VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer U 244/1998  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer U 244/1998 vom 22.08.2000
 
«AZA 7»
 
U 244/98 Hm
 
I. Kammer
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Rüedi und nebenamtlicher Richter Walser; Gerichtsschreiberin Helfenstein
 
Urteil vom 22. August 2000
 
in Sachen
 
H.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Markus Schmid, Steinenschanze 6, Basel,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen
 
A.- H.________, geboren 1947, arbeitet seit 1962 als angelernter Dachdecker und bezieht wegen der Folgen einer Arthrose des rechten Ellbogengelenks und eines leichten Ulnaris-Irritationssyndroms rechts seit dem 1. Oktober 1981 eine Rente der Invalidenversicherung unterschiedlicher Höhe, seit August 1986 eine halbe Rente, wobei das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 21. Februar 1996 (I 283/95) im Rahmen der Prüfung einer Revisionsverfügung festgestellt hatte, dass H.________ auch nach dem 31. August 1994 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente habe.
 
Am 6. Juni 1995 rutschte H.________ bei Dachreparaturarbeiten auf dem Gerüst aus, wobei er sich Verletzungen am linken Knie zuzog (Kniedistorsion mit Kreuzbandläsion und Knorpelschaden). Wegen dieses Unfalls und eines Rückfalls am 13. Februar 1996 bestand in der Folge eine Arbeitsunfähigkeit unterschiedlichen Ausmasses. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher H.________ für Unfälle versichert war, erbrachte entsprechende Taggeldleistungen.
 
Mit Verfügung vom 28. April 1997 erstellte die SUVA eine Zwischentaggeldabrechnung für den Zeitraum vom 6. Juni 1995 bis 28. Februar 1997. Sie stellte dabei dem Gesamtanspruch auf Sozialversicherungsleistungen für den Zeitraum vom 6. Juni bis 7. Dezember 1995 und 22. März 1996 bis 28. Februar 1997 (bestehend aus den ausgerichteten UV-Taggeldleistungen von Fr. 62'669.-- und einer halben Invalidenrente von insgesamt Fr. 23'571.--) einen mutmasslichen Verdienstausfall von Fr. 70'094.90 (Fr. 102'208.10 abzüglich Eigenverdienst von Fr. 23'113.20) gegenüber und hielt fest, dass damit der Überschuss Fr. 7'145.40 betrage. Um diesen Betrag reduziere sich auf Grund von Art. 40 UVG der Taggeldanspruch.
 
Eine gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wurde von der SUVA mit Entscheid vom 28. Juli 1997 abgewiesen.
 
B.- Hiegegen liess H.________ Beschwerde an das Obergericht des Kantons Schaffhausen erheben mit dem Antrag, der Einspracheentscheid der SUVA sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass für die Zeit vom 6. Juni 1995 bis zum 7. Dezember 1995 und vom 22. März 1996 bis zum 28. Februar 1997 keine Überversicherung bestehe. Demgemäss sei die SUVA anzuweisen, dem Beschwerdeführer den Betrag von Fr. 7'145.40 entsprechend der festgestellten Überversicherung zu bezahlen. Mit Entscheid vom 10. Juli 1998 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen die Beschwerde ab.
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.
 
Die SUVA schiesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lässt.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
 
b) Vorbehältlich besonderer Koordinationsregeln werden gemäss Art. 40 UVG Geldleistungen, ausgenommen Hilflosenentschädigungen, so weit gekürzt, als sie mit anderen Sozialversicherungsleistungen zusammentreffen und den mutmasslich entgangenen Verdienst übersteigen. Nach Art. 51 Abs. 3 UVV entspricht der mutmasslich entgangene Verdienst jenem Verdienst, den der Versicherte ohne schädigendes Ereignis erzielen würde.
 
Die Vorschrift von Art. 40 UVG stellt eine Generalklausel zur Vermeidung von Überentschädigungen dar. Sie gilt ihrem Wortlaut nach nur subsidiär, d.h. wenn keine andere Koordinationsnorm anwendbar ist. So finden Art. 40 UVG und die entsprechenden, gemäss altrechtlicher Rechtsprechung (namentlich zu Art. 74 Abs. 3 KUVG) entwickelten Grundsätze im Allgemeinen keine Anwendung beim Zusammentreffen von Renten der obligatorischen Unfallversicherung mit solchen der Alters- und Hinterlassenenversicherung oder der Invalidenversicherung, da die Art. 20 Abs. 2 und 31 Abs. 4 UVG diesbezüglich eine besondere Koordinationsregel enthalten. Demgegenüber greift Art. 40 UVG beispielsweise dann Platz, wenn - wie im vorliegenden Fall - Taggelder der Unfallversicherung mit Renten der Invalidenversicherung zusammentreffen (BGE 121 V 131 Erw. 2b, 117 V 395 Erw. 2b und 115 V 279 Erw. 1c mit Hinweisen).
 
2.- Die von der SUVA erstellte Teilabrechnung für die Zeit vom 6. Juni 1995 bis 28. Februar 1997 ist in masslicher Hinsicht nicht bestritten, soweit es um die Höhe des Taggeldanspruches, die Höhe der ausgerichteten Renten der Invalidenversicherung, die Höhe des Erwerbseinkommens ohne Unfall und das nach dem Unfall effektiv erzielte Einkommen geht. Streitig ist indessen die von der SUVA vorgenommene Überversicherungsberechnung.
 
3.- a) Die Vorinstanz stellt sich im Wesentlichen unter Berufung auf Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 1985, S. 539 bei Anmerkung 1401, sowie Wipf, Koordinationsrechtliche Fragen des UVG in SZS 1994, S. 13 und 15, auf den Standpunkt, die Rentenleistungen der Invalidenversicherung seien anzurechnen, auch wenn diese nicht aus dem Versicherungsfall entstanden seien, für den der Unfallversicherer zu leisten habe. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, die bereits vor dem Unfall geflossenen Invalidenrenten seien im Rahmen der von der SUVA angestellten Überversicherungsberechnung nicht zu berücksichtigen, weil diese Renten nicht auf Grund des bei der SUVA versicherten Unfall-Ereignisses ausgerichtet würden. Im Bereich von Art. 40 UVG seien einzig jene Sozialversicherungsleistungen zu berücksichtigen, welche auf Grund desselben versicherten Ereignisses fliessen.
 
b) Während das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 115 V 281 Erw. 3a noch offengelassen hatte, ob eine Identität des Schadenereignisses unter dem Gesichtspunkt des Art. 40 UVG auch weiterhin gegeben sein müsse, beantwortete es diese Frage im Urteil C. vom 5. August 1998 (RKUV 1999 Nr. U 325 S. 102) dahingehend, dass bei der Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdienstes von einer vollen Arbeitsfähigkeit auszugehen sei und zwar auch dann, wenn die fraglichen Sozialversicherungsleistungen nicht das gleiche Versicherungsereignis betreffen. Dies bedeutet, dass eine Invalidenrente auch dann anzurechnen ist, wenn sie auf Grund eines andern versicherten Ereignisses, für welches der Unfallversicherer nicht zu leisten hat, ausgerichtet wird. Dabei wies das Eidgenössische Versicherungsgericht wie schon in BGE 115 V 281 Erw. 3a zuerst auf den alten Art. 74 Abs. 3 KUVG hin, welcher die Berücksichtigung der Leistungen anderer Versicherer auf diejenigen beschränkte, welche wegen desselben versicherten Ereignisses ausgerichtet wurden. Es hielt sodann fest, dass Art. 40 UVG, in Kraft seit 1. Januar 1984, keine solche Beschränkung mehr enthalte. In dieser Hinsicht betone die Botschaft zum UVG (BBl 1976 III 201), dass bezüglich des Verbots der Überversicherung zur Ermittlung des massgebenden Verdienstes von der vollen Erwerbsfähigkeit auszugehen sei. Wenn ein Rentner der Invalidenversicherung, dessen Lohn wegen seiner stark eingeschränkten Erwerbsfähigkeit niedriger sei, verunfalle, werde das Taggeld der Unfallversicherung nicht wegen der zugesprochenen Invalidenrente gekürzt; der Verunfallte erhalte schon auf Grund seiner (nur) teilweisen Erwerbsfähigkeit ein niedrigeres Taggeld, das zusammen mit der Invalidenrente den Lohn eines Vollzeitbeschäftigten nicht erreiche.
 
Es besteht kein Anlass, diese Praxis einer weiteren Überprüfung zu unterziehen.
 
4.- Im vorliegend zu beurteilenden Fall ergibt sich jedoch eine Besonderheit, auf die das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits im Urteil vom 21. Februar 1996 (I 283/95) hingewiesen hat.
 
a) Der Beschwerdeführer arbeitet seit 1962 als angelernter Dachdecker im elterlichen Betrieb. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1990 wurde er dessen angestellter Mitinhaber. Obwohl er nicht eigentlich an der Unternehmungsleitung teilnahm, sondern die gleiche bisherige Tätigkeit ausübte, wurde sein Lohn von rund Fr. 30'000.-- auf über Fr. 60'000.-- angehoben (vgl. das erwähnte Urteil, Erw. 5a). Wie sich dem am 21. Januar 1997 erstellten Rapport der SUVA entnehmen lässt, ging die damalige Firma im Jahr 1994 in Konkurs. Darauf übernahmen die Neffen des Beschwerdeführers die Firma und gründeten diese offenbar neu. Der Neffe des Beschwerdeführers hat dabei bestätigt, dass diesem stets ein voller branchenüblicher Lohn ausbezahlt worden sei, obwohl der Beschwerdeführer wegen der Ellbogenbeschwerden und der späteren Kniebeschwerden nicht mehr die volle Leistung erbracht habe. Weil der Beschwerdeführer aber sein Taufpate und Onkel gewesen sei, habe man das nicht so kleinlich betrachtet. Es steht weiter fest und ist unbestritten, dass auf dem Lohn, der 1996 Fr. 68'900.-- betragen hat, auch mit der SUVA abgerechnet wurde und deren Taggeldleistungen darauf basieren.
 
b) Geht man von diesen nicht bestrittenen Tatsachen aus, ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer trotz einer gesundheitlichen Einschränkung nach 1990 einen Lohn bezogen hat, den er auch ohne irgend ein schädigendes Ereignis erzielt hätte. Die Beschränkung der Erwerbsfähigkeit durch den früher erlittenen Unfall führte also in diesem Zeitraum zu keiner Reduktion des Lohns. Daneben bezog der Beschwerdeführer eine halbe Invalidenrente, womit seine Gesamtbezüge höher ausfielen als der Verdienst, den er bei voller Erwerbsfähigkeit als angelernter Dachdecker hätte erzielen können.
 
Anders als im Urteil RKUV 1999 Nr. U 325 S. 102 kann deshalb vorliegend nicht gesagt werden, das Taggeld der Unfallversicherung werde nicht wegen der zugesprochenen Invalidenrente gekürzt, weil der Verunfallte schon auf Grund seiner teilweisen Erwerbsunfähigkeit ein niedrigeres Taggeld erhalte, das zusammen mit der Invalidenrente den Lohn eines Vollbeschäftigten nicht erreiche. Vielmehr war hier der Lohn trotz eingeschränkter Erwerbsfähigkeit nicht herabgesetzt, weshalb auch das Taggeld auf der Basis eines Lohnes bei Vollbeschäftigung ausgerichtet wurde. Dies führt zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer bei voller Anrechnung der Invalidenrente und der damit verbundenen Kürzung des Taggeldes tatsächlich weniger Einkünfte erzielt als vor dem Unfall, als er neben dem Lohn eines voll erwerbsfähigen und vollbeschäftigten Arbeitnehmers zusätzlich auch die Teilrente der Invalidenversicherung bezogen hat.
 
c) Gleichwohl ist auch bei einer solchen Konstellation die Invalidenrente aus einem früheren Schadenereignis anzurechnen. Art. 40 UVG setzt die Überversicherungsgrenze klar beim mutmasslich entgangenen Verdienst fest, und Art. 51 Abs. 3 UVV führt dazu aus, dass der mutmasslich entgangene Verdienst jenem Verdienst entspricht, den der Versicherte ohne schädigendes Ereignis erzielen würde. Dabei wird das tatsächlich erzielte Erwerbseinkommen angerechnet. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in dem Sinn eine deutliche Grenze gesetzt hat, dass im Fall eines Ereignisses, das zu Leistungen verschiedener Sozialversicherungsträger führt, diese Leistungen zusammen mit dem effektiv noch erzielten Erwerbseinkommen jenen Verdienst nicht überschreiten dürfen, den der Versicherte als gesunde voll erwerbsfähige Person erzielen könnte. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass es nicht Zweck der Leistungen der Sozialversicherungsträger ist, einen Zustand abzusichern, in welchem eine versicherte Person auf Grund eines besonderen Entgegenkommens der Arbeitgeberfirma trotz teilweiser Erwerbsunfähigkeit höhere Gesamteinkünfte erzielt hat, als dies einem gesund gebliebenen, voll erwerbstätigen Versicherten überhaupt möglich wäre. Es geht mithin nicht an, dass ein Versicherter weiterhin davon profitieren kann, dass ihm der Arbeitgeber auf Grund besonderer Konstellationen trotz einer beschränkten Erwerbsfähigkeit und trotz dem Bezug einer Invalidenrente weiterhin den vollen Lohn bezahlt mit der Folge, dass letztlich mit Leistungen der verschiedenen Träger der Sozialversicherung Soziallohnkomponenten finanziert würden, die es dem Versicherten erlauben, ein höheres Einkommen zu erzielen als dasjenige, das er als voll Erwerbstätiger gesunder Arbeitnehmer überhaupt erreichen könnte.
 
Es kann deshalb dem Beschwerdeführer nicht gefolgt werden, wenn er die Auffassung vertritt, im Bereich von Art. 40 UVG seien einzig jene Sozialversicherungsleistungen zu berücksichtigen, welche auf Grund desselben Ereignisses fliessen.
 
d) Ein solches Ergebnis ist nicht stossend, und insbesondere ist auch nicht zutreffend, dass damit das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes vom 21. Februar 1996 in Frage gestellt oder unterlaufen würde. In diesem Urteil ging es um eine ganz andere Frage, nämlich diejenige der Bestimmung des Invaliditätsgrades. Hier spielen Soziallohnkomponenten rechtlich eine andere Rolle als bei der Bestimmung der Überversicherung gemäss Art. 40 UVG. Die Anrechnung der Invalidenrente ändert nichts daran, dass diese, wie vom Eidgenössischen Versicherungsgericht bestätigt, rechtens ausgerichtet wird. Eine ganz andere Frage ist, inwieweit diese Invalidenrente im Rahmen einer Überversicherungsberechnung nach Art. 40 UVG berücksichtigt werden muss oder nicht.
 
Schliesslich kann eine Korrektur entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht in der Weise erfolgen, dass der mutmasslich entgangene Verdienst einfach verdoppelt wird. Der mutmasslich entgangene Verdienst ist zwar in solchen Fällen ein hypothetischer Begriff, knüpft aber an reale Erwerbsmöglichkeiten der versicherten Person an, die bei voller Erwerbsfähigkeit offenstehen würden. Es würde dem System von Art. 40 UVG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 3 UVV völlig widersprechen, diese reale Grundlage zu verlassen und fiktive Verdienste einzusetzen, die ein Versicherter ohne schädigendes Ereignis auf Grund seiner Ausbildung nie erzielen könnte.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des
 
Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Sozialver-
 
sicherung zugestellt.
 
Luzern, 22. August 2000
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der I. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).