BGer 6S.47/1999 | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
BGer 6S.47/1999 vom 05.09.2000 | |
[AZA 0]
| |
6S.47/1999/hev
| |
KASSATIONSHOF
| |
*************************
| |
5. September 2000
| |
Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth, Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Näf.
| |
---------
| |
In Sachen
| |
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Werner Schmid, Limmatquai 94, Zürich,
| |
gegen
| |
StaatsanwaltschaftdesKantons Zürich,
| |
betreffend
| |
Diebstahl (Art. 139 StGB), hat sich ergeben:
| |
A.- 1. X.________, Beamter der Stadtpolizei Zürich, wurde verdächtigt, er habe in den Jahren 1991 - 1997 verschiedentlich Gelder im Gesamtbetrag von mindestens Fr. 5'900. --, die er in Erfüllung von dienstlichen Aufträgen insbesondere in der Drogenszene sichergestellt habe, pflichtwidrig nicht abgeliefert, sondern behalten, um sie für sich zu verwenden. Wegen dieses Verdachts wurde gegen X.________ ein Strafverfahren eröffnet.
| |
2. Am Abend des 4. August 1997 erhielt X.________ von seinem Vorgesetzten den Auftrag, an die Hardturmstrasse in Zürich zu fahren, um abzuklären, ob dort Betäubungsmittel gelagert würden. X.________ rückte mit zwei Kollegen aus. Er fand unter anderem ein RobidogSäcklein vor, in welchem sich eine Zeitung befand, worin Banknoten im Betrag von Fr. 1'700. -- eingewickelt waren. Er entnahm das Geld der Verpackung und steckte es zunächst in die äussere Beintasche seines Anzugs. Seinen beiden Kollegen sagte er davon nichts. Als er zusammen mit seinen beiden Kollegen in das Polizeifahrzeug stieg, legte er das Geld in die Seitentasche der Beifahrertür. Während der Fahrt erhielt er vom Einsatzleiter einen telefonischen Anruf, mit welchem dieser sich zweimal erkundigte, ob die Patrouille etwas gefunden habe, was X.________ beide Male verneinte. Nachdem die Patrouille zum Stützpunkt zurückgekehrt war, fragte der Einsatzleiter den Beamten X.________ ein drittes Mal, ob wirklich nichts gefunden worden sei, was dieser wiederum verneinte. X.________ begab sich nach dem Abendessen zum Polizeifahrzeug und nahm das Notenbündel aus der Seitentasche der Beifahrertür. Er legte es in einen Gummihandschuh und warf es in einen Abfallcontainer. Er holte es kurze Zeit später dort wieder hervor und legte es unter den Sitz seines Privatwagens. Im Journal, in welchem er den Einsatz zusammenfasste, erwähnte er das Geld nicht. X.________ wurde am 5. August 1997, um 02.30 Uhr, verhaftet.
| |
Der fragliche Geldbetrag war entgegen der Meinung von X.________ nicht von einem Betäubungsmittelhändler dort versteckt worden. Das Geld stammte vielmehr aus der Staatskasse und war von Beamten der Kantonspolizei dort deponiert worden, um den verdächtigen X.________ auf die Probe zu stellen.
| |
B.- 1. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich sprach X.________ am 12. Juni 1998 wegen des Vorfalls vom 4. August 1997 der Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 StGB schuldig und verurteilte ihn deshalb zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten, abzüglich 64 Tage Untersuchungshaft. In den übrigen Fällen wurde X.________ freigesprochen.
| |
2. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ auf dessen Berufung hin am 5. Oktober 1998 wegen des Vorfalls vom 4. August 1997 des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten, abzüglich 64 Tage Untersuchungshaft. In den übrigen Fällen wurde X.________ in Bestätigung des insoweit nicht angefochtenen erstinstanzlichen Entscheids freigesprochen.
| |
C.- X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache gemäss Art. 277ter BStP zu seiner Freisprechung, eventuell nach Art. 277 BStP zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
| |
D.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die von X.________ erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 15. März 2000 ab.
| |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
| |
1.- Gemäss Art. 139 Ziff. 1 StGB macht sich des Diebstahls schuldig, wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern.
| |
a) Fremd ist eine Sache, die nicht allein im Eigentum des Täters steht. Wegnahme ist Bruch fremden und Begründung neuen (meist eigenen) Gewahrsams. Dieser besteht in der tatsächlichen Sachherrschaft, verbunden mit dem Willen, sie auszuüben. Ob Gewahrsam gegeben ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Anschauungen und den Regeln des sozialen Lebens (BGE 115 IV 104 E. 1c/aa S. 106, mit Hinweisen). Bruch des Gewahrsams ist die Aufhebung des fremden Gewahrsams gegen den Willen des bisherigen Inhabers.
| |
b) Bei der tatsächlich gegebenen Sachlage stand das Geld im Eigentum und im (gelockerten) Gewahrsam des Staates, dessen Beamte es an der fraglichen Stelle, unter einem Aussenbalken eines Gebäudes (siehe UA act. 22/1), deponiert hatten. Zwar sollte der Beschwerdeführer das Notenbündel an sich nehmen, doch nur zu dem Zweck, es bei seiner Dienststelle abzuliefern. Die Beamten, die den Beschwerdeführer auf die Probe stellten, waren nicht damit einverstanden, dass dieser den Gewahrsam des Staates aufhebe, mithin den fremden Gewahrsambreche. Der Beschwerdeführer war in soweit lediglich Gewahrsamsdiener.
| |
Bei der Sachlage, die der Beschwerdeführer sich vorstellte, stand das Geld im Eigentum der Person, die es durch den Verkauf von Betäubungsmitteln erlangt, und im (gelockerten) Gewahrsam desjenigen, welcher es an der fraglichen Stelle versteckt hatte.
| |
c) Der Beschwerdeführer nahm das Notenbündel an sich und steckte es zunächst in die äussere Beintasche seines Anzugs. Damit hat er sowohl bei der tatsächlichen wie bei der vermeintlichen Sachlage den Gewahrsam des bisherigen Inhabers gegen dessen Willen aufgehoben und neuen, eigenen Gewahrsam begründet, mithin eine fremde bewegliche Sache weggenommen.
| |
d) Aus den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bereits in dem Augenblick, als er das Notenbündel in die äussere Beintasche seines Anzugs steckte, die Absicht hatte, das Geld zu behalten und später für eigene Zwecke zu verwenden (siehe angefochtenes Urteil S. 21). Er hat die fremde Sache somit in Aneignungs- und in Bereicherungsabsicht weggenommen.
| |
e) Der Beschwerdeführer hat demnach sowohl bei der tatsächlich gegebenen wie auch bei der von ihm irrtümlich angenommenen Sachlage den Tatbestand des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB erfüllt. Sein Irrtum betrifft insoweit lediglich die Identität des Eigentümers und des Gewahrsamsinhabers. Ein solcher Irrtum ist rechtlich unerheblich.
| |
2.- Was der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung wegen Diebstahls vorbringt, ist unbegründet.
| |
a) Sowohl nach der vermeintlich wie auch nach der tatsächlich gegebenen Sachlage befanden sich die Banknoten, die der Beschwerdeführer vorfand, im Gewahrsam eines Dritten, nämlich im Gewahrsam des vermeintlichen Betäubungsmittelhändlers beziehungsweise im Gewahrsam des Staates, dessen Beamte das Notenbündel dort deponiert hatten. Wer eine Sache an einem bestimmten Ort versteckt, behält daran, jedenfalls wenn er jederzeit ohne weiteres darauf zugreifen kann, nach den Regeln des sozialen Lebens die Sachherrschaft und hat somit Gewahrsam. Es besteht kein Grund, in solchen Fällen den Gewahrsam des Dritten und damit die Möglichkeit eines Gewahrsamsbruchs deshalb zu verneinen, weil nach dem neuen Recht eine Verurteilung wegen unrechtmässiger Aneignung gemäss Art. 137 Ziff. 1 StGB, die keine Wegnahme voraussetzt, möglich bliebe.
| |
b) Bei der vermeintlich gegebenen Sachlage war der Beschwerdeführer auf Grund seiner Amtspflicht berechtigt, ja verpflichtet, das Notenbündel an sich zu nehmen. Rechtmässig war der Bruch des fremden Gewahrsams des vermeintlichen Betäubungsmittelhändlers aber nur unter der Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer die Banknoten pflichtgemäss seiner Dienststelle ablieferte. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer hat daher das Geld dem vermeintlichen Betäubungsmittelhändler tatbestandsmässig und rechtswidrig weggenommen.
| |
c) Unerheblich ist, dass der Beschwerdeführer das Geld nicht zählte und es nicht mit eigenem Geld vermischte. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wollte er das Geld behalten und für sich verwenden.
| |
d) Der Beschwerdeführer meint, seine irrige Annahme, das von ihm vorgefundene Geld sei von einem Betäubungsmittelhändler dort versteckt worden, während es in Tat und Wahrheit von Beamten der Kantonspolizei dort deponiert worden sei, sei ein "umgekehrter" Tatbestandsirrtum. Wenn die Vorinstanz ihm unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 1 StGB vorhalte, er sei allein nach den Vorstellungen zu beurteilen, die er sich gemacht habe, so hätte sie prüfen müssen, "inwiefern die nicht vollendete Aneignung als Versuch gemäss Art. 21 StGB milder zu bestrafen wäre" (Nichtigkeitsbeschwerde S. 7). Der Einwand geht an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer hat nicht irrtümlich das Vorliegen von tatbestandsrelevanten Tatsachen angenommen, welcher Irrtum ein so genannter "umgekehrter" Sachverhaltsirrtum wäre mit der Folge, dass die Handlung als (untauglicher) Versuch des fraglichen Delikts zu qualifizieren wäre (siehe dazu Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl. 1996, § 9 N 77; Trechsel, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 19 N 11). Sowohl bei der vermeintlich wie bei der tatsächlich gegebenen Sachlage hat der Beschwerdeführer den Tatbestand des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB erfüllt. Sein Irrtum betrifft lediglich die Identität des Eigentümers und des Gewahrsamsinhabers, und ein solcher Irrtum ist rechtlich unerheblich.
| |
3.- Da die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde somit abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann, hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen.
| |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
| |
1.- Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
| |
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000. -- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
| |
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (I. Strafkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
| |
---------
| |
Lausanne, 5. September 2000
| |
Im Namen des Kassationshofes
| |
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
| |
Der Präsident:
| |
Der Gerichtsschreiber:
| |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |