zumutbare Verwertung der Restarbeitsfähigkeit in einem anderen als dem angestammten Tätigkeitsbereich bildet die Ausnahme von der Regel, wonach auf die tatsächliche Einschränkung im zuletzt ausgeübten Beruf abgestellt wird. Sie setzt voraus, dass der Versicherte in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit voraussichtlich dauernd beeinträchtigt ist und nicht bloss ein labiles Geschehen während einer zeitlich beschränkten Dauer vorliegt, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im nicht publizierten Entscheid S. vom 4. November 1999, U 104/99, entschied, wo die versicherte Person innert sechs Monaten für jegliche Tätigkeit wieder uneingeschränkt arbeitsfähig war. In zeitlicher Hinsicht ist sodann davon auszugehen, dass - wie vorliegend - über einen gewissen Zeitraum Taggelder auf Grund der Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit ausgerichtet werden. Sind die sachlichen Voraussetzungen für ein Abstellen auf die Restarbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit gegeben und hat dies eine Herabsetzung (oder Ablehnung) des Taggeldanspruchs zur Folge, ist der versicherten Person regelmässig eine Anpassungszeit zu gewähren, um sich auf die neue Situation einzustellen (durch Suchen einer Stelle etc.). In der Praxis wurden Zeiten von drei bis fünf Monaten als angemessen betrachtet (BGE 111 V 235 Erw. 2a mit Hinweisen).
 
c) Vorliegend hat die Waadt mit Verfügung vom 25. September 1997, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 5. Dezember 1997, gestützt auf die Stellungnahme des Prof. Dr. med. V.________ (vom 10. September 1997) für die Beurteilung des Taggeldanspruchs neu auf die Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Verweisungstätigkeit abgestellt. Mit Blick darauf, dass der Versicherte erklärte, es sei ihm aus fremdenrechtlichen Gründen nicht möglich, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist es im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn die Unfallversicherung keine Anpassungsfrist einräumte, wobei die Folgen dadurch gemildert wurden, dass die Herabsetzung und die daran anschliessende Einstellung der Taggeldleistungen abgestuft erfolgt sind.
 
3.- Falls der Beschwerdeführer letztinstanzlich beantragt, der Anspruch auf Invalidenrente sowie auf Integritätsentschädigung sei materiell zu prüfen, kann darauf nicht eingetreten werden. Soweit er rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf die Rechtsbegehren um Zusprechung einer Invalidenrente und Integritätsentschädigung eingetreten, ist dies mit Blick darauf, dass der Einspracheentscheid vom 5. Dezember 1997 einzig den Anspruch auf Taggeld zum Gegenstand hatte, unbegründet (vgl. BGE 119 Ib 36 Erw. 1b, 118 V 313 Erw. 3b, je mit Hinweisen).
 
4.- Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 124 V 309 Erw. 6 mit Hinweisen; AHI 1999 S. 85 Erw. 3). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, so-
 
weit darauf einzutreten ist.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung
 
wird Rechtsanwalt Dr. I.________ für das Verfahren vor
 
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Ge-
 
richtskasse eine Entschädigung (einschliesslich Mehr-
 
wertsteuer) von Fr. 1500.- ausgerichtet.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
 
richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrecht-
 
liche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversiche-
 
rung zugestellt.
 
Luzern, 14. April 2000
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).