BGer 2P.169/1999 | |||
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BGer 2P.169/1999 vom 17.04.2000 | |
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2P.169/1999/leb
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II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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17. April 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hartmann, Müller, Bundesrichterin Yersin, Ersatzrichter Cavelti und Gerichtsschreiberin Arnold-Mutschler.
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In Sachen
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A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stefan J. Schmid, Dufourstrasse 13, Zollikon,
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gegen
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Tele-Rätia AG, Porta Ginellas 10, Bonaduz,
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Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gieri Caviezel, Vazerolgasse 2, Postfach 731, Chur
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VerwaltungsgerichtdesKantons Graubünden, 3. Kammer,
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betreffend
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Art. 4 aBV, Art. 2 ÜbBest. aBV (Tele-Rätia-Gebühren), hat sich ergeben:
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A.- A.________ besitzt in seinem Ferienhaus in Luven ein Fernsehempfangsgerät. Die Tele-Rätia AG, Gesellschaft für drahtlose Fernsehversorgung in Graubünden, stellte ihm gestützt auf das Gesetz über die Versorgung mit ausländischen Fernsehprogrammen des Kreises Ilanz vom 19. Juni 1983 (im Folgenden: Fernsehgesetz) am 28. August 1998 eine Gebührenrechnung für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 30. Juni 1998 in der Höhe von Fr. 60.--. Die dagegen beim
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Kreispräsidenten Ilanz erhobene Einsprache wurde am 27. November 1998 abgewiesen. Ein Rekurs an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden blieb erfolglos.
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B.- Mit Eingabe 28. Mai 1999 hat A.________ staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag erhoben, das Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kantons Graubünden vom 17. März 1999 vollumfänglich aufzuheben. Er rügt eine Verletzung von Art. 4 aBV (Willkür bei der Auslegung des kantonalen Rechts, willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie Verweigerung des rechtlichen Gehörs) und von Art. 2 ÜbBest. aBV (derogatorische Kraft des Bundesrechts).
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Das Verwaltungsgericht stellt am 28. Juni 1999 unter Hinweis auf das ergangene Urteil den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werde. Die Tele-Rätia AG beantragt mit Vernehmlassung vom 30. August 1999 die vollumfängliche Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid, gegen den auch im Bund kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht. Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit zulässig (Art. 84 Abs. 2, Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 OG).
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Der Beschwerdeführer, der für die Gebühren der Tele-Rätia AG zahlungspflichtig erklärt wurde, ist zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG).
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b) Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten, als der Beschwerdeführer sich mit dem angefochtenen Entscheid in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht im Einzelnen auseinandersetzt, sondern diesen lediglich kritisiert, wie er dies in einem appellatorischen Verfahren tun könnte. Das Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungswidrig ist, sondern prüft auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3/4; 122 I 70 E. 1c S. 73, mit Hinweis; 125 I 71 E. 1c S. 76). Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Äquivalenzprinzips rügt, genügt seine Begründung den vorstehend umschriebenen Anforderungen nicht, weshalb diesbezüglich auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden kann.
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2.- a) Art. 43 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG, SR 784. 40) sieht die Mög- lichkeit vor, Radio- und Fernsehprogramme - unter anderem - über Umsetzer (d.h. kleine Sender) weiterzuverbreiten (seit der per 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Revision vom 30. April 1997 des Fernmeldegesetzes vom 21. Juni 1991 sind Umsetzer lediglich eines der möglichen Mittel für die drahtlos-terrestrische Weiterverbreitung [vgl. Botschaft vom 10. Juni 1996 zum revidierten Fernmeldegesetz, BBl 1996 III 1405 ff.; 1461]). Die Umsetzertechnik gelangt vor allem in Berggebieten zum Einsatz, wo - wegen der topographischen Verhältnisse und der dünnen Besiedlung - das Verlegen eines Kabelnetzes zu aufwendig ist (vgl. Botschaft vom 28. September 1987 zum Bundesgesetz über Radio und Fernsehen, BBl 1987, III, 689 ff., 743). Die drahtlos-terrestrische Weiterverbreitung erfolgt über Rundfunkfrequenzen. Der Betrieb eines Umsetzers ist konzessionspflichtig (Art. 43 Abs. 1 RTVG). Der Umsetzerkonzessionär ist berechtigt "Benützungsgebühren nach Massgabe des kantonalen Rechts zu erheben, wenn sich die drahtlose Weiterverbreitung der Programme auf einen öffentlichen Versorgungsauftrag stützt" (Art. 43 Abs. 2 lit. b RTVG). Art. 43 Abs. 2 lit. b RTVG enthält damit einen Regelungsvorbehalt zugunsten der Kantone, die frei bestimmen können, auf welcher politischen Ebene der öffentliche Auftrag zu formulieren ist. Im Kanton Graubünden sind die Gemeinden, Kreise und Regionen die "eigentlichen Träger der drahtlosen Fernsehversorgung", welche die entsprechenden Rechtsgrundlagen zu schaffen und die drahtlose Zusatzversorgung zur öffentlichen Aufgabe zu erklären haben (vgl. Botschaft der Regierung an den Grossen Rat vom 21. April 1980; S. 70, 74 und 83).
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b) Nach Art. 4 des Fernsehgesetzes des Kreises Ilanz ist eine Gebühr von jedermann zu entrichten, der auf dem Gebiet des Kreises eine Fernsehempfangsanlage selbst be- treibt oder durch Dritte betreiben lässt (Inhaber). Gebührenpflichtig sind nach Abs. 1 dieser Bestimmung "insbesondere auch jene Personen, die für ihre Fernsehempfangsanlage keine Fernsehkonzession der PTT erwerben müssen, sofern sie von den Leistungen der Tele-Rätia AG Gebrauch zu machen vermögen (wie z.B. bei Ferienwohnungen, Zweitwohnungen usw. )".
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c) Dass es sich bei der von der Tele-Rätia AG gestützt auf Art. 43 Abs. 2 lit. b RTVG bzw. Art. 4 Fernsehgesetz des Kreises Ilanz erhobenen Abgabe um eine Gebühr handelt, ist unbestritten. Das Verwaltungsgericht führt hierzu weiter aus, in der Regel werde die Gebührenpflicht erst durch die tatsächliche Benutzung der Einrichtung ausgelöst. Anders verhalte es sich indes bei einer mit Benutzungspflicht verbundenen Einrichtung; wer im Bedarfsfalle eine öffentliche Einrichtung benutzen müsse, könne für die Bereitschaft des Gemeinwesens, die Benutzung jederzeit zu ermöglichen, gebührenpflichtig erklärt werden. Vorliegend verhalte es sich gleich. Die Gemeinde bzw. der Kreis lasse in Erfüllung der übernommenen öffentlichen Aufgabe die erforderlichen Anlagen zum Empfang ausländischer Fernsehprogramme errichten und betreiben. Jeder Inhaber einer Fernsehempfangsanlage müsse im Bedarfsfall von diesen Einrichtungen Gebrauch machen, da er gewisse ausländische Programme gar nicht anders empfangen könne. Durch die Anschaffung eines Fernsehapparates bekunde jedermann, dass bei ihm der Bedarfsfall für ausländische Fernsehprogramme eintreten könnte. So enthalte der Kauf eines Fernsehempfangsgerätes in den der Tele-Rätia AG vertraglich verpflichteten Gemeinden bzw. Kreisen ein per Gesetz staatlich verordnetes und gebührenpflichtiges Dienstleistungsangebot. Unabhängig davon, ob der Einzelne diese Leistung beanspruchen wolle, werde er allein aufgrund der - mit dem Besitz eines Fernsehgerätes grundsätzlich gegebenen - Benutzungsmöglichkeit gebührenpflichtig.
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d) Der Beschwerdeführer rügt, diese Auffassung des Verwaltungsgerichtes widerspreche dem klaren Wortlaut von Art. 4 Fernsehgesetz des Kreises Ilanz, wonach nur für Fernsehempfangsanlagen Gebühren bezahlt werden müssten, mit denen von den Leistungen der Tele-Rätia AG Gebrauch gemacht werden könne; das Verwaltungsgericht habe die genannte kantonale Bestimmung insofern willkürlich ausgelegt. Da er mangels einer geeigneten Antennenanlage technisch nicht in der Lage sei, von den Leistungen der Tele-Rätia AG Gebrauch zu machen, sei er nicht gebührenpflichtig. Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, der Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass der von der Tele-Rätia AG erhobenen Einheitsgebühr die gleiche Überlegung zugrunde liege wie der für die Fernsehempfangskonzession zu bezahlenden Empfangsgebühr gemäss Art. 55 RTVG, gehe fehl, da es sich bei der letzteren um eine Konzessions- und gerade nicht um eine Benützungsgebühr handle. Sinngemäss rügt er damit auch in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 2 ÜbBest. aBV.
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3.- a) Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. aBV) schliesst in Sachgebie-ten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (BGE 125 II 56 E. 2b S. 58). Der so umschriebene Grundsatz regelt zwar das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen; er hat aber auch unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Einzelnen und ist insofern als verfassungsmässiges Individualrecht anerkannt (BGE 123 I 221 E. II/3d S. 238, 313 E. 2b S. 316/317, mit Hinweis).
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Wird die Auslegung einer kantonalen Vorschrift in einem konkreten Anwendungsfall als bundesrechtswidrig beanstandet, so prüft das Bundesgericht die Auslegung dieser Norm durch die kantonalen Behörden nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür, es sei denn, es liege ein schwerer Eingriff in ein spezielles Grundrecht vor. Frei untersucht es, ob die vor dem Willkürverbot standhaltende Auslegung der kantonalen Vorschrift mit dem einschlägigen Bundesrecht vereinbar ist (BGE 123 I 313 E. 2b).
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b) Benützungsgebühren nach Art. 43 Abs. 2 lit. b RTVG sind das Entgelt, das der Einzelne für die Nutzung von öffentlichen Betrieben, Anlagen oder Einrichtungen - hier für die drahtlose Zuführung von ausländischen Fernsehprogrammen - zu leisten hat (vgl. Gygi, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 271). Indessen kann nicht nur derjenige "nach Massgabe des kantonalen Rechts" abgabepflichtig erklärt werden, der die von der Tele-Rätia AG angebotenen Programme tatsächlich konsumiert (vgl. BGE 109 Ib 308 E. 3b S. 311). Der Kanton ist aber auch nicht befugt, die Gebührenpflicht an die Empfangsmöglichkeit als solche, d.h. den blossen Erwerb oder Besitz eines Fernsehgerätes, zu koppeln; dieses kann heute via Satellitenempfang und Paraboltechnik ohne Inanspruchnahme des Leistungsangebots der Tele-Rätia genutzt werden. Ist das Fernsehgerät antennenseitig für den Empfang drahtlos-terrestrisch weiterverbreiteter Programme nicht ausgerüstet, können die Leistungen der Tele-Rätia nicht in An- spruch genommen werden. Fehlt diesfalls selbst die abstrakte Benutzungsmöglichkeit, sind die kantonalen Benützungsgebühren nach Art. 43 Abs. 2 lit. b RTVG entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht geschuldet (unveröffentlichte Urteile des Bundesgerichtes vom 29. Juni 1995 i.S. G., E. 4, und vom 2. März 2000 i.S. R., E. 2c). Art. 4 des Fernsehgesetzes des Kreises Ilanz stimmt mit dieser bundesrechtlichen Regelung überein, besteht die Gebührenpflicht doch erst, wenn jemand von den Leistungen der Tele-Rätia AG Gebrauch zu machen vermag.
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c) Vorliegend versichert der Beschwerdeführer, antennenseitig für den Empfang drahtlos-terrestrischer (weiter) verbreiteter Programme nicht ausgerüstet zu sein. Dies wird weder vom Verwaltungsgericht noch von der Tele-Rätia AG bestritten. Der Beschwerdeführer ist deshalb gar nicht in der Lage, die von der Tele-Rätia AG verbreiteten Programme zu empfangen. Fehlt es ihm somit an einer - auch bloss - abstrakten Benutzungsmöglichkeit, verstösst die von den kantonalen Instanzen gemäss Art. 4 Fernsehgesetz des Kreises Ilanz erhobene Benutzungsgebühr gegen Art. 4 aBV und Art. 2 ÜbBest. aBV.
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d) Daran vermag der Einwand der Beschwerdegegnerin, es könne schlicht nicht überprüft werden, ob der einzelne Fernsehbesitzer zusätzlich eine terrestrische Antenne einsetze bzw. diese entferne, nichts zu ändern. Zunächst kann der Umstand, dass die Einhaltung einer gesetzlichen Bestimmung schwierig zu kontrollieren ist, nicht dazu zu führen, diese über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden. Sodann sieht Art. 7 Fernsehgesetz des Kreises Ilanz ausdrücklich Kontrollmöglichkeiten vor; namentlich sind die von der Gemeinde oder der Tele-Rätia AG bevollmächtigten Personen berechtigt, die für "die Prüfung des Bestandes der Gebührenpflicht er- forderlichen Vorkehrungen zu treffen", wobei Amtsstellen ihnen gegenüber auskunftspflichtig sind und ihnen insbesondere der Zutritt zu allen Räumen zu gestatten ist, in denen sich Fernsehempfangsanlagen befinden könnten. Darüber hinaus ist der Nachweis, dass keine Fernsehempfangsanlage betrieben wird, vom Pflichtigen zu erbringen, ansonsten die gesetzliche Gebührenpflicht weiterbesteht (Art. 6 Abs. 2 Fernsehgesetz des Kreises Ilanz).
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e) Ist die staatsrechtliche Beschwerde bereits aus den genannten Gründen gutzuheissen, erübrigt sich eine Prüfung der weiteren Rügen des Beschwerdeführers.
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4.- Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der Tele-Rätia AG aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 17. März 1999 aufgehoben.
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2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000. -- wird der TeleRätia
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AG auferlegt.
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3.- Die Tele-Rätia AG hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000. -- zu entschädigen.
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4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der TeleRätia AG und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (3. Kammer) schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 17. April 2000
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Die Gerichtsschreiberin:
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