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Informationen zum Dokument  BGer I 65/2001  Materielle Begründung
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BGer I 65/2001 vom 14.11.2001
 
[AZA 7]
 
I 65/01 Gr
 
II. Kammer
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Rüedi und Meyer;
 
Gerichtsschreiber Hadorn
 
Urteil vom 14. November 2001
 
in Sachen
 
S.________, 1962, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ulrich Seiler, Falkenhöheweg 20, 3012 Bern,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
Mit Verfügung vom 6. Dezember 1995 lehnte die IV-Stelle des Kantons Bern das Gesuch des 1962 geborenen S.________ um Ausrichtung einer Invalidenrente ab.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 15. Oktober 1996 ab.
 
Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde von S.________ hin wies das Eidgenössische Versicherungsgericht die Sache mit Urteil vom 15. Mai 1997 zu näheren Abklärungen im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurück.
 
Die IV-Stelle holte in der Folge eine Expertise des Zentrums für Medizinische Begutachtung (ZMB) vom 15. Oktober 1998 samt Zusatzbericht vom 31. März 1999 ein und lehnte den Rentenanspruch mit Verfügung vom 10. Dezember 1999 erneut ab.
 
Hiegegen liess S.________ Beschwerde einreichen, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. Dezember 2000 abwies.
 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei nach Einholung ergänzender Arztberichte erneut über den Anspruch auf eine IV-Rente zu verfügen.
 
Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die IV-Stelle habe dem ZMB entgegen der Anweisung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts die im Urteil vom 15. Mai 1997 als widersprüchlich bezeichneten Arztberichte nicht unterbreitet. Daher habe das ZMB im Gutachten vom 15. Oktober 1998 anordnungswidrig nicht zu den Widersprüchen Stellung genommen. Dieser Vorwurf ist zwar insofern berechtigt, als die genannten ärztlichen Unterlagen dem ZMB bei der Abfassung der Expertise tatsächlich nicht zur Verfügung standen. Die IV-Stelle hat das Versäumte jedoch nachgeholt und dem ZMB die Belege im Vorbescheidverfahren zugesandt, worauf sich dieses im Zusatzbericht vom 31. März 1999 äussern konnte. Damit wurde dem Urteil vom 15. Mai 1997 nachträglich Genüge getan, weshalb eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt zu betrachten ist (vgl. BGE 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).
 
2.- Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung (Art. 28 Abs. 1, 1bis und 2 IVG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung, insbesondere zu den geistigen Gesundheitsschäden (AHI 2000 S. 151 Erw. 2a), sind im kantonalen Entscheid zutreffend dargelegt, weshalb darauf verwiesen wird.
 
3.- Streitig ist der Rentenanspruch.
 
a) Die Vorinstanz hat das Gutachten des ZMB vom 15. Oktober 1998 richtig gewürdigt. Demnach sind dem Beschwerdeführer die früher ausgeübten Tätigkeiten als Bodenleger, Eisenleger oder Landwirtschaftsarbeiter nicht mehr zuzumuten. Hingegen ist dieser in einer dem Rücken angepassten Arbeit aus somatischer Sicht voll, aus psychischer Sicht noch in einem Ausmass von 7 Stunden im Tag arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was gegen diese Schlussfolgerung spräche. Der auf Grund der Expertise erstellte Lohnvergleich ergibt keine Invalidität in rentenberechtigendem Ausmass. Damit ist erstellt, dass zumindest seit Erstattung des erwähnten ZMB-Gutachtens bis zum Tag der streitigen Verwaltungsverfügung, welche nach konstanter Rechtsprechung die zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis darstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), kein Rentenanspruch bestand. Im Sinne einer antizipierten Beweiswürdigung (dazu BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d mit Hinweis) ist diesbezüglich auf weitere Abklärungen zu verzichten, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten wären.
 
b) Weiter ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in einem vor Erstellung des ZMB-Gutachtens liegenden Zeitraum vorübergehend Anspruch auf eine (befristete) Rente hatte.
 
aa) Die medizinischen Unterlagen über die Periode vor der erwähnten Expertise sind, wie bereits im Urteil vom 15. Mai 1997 festgehalten, widersprüchlich. Das ZMB führt im Zusatzbericht vom 31. März 1999 einleitend aus, es sei schwierig bis unmöglich, nachträglich bloss an Hand der Akten frühere Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit zu beurteilen.
 
Unter solchen Umständen erscheint es wenig sinnvoll, weitere Abklärungen über den damaligen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers anzuordnen. Zusätzlich beigezogene Ärzte stünden vor dem selben Problem wie das ZMB, nämlich auf Grund sich widersprechender Akten rückwirkende Schlüsse ziehen zu müssen. Im Sinne der erwähnten antizipierten Beweiswürdigung ist daher der Antrag des Versicherten auf ergänzende Untersuchungen auch betreffend frühere Perioden abzulehnen. Vielmehr muss der Rentenanspruch für die Zeit vor dem 15. Oktober 1998 auf Grund der vorhandenen Akten endgültig beurteilt werden.
 
bb) Dr. med. E.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, gibt im Bericht vom 21. Mai 1993 eine volle Arbeitsunfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit als Bodenleger seit
 
23. November 1992 an. Eine sitzende Arbeit könne "voraussichtlich normal" geleistet werden. Gemäss Bericht der Beruflichen Abklärungsstelle (BEFAS) vom 14. Juli 1995 bestehe aus medizinischer Sicht kein Grund, weshalb dem Beschwerdeführer nicht eine berufliche Umstellung mit vollem Einsatz zuzumuten sei. Er vermöge ganztags zu arbeiten, und zwar mit einer Leistung von über 50 %. Nach entsprechender Vorbereitung sollte er noch in der Lage sein, Fr. 3000.- bis Fr. 3500.- im Monat zu verdienen (was bei dem gemäss Bericht der Berufsberaterin vom 24. April 1995 zuletzt bezogenen, wegen Akkordarbeiten variabel ausgefallenen Lohn von Fr. 3700.- bis Fr. 4300.- einen Rentenanspruch ausschliesst). Dr. med. Z.________, Klinik S., hält im Bericht vom 15. Februar 1996 (mit Anhang vom 18. April 1996) eine schwere körperliche Arbeit für kaum und eine leichte im Ausmass von vielleicht 20 % bis 30 % für zumutbar.
 
In einem Bericht vom 7. November 1996 schliesst sich Dr. E.________ dieser Einschätzung an: Es lasse sich in einer leichten Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit von 20 % bis 30 %, maximal 50 % erreichen. Zugleich widerspricht Dr.
 
E.________ dem BEFAS-Bericht, namentlich der dort für möglich gehaltenen Steigerung auf 100 %. Gemäss Bericht von Dr. med. G.________, Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik X., vom 7. Juli 1997 sei es nach Erhalt einer fremdenpolizeilichen Verfügung vom 18. Juni 1997 zu einer Zunahme der Depressivität und zur Äusserung suizidaler Absichten gekommen, weshalb eine stationäre psychiatrische Behandlung in Erwägung zu ziehen sei. Das ZMB vertritt im Zusatzbericht vom 31. März 1999 die Meinung, dem Beschwerdeführer sei ab 1993 in einer rückenadaptierten Tätigkeit eine Leistung von 50% zumutbar gewesen. Gelegentlich seien wegen rückenfremder Affektionen kurze Perioden voller Arbeitsunfähigkeit dazwischen gekommen. Die psychische Problematik habe sich verschärft, was eine entsprechende Behandlung vom 5. Juni 1997 bis 6. März 1998 erfordert habe. Für diesem Zeitraum müsse wegen der gleichzeitig bestehenden somatischen Einschränkungen eine volle Arbeitsunfähigkeit vermutet werden.
 
Anschliessend habe der Beschwerdeführer jene Tätigkeit in einem Spielsalon aufgenommen, in welcher er gemäss Gutachten des ZMB sieben Stunden pro Tag einsetzbar sei.
 
cc) Aus diesen Akten ergibt sich, dass sowohl die BEFAS als ursprünglich auch Dr. E.________ in einer geeigneten Tätigkeit eine Arbeitsfähigkeit angenommen haben, welche einen Rentenanspruch ausschloss. Nur Dr. Z.________ ging von einer wesentlich stärkeren Einschränkung aus. Wohl korrigierte sich Dr. E.________ in seinem Bericht vom 7. November 1996 insofern, als er sich jetzt Dr. Z.________ anschloss. Eine überzeugende Begründung für diese Meinungsänderung gibt er jedoch nicht an. Das von ihm erwähnte Echinokokken-Rezidiv schränkte die Arbeitsfähigkeit vorübergehend ohne Einfluss auf den Rentenanspruch ein. Ferner ist anzunehmen, dass die Arbeitsfähigkeit wegen der von Dr. G.________ beschriebenen psychischen Probleme für einige Monate in höherem Ausmass beeinträchtigt war. Aber auch dies ist für den Rentenanspruch irrelevant, da die Behandlung bei Dr. G.________ weniger als ein Jahr dauerte und die einjährige Wartezeit gemäss lit. b von Art. 29 Abs. 1 IVG somit nicht bestanden wurde. Die im Zusatzbericht des ZMB genannte Arbeitsfähigkeit von 50 % ab 1993 beruht lediglich auf einer nachträglichen Aktenwürdigung und ist nicht massgebend. Denn bei der konkreten Untersuchung des Beschwerdeführers anlässlich der Erstellung des Gutachtens schätzte das ZMB die Restarbeitsfähigkeit höher ein. Angesichts dieser Aktenlage ist auf die echtzeitlichen Angaben von Dr. E.________ und der BEFAS abzustellen. Es ist somit nicht rechtsgenüglich ausgewiesen, dass der Versicherte in einer vor der Begutachtung durch das ZMB liegenden Zeitspanne während mindestens eines Jahres zu durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig gewesen ist. Die Vorinstanz, auf deren Erwägungen im Übrigen verwiesen wird, hat daher den Anspruch auf eine IV-Rente im Ergebnis zu Recht verneint.
 
4.- Der Beschwerdeführer hat um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht, es jedoch trotz entsprechender Fristverlängerung bis zum heutigen Tag ohne Begründung unterlassen, das "Zeugnis zur Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege" und namentlich die dazu gehörende Bestätigung der Wohnsitzgemeinde einzureichen. Auf die im Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen Prozess eingereichten Unterlagen kann nicht abgestellt werden, da der Beschwerdeführer gemäss den Akten in einem Spielsalon arbeitet und demnach Einkünfte erzielt. Damit ist die Bedürftigkeit nicht belegt.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und
 
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 14. November 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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