BGer 2A.357/2000 | |||
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BGer 2A.357/2000 vom 22.01.2001 | |
[AZA 0/2]
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2A.357/2000/bie
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II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ***********************************
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22. Januar 2001
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Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
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II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hartmann, Hungerbühler,
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Müller, Ersatzrichter Zünd und Gerichtsschreiber Fux.
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In Sachen
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1. M.D.________, geb. 31.01.1942,
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2. I.D.________, beide wohnhaft E-Málaga, Beschwerdeführer,
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gegen
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Fremdenpolizei des Kantons Luzern, Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
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betreffend
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Niederlassungsbewilligung, hat sich ergeben:
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A.- M.D.________(geboren 31.01.1942) lebte seit 1964 in der Schweiz, seine Ehefrau seit 1976. Am 17. August 1999 ging bei der Fremdenpolizei des Kantons Luzern eine Abmeldebestätigung der Einwohnerkontrolle Littau für das Ehepaar D.________ ein. Am 15. November 1999 reichten M.D.________ und I.D.________ die in ihre spanische Heimat zurückgekehrt waren, das Gesuch ein, die Niederlassungsbewilligung für zwei Jahre aufrechtzuerhalten. Mit Verfügung vom 23. Februar 2000 lehnte die Fremdenpolizei das Gesuch ab und hielt fest, die Niederlassungsbewilligung sei als erloschen zu betrachten.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 18. Juli 2000 ab.
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B.- M.D.________ und I.D.________ haben am 10. August 2000 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben.
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Sie beantragen sinngemäss, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Niederlassungsbewilligung aufrechtzuerhalten.
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Für das bundesgerichtliche Verfahren ersuchen sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
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C.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde abzuweisen, während sich die kantonale Fremdenpolizei nicht geäussert hat. In seiner Vernehmlassung vom 6. November 2000 stellt das Bundesamt für Ausländerfragen den Antrag, die Beschwerde gutzuheissen und die Fremdenpolizei des Kantons Luzern zur erneuten Prüfung der Frage der Aufrechterhaltung der Niederlassungsbewilligung anzuhalten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt.
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Gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142. 20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt oder Niederlassung. Es besteht damit grundsätzlich kein Anspruch auf Bewilligung, es sei denn, der Ausländer könne sich auf eine Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen (BGE 126 II 377 E. 2 S. 381, mit Hinweisen).
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b) Gegen den Widerruf einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 101 lit. d OG immer zulässig, unabhängig davon, ob ein Anspruch auf deren Erteilung besteht. Dem Widerruf gleichgestellt sind die Entscheide über das Erlöschen derartiger Bewilligungen (BGE 99 Ib 1 E. 2 S. 4/5; vgl. auch BGE 120 Ib 369 ff. und 112 Ib 1 ff.). Darüber hinaus ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch zulässig, soweit geltend gemacht wird, die Bewilligung hätte gestützt auf Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG für zwei Jahre aufrechterhalten werden sollen. Auch in diesem Punkt steht nicht die Bewilligungserteilung in Frage, für welche das Bundesrechtspflegegesetz im Bereich des "freien Ermessens" die Beschwerde ausschliesst, sondern die Beibehaltung einer bestehenden Bewilligung (Urteil vom 22. November 1985 i.S. Vargas, zitiert bei Peter Kottusch, Die Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 6 ANAG, in: ZBl 87/1986 S. 543 f. Fn. 142). Dass ein solcher Entscheid ermessensgeprägt ist (Kottusch, a.a.O.), betrifft die Beschwerdegründe (Art. 104 OG), bleibt aber ohne Einfluss auf die Zulässigkeit der Beschwerde.
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2.- a) Gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG erlischt die Niederlassungsbewilligung "durch Abmeldung oder wenn sich der Ausländer während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufhält; stellt er vor deren Ablauf das Begehren, so kann diese Frist bis auf zwei Jahre verlängert werden.. "
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Der tatsächliche Aufenthalt im Ausland lässt mithin die Niederlassung erst nach Ablauf von sechs Monaten erlöschen, wobei auf Gesuch hin diese Frist auf zwei Jahre verlängert werden kann. Demgegenüber erlischt die Niederlassung im Fall der Abmeldung nicht erst nach einer bestimmten Frist, sondern schon mit der Abmeldung selber. Aufgrund dieser weitreichenden Bedeutung kann eine Abmeldung im Sinn von Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG nur angenommen werden, wenn sie der Absicht entspringt, die Niederlassung aufzugeben, und daher vorbehaltlos erfolgt (M. Ruth, Das Fremdenpolizeirecht der Schweiz, Zürich 1934, S. 105, Ziffn. 114d und 115). Eine Abmeldung, die von einem Gesuch um Aufrechterhaltung der Bewilligung begleitet ist, hat deshalb zum Vornherein nicht die Bedeutung, die Niederlassung erlöschen zu lassen (Urteil vom 22. November 1985 i.S. Vargas). Sowohl M. Ruth wie auch P. Kottusch halten fest, dass ein Ausländer, der sich ordnungsgemäss und gewissenhaft abmeldet, nicht schlechter gestellt werden dürfe, als der Ausländer, der ohne Abmeldung "wegläuft" (Ruth, a.a.O. S. 104 ff.; Kottusch, a.a.O., S. 542). P. Kottusch vertritt deshalb die Auffassung, dass Ausländer mit Niederlassungsbewilligung bei der Abmeldung ausdrücklich auf die weitreichenden Folgen derselben hinzuweisen sind (Kottusch, a.a.O.). Jedenfalls muss die Erklärung, die der Ausländer abgibt, dahin zu verstehen sein, dass er die Zelte abbricht und definitiv in seine Heimat zurückkehrt. Im Weiteren kann sich die Frage stellen, ob die Abmeldung an einem Willensmangel, namentlich einem Erklärungsirrtum leidet (Urteil vom 6. Dezember 1985 i.S. Mangiagli, in: Rep. 120/1987 S. 169).
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b) Die Einwohnerkontrolle Littau hat der Fremdenpolizei des Kantons Luzern mitgeteilt, dass sich die Beschwerdeführer am 4. August 1999 nach Málaga abgemeldet hätten.
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Bei den Akten liegt auch ein Schreiben des Beschwerdeführers vom 2. August 1999 an den Gemeindeammann von Littau.
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Darin hielt der Beschwerdeführer fest, er habe am 30. Juli 1999 persönlich auf der Einwohnergemeinde Littau vorgesprochen, um seine "mehrmals bestellte Abmeldebescheinigung (vgl. ANAG) in Empfang zu nehmen". Die Aushändigung sei ihm jedoch verweigert worden, dies offenbar auf Anweisung des Gemeindeammanns und im Zusammenhang mit dem Versuch, seine Vorsorgegelder für eine noch nicht fällige Steuerrechnung zu verarrestieren. Der Beschwerdeführer verlangte in diesem Schreiben, die Abmeldebescheinigung sei ihm bis 6. August 1999 auszustellen.
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Das Verwaltungsgericht leitet aus dem Schreiben des Beschwerdeführers ab, dass dieser auf der Gemeinde vorgesprochen und sich abgemeldet habe. Darüber hinaus könne auch das Schreiben vom 2. August 1999 selber als Abmeldung qualifiziert werden.
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c) Der Beschwerdeführer hat nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (Art. 105 Abs. 2 OG) bei der Einwohnerkontrolle vorgesprochen, um sich nach Spanien abzumelden, was auch im Schreiben vom 2. August 1999 bestätigt wird. Dass die Rückkehr nach der vom Beschwerdeführer abgegebenen Erklärung definitiv sein sollte, lässt sich aber weder dem angefochtenen Urteil entnehmen, noch ergibt sich dies aus dem vom Verwaltungsgericht angeführten Schreiben des Beschwerdeführers. Unter diesen Umständen liegt aber nicht eine Abmeldung im Sinn von Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG vor. Dass die Erklärung im entscheidenden Punkt, ob die Rückkehr definitiv sei und die Niederlassung aufgegeben werden sollte, unklar blieb, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Abmeldung von der Einwohnerkontrolle nicht entgegengenommen wurde, weil man offenbar um die Einbringlichkeit der Steuerforderung fürchtete.
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Das aber ist nicht den Beschwerdeführern anzulasten. Diese sind, wie sich aus ihrem späteren Gesuch um Aufrechterhaltung der Bewilligung ergibt, davon ausgegangen, dass sie wohl nach Spanien zurückkehren wollten, aber unsicher waren, ob sie sich dort wieder zu integrieren vermöchten. Wenn sie von der Einwohnerkontrolle ordnungsgemäss darauf aufmerksam gemacht worden wären, dass die Abmeldung die Niederlassung erlöschen lässt, sie aber die Möglichkeit hätten, vor der Abreise um deren Aufrechterhaltung zu ersuchen, so hätten sie dies zweifellos getan. Eine Erklärung, die klar und eindeutig auf den Willen schliessen lässt, die Niederlassung in der Schweiz aufgeben zu wollen, liegt jedenfalls nicht vor (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1985, in: Rep. 120/1987 S. 169).
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3.- a) Da die Niederlassungsbewilligung demnach nicht durch Abmeldung erloschen ist, verblieb den Beschwerdeführern die Möglichkeit, innert sechs Monaten seit ihrer Abreise aus der Schweiz ein Gesuch um Aufrechterhaltung der Bewilligung zu stellen (Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG). Hievon haben sie fristgerecht Gebrauch gemacht. Es rechtfertigt sich, dass das Bundesgericht über diese Frage ohne Rückweisung an die Vorinstanz entscheidet (vgl. Art. 114 Abs. 2 OG), zumal die Bewilligung nur für zwei Jahre seit der Abreise, d.h. bis 31. Juli 2001, aufrechterhalten werden kann, und die Beschwerdeführer rechtzeitig darüber Klarheit erhalten müssen, ob und gegebenenfalls bis wann sie in die Schweiz zurückkehren könnten.
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b) Das Gesetz legt in Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG die Kriterien nicht fest, die für die Aufrechterhaltung der Bewilligung massgebend sind. Aufgrund der "Kann-Formulierung" des Gesetzes steht der Verwaltung ein erheblicher Ermessensspielraum offen, in den das Bundesgericht nicht eingreift. Nach den Weisungen des Bundesamtes für Ausländerfragen (Rz. 334) soll diese Fristverlängerung bei Auslandaufenthalten gewährt werden, die ihrer Natur nach nur vorübergehend sind, wie Militärdienst, Weiterbildung oder befristete Tätigkeit im Auftrag des schweizerischen Arbeitgebers.
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Darüber hinaus sehen die Weisungen aber auch die Aufrechterhaltung der Bewilligung für Jugendliche der zweiten Ausländergeneration oder Rentner vor, wenn der Auslandaufenthalt der Abklärung der Integrations- oder Wiedereingliederungsmöglichkeit im Heimatstaat dienen soll. Das Bundesgericht seinerseits hielt die Aufrechterhaltung einer Niederlassungsbewilligung auch bei einer Frau für angebracht, die als Flüchtling in die Schweiz gekommen war und die den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse in den Heimatstaat zurückverlegen wollte, weil sie sich von den klimatischen Verhältnissen eine Besserung ihres Gesundheitszustandes versprach, sich dessen aber nicht sicher war; es könne nicht im Interesse der Flüchtlingspolitik liegen, die Rückkehr in die Heimat mit Risiken derart zu belasten, dass der Flüchtling davon zum Vornherein absehen müsse (Urteil vom 22. November 1985 i.S. Vargas).
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c) Der Beschwerdeführer ist 1964 im Alter von 22 Jahren in die Schweiz gekommen und hat seither hier gearbeitet.
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Später ist ihm seine Frau gefolgt. Die Eheleute haben drei erwachsene Kinder, die alle in der Schweiz leben und das Schweizer Bürgerrecht erworben haben. Zuletzt ist der Beschwerdeführer arbeitslos geworden und hat im Alter von 57 Jahren keine neue Stelle mehr gefunden. Aus diesem Grund, und weil er und seine Frau vermeiden wollten, fürsorgeabhängig zu werden, haben sie sich entschieden, zu versuchen, in ihrem Heimatstaat wieder Fuss zu fassen. In einer solchen Situation einen Wiedereingliederungsversuch im Heimatstaat dadurch zu belasten, dass die Niederlassungsbewilligung sofort verloren geht, kann nicht im Interesse der schweizerischen Ausländerpolitik liegen, denn es würde dazu führen, dass die Beschwerdeführer die Risiken der Rückkehr nach langer Anwesenheit in der Schweiz vernünftigerweise gar nicht hätten eingehen dürfen und deshalb möglicherweise fürsorgeabhängig geworden wären. Die Weisungen des Bundesamtes sehen die Aufrechterhaltung der Bewilligung zur Abklärung der Integrations- oder Wiedereingliederungsmöglichkeit zwar nur für Rentner vor. Doch ist der vorliegende Fall damit durchaus vergleichbar, musste doch angesichts des fortgeschrittenen Alters des Beschwerdeführers und der im Jahre 1999 noch nicht überwundenen Rezession damit gerechnet werden, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz keine Arbeit mehr finden würde. Liegt es aber nachgerade auch im öffentlichen Interesse, dass den Beschwerdeführern der Versuch einer Wiedereingliederung in Spanien ermöglicht wird, wäre es unverhältnismässig und käme deshalb einem Ermessensmissbrauch gleich, wenn das Gesuch um Aufrechterhaltung der Bewilligung abgelehnt würde (Art. 104 lit. a OG; vgl. BGE 123 V 150 E. 2 S. 152).
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4.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich demnach als begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern ist aufzuheben und die Niederlassungsbewilligung den Beschwerdeführern bis 31. Juli 2001 aufrechtzuerhalten.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
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Da die Beschwerdeführer nicht durch einen Anwalt vertreten waren und ihnen deshalb keine Anwaltskosten erwachsen sind, wird praxisgemäss keine Parteientschädigung zugesprochen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 18. Juli 2000 aufgehoben. In Gutheissung des Gesuchs der Beschwerdeführer wird die Niederlassungsbewilligung bis 31. Juli 2001 aufrechterhalten.
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2.- Es werden keine Kosten erhoben, und es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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3.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Fremdenpolizei und dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 22. Januar 2001
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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