VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1P.542/2000  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1P.542/2000 vom 01.12.2000
 
[AZA 0/2]
 
1P.542/2000/hzg
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
 
**********************************
 
1. Dezember 2000
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay,
 
Ersatzrichterin Pont Veuthey und Gerichtsschreiber Dreifuss.
 
---------
 
In Sachen
 
X.________, z.Zt. in Haft, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Franz Hollinger, Stapferstrasse 28, Brugg,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
 
betreffend
 
Art. 8 und 9 BV
 
(Nichteintreten, Strafverfahren), hat sich ergeben:
 
A.- X.________ wurde am 18. Februar 2000 unter dem Verdacht, eine Vergewaltigung begangen zu haben, verhaftet und verübte dabei einen Suizidversuch. Der Informationsdienst des Polizeikommandos Aargau orientierte die Medien hierüber. In der Folge erhob X.________ am 9. März 2000 eine Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau trat mit Verfügung vom 14. April 2000 auf die Anzeige nicht ein, da diese offensichtlich grundlos sei.
 
Eine hiergegen erhobene Beschwerde wies die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau (im Folgenden: Obergericht) mit Entscheid vom 9. Juni 2000 ab.
 
B.- Gegen diesen Entscheid erhob X.________ am 5. September 2000 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots und des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 und 9 BV). Ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids stellt er den Antrag, ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und es sei sein Anwalt als unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestellen.
 
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde verzichtet. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine strafbare Handlung angeblich Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Er hat an der Verfolgung und Bestrafung des Angeschuldigten nur ein tatsächliches oder mittelbares, nicht aber ein rechtlich geschütztes, eigenes und unmittelbares Interesse im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren geht, steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf seinen Antrag hin verfolgt wird (BGE 120 Ia 101 E. 1a, 157 E. 2a/aa, 220 E. 2a, je mit Hinweisen).
 
Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst, ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellen würde (BGE 123 I 25 E. 1 S. 26 f.; 122 I 267 E. 1b; 120 Ia 101 E. 1a, 157 E. 2a/aa, 220 E. 2a, je mit Hinweisen).
 
b) Eine Ausnahme sieht die Praxis des Bundesgerichts im Rahmen des eidgenössischen Opferhilfegesetzes (OHG, SR 312. 5) vor. Soweit der Geschädigte unter den Opferbegriff von Art. 2 Abs. 1 OHG fällt, steht ihm das Recht zu, die Einstellung des Strafverfahrens mit den gleichen Rechtsmitteln anzufechten wie der Angeschuldigte, sofern er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann (Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG). Dem Opfer steht in diesem Sinne eine auf materiellrechtliche Fragen erweiterte Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde zu, und Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG geht insofern Art. 88 OG als "lex specialis" vor (BGE 120 Ia 101 E. 2a S. 105, 157 E. 2c S. 162). Als Opfer ist gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG jede Person anzusehen, "die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist".
 
Der Beschwerdeführer erhob Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB). Ob dieser Straftatbestand eine Opferstellung im Sinne des OHG nach sich ziehen kann, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
 
Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass er durch die angebliche Straftat irgendwelche körperliche oder psychische Schäden erlitten hätte. Es kann daher im vorliegenden Fall nicht von einer unmittelbaren Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG ausgegangen werden. Damit steht dem Beschwerdeführer vorliegend keine auf materielle Fragen erweiterte Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerdezu.
 
2.- Das Obergericht bestätigte im angefochtenen Entscheid eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, mit der sie auf die Strafanzeige des Beschwerdeführers gestützt auf § 119 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau vom 11. November 1958 (StPO) nicht eingetreten war, da die Grundlosigkeit der Anzeige im Sinne dieser Bestimmung offensichtlich sei.
 
Der Beschwerdeführer rügt ausschliesslich, das Obergericht habe die offensichtliche Grundlosigkeit der Anzeige in willkürlicher Weise bestätigt und damit § 119 Abs. 3 StPO, der die materiellen Voraussetzungen für die Erledigung einer Strafanzeige durch Nichteintreten umschreibt, willkürlich angewendet. Hierzu ist er aber nach dem vorstehend Ausgeführten nicht legitimiert, weshalb auf seine staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden kann.
 
3.- Da die Beschwerde von vornherein als aussichtslos erschien, sind die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege nicht erfüllt und kann das entsprechende Gesuch nicht bewilligt werden (Art. 152 Abs. 1 OG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.- Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
______________
 
Lausanne, 1. Dezember 2000
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).