BGer 1A.170/2001 | |||
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BGer 1A.170/2001 vom 18.02.2002 | |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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1A.170/2001/sta
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Urteil vom 18. Februar 2002
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I. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
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Bundesrichter Féraud, Ersatzrichterin Pont Veuthey,
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Gerichtsschreiberin Gerber.
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X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Christine Fleisch, Langstrasse 4, 8004 Zürich,
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gegen
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Kanton Zürich, Beschwerdegegner, vertreten durch die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, Kaspar-Escher-Haus, Postfach, 8090 Zürich,
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, II. Kammer, Postfach 441, 8401 Winterthur.
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Opferhilfe (Genugtuung)
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(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, II. Kammer, vom 28. August 2001)
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Sachverhalt:
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A.
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X.________ schilderte am 11. Februar 1998 einer Mitarbeiterin der Personalabteilung des Universitätsspitals Zürich, dass sie im Juli 1996, während ihres Einsatzes als Ferienaushilfe im Reinigungsdienst des Spitals, zweimal von einem Arbeitskollegen, A.________, vergewaltigt worden sei. Er habe ihr gedroht, sie werde keine feste Anstellung erhalten, wenn sie mit irgend jemandem darüber spreche. Auch später, während ihrer Probezeit, habe er sie sexuell belästigt. Zudem beklagte sich X.________ über sexuelle Belästigungen durch ihren Vorgesetzten B.________ und den Equipenleiter C.________.
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B.
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Das Universitätsspital Zürich zog Rechtsanwältin Jeanne DuBois zur Abklärung der Vorwürfe bei. Diese befragte am 24. März und 14. April 1998 X.________ und am 1. April 1998 Herrn B.________ und A.________. Zudem holte sie einen Bericht von D.________, Mitarbeiterin des Nottelefons / Beratungsstelle für Frauen, ein, mit der Frau X.________ mehrere Beratungsgespräche geführt hatte.
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Mit Verfügung vom 17. Dezember 1998 löste das Universitätsspital Zürich das Arbeitsverhältnis mit A.________ unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist auf. Hiergegen rekurrierte A.________ bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unter gleichzeitiger Anrufung der Schlichtungsstelle für Streitigkeiten über Diskriminierungen im Erwerbsleben.
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Am 13. April 1999 sagte X.________ als Auskunftsperson vor der Schlichtungsstelle aus und hielt an ihrer Schilderung des Sachverhalts fest. Das Schlichtungsverfahren führte zu keiner Einigung der Parteien.
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Im Rekursverfahren bestritt A.________ die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe, während X.________ am 2. September 1999 ihre früheren Aussagen bestätigte.
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C.
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Am 7. September 1999 reichte die Gesundheitsdirektion Strafanzeige gegen A.________ ein und sistierte das Rekursverfahren bis zu einem Entscheid der Bezirksanwaltschaft oder des Bezirksgerichts im Strafverfahren. X.________, die inzwischen geheiratet hatte und schwanger war, teilte am 5. Januar 2000 mit, dass sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht gemäss OHG Gebrauch machen werde und an der Weiterführung des Strafverfahrens gegen A.________ nicht interessiert sei. Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft I für den Kanton Zürich am 21. Januar 2000 das Strafverfahren ein.
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D.
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Am 3. Juli 1998 hatte X.________ bei der Direktion der Justiz des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, um Genugtuungsleistungen in Höhe von Fr. 20'000.-- pro Täter ersucht. Mit Verfügung vom 13. März 2001 wies die Kantonale Opferhilfestelle das Genugtuungsgesuch ab.
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E.
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Hiergegen erhob X.________ Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, ihr eine Genugtuung in Höhe von insgesamt Fr. 20'000.-- zuzusprechen. Am 28. August 2001 wies das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde ab.
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F.
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Hiergegen erhob X.________ am 5. Oktober 2001 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr eine Genugtuung in Höhe von Fr. 20'000.-- zuzusprechen.
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G.
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Die Kantonale Opferhilfestelle beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Sozialversicherungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Justiz hat am 14. Dezember 2001 zur Sache Stellung genommen, ohne einen Antrag zu stellen. Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, sich zur Vernehmlassung des Bundesamtes zu äussern.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, der sich auf das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz; OHG; SR 312.5) stützt. Hiergegen steht grundsätzlich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht offen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 VwVG; Art. 98 lit. g OG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde ist daher einzutreten.
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1.2 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde können die Verletzung von Bundesrecht - einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens - und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat allerdings - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden, ist das Bundesgericht an den festgestellten Sachverhalt gebunden, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden (Art. 105 Abs. 2 OG).
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2.
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Das Sozialversicherungsgericht ging davon aus, die Zusprechung einer Genugtuung oder einer Entschädigung gemäss Art. 11 ff. OHG setze den Nachweis der Opferstellung und damit einer tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat voraus. Hierfür genügten die alleinigen - wenn auch glaubhaften - Aussagen des Opfers in der von Rechtsanwältin DuBois geführten Untersuchung nicht. Mit der Geltendmachung ihres Aussageverweigerungsrechts habe die Beschwerdeführerin eine genaue Abklärung verhindert. Im Sozialversicherungsprozess trügen die Parteien eine Beweislast insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfalle, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wolle. Die Bezirksanwaltschaft habe die Strafuntersuchung mangels genügender Beweise eingestellt. Angesichts der Tatsache, dass das Verfahren vor der Opferhilfestelle wie auch vor dem Sozialversicherungsgericht nicht über die Untersuchungsmittel verfüge, wie sie der Strafverfolgungsbehörde zustehen, sei eine Ermittlung des Sachverhalts durch Beweiserhebungen im Opferhilfeverfahren nicht zu erwarten. Die Beschwerdeführerin müsse sich somit die Beweislosigkeit zurechnen lassen, weshalb ihre Beschwerde abzuweisen sei.
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3.
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3.1 Gemäss Art. 16 Abs. 1 OHG müssen die Kantone für Ansprüche nach Art. 11 ff. OHG ein "einfaches, rasches und kostenloses Verfahren" vorsehen. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren, das grundsätzlich unabhängig von anderen Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren durchzuführen ist (BGE 123 II 1 E. 2b S. 3). Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist die Opferhilfe unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist oder ob er sich schuldhaft verhalten hat. In vielen Fällen entscheidet die Opferhilfebehörde daher, obwohl kein Strafverfahren eingeleitet oder dieses eingestellt worden ist. Das Opfer ist auch nicht verpflichtet, Strafanzeige einzureichen, um als Opfer i.S.d. OHG anerkannt zu werden (Peter Gomm/Peter Stein/Dominik Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 2 N 18 S. 47; Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz OHG zur Anwendung des Opferhilfegesetzes vom 5. März 1998, Kommentar zu Ziff. 5.2.1.). Insofern ist die Einstellung des Strafverfahrens für sich allein kein Grund, den Genugtuungsanspruch gemäss OHG zu versagen.
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3.2 Wird allerdings das Strafverfahren eingestellt, weil die Untersuchungsbehörde nach eingehenden Ermittlungen zum Schluss gekommen ist, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat bestehen, wird sich die Opferhilfebehörde nicht ohne Not von diesem Entscheid entfernen (Gomm/Stein/Zehntner, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Art. 16 N 14 S. 242; vgl. auch BGE 124 II 8 E. 3d S. 13 ff. zur Bindung der Opferhilfebehörde an ein Urteil eines Strafgerichts über die Zivilansprüche des Opfers). Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Umstände vor, die eine Abweichung von den tatsächlichen Feststellungen der Strafverfolgungsbehörden rechtfertigen: Das Strafverfahren - das auf Anzeige der Gesundheitsdirektion, ohne Zutun der Beschwerdeführerin eingeleitet worden war - wurde ohne weitere Ermittlungen eingestellt, weil das Opfer im Strafverfahren keine Angaben machen wollte. Das Opfer ist nach Art. 7 Abs. 2 OHG berechtigt, im Strafverfahren die Aussage zu Fragen zu verweigern, die seine Intimsphäre betreffen. Die Inanspruchnahme dieses Rechts kann, sofern kein Rechtsmissbrauch vorliegt, nicht dazu führen, dass das Opfer von vornherein von Opferhilfeleistungen ausgeschlossen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass das Opfer die ihm nach OHG obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt (vgl. dazu unten, E. 3.3.). Zudem trägt das Opfer das Risiko, dass sich die Straftat im Opferhilfeverfahren nicht nachweisen lässt (vgl. unten, E. 3.4).
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3.3 Im Entschädigungs- und Genugtuungsverfahren stellt die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Art. 16 Abs. 2 OHG). Dies schliesst allerdings eine Mitwirkungspflicht des Gesuchstellers nicht aus.
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3.3.1 Wer ein Gesuch stellt, muss diejenigen Tatsachen darlegen, die nur ihm bekannt sind oder von ihm mit wesentlich weniger Aufwand erhoben werden können als von der Behörde. Insbesondere muss das Opfer den anspruchsbegründenden Sachverhalt mit hinreichender Bestimmtheit darlegen und der Behörde diejenigen Angaben liefern, die ihr erlauben, weitere Erkundigungen einzuziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsstelle, welche die Leistungsbegehren nach Art. 11 ff. OHG beurteilt, rechtlich und faktisch nicht dieselben prozessualen Untersuchungsmittel zur Verfügung hat wie die Strafverfolgungsbehörden. Sie ist oft darauf angewiesen, polizeiliche oder strafprozessuale Akten heranzuziehen, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Es kann und muss daher vom Opfer verlangt werden, dass es der Behörde - soweit vorhanden - derartige Akten zur Verfügung stellt oder zumindest angibt, wo diese Unterlagen ediert werden können (BGE 126 II 97 E. 2e S. 101 f. mit Hinweisen).
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3.3.2 In ihrem Genugtuungsgesuch vom 3. Juli 1998 machte die Beschwerdeführerin Angaben zu den Namen der Täter, dem Datum und dem Ort der Straftaten. Für den Tathergang verwies sie auf ihre Schilderung vom 11. Februar 1998 vor der Personalabteilung des Universitätsspitals Zürich. Aufgrund ihrer Angaben wusste die kantonale Opferhilfestelle von den bereits vorhandenen Unterlagen des Untersuchungsverfahrens im Universitätsspital, des Schlichtungs- und des Rekursverfahrens und hatte die Möglichkeit, diese Akten beizuziehen. Damit hat die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht grundsätzlich Genüge getan. Sie war dagegen nicht verpflichtet, Strafanzeige zu stellen oder im Strafverfahren auszusagen (Art. 7 Abs. 2 OHG).
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3.4 Das Sozialgericht ging davon aus, dass es aufgrund der Weigerung der Beschwerdeführerin, in einem Strafverfahren auszusagen, unmöglich sein werde, den Nachweis einer Straftat zu führen. Es entschied daher nach Beweislastgrundsätzen, ohne eigene Beweiserhebungen zu prüfen (z.B. Beizug der Akten des Schlichtungs- und des Rekursverfahrens) oder die bereits vorliegenden Aussagen und Berichte der Untersuchung von Rechtsanwältin DuBois im Detail zu würdigen. Im Folgenden ist zu prüfen, ob das Sozialversicherungsgericht durch diese Vorgehensweise seine Amtsermittlungspflicht gemäss Art. 16 Abs. 2 OHG verletzt hat.
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3.4.1 Das Sozialversicherungsgericht nahm an, dass die alleinigen - wenn auch glaubhaften - Aussagen des Opfers nicht ausreichen, um eine Straftat nachzuweisen. Dies trifft jedoch nicht zu: Sogar im Strafrecht, wo die Maxime "in dubio pro reo" gilt, kann sich ein Schuldspruch auf eine einzige Zeugenaussage stützen, sofern diese glaubhaft erscheint und den Richter vom Vorliegen einer strafbaren Handlung überzeugt (unveröffentlichter Entscheid i.S. G. vom 17. August 1993, 1P.93/1993, E. 3b). Gerade bei Vergewaltigungen gibt es regelmässig neben dem Opfer keine weiteren Tatzeugen. Zudem fehlen häufig objektive Beweismittel (wie z.B. ärztliche Zeugnisse), weil das Opfer zunächst, aus Scham oder Angst, das Vorgefallene verschweigt oder verdrängt und sich erst nach geraumer Zeit anderen Personen anvertraut. In diesen Fällen hängt der Ausgang des Strafverfahrens ausschliesslich von der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Opfers bzw. des Angeschuldigten ab.
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3.4.2 Allerdings kann es prozessuale Hindernisse gegen eine strafrechtliche Verurteilung geben, die sich einzig auf protokollierte Aussagen des Opfers im Untersuchungsverfahren oder gar - wie hier - in einem Verwaltungsverfahren stützt (z.B. Unmittelbarkeitsgrundsatz; Anspruch des Beschuldigten, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen bzw. mit ihm konfrontiert zu werden).
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Im opferhilferechtlichen Verfahren geht es jedoch ausschliesslich um den Entschädigungs- oder Genugtuungsanspruch des Opfers. Auch wenn dies die Annahme einer Straftat i.S.v. Art. 2 OHG voraussetzt, ist damit keine strafrechtliche Verurteilung des Täters verbunden, weshalb die besonderen Verfahrensgarantien zugunsten des Angeschuldigten im Strafverfahren nicht zur Anwendung kommen. Die Opferhilfebehörde und das Gericht können ohne Weiteres schriftliche Unterlagen, z.B. eines Verwaltungsverfahrens, heranziehen. Es ist eine Frage der Beweiswürdigung, ob diese genügen, um den Nachweis einer Straftat i.S.v. Art. 2 OHG zu führen.
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3.4.3 Im vorliegenden Fall erscheint dies jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen: Die Unterlagen der von Rechtsanwältin DuBois geführten Untersuchung enthalten ausführliche Aussagen aller Beteiligten; diese wurden auf Tonband aufgenommen und anschliessend protokolliert, vermitteln also einen guten Eindruck vom Aussageverhalten der Personen. Auch das erste Gespräch der Beschwerdeführerin mit der Personalabteilung des Universitätsspitals ist schriftlich (wenn auch nicht wörtlich) dokumentiert. Schliesslich liegt ein Bericht der Mitarbeiterin des Nottelefons / Beratungsstelle für Frauen über Beratungsgespräche mit der Beschwerdeführerin in den Akten. Auch wenn die Verfasserin des Berichts die Beschwerdeführerin zeitweise vor der Opferhilfestelle vertreten hat, kann ihr Bericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung durchaus berücksichtigt werden. Schliesslich besteht die Möglichkeit, die Akten des Schlichtungs- und des Rekursverfahrens beizuziehen, in denen die Beschwerdeführerin als Auskunftsperson mündlich befragt worden ist.
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3.5 Nach dem Gesagten hätte das Sozialversicherungsgericht prüfen müssen, ob auf der Grundlage der vorhandenen Unterlagen der Nachweis einer Straftat i.S.v. Art. 2 OHG erbracht ist. Hierzu hätte es die Aussagen aller Beteiligten eingehend auf ihre Glaubhaftigkeit untersuchen und, wenn nötig, ergänzende Beweismassnahmen anordnen müssen. Es durfte sich nicht mit dem Hinweis auf die Einstellung des Strafverfahrens und dem Fehlen unbeteiligter Tatzeugen und objektiver Beweismittel begnügen. Im Ergebnis liegt somit eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (Art. 16 Abs. 2 OHG) vor.
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4.
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Gemäss Art. 1 der Verordnung über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 18. November 1992 (OHV; SR 312.51) muss das Opfer, das Entschädigung oder Genugtuung beansprucht, glaubhaft machen, dass es keine oder nur ungenügende Leistungen von Dritten (Täter, Versicherungen, usw.) erhalten kann. Diese Bestimmung soll die subsidiäre Natur der Leistungen des Staates sicherstellen.
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4.1 Das Bundesamt für Justiz wirft in seiner Vernehmlassung die Frage auf, ob das Opfer, das sein Desinteresse am Strafverfahren wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung erklärt und mitgeteilt hat, es werde vom Aussageverweigerungsrecht nach Art. 7 Abs. 2 OHG Gebrauch machen, dennoch glaubhaft machen kann, dass es vom Täter keine Leistungen erhalten könne. Wenn ein Opfer jegliche Mitwirkung am Strafverfahren verweigern und direkt nach OHG Genugtuung beanspruchen könne, werde die Funktion der Opferhilfe als Korrelat zum Strafrecht in Frage gestellt. Es bestehe dann die Gefahr, dass der Zweck der Opferhilfe, subsidiär Solidarität zu leisten, zugunsten einer Art Sozialversicherung aufgegeben werde.
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4.2 Zunächst ist festzuhalten, dass das Bestehen von Ansprüchen des Opfers gegenüber dem Täter bzw. seiner Versicherung Entschädigungs- oder Genugtuungsansprüche nach OHG in der Regel nicht ausschliesst (Gomm/Stein/ Zehntner, Kommentar zum OHG, Art. 14 N 7):
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Ziel des Opferhilfegesetzes ist es, dem Opfer langwierige Auseinandersetzungen mit dem Täter oder mit Versicherungen zu ersparen und ihm rasch, in einem einfachen Verfahren, zu seinem Schadenersatz zu verhelfen (vgl. Botschaft zur Volksinitiative "zur Entschädigung der Opfer von Gewaltverbrechen", BBl 1983 III S. 890 f. Ziff. 812 und S. 896 Ziff. 10.262). Das Opferhilfegesetz räumt daher dem Opfer ein primäres Recht auf einen Entschädigungs- bzw. Genugtuungsanspruch gegenüber dem Staat ein, der in einem raschen, einfachen und kostenlosen Verfahren durchgesetzt werden kann (BGE 123 II 1 E. 3b S. 4). Dieser Anspruch ist nur insofern subsidiär, als sich das Opfer andere Leistungen, die es als Schadenersatz erhalten hat, anrechnen lassen muss (Art.14 Abs. 1 OHG), und Ansprüche, die ihm aufgrund der Straftat zustehen, auf den Kanton übergehen, dessen Behörde eine Entschädigung oder Genugtuung zugesprochen hat (Art. 14 Abs. 2 OHG).
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Dann aber kann sich auch die Glaubhaftmachung nach Art. 1 OHV nur darauf beziehen, bisher noch nicht entschädigt worden zu sein und keine Schadenersatz- oder Genugtuungsleistungen in nächster Zukunft erwarten zu können (so auch Botschaft zur Volksinitiative, a.a.O. S. 897 Ziff. 10.262; ähnlich auch Botschaft des Bundesrates zum OHG vom 25. April 1990, BBl 1990 II S.976 Ziff. 211.4). Dies entspricht der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach das Entschädigungsverfahren nach Art. 11 ff. OHG nur dann bis zum Abschluss eines hängigen Strafverfahrens sistiert werden darf, wenn das Verfahren vor der Opferhilfestelle ohnehin nicht rascher hätte durchgeführt werden können (BGE 122 II 211 E. 3e S. 216 f.), und es mit Sinn und Zweck der Opferhilfe unvereinbar sei, vom Opfer zu verlangen, zunächst selber einen zivilen Schadenersatzprozess zu führen (BGE 123 II 1 E. 3b S. 4).
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4.3 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beschwerdeführerin noch keine Genugtuungsleistung vom Täter oder von Dritten erhalten hat. Die beschuldigten Personen bestreiten die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Es ist somit nicht zu erwarten, dass sie oder ihre Versicherungen der Beschwerdeführerin alsbald eine Genugtuung bezahlen werden. Schon aus diesem Grund scheitert der Genugtuungsanspruch der Beschwerdeführerin nicht am Erfordernis der Glaubhaftmachung bzw. der Subsidiarität des Opferhilfeverfahrens gemäss Art. 1 OHV.
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4.4 Gemäss Art. 7 Abs. 2 OHG ist das Opfer berechtigt, die Aussage im Strafverfahren zu Fragen zu verweigern, die seine Intimsphäre berühren. Die Inanspruchnahme dieser gesetzlichen Befugnis kann, wie bereits oben dargelegt wurde (E. 3.2.), grundsätzlich nicht als Verletzung der Mitwirkungspflicht im Opferhilfeverfahren qualifiziert werden. Dann aber darf die Aussageverweigerung im Strafverfahren auch nicht als Verletzung der Obliegenheit gemäss Art. 1 OHV bzw. als rechtsmissbräuchliche Vereitelung der Durchsetzung eines Genugtuungsanspruchs gegen den Täter gewertet werden.
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5.
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Im Ergebnis ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde daher gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen.
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Das bundesgerichtliche Verfahren ist kostenlos (Art. 17 OHG; vgl. BGE 122 II 211 E. 4b S. 219). Hingegen hat der Kanton Zürich der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. August 2001 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung an das Sozialversicherungsgericht zurückgewiesen.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Der Kanton Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, II. Kammer, sowie dem Bundesamt für Justiz schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 18. Februar 2002
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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