BGer C 434/1999 | |||
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BGer C 434/1999 vom 08.02.2001 | |
«AZA 7»
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C 434/99 Gb
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II. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiberin Berger
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Urteil vom 8. Februar 2001
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in Sachen
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1. A.________,
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2. B.________,
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3. F.________,
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4. G.________,
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5. H.________,
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6. P.________,
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7. T.________,
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8. V.________,
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9. W.________,
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Beschwerdeführer, alle vertreten durch die Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Strassburgstrasse 11, Zürich,
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gegen
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Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Rudolf Diesel-Strasse 28, Winterthur, Beschwerdegegnerin,
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und
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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A.- A.________, B.________, F.________, G.________, H.________, P.________, T.________, V.________ und W.________ waren in der Firma X.________ AG tätig. Am 15. Juli 1996 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet.
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Mit den Anträgen vom 28., 29., 30. August und 3. September 1996 ersuchten die Versicherten die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich um Ausrichtung von Insolvenzentschädigung bis 29. Juli 1996. Die Arbeitslosenkasse gewährte den Antragstellern Insolvenzentschädigungen für die Zeit bis 15. Juli 1996. Darüber hinausgehende Leistungsansprüche lehnte sie ab (Verfügungen vom 30. Dezember 1996).
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B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher die Versicherten beantragen liessen, es sei festzustellen, dass ihnen für die Zeit vom 16. bis 29. Juli 1996 Insolvenzentschädigung zustehe, und die Sache sei zur Berechnung der Ansprüche und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 29. Oktober 1999).
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen A.________, B.________, F.________, G.________, H.________, P.________, T.________, V.________ und W.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.
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Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Staatssekretariat für Wirtschaft lässt sich nicht vernehmen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführer auch für die Zeit nach der Konkurseröffnung vom 16. bis 29. Juli 1996 Anspruch auf Insolvenzentschädigung haben.
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2.- a) Gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG haben beitragspflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen.
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Nach der bis 31. Dezember 1991 in Kraft gestandenen Fassung von Art. 52 Abs. 1 AVIG deckte die Insolvenzentschädigung Lohnforderungen für die letzten drei Monate vor der Konkurseröffnung. Laut Art. 52 Abs. 1 AVIG, in der vom 1. Januar 1992 bis Ende Dezember 1995 gültig gewesenen Version, umfasste die Deckung Lohnforderungen für die letzten drei sowie in der ab 1. Januar 1996 geltenden, hier anwendbaren Fassung, die letzten sechs (ab 1. September 1999: vier) Monate des Arbeitsverhältnisses.
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b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, gestützt auf den per 1. Januar 1992 geänderten Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 AVIG, wonach der Insolvenzentschädigungsanspruch Lohnforderungen für die letzten drei bzw. ab 1. Januar 1996 sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (und nicht mehr ausdrücklich für die letzten drei Monate vor der Konkurseröffnung) decke, sei die massgebende Zeitspanne unabhängig vom Datum der Konkurseröffnung neu vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an zurückzurechnen. Dies führe dazu, dass die Insolvenzentschädigung auch für erst nach der Konkurseröffnung entstandene Lohnforderungen auszurichten sei, sofern das Arbeitsverhältnis erst nach der Konkurseröffnung geendet habe.
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3.- a) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat mit Bezug auf die bis Ende 1991 gültig gewesene Fassung des Art. 52 Abs. 1 AVIG in BGE 114 V 56 ausgeführt, dass die Insolvenzentschädigung in Fällen, bei welchen die Konkurseröffnung oder das Pfändungsbegehren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt, Lohnforderungen für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor der Konkurseröffnung oder vor dem Pfändungsbegehren deckt, sofern die Insolvenz des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses schon bestanden und sich die Konkurseröffnung bzw. die Einreichung des Pfändungsbegehrens aus Gründen verzögert hat, auf die der Versicherte keinen Einfluss nehmen konnte.
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In BGE 119 V 60 f. Erw. 4a wurde sodann erkannt, dass bei der Auslegung von Art. 52 AVIG, welcher einen Teilaspekt von Art. 51 AVIG bildet, Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG zu beachten ist, wonach Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht, wenn der Konkurs eröffnet wird und dem Arbeitnehmer "in diesem Zeitpunkt" Lohnforderungen zustehen. Mit dieser Bestimmung hat - so das Eidgenössische Versicherungsgericht im Folgenden - der Gesetzgeber klargestellt, dass ausschliesslich im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bestehende Lohnforderungen Anspruch auf Insolvenzentschädigung geben. In Erw. 4b des gleichen Urteils wird abschliessend ausgeführt: Nichts anderes ergibt sich aus der (...) Neufassung von Art. 52 Abs. 1 AVIG vom 5. Oktober 1990, in Kraft seit 1. Januar 1992, wonach die Insolvenzentschädigung Lohnforderungen «für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses deckt». (...) Im Sinne von BGE 114 V 56 ff. sollte damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Konkurseröffnung (oder das Pfändungsbegehren) häufig erst nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt und sich aus Gründen verzögern kann, auf die der Versicherte keinen Einfluss hat. Dagegen ergeben sich weder aus dem genannten Urteil noch aus den Gesetzesmaterialien Hinweise dafür, dass der Anspruch auf Insolvenzentschädigung über den Zeitpunkt der Konkurseröffnung oder der Einreichung des Pfändungsbegehrens hinaus erstreckt werden sollte. Hiezu hätte es nach dem Gesagten einer Änderung auch von Art. 51 AVIG bedurft, wonach die Insolvenzentschädigung lediglich Ansprüche aus Arbeitsvertrag vor Eröffnung des Konkurses oder Einreichung des Pfändungsbegehrens deckt. Mangels einer solchen Änderung muss es bei der Feststellung bleiben, dass Lohnforderungen für die Zeit nach Eröffnung des Konkurses oder der Einreichung des Pfändungsbegehrens keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung zu begründen vermögen.
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b) Die Beschwerdeführer vertreten demgegenüber unter Hinweis auf ein Rechtsgutachten des Prof. Dr. iur. Z.________, Hochschule Y.________, vom 13. September 1996 die Auffassung, die durch das Eidgenössische Versicherungsgericht vorgenommene Auslegung des Art. 52 Abs. 1 AVIG gegen dessen klaren Wortlaut lasse sich allein gestützt auf Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG nicht rechtfertigen und verstosse gegen Sinn und Zweck der Norm. Das Argument des kantonalen Gerichts, der Gesetzgeber habe revisionsweise keine Ausdehnung des Anspruchs auf Insolvenzentschädigung einführen wollen, gehe insofern fehl, als durch die beschwerdeführerische Interpretation keine Ausdehnung des Anspruchs erfolge, denn es verschiebe sich lediglich die für den Umfang massgebende Zeitspanne. Der zu entschädigende Zeitraum bleibe gleich lang. Im Übrigen sei fraglich, ob die Interpretation der Vorinstanz mit Art. 12 lit. a des Übereinkommens Nr. 173 der Internationalen Arbeitsorganisation über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers vom 25. Juni 1992 (nachfolgend: Übereinkommen Nr. 173) im Einklang stehe.
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4.- a) In seiner Botschaft vom 23. August 1989 zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (BBl 1989 III 377 ff.) beantragte der Bundesrat, in Art. 52 Abs. 1 neu einen dritten Satz einzufügen des Inhalts, dass bei Verzögerung der Konkurseröffnung oder des Pfändungsbegehrens durch ein Gerichts- oder Betreibungsverfahren die Dauer dieses Verfahrens für die Berechnung der Frist von drei Monaten nicht in Betracht falle (S. 410). Mit dieser Ergänzung sollte eine bestehende Deckungslücke geschlossen werden, da nach bisheriger Fassung nur die drei letzten Monatslöhne vor der Konkurseröffnung bzw. vor dem Pfändungsbegehren durch die Insolvenzentschädigung gedeckt würden. Dies könne unter Umständen, auf die der Versicherte keinen Einfluss nehmen könne (z.B. trölerisches Verhalten des Schuldners etwa durch unbegründete Erhebung eines Rechtsvorschlags), dazu führen, dass die ausstehenden Lohnforderungen wegen Ablaufs der Frist ganz oder teilweise nicht mehr entschädigt werden könnten (S. 400). Mit Antrag vom 23. Januar 1990 schlug der Bundesrat der vorberatenden Kommission des Ständerates indes eine andere Formulierung des Art. 52 Abs. 1 AVIG vor (" ... Lohnforderungen für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses ..."), welche in der Folge Gesetz werden sollte. Die Änderung wurde vom Direktor des damaligen Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit damit begründet, das Eidgenössische Versicherungsgericht habe seit der Verabschiedung der Botschaft in diesem Sinne entschieden (Protokoll der Sitzung vom 8. Februar 1990, S. 11). In der parlamentarischen Beratung gab diese Neuerung zu keinen Diskussionen Anlass (Amtl. Bull. 1990 S 77 und N 1450).
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b) Aus dieser Entstehungsgeschichte (zur Bedeutung der Materialien für die Gesetzesauslegung: BGE 124 V 189 Erw. 3a mit Hinweisen) geht entgegen der Betrachtungsweise der Beschwerdeführer deutlich hervor, dass der Gesetzgeber mit der auf den 1. Januar 1992 geänderten Fassung des Art. 52 Abs. 1 AVIG einzig eine Kodifizierung der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung (BGE 114 V 56) beabsichtigte (vgl. auch Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], S. 197 N 522 mit weiteren Hinweisen). Der Umstand, dass nicht einmal ansatzweise eine sich aus der Umformulierung ergebende oder damit gar bezweckte inhaltliche Neuordnung im Sinne des beschwerdeführerischen Standpunktes erwähnt wird, lässt den legislatorischen Willen nach einer blossen Anpassung des Gesetzes erkennen.
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Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist offenkundig, dass der von den Beschwerdeführern vertretenen Auffassung, aus dem per 1. Januar 1992 revidierten Wortlaut des Art. 52 Abs. 1 AVIG sei der Anspruch auf Insolvenzentschädigung auch für erst nach der Konkurseröffnung entstandene Lohnforderungen abzuleiten, nicht gefolgt werden kann. Da mit der Revision auf den 1. Januar 1996 (sowie 1. September 1999) Art. 52 Abs. 1 AVIG sodann nur insofern eine Änderung erfuhr, als nunmehr Lohnforderungen für die letzten sechs (bzw. vier) Monate des Arbeitsverhältnisses durch die Insolvenzentschädigung gedeckt werden, bestehen ferner keine entscheidenden Gründe, welche für eine Praxisänderung sprechen würden (zu den Voraussetzungen einer Praxisänderung: BGE 124 V 124 Erw. 6a, 387 Erw. 4c, je mit Hinweisen). Zum gleichen Ergebnis gelangte das Eidgenössische Versicherungsgericht im Übrigen implizit bereits in BGE 126 V 140 Erw. 3b, worin ohne nähere Begründung ausgeführt wird, nach dem klaren Wortlaut von Art. 51 Abs. 1 AVIG ("in diesem Zeitpunkt") decke die Insolvenzentschädigung einzig vor der Konkurseröffnung entstandene Lohnforderungen. Dass sich die aus dieser Rechtsprechung für die Arbeitnehmer eines konkursiten Arbeitgebers resultierenden Folgen dennoch in Grenzen halten, wurde bereits in BGE 119 V 62 Erw. 4c ausführlich dargelegt, worauf zu verweisen ist.
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5.- Unbehelflich ist schliesslich auch der Hinweis der Beschwerdeführer auf das Übereinkommen Nr. 173. Das Abkommen ist von der Schweiz ratifiziert worden und am 16. Juni 1996 für unser Land in Kraft getreten. Es enthält nämlich keine Bestimmungen, aus denen sich ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung für die Zeit nach der Konkurseröffnung des Arbeitgebers ableiten liesse. Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zitierte Art. 12 lit. a des Übereinkommens Nr. 173 sieht den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und Gehälter für einen vorgeschriebenen Zeitraum vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der acht Wochen nicht unterschreiten darf, vor. Die erstgenannte (alternative) Schutzvorschrift steht zweifellos im Einklang mit der unveränderten Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts, wonach die Insolvenzentschädigung lediglich vor der Konkurseröffnung entstandene Lohnforderungen deckt. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit die Konventionsbestimmung auf die Arbeitslosenversicherung überhaupt anwendbar ist.
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6.- Nach dem Gesagten haben Verwaltung und Vorinstanz den Anspruch auf Insolvenzentschädigung für nach dem 15. Juli 1996 (Konkurseröffnung) entstandene Lohnforderungen der Beschwerdeführer zu Recht verneint.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
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rungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirt-
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schaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem Staats-
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sekretariat für Wirtschaft zugestellt.
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Luzern, 8. Februar 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer:
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Die Gerichtsschreiberin:
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