BGer H 278/1999 | |||
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BGer H 278/1999 vom 13.11.2000 | |
[AZA 7]
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H 278/99 Ge
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II. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
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Gerichtsschreiber Arnold
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Urteil vom 13. November 2000
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in Sachen
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H.T.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Dr. Franziska Ryser-Zwygart, Niklaus-Konrad-Strasse 12, Solothurn,
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gegen
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Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, Zuchwil,
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Beschwerdegegnerin,
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und
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Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
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A.- R.T.________ war einziger Verwaltungsrat, Sohn H.T.________ Prokurist mit Einzelprokura der 1975 gegründeten T.________ AG. Ab 1992, verstärkt in den Jahren 1993/1994, geriet die Gesellschaft in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Am 27. März 1995 gewährte das Amtsgericht X.________ eine viermonatige Nachlassstundung, die in der Folge mit Entscheid vom 28. Juli 1995 bis 27. September 1995 verlängert wurde, und bestellte einen Sachwalter. Der angestrebte Nachlassvertrag kam indes nicht zustande, worauf am 26. Januar 1996 der Konkurs über die T.________ AG eröffnet wurde. Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn reichte in diesem Verfahren eine Forderung für von der Gesellschaft geschuldete Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von Fr. 131'982. 50 ein. Mit Verfügungen vom 13. Januar 1998 verpflichtete sie R. und H. T.________ unter solidarischer Haftbarkeit zur Leistung von
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Schadenersatz im genannten Betrag.
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B.- Hiegegen erhoben die Betroffenen Einspruch, worauf die Ausgleichskasse beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Klage mit dem Rechtsbegehren führte, R. und H. T.________ seien unter solidarischer Haftung zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 131'982. 50 zu bezahlen; "im Falle einer Überentschädigung unter anteilsmässiger Abtretung" einer der Ausgleichskasse "ausgerichteten Konkursdividende bis zur Höhe der allfälligen Zahlungen der Beklagten. " Nach Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels sowie einer Instruktionsverhandlung zog die Ausgleichskasse ihre Klage gegen R. T.________ in der Annahme zurück, dieser sei offensichtlich zahlungsunfähig. Mit Entscheid vom 20. Juli 1999 schrieb das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Klage gegen R. T.________ zufolge Rückzugs von der Geschäftskontrolle ab. Die gegen H.T.________ gerichtete Rechtsvorkehr hiess es teilweise gut, indem dieser zur Leistung von Fr. 127'960. 45 verpflichtet wurde.
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C.- H.T.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, insoweit damit die gegen ihn erhobene Schadenersatzklage gutgeheissen worden sei.
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Die Ausgleichskasse beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein und der als Mitinteressierter beigeladene R.T.________ verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
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2.- Im angefochtenen Entscheid werden die in materiellrechtlicher Hinsicht massgebenden Normen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die Rechtsprechung zur subsidiären Haftbarkeit der Organe (vgl. statt vieler auch BGE 123 V 15 Erw. 5b), zur Haftungsvoraussetzung des qualifizierten Verschuldens (vgl. ergänzend BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b) sowie zu den Gründen, welche die vorübergehende Zurückbehaltung der Sozialversicherungsbeiträge zu rechtfertigen oder zu entschuldigen vermögen (vgl. auch BGE 108 V 186 Erw. 1b), zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.
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3.- a) Die Vorinstanz hat von den ursprünglich eingeklagten Fr. 131'982. 50 die erst nach der Konkurseröffnung (vom 26. Januar 1996) fällig gewordenen Beiträge (Fr. 3'939. 10) sowie die Beitragsschulden an die kantonale Familienausgleichskasse (Fr. 82.95) abgezogen und die Klage gegen H.T.________ insoweit abgewiesen. Gemäss verbindlicher Feststellung des kantonalen Gerichtes (vgl. Erw. 1 hievor) ist der Ausgleichskasse demnach aus der Nichtleistung für die Zeit ab März 1994 geschuldeter bundesrechtlicher Sozialversicherungsbeiträge samt dazugehöriger Nebenkosten ein im Verfahren nach Art. 52 AHVG einklagbarer Schaden in Höhe von Fr. 127'960. 45 entstanden. Anlässlich der vorinstanzlichen Instruktionsverhandlung räumten die beiden Beklagten ein, auf Grund der Darlegungen in der Replik sei die Höhe der Forderung nachvollziehbar. Letztinstanzlich wird der Forderungsbetrag von Fr. 127'960. 45 nicht substantiiert bestritten. Soweit der Schadenseintritt mit dem Hinweis in Abrede gestellt wird, das Konkursverfahren sei noch im Gang und es resultiere daraus wahrscheinlich für die Gläubiger eine Dividende, ist dies unbehelflich. Nach ständiger Rechtsprechung (BGE 113 V 180) beschränkt sich die Erstattungspflicht der haftpflichtigen Person diesfalls auf den ausgewiesenen Schaden unter Anrechnung einer allfälligen Konkursdividende. Die Ausgleichskasse hat ihr Klagebegehren in Übereinstimmung mit dieser Rechtslage formuliert. Indem das kantonale Gericht dieses Begehren teilweise gutgeheissen hat, nimmt auch die Anrechnung einer allfälligen Konkursdividende an der Rechtskraft des vorinstanzlichen Entscheides teil.
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b) Ausweislich der Akten sind die der Gesellschaft monatlich in Rechnung gestellten Beiträge ab März 1994 unbezahlt geblieben, womit die Haftungsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit erfüllt ist. Die widerrechtliche Nichtablieferung der Beiträge ist kausal zum eingetretenen Schaden, weil die Firma in Anbetracht der laufend fortgesetzten Lohnzahlungen an sich noch über die erforderlichen Mittel zur Begleichung der Beitragsausstände verfügte.
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c) Insoweit sich der Beschwerdeführer auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe im Sinne der Judikatur (BGE 108 V 183) beruft, dringt er nicht durch. Insbesondere ist die Gewährung einer (verlängerten) Nachlassstundung nicht als Umstand zu werten, welcher für die Einschätzung der im Zeitpunkt der unterbliebenen Zahlung gegebenen Situation präjudiziell ist, da die für den Entscheid über die Nachlassstundung relevanten (schuldbetreibungs- und konkursrechtlichen) Kriterien mit den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Haftungsbefreiung nach Massgabe von BGE 108 V 183 nicht übereinstimmen (nicht veröffentlichtes Urteil R. vom 9. Oktober 1997, H 308/96). Im Übrigen ist dem Bericht des Sachwalters zu Handen der Gläubigerversammlung vom 15. September 1995 zu entnehmen, es sei "ausgeschlossen (...), dass das Unternehmen innert einer Frist von zwei Jahren die gesamten Kreditorenpositionen aus eigens erarbeiteten Mitteln abbauen kann". Ein Nachlassvertrag kam in der Folge denn auch nicht zustande. Irgendeine greifbare, über die Hoffnung hinausgehende Strategie, die Rezession im Baugewerbe werde ihr Ende finden, und es werde sich wieder ein wirtschaftlicher Aufschwung einstellen, ist aus den gesamten Akten nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer und sein Vater haben zu retten versucht, was zu retten war, indem sie noch Aufträge beschafften und die Angestellten zu nicht kostendeckenden Bedingungen (allgemeiner Preiszerfall im Baugewerbe, Debitorenverluste) bis zum Ende weiter beschäftigten. So anerkennenswert diese Haltung als solche ist, kann sie im Rahmen von Art. 52 AHVG nicht zum Ausschluss der Haftung führen, weil sonst die mit dieser
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Bestimmung verfolgte schadenersatzrechtliche Sanktionierung verletzter Arbeitgeberpflichten aus den Angeln gehoben würde.
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d) Der noch am Recht stehende Beschwerdeführer fungierte gemäss Handelsregistereintrag als einzelzeichnungsberechtigter Prokurist. Da er somit kein formelles Organ der Gesellschaft war, bedingt seine persönliche subsidiäre Haftung, dass ihm materiell Organstellung zukam (BGE 114 V 216 Erw. 4b und c). Im kantonalen Verfahren wurde diesbezüglich in der Klageantwort dargelegt, dass "die Beklagten" in der kritischen Zeit "jene unternehmerischen Massnahmen getroffen" haben, welche jeder verständige Mensch in dieser Lage getroffen hätte; die "Beklagten" hätten während den rezessionsbedingten Krisenzeiten alles versucht, um die Gesellschaft zu sanieren, insbesondere hätten "die beiden Beklagten als Kollektivgesellschafter" (...) "über die Gesellschaft A.________ der T.________ AG enorme finanzielle Mittel" gewährt, "um die Gesellschaft zu retten". Im Hinblick auf diese Vorbringen, welche mit den hier gegebenen Verhältnissen (Kleinfirma, alter Familienbetrieb, gemeinsame Investition von Mitteln der KollektivgesellschaftA. ________ in die vom Konkurs bedrohte Firma usw. ) übereinstimmen, kann die vorinstanzliche Feststellung, es sei im gesamten Verfahren "nicht bestritten" worden, dass H.T.________ einen "massgeblichen Anteil an der Willensbildung der T.________ AG hatte", keinesfalls als offensichtlich unrichtig oder als unvollständig qualifiziert und die daraus zu ziehende Schlussfolgerung auf materielle Organqualität nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet werden. Daran ändern die letztinstanzlich vorgebrachten Einwendungen nichts.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II. Die Gerichtskosten von total Fr. 5'000. - werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, dem Bundesamt für Sozialversicherung und R.T.________ zugestellt.
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Luzern, 13. November 2000
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:(
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