VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer U 300/2001  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer U 300/2001 vom 29.05.2002
 
[AZA 7]
 
U 300/01 Ge
 
III. Kammer
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer
 
Urteil vom 29. Mai 2002
 
in Sachen
 
H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Appenzell
 
A.- Der 1951 geborene H.________ war als Hilfsmaler bei der Malerei X.________ angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 18. April 1996 stürzte er bei der Arbeit von einem Baugerüst. Nach der medizinischen Erstversorgung wurde er wegen starker Schmerzen lumbal, Kopfschmerzen und Schwindels neurologisch untersucht und radiologisch abgeklärt. U.a. wurde ein Computertomogramm des Schädels angefertigt, das einen normalen Befund ergab. Bei einer ophtalmologischen Untersuchung wurden keine Doppelbilder festgestellt. Am 17. Juni 1996 überwies der Neurologe Dr. A________ den Versicherten zur psychiatrischen Begutachtung und allfälligen Behandlung an den Psychiater Dr. med. B.________. Dieser wies H.________ in die Psychiatrische Klinik X.________ ein, wo er vom 23. Juni bis 29. Juli und wiederum ab 7. August 1996 hospitalisiert war. Laut Bericht vom 29. Juli 1996 wurden eine posttraumatische psychotische Reaktion und eine depressive Entwicklung diagnostiziert. Mit Verfügung vom 2. September 1996 eröffnete die SUVA dem Versicherten, dass die Abklärung und die Behandlung der psychischen Beschwerden nicht zu ihren Lasten gehe. Eine ärztliche Behandlung der Unfallfolgen sei nicht mehr notwendig, weshalb sie die Heilbehandlung mit sofortiger Wirkung einstelle. Das Taggeld sei bis 22. Juni 1996 ausgerichtet worden und bleibe mit diesem Datum eingestellt.
 
Am 20. November 1998 liess H.________ um Wiederherstellung der Einsprachefrist ersuchen und gleichzeitig Einsprache gegen die Verfügung vom 2. September 1996 erheben. Die SUVA erachtete die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der versäumten Frist als nicht erfüllt, weshalb sie auf die Einsprache zufolge Verspätung mit Entscheid vom 13. Januar 1999 nicht eintrat.
 
Mit Eingabe vom 15. Januar 1999 liess H.________ um Revision der Verfügung vom 2. September 1996 ersuchen, welches Begehren die Anstalt mit Verfügung vom 8. März 1999, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999, ablehnte, weil keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorlägen, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen vermöchten.
 
B.- H.________ liess die beiden Einspracheentscheide vom 13. Januar und 28. Mai 1999 beschwerdeweise anfechten. Während er im ersten Fall zur Hauptsache beantragte, die SUVA sei zu verpflichten, auf die Einsprache vom 20. November 1998 einzutreten, stellte er in der Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999 das Begehren, die SUVA sei zu verhalten, ihm in prozessualer Revision der Verfügung vom 2. September 1996 die gesetzlichen Leistungen für die Folgen des Unfalls vom 18. April 1996 zu erbringen. Das Kantonsgericht Appenzell-Innerrhoden vereinigte die beiden Verfahren und wies die Beschwerden nach Eingang der vom Versicherten veranlassten medizinischen Gutachten und eingeholten Arztberichte mit Entscheid vom 26. Juni 2001 ab.
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei festzustellen, dass seine vollständige Invalidität Folge des Unfalls vom 18. April 1996 ist und die SUVA sei zu verpflichten, ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen; eventuell sei diese zu verpflichten, seine Ansprüche neu zu beurteilen, auf die Einsprache vom 20. November 1998 materiell einzutreten oder die Verfügung vom 2. September 1996 prozessual zu revidieren. Des Weiteren habe die Anstalt die Kosten für die medizinischen Abklärungen zu erstatten.
 
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
 
Am 23. Januar 2002 reicht der Versicherte einen audioneurootologischen Bericht des Dr. med. C.________ vom 2. November 2001 ein.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Mit Verfügung vom 2. September 1996 hat die SUVA ihre weitere Leistungspflicht für die Folgen des Unfalls vom 18. April 1996 formell rechtskräftig abgelehnt. Der Beschwerdeführer reichte hiegegen erst am 20. November 1998, über zwei Jahre nach Ablauf der 30-tägigen Frist, Einsprache ein, welche die Anstalt zufolge Fristversäumnis mit Entscheid vom 13. Januar 1999 abwies. Anfechtungsgegenstand bildet insoweit einzig die Frage, ob SUVA und Vorinstanz die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der versäumten Einsprachefrist zu Recht verneint haben. Andererseits hat die SUVA in Bestätigung der Verfügung vom 8. März 1999 mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999 das Gesuch des Beschwerdeführers um prozessuale Revision der Verfügung vom 2. September 1996 abgewiesen. In Bezug auf diesen Entscheid ist lediglich zu prüfen, ob die SUVA es zu Recht abgelehnt hat, die in formelle Rechtskraft erwachsene Verfügung vom 2. September 1996 in Revision zu ziehen. Auf den in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Hauptantrag auf Feststellung der Unfallkausalität der Beschwerden und Zusprechung der gesetzlichen Leistungen ist demgegenüber nicht einzutreten, da es mangels (rechtzeitig angefochtener) Verfügung insoweit an einem Anfechtungsgegenstand und damit an einer Sachurteilsvoraussetzung fehlt (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
 
2.- Die Vorinstanz hat die massgebliche Gesetzesbestimmung über die Wiederherstellung der Frist (Art. 24 VwVG, anwendbar auf die SUVA nach Art. 1 Abs. 2 lit. c VwVG) und die hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 112 V 255 Erw. 2a) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Das Kantonsgericht hat in Würdigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere des Zeugnisses des Dr. med. B.________ vom 18. April 1997, der dem Versicherten ab 16. März 1997 volle Arbeitsfähigkeit attestierte, sowie gestützt auf die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer im März 1997 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug anmeldete und am 7. April 1997 Antrag auf Arbeitslosenentschädigung stellte, richtig festgehalten, dass die bei Erlass der Verfügung vom 2. September 1996 bestehende Krankheit den Beschwerdeführer zwar daran hinderte, innert Frist Einsprache zu erheben, er aber in der Zeit danach, spätestens im Frühjahr 1997, in der Lage gewesen wäre, einen Dritten mit der Interessenwahrung zu beauftragen. Da er dies unterlassen und erst lange nach Wegfall des Hindernisses einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche betraut hat, fällt eine Wiederherstellung der versäumten Einsprachefrist ausser Betracht. Hieran vermögen die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Der Einwand, das Zeugnis des Dr. med. B.________ vom 18. April 1997 enthalte eine Fehlbeurteilung, ist eine durch nichts belegte Behauptung.
 
3.- Nach der Rechtsprechung ist die Verwaltung verpflichtet, im Rahmen einer so genannten prozessualen Revision auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 126 V 24 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
 
Das Kantonsgericht hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu den Begriffen der neuen Tatsache und des neuen Beweismittels (BGE 110 V 138 Erw. 2) in einlässlicher Würdigung der medizinischen Akten richtig festgestellt, dass diese keine abweichende Beurteilung der Kausalitätsfrage zulassen. Insbesondere fehlt der Nachweis einer unfallbedingten organischen Schädigung, welche als wahrscheinliche Ursache für die massiven psychischen Beschwerden zu betrachten wäre. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden keine stichhaltigen Einwendungen gegen die Auffassung der Vorinstanz, wonach die SUVA eine prozessuale Revision der formell rechtskräftigen Verfügung vom 2. September 1996 zu Recht abgelehnt habe, vorgebracht. Namentlich ist diese Verfügung auch nicht mit derart schwerwiegenden Mängeln behaftet, dass auf deren Nichtigkeit geschlossen werden müsste.
 
4.- Der Beschwerdeführer hat nachträglich einen audioneurootologischen Bericht des Dr. med. C.________ vom 2. November 2001 eingereicht. Ungeachtet der Frage, ob dieses nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beigebrachte Privatgutachten letztinstanzlich berücksichtigt werden könnte (vgl. BGE 127 V 353), gilt es festzustellen, dass zu entscheiden ist, ob die SUVA zu Recht die Revision der formell rechtskräftigen Verfügung vom 2. September 1996 abgelehnt hat. Massgebend für die Beurteilung dieser Frage sind die Tatsachen und Beweismittel, die dem Einspracheentscheid vom 28. Mai 1999 zu Grunde lagen, mit welchem die Voraussetzungen für die prozessuale Revision in Bestätigung der Verfügung vom 8. März 1999 verneint wurden (vgl. BGE 116 V 248 Erw. 1a; RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2a). Ob der Bericht des Dr. C.________ vom 2. November 2001 neue Tatsachen enthält oder als neues Beweismittel anzuerkennen ist, das im Lichte der Rechtsprechung eine Revision der Verfügung vom 2. September 1996 begründet, müsste zunächst die SUVA entscheiden. Da der Beschwerdeführer den Bericht jedenfalls innert 90 Tagen seit der damit verbundenen Entdeckung des allfälligen Revisionsgrundes (Art. 67 Abs. 1 VwVG; RKUV 1994 Nr. U 191 S. 145) dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eingereicht hat, könnte ihm die SUVA insoweit keine Fristversäumnis entgegenhalten, wenn er nach Erhalt des vorliegenden Urteils ein neues Revisionsgesuch stellen sollte.
 
5.- Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Da der Versicherte unterliegt, steht ihm keine Parteientschädigung zu (Art. 159 in Verbindung mit Art. 135 OG). Demgemäss entfällt auch der Anspruch auf Vergütung der Kosten der vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebenen medizinischen Gutachten und Berichte (BGE 115 V 62).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen,
 
soweit darauf einzutreten ist.
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer
 
auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss
 
verrechnet.
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht
 
Appenzell I.Rh. und dem Bundesamt für Sozialversicherung
 
zugestellt.
 
Luzern, 29. Mai 2002
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).