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Informationen zum Dokument  BGer B 7/1999  Materielle Begründung
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BGer B 7/1999 vom 11.12.2000
 
[AZA 7]
 
B 7/99 Ge
 
II. Kammer
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
 
Gerichtsschreiber Fessler
 
Urteil vom 11. Dezember 2000
 
in Sachen
 
T.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Personalfürsorgestiftung der IE Industrie-Engineering Holding, c/o IE Industriebau-Engineering, Wiesenstrasse 7, Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Ulrich Walser, c/o Walser Vorsorge AG, Loostrasse 5, Rüschlikon,
 
und
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
A.- Der 1928 geborene T.________ arbeitete ab 1. August 1989 als Architekt in der Firma IE Industriebau-Engineering (vormals: IGB Industrie-Generalbau) AG, Zürich. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses war er bei der Personalfürsorgestiftung der IE Industrie-Engineering Holding (vormals: IGB Industrie-Generalbau AG) berufsvorsorgeversichert. Die Stiftung hatte die Risiken Tod und Invalidität bei der Providentia Schweizerische Lebensversicherungs-Gesellschaft rückversichert und die Firma Walser Vorsorge AG mit Sitz in Rüschlikon mit der Buchführung und Verwaltung beauftragt. Aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit der Firma arbeitete T.________ nach Erreichung des ordentlichen Pensionierungsalters (65) im Juli 1993 noch bis Ende April 1995 im Betrieb weiter. Mit Schreiben vom 2. Juni 1995 teilte ihm die Providentia mit, dass er ab 1. Mai 1995 Anspruch auf eine Altersrente der beruflichen Vorsorge in der Höhe von monatlich Fr. 710. 10 habe. Auf sein Ersuchen erläuterte die Walser Vorsorge AG nach Rücksprache mit dem Experten sowie dem Juristen der Rückversichererin die Rentenberechnung, welcher ein Altersguthaben von Fr. 112'176. 85 und ein Umwandlungssatz von 7,59622 % zu Grunde lag (Schreiben vom 10. August und 19. September 1995).
 
B.- Am 12. November 1995 liess T.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage einreichen mit dem Rechtsbegehren, die Personalfürsorgestiftung sei zu verpflichten, ihm "Fr. 10'590. 30 zuzüglich Zinse in Form einer monatlichen Rente zu entrichten". Zur Begründung wurde geltend gemacht, bei einer theoretischen Pensionierung mit 65 hätte der Kläger ab 1. August 1993 eine Jahresrente von Fr. 6051. 45 (Fr. 84'047. 85 [Altersguthaben] x 0,072 [Umwandlungssatz 7,2 %]) bezogen. Durch den Nichtbezug von 21 Monatsbetreffnissen (August 1993 bis April 1995) habe er demzufolge einen Verlust von Fr. 10'590. 30 erlitten, welcher bei Anwendung eines Umwandlungssatzes von 7,59622 % nicht gedeckt werde.
 
Die Personalfürsorgestiftung, vertreten durch die Walser Vorsorge AG, beantragte in ihrer Antwort, das Forderungsbegehren sei abzuweisen und "dem Kläger seien die entstandenen Kosten, insbesondere das Honorar für die beigezogenen externen Berater, aufzuerlegen". Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels hielten die Parteien an ihren unterschiedlichen Standpunkten fest. Am 24. November 1998 fand eine Referentenaudienz unter dem Vorsitz von Sozialversicherungsrichter Dr. iur. Hermann Walser statt.
 
Mit Entscheid vom 12. Januar 1999 wies die III. Kammer des kantonalen Sozialversicherungsgerichts, in welche auch
 
Dr. Walser Einsitz genommen hatte, die Klage ab, wobei es dem Entschädigungsbegehren der beklagten Personalfürsorgestiftung nicht stattgab.
 
C.- T.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt zur Hauptsache die Gutheissung der Klage. In formeller Hinsicht beanstandet er u.a. die (zu lange) Dauer des kantonalen Verfahrens sowie mit dem Hinweis darauf, dass Dr. Walser Präsident des Schweizerischen Pensionskassenverbandes sei, dessen Mitwirkung am angefochtenen Entscheid.
 
Die Personalfürsorgestiftung lässt materiell auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde antragen, in welchem Sinne sich auch das Bundesamt für Sozialversicherung äussert.
 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat in seiner Stellungnahme zu den formellen Rügen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Befangenheit des als Referent und urteilender Richter am Entscheid beteiligten Dr. Walser verneint.
 
D.- Auf Ersuchen des Instruktionsrichters hat T.________ zu Fragen betreffend die Rechtzeitigkeit des Ausstandsbegehrens gegen Dr. Walser für das kantonale Verfahren Stellung genommen (Erklärung vom 16. Oktober 2000). Das Sozialversicherungsgericht, unter Hinweis auf seine Vernehmlassung, und die Personalfürsorgestiftung haben darauf verzichtet, sich dazu materiell zu äussern.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
 
2.- In formeller Hinsicht wird unter Hinweis auf den zeitlichen Ablauf des Verfahrens vor dem kantonalen Sozialversicherungsgericht eine unzulässige "Rechtsverweigerung durch Rechtsverzögerung" geltend gemacht. Auf diese Rüge und die in diesem Zusammenhang beanstandete rechtsungleiche Behandlung bei der Festlegung der Reihenfolge der zu erledigenden Fälle (zur Abtragung des Pendenzenberges) durch die Vorinstanz ist mangels eines schutzwürdigen aktuellen und praktischen Feststellungsinteresses nicht einzutreten (Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG; vgl. BGE 125 V 374 Erw. 1 sowie SVR 1998 UV Nr. 11 S. 32 Erw. 5a und b mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre).
 
3.- In Bezug auf das kantonale Verfahren wird weiter eine unrichtige Besetzung des Gerichts gerügt. Sinngemäss sei es nicht zulässig, dass Dr. Walser als (erster) Präsident des Schweizerischen Pensionskassenverbandes als Richter und Referent "in einer Streitsache gegen eine Pensionskasse" mitwirke. Auch sei die Art und Weise zu beanstanden, wie der Referent versucht habe, den Kläger einzuschüchtern und zum Rückzug der Klage zu bewegen, indem er, trotz offensichtlichem "Tatsachenbestand", über eine mögliche Mutwilligkeit und von möglicherweise beträchtlichen Kosten gesprochen habe. Auf diese Rügen ist einzutreten und das gegen Dr. Walser gerichtete Ausstandsbegehren materiell zu prüfen, da es aufgrund der Akten und den glaubhaften Darlegungen des Beschwerdeführers in seiner Erklärung vom 16. Oktober 2000 als rechtzeitig gestellt zu betrachten ist (vgl. BGE 115 V 262 Erw. 4b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 124 I 122 f. Erw. 2).
 
a) Die Rechtspflegebestimmungen des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Art. 73 f. BVG) enthalten keine Vorschriften über den Ausstand oder die Ablehnung von Richtern letzter kantonaler Instanzen im Sinne von Art. 73 Abs. 1 BVG. Die Regelung dieser Frage ist somit Sache der Kantone. Dabei handelt es sich um selbständiges kantonales Verfahrensrecht, dessen Verletzung grundsätzlich nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann (BGE 124 V 28 Erw. 6 mit Hinweisen; unveröffentlichte Urteile G. vom 30. Dezember 1998 [B 7/97] und F. vom 25. August 1993 [B 3/93]).
 
b) Nach der Rechtsprechung zu Art. 58 Abs. 1 aBV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben in letztinstanzlichen kantonalen Klageverfahren in berufsvorsorgerechtlichen Streitigkeiten die Prozessparteien im Sinne einer unabhängig vom anwendbaren Verfahrens- und Organisationsrecht geltenden Minimalgarantie einen Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirkung sachfremder Umstände entschieden wird. Die Garantie ist verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Umstände vorliegen, welche den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (iudex suspectus; BGE 124 V 26 Erw. 5, 120 V 365 Erw. 3a, 120 Ia 187 Erw. 2b, 119 Ia 226 Erw. 3, 115 V 260 Erw. 2a; vgl. auch BGE 122 V 50 Erw. 2a). Solche Umstände können entweder in einem bestimmten persönlichen Verhalten des Richters oder in funktionellen und organisatorischen Gegebenheiten liegen (BGE 123 I 91 Erw. 4a). In beiden Fällen wird aber nicht verlangt, dass der Richter deswegen tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, welche den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit erwecken können. Dabei ist indessen nicht auf das subjektive Empfinden einer Prozesspartei abzustellen; das Misstrauen hinsichtlich der Unvoreingenommenheit muss vielmehr objektiv begründet erscheinen (BGE 120 V 365 Erw. 3a in fine, 118 Ia 286 Erw. 3d, 117 Ia 326, 184 Erw. 3b).
 
Diese Regeln gelten auch unter der Herrschaft der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen revidierten Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV), welche im ersten Satz von Art. 30 Abs. 1 festhält, dass jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht hat. Es kann mithin offen bleiben, ob im hier zu beurteilenden Fall die neue oder die alte Bundesverfassung Anwendung findet (SVR 2000 UV Nr. 21 S. 72 Erw. 2a).
 
c) aa) In Befolgung vorstehender Grundsätze hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im nicht veröffentlichten Urteil B. vom 21. Juni 1993 (B 11/92) in Bezug auf einen eigenen nebenamtlichen Richter entschieden, dass die Tätigkeit als Geschäftsführer eines Interessenverbandes im Bereich der (privaten) beruflichen Vorsorge für sich alleine betrachtet nicht geeignet sei, den Anschein der Befangenheit zu wecken in Fällen, in denen ein Nichtverbandsmitglied am Recht stehe. In einem weiteren ebenfalls nicht publizierten Entscheid in Sachen F. vom 25. August 1993 (B 3/93) sodann hat das Gericht festgehalten, dass der Geschäftsführer eines Pensionskassenverbandes (jedenfalls) in Bezug auf jene Klageverfahren nach Art. 73 Abs. 1 BVG nicht als unabhängiger Richter betrachtet werden kann, in denen Mitglieder des Verbandes beteiligt sind.
 
Im Wesentlichen unter Berufung auf das Urteil B. vom 21. Juni 1993 verneint die Vorinstanz in ihrer Stellungnahme den Ablehnungsgrund der Befangenheit des als Richter und Referent am angefochtenen Entscheid mitgewirkt habenden Dr. Walser. Weder gehöre die beklagte Personalfürsorgestiftung dem Schweizerischen Pensionskassenverband an noch gebe das Verhalten des betreffenden Richters anlässlich der Referentenaudienz Anlass zu Zweifeln an seiner Unvoreingenommenheit. Insbesondere könne im Hinweis, dass bei einer (aus seiner Sicht zu erwartenden) Abweisung der Klage das Gericht auch über die von der Stiftung beantragte Prozessentschädigung wegen mutwilliger Prozessführung zu befinden haben werde, kein unzulässiger Einschüchterungsversuch mit dem Ziel eines Klagerückzuges erblickt werden, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht werde.
 
bb) Es lässt sich fragen, ob der Umstand, dass die am Recht stehende Personalfürsorgestiftung nicht dem Schweizerischen Pensionskassenverband angehört, als entscheidendes Kriterium gegen die Voreingenommenheit von Dr. Walser gelten kann, wie das kantonale Gericht im Lichte der Rechtsprechung (Urteile B. und F. vom 21. Juni und 25. August 1993) insoweit zu Recht argumentiert, oder ob gegenteils der Anschein von Befangenheit nicht bereits aufgrund seiner Stellung als Verbandspräsident zu bejahen ist. Ohne die Feststellungen im Urteil B. vom 21. Juni 1993 (B 11/92) vertieft zu erörtern, muss im vorliegenden Fall die Befangenheit des vorinstanzlichen Mitrichters Dr. Walser aus den nachstehenden Gründen objektiv bejaht werden. Zwar kann mit dem kantonalen Gericht im Umstand allein, dass er als Referent an der Sitzung vom 24. November 1998 seine Rechtsauffassung zur Begründetheit oder Unbegründetheit der Klage vortrug und diese mit dem Standpunkt der Beklagten, nicht hingegen mit demjenigen des Klägers übereinstimmte, nicht objektiv auf einseitige Parteinahme geschlossen werden. Dass Dr. Walser Letzteren und heutigen Beschwerdeführer zudem darauf aufmerksam machte, bei einer materiellen Beurteilung der Forderungsklage und deren zu erwartenden Abweisung stelle sich auch die Frage der mutwilligen Prozessführung, ist ebenfalls nicht geeignet, den Anschein von Befangenheit zu wecken, zumal nachdem die Personalfürsorgestiftung in der Klageantwort den Antrag auf Zusprechung einer auf diesem Vorwurf beruhenden Prozesskostenentschädigung gestellt hatte. Zu beachten ist indessen Folgendes: Den Vorsorgeausweis ausgestellt und die durch die Walser Vorsorge AG berechnete Höhe der Altersleistungen überprüft und für korrekt befunden hatten die Experten und Juristen der Providentia, bei welcher die Personalfürsorgestiftung die Risiken Invalidität und Tod rückversichert hat (Ziff. 1.2 des Reglementes vom 1. Januar 1990). Gemäss Auskunft der Geschäftsstelle hatte die im Mitgliederverzeichnis 1999 aufgeführte Versicherungsgesellschaft bereits 1998 dem Schweizerischen Pensionskassenverband angehört. Auch wenn es sich bei der Personalfürsorgestiftung und der Providentia um zwei verschiedene Rechtssubjekte handelt, sind sie zumindest in Bezug auf die hier streitige Rentenberechnung in einer Weise miteinander verbunden, dass Dr. Walser aufgrund seiner Tätigkeit als Verbandspräsident objektiv dem Anschein der Befangenheit nicht zu entgehen vermag. Daran ändert der Umstand nichts, dass sich in den Akten keine Anhaltspunkte für die tatsächliche Voreingenommenheit des betreffenden Richters finden. Es kann sich insofern nicht anders verhalten als im Fall B 3/93, wo ebenfalls nicht die am Verfahren beteiligte Vorsorgeeinrichtung, sondern ihre Stifterin dem im Bereich der (privaten) beruflichen Vorsorge aktiven Verband angehörte, was genügte, um den als Ersatzrichter amtenden Geschäftsführer des Verbandes objektiv als befangen erscheinen zu lassen.
 
Das Ausstandsbegehren gegen Dr. Walser ist somit begründet und der angefochtene Entscheid demzufolge aufzuheben.
 
4.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).
 
Nach der Rechtsprechung hat eine in eigener Sache prozessierende Partei grundsätzlich keinen Anspruch auf Parteientschädigung (BGE 110 V 81 f. Erw. 7; vgl. auch BGE 115 Ia 21 Erw. 5). Besondere Umstände, welche ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigten, sind hier nicht gegeben, weshalb dem diesbezüglichen Begehren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht stattgegeben werden kann.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten ist, wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid vom 12. Januar 1999 aufgehoben und die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit es in richtiger Besetzung über die Klage des Beschwerdeführers neu entscheide.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 11. Dezember 2000
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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