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Informationen zum Dokument  BGer 4P.54/2002  Materielle Begründung
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BGer 4P.54/2002 vom 24.06.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.54/2002 /rnd
 
Urteil vom 24. Juni 2002
 
I. Zivilabteilung
 
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident,
 
Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Favre,
 
Gerichtsschreiber Dreifuss.
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Müller, Huobmattstrasse 7, Postfach, 6045 Meggen,
 
gegen
 
B.________ SA
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Daniel Urech, Dufourstrasse 56, Postfach, 8034 Zürich,
 
Schiedsgericht IHK Zürich, c/o Rechtsanwalt Dr. Paolo Michele Patocchi, Vorsitzender, Grand'Rue 25, 1211 Genève 11.
 
Art. 85 lit. c OG sowie Art. 190 Abs. 2 lit. b und Art. 190 Abs. 3 IPRG (Internationales Schiedsgericht; Zuständigkeit)
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Schiedsgerichts IHK Zürich vom 7. Januar 2002
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Sowohl die B.________ SA (Beschwerdegegnerin) als auch die A.________ AG (Beschwerdeführerin) sind Aktiengesellschaften schweizerischen Rechts. Die Beschwerdegegnerin hat ihren Sitz in X.________, die Beschwerdeführerin in Y.________. Zwischen der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, der C.________ AG, und der Beschwerdegegnerin sowie weiteren, im Ausland ansässigen Parteien wurde in § 5 einer Vereinbarung vom 8. Juni 1995 folgende Schiedsregelung getroffen:
 
"Alle künftigen Streitigkeiten aus dieser Vereinbarung zwischen den Parteien ("D.________-Gruppe", "B.________-Gruppe") und C.________ AG sollen endgültig und abschliessend durch ein Schiedsgericht nach der Verfahrensordnung der ICC in Paris, mit Sitz in Zürich, und unter ausschliesslicher Anwendung schweizerischen Rechts entschieden werden."
 
B.
 
Am 1. November 2000 leitete die Beschwerdegegnerin ein Schiedsverfahren gegen die Beschwerdeführerin ein und bezeichnete Rechtsanwalt Dr. Pierre A. Karrer als Parteischiedsrichter. Die Beschwerdeführerin wählte hierauf Professor Dr. Anton K. Schnyder zu ihrem Parteischiedsrichter. Sie behielt sich ausdrücklich das Recht vor, die Zuständigkeit des zu bestellenden Schiedsgerichts im Schiedsverfahren zu bestreiten. Als Vorsitzender wurde auf Vorschlag beider Schiedsrichter Rechtsanwalt Dr. Paolo Michele Patocchi eingesetzt.
 
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zusprechung von CHF 25'650'000.-- als Schadenersatz für entgangenen Gewinn infolge Vertragsverletzung sowie von weiteren, vom Gericht zu bestimmenden Beträgen als Schadenersatz für den Verlust einer Chance und wegen unterlassener technischer Unterstützung. Ferner verlangte sie die Zahlung von CHF 666'667.-- aus dem von der C.________ AG der D.________-Gruppe gewährten Nachlass betreffend Rückzahlung eines Darlehens und von DEM 65'450.-- als Anteil an den Lizenzgebühren betreffend das Prokjekt Z.________, je nebst Zins. Sie behielt sich vor, ihre Rechtsbegehren zu erweitern oder abzuändern.
 
Die Beschwerdeführerin bestritt die Zuständigkeit des angerufenen Schiedsgerichts mit Bezug auf die erhobenen Ansprüche. Sie hielt dafür, diese würden von der Schiedsklausel in § 5 der Vereinbarung vom 8. Juni 1995, mit der ein Lizenzvertrag vom 27./28. Oktober 1993 aufgehoben worden sei, nicht erfasst. Das Schiedsverfahren unterstehe dem Konkordat vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit.
 
Das Schiedsgericht erklärte sich am 7. Januar 2002 für zuständig, über die geltend gemachten Ansprüche zu befinden, und zwar ohne Unterschied, ob das Konkordat oder das 12. Kapitel des IPRG über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit anwendbar sei. Zudem stellte es fest, dass das Verfahren nach Art. 176 Abs. 1 IPRG den in Kapitel 12 IPRG enthaltenen Vorschriften unterliege.
 
C.
 
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde, den Zuständigkeitsentscheid (Ziff. 1 des angefochtenen Entscheides) aufzuheben und die Zuständigkeit des ICC Schiedsgerichts Nr. 11263/DK auf die Beurteilung der Ansprüche der Beschwerdegegnerin gemäss der Vereinbarung vom 8. Juni 1995 sowie der Ansprüche der Beschwerdegegnerin aus dem Lizenzvertrag vom 27. Oktober 1993 zu beschränken.
 
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Schiedsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit von Amtes wegen mit freier Kognition ohne Bindung an die Parteianträge (BGE 128 I 46 E. 1a mit Hinweisen).
 
2.
 
Gemäss Art. 85 lit. c OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Urteile von Schiedsgerichten nach Art. 190 ff. des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291). Anfechtungsobjekt kann dabei nur ein in der Schweiz ergangenes Urteil in einer Schiedsangelegenheit mit internationalem Charakter sein, auf das die Bestimmungen des 12. Kapitels des IPRG betreffend die internationale Schiedsgerichtsbarkeit anwendbar sind. Dies setzt nach Art. 176 Abs. 1 IPRG voraus, dass das Schiedsgericht seinen Sitz in der Schweiz hat, was vorliegend der Fall ist. Weiter muss beim Abschluss der Schiedsvereinbarung wenigstens eine Partei ihren Wohnsitz bzw. Sitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Schweiz gehabt haben. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, liegt eine innerstaatliche Schiedsangelegenheit vor und die Anfechtung des Schiedsspruchs folgt den Regeln des interkantonalen Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit vom 27. März 1969 (SR 279, KSG). Diesfalls entfällt die Möglichkeit, das Bundesgericht direkt nach Art. 191 Abs. 1 IPRG anzurufen und kann der Schiedsspruch nur beim oberen ordentlichen Zivilgericht des Kantons, in dem sich der Sitz des Schiedsgerichts befindet, mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden (Art. 36 in Verbindung mit Art. 3 KSG; Corboz, Le recours au Tribunal Fédéral en matière d'arbitrage international, SJ 2002 II S. 5).
 
Indem der Gesetzgeber bei der Abgrenzung zwischen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und Binnenschiedsgerichtsbarkeit in Art. 176 Abs. 1 IPRG auf das rein formelle Kriterium abstellte, ob beim Abschluss der Schiedsvereinbarung wenigstens eine Partei ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Schweiz hatte, wollte er zum einen grösstmögliche Klarheit und Rechtssicherheit schaffen. Zum anderen erachtete er es als unangebracht, dass Streitigkeiten aus Verträgen zwischen Schweizer Unternehmen, die einen Auslandbezug aufweisen, den Bestimmungen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden (Lalive/Poudret/Reymond, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, Lausanne 1989, N. 4 zu Art. 176 IPRG; Ehrat, in: Basler Kommentar, N. 36 zu Art. 176 IPRG; Walter/Bosch/Brönnimann, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 35; Andreas Bucher, Die neue internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Basel 1989, N. 39 und 46). Diesem Normzweck entsprechend ist es zwei in der Schweiz ansässigen Unternehmen verwehrt, ihren Binnenschiedsstreit zu "internationalisieren" und durch Abrede dem 12. Kapitel des IPRG zu unterstellen. Dies gilt auch, wenn sie über einen internationalen Sachverhalt streiten (Dutoit, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 3. A., N. 2 zu Art. 176 IPRG; Lalive/Poudret/Reymond, a.a.O., N. 3 zu Art. 176 S. 293; Ehrat, a.a.O., N. 36 zu Art. 176 IPRG; Corboz, a.a.O., S. 4 f.).
 
3.
 
Das Schiedsgericht verkannte nicht, dass beide Prozessparteien Sitz in der Schweiz haben und bei Abschluss der Schiedsvereinbarung hatten, als es die Anwendbarkeit des 12. Kapitels des IPRG bejahte. Es hält jedoch dafür, nach dem Wortlaut von Art. 176 Abs. 1 IPRG sei auf den Sitz der vertragsschliessenden Parteien abzustellen. Am Abschluss der Schiedsvereinbarung vom 8. Juni 1995 seien neben den Verfahrensparteien Dritte beteiligt gewesen, die damals im Ausland Wohnsitz gehabt hätten. Im Interesse der Rechtssicherheit müssten die vertragsschliessenden Parteien in einem solchen Fall ab dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wissen, welches Schiedsrecht anwendbar sei. Für die Anwendbarkeit des 12. Kapitels des IPRG könne es daher nicht darauf ankommen, wer wen einklage. Aus diesem Grunde sei hier von einem Fall von internationaler Schiedsgerichtsbarkeit auszugehen.
 
Dem ist nicht beizupflichten. Voraussetzung für die Anwendung des 12. Kapitels ist nicht, dass auch eine ausländische Partei an der Schiedsvereinbarung beteiligt war, sondern einzig, dass sich unter den am Schiedsverfahren beteiligten Parteien zumindest eine befindet, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Ausland hatte (Vischer, in: Heini/Keller/Siehr/Vischer/Volken, IPRG Kommentar, N. 11 zu Art. 176 IPRG). Es kommt dabei einzig auf die Prozessparteien an. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck von Art. 176 Abs. 1 IPRG sprechen dafür, auf den Sitz von Vertragsparteien abzustellen, die am Schiedsverfahren nicht beteiligt sind. Es würde dem Bestreben nach Klarheit und Rechtssicherheit entgegen laufen, wenn für die Ermittlung der Zuständigkeit der Beschwerdeinstanz abgeklärt werden müsste, ob sich neben den am Verfahren beteiligten noch weitere Personen der Schiedsklausel unterworfen haben und wo diese bei deren Abschluss ihren Wohnsitz hatten. Der vom Schiedsgericht als entscheidend erachtete Umstand, dass das anwendbare Schiedsrecht erst bei Anhebung eines Verfahrens gegen bestimmte Parteien feststeht, wenn auf die Verfahrensbeteiligten und nicht auf die vertragsschliessenden Parteien abgestellt wird, vermag daran nichts zu ändern. Danach zu entscheiden, ob eine am Vertragsschluss, aber nicht am Verfahren beteiligte Partei im Ausland ansässig ist, liefe vorliegend darauf hinaus, eine Streitigkeit zwischen Schweizer Unternehmen zu internationalisieren, weil sie einen Sachverhalt mit Auslandsbezug betrifft. Dies wollte der Gesetzgeber mit der in Art. 176 Abs. 1 IPRG getroffenen Regelung im Interesse der Rechtssicherheit gerade ausschliessen. Diese Lösung ist in der Lehre fast einhellig begrüsst worden (vgl. Ehrat, a.a.O., N. 36 zu Art. 176 IPRG; Andreas Bucher, a.a.O., N. 39; Peter Probst, Das Verhältnis zwischen dem Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit und dem 12. Kapitel IPRG, Zürich 1999, S. 19 f. Kritisch jedoch: Bernd von Hoffmann, Anmerkungen zum neuen internationalen Schiedsrecht der Schweiz, in: Böckstiegel (Hrsg.), Die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz (II), Köln/Berlin/Bonn/München 1989, S. 151).
 
4.
 
Da keine Prozesspartei im Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarung im Ausland Wohnsitz hatte, liegt ein Fall von Binnenschiedsgerichtsbarkeit vor und ist die Zuständigkeit des Bundesgerichts nach Art. 191 IPRG nicht gegeben. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten. Diesem Ausgang entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 20'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor Bundesgericht mit Fr. 30'000.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Schiedsgericht IHK Zürich sowie dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Juni 2002
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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