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Informationen zum Dokument  BGer 4C.433/1998  Materielle Begründung
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BGer 4C.433/1998 vom 02.05.2001
 
[AZA 0/2]
 
4C.433/1998/rnd
 
I. ZIVILABTEILUNG
 
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2. Mai 2001
 
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler und Gerichtsschreiber Mazan.
 
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In Sachen
 
Erbengemeinschaft J.M.________, bestehend aus:
 
1. M.M.________,
 
2. C.M.________,
 
3. E.M.________,
 
4. A.M.________,
 
5. U.M.________,
 
6. W.M.________,
 
Kläger und Berufungskläger, alle vertreten durch Rechtsanwältin Elisabeth Brüngger, Narzissenstrasse 5, Postfach 2119, 8033 Zürich,
 
gegen
 
K.________ AG, Lagerstrasse 10, 8953 Dietikon, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Irene C. Eggmann, Bellerivestrasse 5, 8008 Zürich,
 
betreffend
 
Ansprüche aus Mietvertrag, hat sich ergeben:
 
A.-Die K.________ AG (nachfolgend K.________ AG) hatte von J.M.________ und der J.M.________ & Co. - bzw. deren Rechtsnachfolgerin, der A.________ AG - zwei Grundstücke gemietet, nämlich das Grundstück X.________ in Weiningen und das Grundstück Y.________ in Unterengstringen. Die Miete der beiden Grundstücke erfolgte zur Lagerung von verzinktem Nutzeisen. Das Mietverhältnis zwischen den Parteien endete am 31. März 1995. Mit Schreiben vom 15. Mai 1995 setzte J.M.________ die K.________ AG darüber in Kenntnis, dass eine Voruntersuchung der Z.________ AG in den meisten vom Mietareal entnommenen Mischproben eine zu hohe Konzentration an Zink ergeben habe. Mit Schreiben vom 18. Juli 1995 stellte sich die K.________ AG auf den Standpunkt, dass keine bzw. keine fristgerechte Mängelrüge erhoben worden sei und keine Mängel vorlägen, weil die Grundstücke entsprechend dem Zweck der Mietverträge genutzt worden seien.
 
B.-Nachdem die Erbengemeinschaft J.M.________ - als Rechtsnachfolgerin des zwischenzeitlich verstorbenen J.M.________ - ein Beweissicherungsverfahren hatte durchführen lassen, erhob sie am 13. Februar 1997 gegen die K.________ AG Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich. Sie beantragte im Wesentlichen, dass die K.________ AG zu verpflichten sei, ihr Fr. 500'000. -- zu bezahlen sowie die Kosten für zwei Gutachten und das Beweissicherungsverfahren zu ersetzen. Mit Urteil vom 10. November 1998 wies das Handelsgericht des Kantons Zürich die Klage mangels Aktivlegitimation der Erbengemeinschaft J.M.________ ab.
 
C.-Mit Berufung vom 11. Dezember 1998 beantragt die Erbengemeinschaft J.M.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich aufzuheben und das Handelsgericht anzuweisen, in der Sache zu entscheiden. Die K.________ AG beantragt dem Bundesgericht die Abweisung der Berufung. Das Handelsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Eine gleichzeitig erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. Dezember 2000 abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.-Das Handelsgericht hat festgehalten, dass die A.________ AG am 11. Februar 1997 ihre Forderung gegen die Beklagte an die klägerische Erbengemeinschaft abgetreten habe. Seitens der A.________ AG sei die Abtretungserklärung von A.M.________ in seiner Eigenschaft als einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat unterschrieben worden. Da A.M.________ auch zur klägerischen Erbengemeinschaft gehöre und diese auch vertrete, sei von einer Doppelvertretung bzw. einem Selbstkontrahieren auszugehen. Im vorliegenden Fall sei dieses Insichgeschäft unzulässig, weil es der klägerischen Erbengemeinschaft nicht gelungen sei, eine besondere Ermächtigung zur Doppelvertretung bzw. eine nachträgliche Genehmigung durch die A.________ AG beizubringen. Mangels Aktivlegitimation sei die Klage daher abzuweisen. Dies gelte nicht nur insoweit, als die klägerische Erbengemeinschaft die Ansprüche der A.________ AG einfordere; vielmehr sei die Klage auch in Bezug auf ihre eigenen Ansprüche abzuweisen, da die seinerzeitigen Vermieter der beiden Grundstücke X.________ in Weiningen und Y.________ in Unterengstringen - J.M.________ und die A.________ AG bzw. deren Rechtsvorgängerin - eine einfache Gesellschaft gebildet hätten, weshalb die beiden Vermieter ihre Ansprüche nur als notwendige Streitgenossen geltend machen könnten.
 
2.-In der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die umstrittene Abtretung der A.________ AG an die klägerische Erbengemeinschaft gültig sei. Einerseits sei A.M.________ als geschäftsführendes Mitglied des Verwaltungsrates berechtigt gewesen, die Ansprüche der A.________ AG an die klägerische Erbengemeinschaft abzutreten; andrerseits liege keine verpönte Doppelvertretung vor, da eine Übervorteilung der A.________ AG ausgeschlossen werden könne.
 
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist das Selbstkontrahieren grundsätzlich unzulässig, weil das Kontrahieren eines Vertreters mit sich selbst regelmässig zu Interessenkollisionen führt. Selbstkontrahieren hat deshalb die Ungültigkeit des betreffenden Rechtsgeschäftes zur Folge, es sei denn, die Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen sei nach der Natur des Geschäftes ausgeschlossen oder der Vertretene habe den Vertreter zum Vertragsschluss mit sich selbst besonders ermächtigt oder das Geschäft nachträglich genehmigt. Dieselben Regeln gelten auch für die Doppelvertretung zweier Vertragsparteien durch ein und denselben Vertreter sowie die gesetzliche Vertretung juristischer Personen durch deren Organe. Auch in diesen Fällen bedarf es einer besonderen Ermächtigung oder einer nachträglichen Genehmigung durch ein über- oder nebengeordnetes Organ, wenn die Gefahr einer Benachteiligung besteht (BGE 126 III 361 E. 3a S. 363 mit weiteren Hinweisen).
 
b) Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsratspräsident der A.________ AG mit Schreiben vom 2. Februar 1998 erklärt, dass der einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrat A.M.________ zur Abtretung der Forderung der A.________ AG gegen die K.________ AG an die Erbengemeinschaft J.M.________ ermächtigt gewesen sei (Abtretungsvertrag vom 11. Februar 1997). Das Handelsgericht hält diese nachträgliche Genehmigung für ungenügend, weil sie nicht vom (Gesamt-)Verwaltungsrat, sondern nur vom Verwaltungsratspräsidenten ausgesprochen worden sei. Im Folgenden ist daher zu prüfen, welches Organ für eine nachträgliche Genehmigung zuständig ist. Nach der Rechtsprechung ist wie erwähnt eine Genehmigung durch ein "über- oder nebengeordnetes Organ" erforderlich. Welches Gesellschaftsorgan im konkreten Fall als "über- oder nebengeordnet" zu gelten hat, wurde in der Rechtsprechung bislang allerdings noch nicht konkretisiert.
 
aa)Nach dem neuen Aktienrecht ist vermutungsweise von der Einzelzeichnungsberechtigung der Verwaltungsräte auszugehen (Art. 718 Abs. 1 Satz 2 OR [in Kraft seit 1.7.92]). Dies bedeutet, dass jedes einzelne Mitglied des Verwaltungsrates nach Massgabe seiner Zeichnungsberechtigung auch ein Insichgeschäft eines anderen Verwaltungsrates nachträglich genehmigen kann (Dieter Zobl, Probleme der organschaftlichen Vertretungsmacht, in: ZBJV 125/1989 S. 309 f.). Dies hat schon deshalb zu gelten, weil es einem Verwaltungsrat selbstredend möglich sein muss, ein von einem anderen Verwaltungsratsmitglied abgeschlossenes Geschäft, das er selbst ohne weiteres abschliessen könnte, nachträglich auch zu genehmigen (Rolf Watter, Basler Kommentar, N. 21 zu Art. 718 OR). Die in der älteren Literatur vertretene Meinung, dass nur der Gesamtverwaltungsrat bzw. die Verwaltung als solche zuständig sei (Fritz von Steiger, Das Recht der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. , Zürich 1970, S. 243; Rolf Watter, Die Verpflichtung der AG durch rechtsgeschäftliches Handeln ihrer Stellvertreter, Prokuristen und Organe etc. , Diss. Zürich 1985, S. 170/171, Rz. 214/215), ist darauf zurückzuführen, dass gemäss altem Aktienrecht im Sinn einer dispositiven Regelung vorgesehen war, dass die Vertretung einer Aktiengesellschaft allen Mitgliedern des Verwaltungsrates gemeinsam zustand (Art. 717 Abs. 3 aOR [in Kraft bis 30.6.92]). Da im Unterschied dazu im neuen Aktienrecht wie gesagt das Prinzip der Einzelzeichnungsberechtigung vorgesehen ist, kann grundsätzlich jeder einzelne Verwaltungsrat in seiner Eigenschaft als nebengeordnetes Organ ein Insichgeschäft eines anderen Mitglieds des Verwaltungsrates genehmigen. Wenn hingegen der Verwaltungsrat, der das Insichgeschäft abgeschlossen hat, das einzige Verwaltungsratsmitglied ist, steht kein nebengeordnetes Organ zur Genehmigung zur Verfügung. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass als übergeordnetes Organ die Generalversammlung für die Genehmigung des Insichgeschäfts zuständig ist (Zobl, a.a.O., S. 310/311; ähnlich F. von Steiger, a.a.O., S. 243; Watter, Basler Kommentar, N. 21 zu Art. 718 OR).
 
bb)Unter diesen Umständen ist die nachträgliche Genehmigung der umstrittenen Abtretung durch den Verwaltungsratspräsidenten entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes nicht zu beanstanden. Da jedes einzelne Mitglied des Verwaltungsrates vermutungsweise vertretungsbefugt ist (Art. 718 Abs. 1 OR) und im vorliegenden Fall die Einzelzeichnungsberechtigung des Verwaltungsratspräsidenten der A.________ AG nie bestritten worden ist, konnte dieser die Abtretung der Ansprüche der A.________ AG an die klägerische Erbengemeinschaft ohne weiteres alleine - ohne die Mitwirkung der übrigen Verwaltungsratsmitglieder - genehmigen. Daran ändert auch der Hinweis des Handelsgerichts nichts, dass die Geschäftsführung vorbehältlich einer anderen Regel vom gesamten Verwaltungsrat wahrgenommen werde (Art. 716 Abs. 2 OR). Das Handelsgericht scheint zu übersehen, dass die hier zu beurteilende Genehmigung eines Rechtsgeschäftes mit Dritten, das von einem nicht vertretungsbefugten Gesellschaftsorgan abgeschlossen worden ist, ein Akt der Vertretung und nicht eine Geschäftsführungshandlung darstellt. Die Geschäftsführung betrifft nur die interne Leitung der Gesellschaft, während die Vertretung das rechtsgeschäftliche Handeln der Gesellschaft gegen aussen zum Gegenstand hat (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 30, Rz. 78).
 
cc) Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass mit dem Schreiben des Verwaltungsratspräsidenten der A.________ AG vom 2. Februar 1998 das umstrittene Insichgeschäft, mit welchem die Ansprüche an die klägerische Erbengemeinschaft abgetreten wurden, nachträglich von einem zuständigen Organ genehmigt worden ist. Die betreffende Abtretung ist daher nicht zu beanstanden.
 
c) Wenn aber davon auszugehen ist, dass mit dem Schreiben vom 2. Februar 1998 eine nachträgliche Genehmigung vorliegt, kann dahingestellt bleiben, ob A.M.________ vorweg besonders ermächtigt war, den hier zu beurteilenden Abtretungsvertrag abzuschliessen. Immerhin kann dazu festgehalten werden, dass nach der Rechtsprechung eine solche besondere Ermächtigung zur Vornahme von Insichgeschäften anzunehmen ist, wenn bei wirtschaftlich eng verbundenen Gesellschaften Verträge vom gleichen Vertreter abgeschlossen werden, da solche Geschäfte in der Regel vom Zweck gemäss Art. 718a Abs. 1 OR gedeckt sind (Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Februar 1978, publ. in: ZR 77/1978 Nr. 44, insbes. S. 128). Diese Rechtsprechung kann ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Da die A.________ AG aus der J.M.________ & Co. hervorgegangen ist, deutet Vieles darauf hin, dass die A.________ AG seinerzeit ausschliesslich oder grossmehrheitlich von J.M.________ und allenfalls weiteren Familienangehörigen beherrscht wurde, die nunmehr die klägerische Erbengemeinschaft bilden. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass eine enge Verbundenheit zwischen der A.________ AG und der klägerischen Erbengemeinschaft gegeben ist, hätte das Handelsgericht die umstrittene Abtretung daher nicht ohne weiteres als ein unzulässiges Insichgeschäft qualifizieren dürfen.
 
3.-Aus diesen Gründen ist die Abtretung der Ansprüche der A.________ AG an die klägerische Erbengemeinschaft nicht zu beanstanden. Das Handelsgericht hat daher Bundesrecht verletzt, indem es die Aktivlegitimation der Kläger verneint hat. Die Berufung ist deshalb gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Handelsgericht anzuweisen, in der Sache materiell zu entscheiden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beklagte kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.-Die Berufung wird gutgeheissen. Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 10. November 1998 wird aufgehoben und die Sache zur materiellen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000. -- wird der Beklagten auferlegt.
 
3.-Die Beklagte hat die Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 10'000. -- zu entschädigen.
 
4.-Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
______________
 
Lausanne, 2. Mai 2001
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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