BGer H 14/2000 | |||
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BGer H 14/2000 vom 30.07.2001 | |
[AZA 7]
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H 14/00 Gb
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III. Kammer
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Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
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Gerichtsschreiber Ackermann
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Urteil vom 30. Juli 2001
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in Sachen
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1. S.________,
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2. F.________,
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Beschwerdeführer, Beschwerdeführer 2 vertreten durch Beschwerdeführer 1,
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gegen
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Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin,
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und
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Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
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A.- S.________ und F.________ waren von 1986 bis 1991 Stiftungsräte der Stiftung X.________. Mit Verfügung vom 15. Mai 1992 forderte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen von der Stiftung X.________ in den Jahren 1988 bis 1991 fällig gewordene, aber nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge und Verzugszinsen nach. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 1995 abgewiesen; ein Rechtsmittel wurde nicht ergriffen. Nachdem die Betreibung der Stiftung X.________ zu einem Pfändungsverlustschein geführt hatte, verpflichtete die Ausgleichskasse je mit Verfügung vom 26. September 1997 S.________ und F.________ unter solidarischer Haftung zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verzugszinsen) im Betrag von Fr. 16'489. 15 für die Jahre 1988 bis 1990.
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B.- Nachdem S.________ und F.________ Einspruch erhoben hatten, machte die Ausgleichskasse am 26. November 1997 ihre Forderung klageweise beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen geltend. Das Gericht hiess die Schadenersatzklage mit Entscheid vom 26. Oktober 1999 gut und verpflichtete S.________ und F.________ unter solidarischer Haftung zur Bezahlung von Fr. 16'489. 15.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen S.________ und F.________, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Schadenersatzklage abzuweisen; eventualiter sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
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2.- Nach Art. 52 AHVG hat ein Arbeitgeber, der durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften einen Schaden verschuldet, diesen der Ausgleichskasse zu ersetzen. Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, so können subsidiär gegebenenfalls die verantwortlichen Organe in Anspruch genommen werden (BGE 123 V 15 Erw. 5b, 122 V 66 Erw. 4a, 119 V 405 Erw. 2, je mit Hinweisen).
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3.- a) Das kantonale Gericht hat erkannt, dass die Beschwerdeführer als Stiftungsräte den der Ausgleichskasse durch die Nichtbezahlung der Beiträge entstandenen Schaden grobfahrlässig verursacht und dafür Ersatz zu leisten haben.
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b) Die Vorinstanz hat für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich festgestellt, dass die Beschwerdeführer während der Abrechnungspflicht der Beiträge 1988 bis 1990 Stiftungsräte gewesen sind. Die Beschwerdeführer bringen nichts vor, was die Sachverhaltsfeststellung als mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG erscheinen liesse.
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Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nicht ersichtlich, inwieweit eine Auskunft der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht Beweis für einen falschen Handelsregistereintrag erbringen könnte.
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c) Die Beschwerdeführer rügen, dass die Abrechnungen nicht wie im von der Vorinstanz festgestellten Ausmass fehlerhaft seien und damit kein grobes Verschulden vorliegen könne.
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Insofern sie sich dabei auf eine behauptete telefonische Auskunft der Ausgleichskasse vom 16. März 1990 berufen, wonach auch Spesen abdeckende Sitzungsgelder bis Fr. 150.-- für ganztägige und Fr. 90.-- für halbtägige Sitzungen nicht beitragspflichtig seien, können sie dies nur durch eine eigenhändig verfasste Telefonnotiz vom 16. März 1990 belegen; damit kann der Inhalt einer amtlichen Auskunft jedoch nicht nachgewiesen werden. Gerade als Rechtsanwälte hätten sie sich dessen bewusst sein müssen.
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d) Die Beschwerdeführer sind ferner der Auffassung, dass die Nachzahlungsverfügungen der Ausgleichskasse aus dem Jahre 1992 ihnen gegenüber keine Verbindlichkeit haben, da sie weder am Veranlagungs- noch am anschliessenden Beschwerdeverfahren beteiligt gewesen seien.
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aa) Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass der rechtskräftige Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 1995, welcher die Nachzahlungspflicht bestätigt, gegenüber der Stiftung ergangen ist.
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Damit gilt er auch gegenüber ihren Organen, da der Sachverhalt betreffend die Stiftung abschliessend geregelt wird.
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Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat denn auch in einem früheren Urteil festgehalten, dass die Schadenersatzforderung nicht zu überprüfen sei, soweit sie auf unangefochtenen und damit rechtskräftigen Nachzahlungsverfügungen beruhe, da die Möglichkeit der Beschwerde genügend Gewähr dafür bietet, dass die Organe nicht mit ungerechtfertigten Schadenersatzforderungen belastet werden (ZAK 1991 S. 126 Erw. 1b).
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Die vorliegende Sache unterscheidet sich deshalb von Prozessen, in denen gegenüber einzelnen Stiftungs- resp.
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Verwaltungsräten persönlich ergangene Urteile vorliegen, und bei denen das Eidgenössische Versicherungsgericht in der Folge eine inter partes-Wirkung angenommen hat (so im nicht veröffentlichten Urteil G. vom 19. Oktober 1988, H 99/88). Der Verweis auf Ueli Kieser (Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, N 524) vermag den Beschwerdeführern deshalb nicht zu helfen, da die dort postulierte Nichtbindung an Drittentscheide im vorliegenden Verfahren aus den genannten Gründen nicht massgebend ist.
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bb) Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, sie seien im Zeitpunkt des Veranlagungsverfahrens sowie des Entscheides vom 26. Oktober 1995 längst nicht mehr Stiftungsräte gewesen.
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Es ist festzuhalten, dass in casu die Abrechnungsperioden 1988 bis 1990 zur Debatte stehen; die letzten Beiträge sind deshalb spätestens im Januar 1991 fällig geworden (Art. 35 Abs. 3 AHVV in Verbindung mit Art. 34 AHVV).
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Die Vorinstanz hat für das Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich festgestellt, dass die Beschwerdeführer während dieser Zeit Organe der Stiftung (Erw. 3b hievor) und damit für die Bezahlung der Beiträge verantwortlich gewesen sind. Die Beschwerdeführer bestreiten ihre grundsätzliche Haftung als ehemalige Sekretäre denn auch nicht mehr. Davon abgesehen ist zu berücksichtigen, dass jede juristische Person an der Abwehr ungerechtfertigter Nachzahlungsforderungen interessiert ist, einerseits weil auch juristische Personen keine Nichtschulden bezahlen wollen, andererseits weil die für die juristische Person handelnden Organe wegen der allfälligen persönlichen Haftung auch ein ganz besonderes Interesse daran haben, ungerechtfertigte Zahlungen abzuwehren. Wenn die Beschwerdeführer zur Zeit des Veranlagungs- und des Gerichtsverfahrens auch keine Organe der Stiftung mehr waren, hatten die zu dieser Zeit tätigen Organe ebensowenig Interesse, ungerechtfertigte Nachzahlungen zu Lasten der Stiftung leisten zu müssen; dies wird denn auch durch die erfolgte Beschwerde gegen die Nachzahlungsverfügung bestätigt. Nicht vergessen werden darf, dass eine Person mit Organstellung, die nachträglich der Schadenersatzpflicht unterliegt, nicht in jedem Fall die Nachzahlungsverfügung anfechten kann, wenn sie es für richtig erachtet. Denn die notwendige Prozessführung (sei es direkt oder mittels Auftragserteilung an Aussenstehende) bedarf eines Stiftungsratsbeschlusses, d.h. eines gemeinsamen Willens der Mehrheit der Mitglieder des Gremiums. Das Stimmverhalten hat einzig Bedeutung beim internen Regress; für die Solidarhaftung in der Aussenbeziehung - wie in den Fällen des Art. 52 AHVG vorgesehen - hat dies jedoch keinerlei Einfluss. Würde nun die Verbindlichkeit des gegenüber der Stiftung ergangenen rechtskräftigen Entscheides verneint, hätte dies zur Folge, dass der Streit um die Richtigkeit der Nachzahlungsverfügung zwei- oder gar mehrmals geführt werden müsste, nämlich zuerst im ordentlichen Nachzahlungsverfahren und anschliessend nochmals in jedem einzelnen Schadenersatzprozess. Dies ist aber weder nötig, da die Nachzahlungsverpflichtung gegenüber der Stiftung ja bereits besteht und im Aussenverhältnis Solidarhaft besteht, noch sinnvoll, denn Verfahrensökonomie sowie Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs sprechen klar gegen solche Prozesse.
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cc) Um die inter partes-Wirkung des Entscheides vom 26. Oktober 1995 zu belegen, verweisen die Beschwerdeführer darauf, dass die Veranlagungsverfügung im Schadenersatzprozess überprüft werden kann, wenn sie direkt der Konkursverwaltung zugestellt worden ist oder wenn die Organe konkursbedingt gegen die Verfügung nicht vorgehen konnten (SVR 1995 AHV Nr. 44 S. 122 Erw. III/3b in fine). Dieser Hinweis geht fehl, weil in vorliegender Sache die Möglichkeit bestand (und auch benutzt worden ist), gegen die Nachzahlungsverfügung vorzugehen, während diese im Falle des Konkurses gar nicht angefochten werden konnte und der Rechtsschutz deshalb später gewährt werden musste.
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e) Da der rechtskräftige Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 26. Oktober 1995 auch gegenüber den Beschwerdeführern bindend ist, kann materiell nicht mehr auf dessen Inhalt eingegangen werden.
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Die Beschwerdeführer bringen zunächst vor, dass die Nachzahlungsverfügung offensichtlich fehlerhaft sei. Es fehlt jedoch an einer genügend substantiierten Begründung, welche die offensichtliche Unrichtigkeit belegen würde.
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Eine solche Begründung ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Vorinstanz zu Recht von der verlangten Aktenedition abgesehen hat.
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Infolge der Verbindlichkeit des Entscheides vom 26. Oktober 1995, mit welchem die Nachzahlungspflicht rechtskräftig festgestellt wurde, ist auch die Rüge der Beschwerdeführer nicht zu hören, die Einkommen hätten weniger als Fr. 2'000.-- pro Jahr betragen und seien deshalb nicht beitragspflichtig gewesen.
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Schliesslich ist festzuhalten, dass wegen der rechtskräftig festgestellten Nachzahlungspflicht auch die Edition der Buchhaltungsunterlagen der Stiftung nicht mehr sinnvoll ist; von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann daher nicht gesprochen werden.
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f) Die Beschwerdeführer bringen weiter vor, die Ausgleichskasse habe den Schaden durch zu späten Erlass der Nachzahlungsverfügung selber verschuldet und damit auch den Kausalzusammenhang zwischen ihrem (bestrittenen) Verhalten und dem Schaden unterbrochen.
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Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Die Arbeitgeberkontrolle durch die Ausgleichskasse fand am 8. April 1992 statt, die Nachzahlungsverfügungen datieren vom 15. Mai 1992. Der Erlass einer Verfügung etwas mehr als einen Monat nach dem faktischen Verwaltungsakt entspricht ordnungsgemässer Verwaltung. Damit liegt keine schuldhafte Unterlassung der Ausgleichskasse vor, die den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten der Beschwerdeführer und dem eingetretenen Schaden unterbrechen könnte. Es wäre vielmehr Aufgabe der Beschwerdeführer gewesen, dafür zu sorgen, dass während der Dauer ihrer Organstellung die Sozialversicherungsbeiträge bezahlt worden wären.
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g) Abschliessend bleibt festzustellen, dass die Beschwerdeführer bis Anfang 1991 mit Organqualität für die Stiftung tätig waren und als Sekretäre und Stiftungsräte unter anderem die Abrechnung mit der Ausgleichskasse für die Jahre 1988 bis 1990 zu besorgen hatten. Sie hätten es damit in der Hand gehabt, die Geschäftsführung so zu beeinflussen, dass die entsprechenden Beiträge gemäss Art. 14 Abs. 1 und 51 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV korrekt festgestellt und damit bei Fälligkeit abgeliefert worden wären; dass sie dies unterlassen haben, ist ihnen als grobes Verschulden anzurechnen. Die Verurteilung, unter solidarischer Haftung Fr. 16'489. 15 zu bezahlen, ist daher zu Recht erfolgt.
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4.- Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Lasten der Beschwerdeführer (Art. 134 OG e contrario; Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte auferlegt und mit den geleisteten Kostenvorschüssen verrechnet.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 30. Juli 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der III. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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