BGer C 394/1999 | |||
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BGer C 394/1999 vom 14.12.2000 | |
[AZA 7]
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C 394/99 Vr
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II. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
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Gerichtsschreiberin Kopp Käch
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Urteil vom 14. Dezember 2000
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in Sachen
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R.________, 1960, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprech Heinz Leuenberger-Thenisch, Kasinostrasse 15, Aarau,
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gegen
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Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau, Rain 53, Aarau, Beschwerdegegner,
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und
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Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
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A.- Der 1960 geborene R.________ ist seit Jahren als Schlagzeuger bei der Robert S Band im Rahmen zeitlich befristeter Engagements in diversen Gaststätten tätig. Am 15. November 1998 zog er von X.________ (BL), wo er während der Engagementsunterbrüche jeweils Arbeitslosenentschädigung bezogen hatte, nach Y.________ (AG). Den dort geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. bis 17. Dezember 1998 und ab 19. April 1999 lehnte das Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt des Kantons Aargau (KIGA) mit Verfügung vom 12. Mai 1999 wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit ab. Die Verfügung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
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Am 1. Juni 1999 meldete sich R.________ erneut zur Arbeitsvermittlung an und erhob ab diesem Datum Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Der Beginn des nächsten Engagements war per 16. Juni 1999 vorgesehen. Mit Verfügung vom 21. Juli 1999 lehnte das KIGA den geltend gemachten Entschädigungsanspruch wiederum wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit ab.
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B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 16. September 1999 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt R.________ die Aufhebung des Entscheids vom 16. September 1999 und die Feststellung der Vermittlungsfähigkeit sowie des grundsätzlichen Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit vom 1. bis 15. Juni 1999, eventualiter die Rückweisung an die Vorinstanz zwecks Abklärung der Praxis des KIGA beantragen. Zudem lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen.
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Das KIGA schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Die Vorinstanz hat die massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die Vermittlungsfähigkeit als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 125 V 58 Erw. 6a, 123 V 216 Erw. 3, 120 V 388 Erw. 3a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
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b) Zu ergänzen ist, dass ein Versicherter, der für eine neue Beschäftigung nur noch während relativ kurzer Zeit zur Verfügung steht, weil er auf einen bestimmten Termin hin anderweitig disponiert hat, in der Regel als nicht vermittlungsfähig gilt (BGE 123 V 217 Erw. 5a mit Hinweisen). In einem solchen Fall sind nämlich die Aussichten, zwischen dem Verlust der alten und dem Antritt der neuen Stelle von einem dritten Arbeitgeber angestellt zu werden, verhältnismässig gering. Entscheidend für die Beurteilung des Einzelfalles ist dabei, ob mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass ein Arbeitgeber den Versicherten für die konkret zur Verfügung stehende Zeit noch einstellen würde (BGE 110 V 208 Erw. 1, 213 Erw. 2b, je mit Hinweisen; SVR 2000 AlV Nr. 1 S. 1 Erw. 2b; ARV 1991 Nr. 3 S. 24 Erw. 2b, 1990 Nr. 14 S. 84 Erw. 2a; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], S. 86 Rz 216). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass die dargelegte Rechtsprechung nicht dazu führen darf, jenen arbeitslosen Versicherten zu bestrafen, der eine geeignete, aber nicht unmittelbar freie Stelle findet und annimmt. Es handelt sich dabei um jenen Versicherten, der in Erfüllung seiner Schadenminderungspflicht alle Vorkehren getroffen hat, die man vernünftigerweise von ihm erwarten darf, damit er so rasch als möglich eine neue Stelle antreten kann. Einem solchen Versicherten ist es nicht zuzumuten, im Hinblick auf einen - theoretisch zwar möglichen, praktisch jedoch wenig wahrscheinlichen - früheren Stellenantritt mit dem Abschluss des neuen Arbeitsvertrages zuzuwarten und dadurch das Risiko einer allenfalls noch längeren Arbeitslosigkeit auf sich zu nehmen (BGE 123 V 217 Erw. 5a, 110 V 209 Erw. 1, 214 Erw. 2b; ARV 1998 Nr. 46 S. 267 Erw. 3, 1992 Nr. 11 S. 128, Nr. 13 S. 136 Erw. 2d).
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c) Im Weiteren gelten Versicherte, die auf Grund berufs- und arbeitsmarktspezifischer Umstände nicht in der Lage sind, eine Dauerstelle anzunehmen, nicht mehr grundsätzlich als vermittlungsunfähig. Es betrifft dies namentlich Berufe mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen, wie beispielsweise Musiker, Schauspieler und Artisten (Art. 8 AVIV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 AVIG; vgl. BGE 120 V 390 Erw. 4c/bb, 110 V 211 ff. Erw. 2 und 3; Gerhards, Kommentar zum AVIG, Bd. I, N 79 zu Art. 15). Dem bei dieser Kategorie von Versicherten bestehenden erhöhten Risiko von Beschäftigungslücken wird durch die Nichtanrechnung des Arbeitsausfalles während einer bestimmten Wartezeit Rechnung getragen (Art. 6 AVIV in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 AVIG; Gerhards, a.a.O., N 37 und 49 zu Art. 11). Das Eidgenössische Versicherungsgericht stellte jedoch schon unter der Herrschaft des bis Ende 1983 gültig gewesenen Rechts klar, dass die Vermittlungsfähigkeit dann zu verneinen wäre, wenn der Versicherte - in casu ein Unterhaltungsmusiker - die Möglichkeit hätte, ein Arbeitsverhältnis von voraussichtlich längerer Dauer einzugehen, er dies aber nicht wollte (BGE 120 V 390 Erw. 4c/bb, 110 V 213 Erw. 2a).
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d) Die Situation eines Unterhaltungsmusikers und der Angehörigen der übrigen hievor genannten Berufskategorien ist unter dem Gesichtspunkt der Vermittlungsfähigkeit gemäss Rechtsprechung mit derjenigen von Personen vergleichbar, die ihre Arbeitskraft einem Arbeitgeber auf Abruf zur Verfügung halten (nicht veröffentlichtes Urteil I. vom 3. Januar 2000, C 24/98). Diesbezüglich hat das Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, es liege eine Anspruch auf Differenzausgleich vermittelnde Zwischenverdiensttätigkeit vor, wenn sich eine versicherte Person nicht freiwillig, sondern um die Arbeitslosigkeit finanziell zu überbrücken, einer Firma auf Abruf zur Verfügung hält, nachdem es ihr nicht gelungen ist, eine neue Vollzeitbeschäftigung zu finden (ARV 1996/97 Nr. 38 S. 209). Im Anwendungsbereich von Art. 24 AVIG ist die Anspruchsvoraussetzung der Vermittlungsfähigkeit weniger streng zu beurteilen (ARV 1996/97 Nr. 38 S. 212 Erw. 2a).
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2.- a) Der Beschwerdeführer übt seit Jahren den Beruf des Unterhaltungsmusikers in einer Band aus, die sich immer wieder für Arbeitseinsätze von unregelmässiger Dauer in verschiedenen Betrieben des Gastgewerbes zur Verfügung stellt. Die einzelnen Engagements sind auf verhältnismässig kurze Zeit begrenzt, weil die Arbeitgeber ihren Gästen in den jeweiligen Bars, Restaurants und Hotels musikalische Abwechslung bieten müssen. Zwischen den Arbeitseinsätzen können mehr oder weniger lange Perioden liegen, während welchen der Beschwerdeführer keine Arbeit hat. Nach der angeführten Rechtsprechung (Erw. 1c hievor) kann seine Vermittlungsfähigkeit - wie im vorinstanzlichen Entscheid dargelegt - nicht von vornherein verneint werden; vielmehr ist sie unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände näher zu prüfen.
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b) Nicht anders als in jenen Fällen, in denen die Betroffenen ihre Arbeitskraft aus freien Stücken auf Abruf zur Verfügung halten und alsdann mit einer - von ihnen selbst zu tragenden - Verminderung oder einem Ausbleiben der Einsatznachfrage konfrontiert sind (ARV 1996/97 Nr. 38 S. 209), hat sich auch der Beschwerdeführer aus eigenem Antrieb als Unterhaltungsmusiker für die Ausübung eines Berufes entschieden, in welchem häufig wechselnde und befristete Anstellungen üblich sind und ein gewisser (namentlich saisonal bedingter) Arbeitsausfall zwischen zwei Engagements als normal bezeichnet werden muss.
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c) Was insbesondere den hier zu beurteilenden Zeitraum vom 1. bis 15. Juni 1999 anbelangt, war dem Beschwerdeführer bereits zu Beginn der Beschäftigungslücke - wenn nicht schon früher - die Anstellung im Dancing Z.________ (NW) per 16. Juni 1999 zugesichert worden. Weder aus den Akten noch aus den Vorbringen des Beschwerdeführers geht hervor, dass er sich bemüht hätte, ein Arbeitsverhältnis von voraussichtlich längerer Dauer einzugehen. Der Beschwerdeführer macht wohl geltend, er wäre bereit, in seinem Beruf als Schlagzeuger eine Dauerstelle anzunehmen, doch räumt er gleichzeitig ein, dass es in dieser Sparte praktisch keine Festanstellungen gebe. Dass er sich diesbezüglich oder anderweitig genügend um eine auf Dauer angelegte Festanstellung bemüht hätte, versucht er gar nicht darzutun. Wohl sind im Nachweis der persönlichen Arbeitsbemühungen für den Monat Juni 1999 zwei persönliche Vorsprachen als Bürohilfskraft und als Verkäufer eingetragen, doch lässt sich aus dem Vermerk, es sei keine Stelle frei gewesen, mit der Vorinstanz folgern, dass es sich nicht um gezielte Bewerbungen, sondern um planlose, spontane Kurzanfragen gehandelt hat. Aus dem Umstand schliesslich, dass der Beschwerdeführer bereits ein neues Engagement zugesichert hatte, lässt sich auch nicht ableiten, er habe im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung (Erw. 1b hievor) alle jene Vorkehren getroffen, die man im Hinblick auf die Verkürzung der Arbeitslosigkeit vernünftigerweise von ihm erwarten durfte. Vielmehr stellt das neuerliche befristete Engagement als Unterhaltungsmusiker die normale Fortsetzung der branchenüblichen Folge von Arbeitseinsätzen und Beschäftigungslücken von jeweils unterschiedlicher Dauer dar.
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Um der ihm obliegenden Schadenminderungspflicht tatsächlich zu genügen, hätte der Beschwerdeführer gemäss Rechtsprechung seine Arbeitsbemühungen auf berufsfremde (mindestens Teilzeit-) Dauerstellen ausdehnen müssen, wovon ihn weder sein Alter noch seine Ausbildung und bisherige Tätigkeit oder die wirtschaftliche Lage entbanden (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil I. vom 3. Januar 2000, C 24/98). Die Vermittlungsfähigkeit des Beschwerdeführers für die Zeit vom 1. bis 15. Juni 1999 ist demzufolge zu Recht verneint worden.
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3.- Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass der Beschwerdeführer aus der Anerkennung der Anspruchsberechtigung durch den früheren Wohnkanton nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Unter dem Aspekt der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes bringt der Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch nur noch vor, er habe im Kanton Aargau wohnhafte Berufskollegen, die Arbeitslosenentschädigung bezögen, was den Verdacht nahelege, dass die gesetzlichen Bestimmungen unterschiedlich, wenn nicht willkürlich ausgelegt würden. Das KIGA hat zu diesem Vorwurf am 11. November 1999 Stellung genommen und nach diesbezüglichen Erhebungen dargelegt, dass von den erwähnten Berufskollegen nur einer im Kanton Aargau einen Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt habe, wobei die Abklärungen betreffend Vermittlungsfähigkeit noch nicht abgeschlossen seien. Auch daraus kann der Beschwerdeführer demzufolge nichts zu seinen Gunsten ableiten, da - selbst wenn in jenem Fall die Vermittlungsfähigkeit (zu Unrecht) bejaht würde - wie die Vorinstanz unter Hinweis auf Rechtsprechung und Lehre darlegt, kein Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" besteht, wenn nur in einem Fall oder in vereinzelten Fällen vom Gesetz abgewichen wird.
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4.- Da es im vorliegenden Verfahren um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos. Die unentgeltliche Verbeiständung kann hingegen gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Heinz Leuenberger, Aarau, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 2500. - ausgerichtet.
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IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
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Luzern, 14. Dezember 2000
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer:
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Die Gerichtsschreiberin:
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