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Informationen zum Dokument  BGer 1P.284/2002  Materielle Begründung
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BGer 1P.284/2002 vom 09.08.2002
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.284/2002 /mks
 
Urteil vom 9. August 2002
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
 
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiber Pfisterer.
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern,
 
Kassationshof des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern.
 
Art. 29 BV (Parteientschädigung i.S. B.________)
 
(Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kassationshofs des Kantons Bern vom 11. Februar 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Wirtschaftsstrafgericht (WSG) des Kantons Bern führte ein Strafverfahren gegen B.________. Am 2. November 2000 sprach es den am 26. Februar 1999 verstorben Angeklagten bezüglich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe des mehrfachen betrügerischen Konkurses frei, erkannte der damaligen amtlichen Verteidigerin eine Entschädigung von Fr. 7'471.35 zu und auferlegte dem Freigesprochenen Verfahrenskosten von Fr. 5'160.60.
 
Die amtliche Verteidigerin vor WSG teilte am 19. Juni 2001 mit, sie ziehe sich aus der Advokatur zurück. Daraufhin setzte der Kassationshof Fürsprecher A.________ mit Verfügung vom 20. Juni 2001 als amtlichen Verteidiger ein.
 
B.
 
Fürsprecher A.________ erhob im Namen von B.________ sel. am 11. Juli 2001 Appellation gegen das Urteil des WSG und beantragte insbesondere, es seien die gesamten Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz, soweit den Appellanten betreffend, dem Kanton aufzuerlegen. Zudem sei dem Appellanten eine Parteientschädigung auszurichten, die dessen Verteidigungsaufwand für das erst- und das oberinstanzliche Urteil decke. Im schriftlichen Parteivortrag vom 5. November 2001 wiederholte er sinngemäss diese Anträge.
 
Der Kassationshof des Kantons Bern stellte im Entscheid vom 8./11. Februar 2002 fest, dass B.________ sel. von den Anschuldigungen des betrügerischen Konkurses rechtskräftig freigesprochen und ihm eine Entschädigung von Fr. 7'471.35 zugesprochen worden sei. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Verfahrenskosten halbierte der Kassationshof den B.________ sel. auferlegten Betrag, auferlegte ihm für das oberinstanzliche Verfahren Kosten von Fr. 500.-- und sprach ihm ein weiteres Drittel erstinstanzlicher Parteikostenentschädigung zu. Weiter kürzte der Kassationshof das von Fürsprecher A.________ für das zweitinstanzliche Verfahren geltend gemachte Anwaltshonorar von Fr. 5'998.05.-- auf pauschal Fr. 3'600.-- und gestand ihm entsprechend dem Verfahrensausgang unter dem Titel "Entschädigung" Fr. 1'800.-- zu; von den verbleibenden Fr. 1'800.-- bewilligte der Kassationshof das amtliche Honorar von Fr. 1'200.--, was zwei Dritteln von Fr. 1'800.-- entspricht (Art. 17 Abs. 1 des bernischen Dekretes vom 6. November 1973 über die Anwaltsgebühren).
 
C.
 
Fürsprecher A.________ führt gegen das Urteil des Kassationshofs des Kantons Bern vom 8./11. Februar 2002 staatsrechtliche Beschwerde. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides hinsichtlich der Festlegung der oberinstanzlichen (amtlichen) Entschädigung.
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern verzichtet auf Vernehmlassung und spricht sich für die kostenfällige Abweisung der Beschwerde aus. Der Kassationshof des Kantons Bern schliesst sinngemäss ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid, der ihm eine tiefere als die geforderte Entschädigung zuerkannte, in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG). Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf seine staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er macht geltend, vor der Honorarkürzung wäre ihm Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen gewesen.
 
2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör der an einem Verfahren beteiligten Partei bestimmen sich zunächst nach Massgabe des kantonalen Rechts. Unabhängig davon greifen die unmittelbar aus Art. 29 BV (bzw. Art. 4 aBV) folgenden bundesrechtlichen Minimalgarantien Platz. Die Auslegung des kantonalen Gesetzes- und Verordnungsrechts überprüft das Bundesgericht auf Willkür hin; mit freier Kognition prüft es demgegenüber, ob unmittelbar aus Art. 29 BV (bzw. Art. 4 aBV) folgende Regeln missachtet wurden (BGE 125 I 417 E. 7a S. 430; 124 I 241 E. 2, je mit Hinweisen).
 
2.2 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeeingabe die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darstellung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 127 I 38 E. 3c, 126 I 235 E. 2a, 126 III 524 E. 1c, 534 E. 1b, mit Hinweisen).
 
2.3 Der Beschwerdeführer nennt für die von ihm behauptete Praxis der bernischen Gerichte, wonach dem Anwalt jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben sei, bevor eine Kostennote gekürzt werde, keine Rechtsgrundlage. Er bringt auch sonst weder Belege vor noch legt er anderweitig die näheren Voraussetzungen dieser Praxis dar. Zudem lässt sich aus den bernischen Gesetzesgrundlagen ein Anspruch, wie ihn der Beschwerdeführer behauptet, nicht ohne weiteres Ableiten. Die vorliegende Beschwerdeschrift vermag hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung kantonaler Gerichtspraxis bzw. kantonaler Gesetzesvorschriften den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht zu genügen. Insoweit ist auf diese Vorbringen nicht einzutreten.
 
2.4 Zu prüfen bleibt somit, ob und inwiefern der unmittelbar aus Art. 29 BV (bzw. Art. 4 aBV) abgeleitete Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs missachtet worden ist.
 
2.4.1 Aus dem Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs von Art. 29 Abs. 2 BV folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat. Die Begründung eines Entscheids muss so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Die Behörde hat wenigstens kurz die Überlegungen zu nennen, von denen sie sich leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt (BGE 126 I 97 E. 2 S. 102; 116 IV 288 E. 2c S. 291, je mit Hinweisen). Weil dem Anspruch von Art. 29 Abs. 2 BV (bzw. Art. 4 aBV) gegenüber dem kantonalen Verfahrensrecht nur subsidiäre Bedeutung zukommt, dürfen an die Begründung eines kantonalen Entscheids keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, insbesondere dann nicht, wenn das kantonale Recht selbst keine Pflicht zur Begründung vorsieht. Weiter sind die Anforderungen an die Begründung umso höher, je grösser der Entscheidungsspielraum der Behörde ist und je stärker ein Entscheid in individuelle Rechte eingreift (BGE 112 Ia 107 E. 2b mit Hinweisen). Dementsprechend muss ein Kosten- und Entschädigungsentscheid unter Umständen gar nicht begründet werden bzw. eine äusserst knappe Begründung kann genügen, zum Beispiel dann, wenn bezüglich der Höhe eines Kosten- oder Entschädigungsbetrags alle tatbeständlichen und rechtlichen Berechnungsgrundlagen klar sind oder wenn der Behörde bei Abschluss des Verfahrens keine (detaillierte) Kostennote vorliegt (BGE 111 Ia 1 E. 2a S. 1; 93 I 116 E. 2 S. 120). Eine Begründungspflicht wird jedoch unter anderem dann angenommen, wenn der Richter den Rechtsvertreter zur Einreichung einer Kostennote auffordert und die Parteientschädigung abweichend von der Kostennote auf einen bestimmten, nicht der üblichen, praxisgemäss gewährten Entschädigung entsprechenden Betrag festsetzt. In einem solchen Fall kann nicht mehr davon gesprochen werden, der Anwalt vermöge die Überlegungen, die den Richter zu einem solchen Entschädigungsentscheid führten, auch ohne Begründung zu erkennen. Der richterlich festgesetzte niedrigere Betrag erlaubt nicht zu erkennen, bezüglich welcher Positionen oder Ansätze der Richter die Honorarrechnung in welchem Umfang beanstandet, sondern lässt allein den Schluss zu, dass er sie insgesamt als zu hoch befand. Eine sachgerechte Anfechtung wird damit verunmöglicht (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 181/94 vom 23. März 1995, E. 1b).
 
2.4.2 Der Kassationshof forderte den Beschwerdeführer am 8. Februar 2002 auf, eine Kostennote einzureichen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung mit Schreiben vom 11. Februar 2002 nach und machte einen Aufwand von insgesamt 24 Stunden und 10 Minuten oder Fr. 5'500.-- geltend, zuzüglich Auslagen von Fr. 74.40 und MwSt von Fr. 423.65, total Fr. 5'998.05. Gleichentags kürzte der Kassationshof die Kostennote pauschal auf Fr. 3'600.--, inklusive Auslagen und MwSt ("3600 p inkl A und MWSt"), ohne diesen Entscheid separat oder im angefochtenen Urteil zu begründen.
 
Für den geltend gemachten Aufwand von 24 Stunden und 10 Minuten sprach der Kassationshof einen Netto-Betrag von gerundeten Fr. 3'250.-- (exkl. MwSt und Auslagen) zu und wich damit um rund ein Drittel vom beantragten Honorar ab. Die Parteientschädigung entspricht nach der Kürzung einem Ansatz von ungefähr Fr. 135.-- pro Stunde, anstelle des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Stundenansatzes von Fr. 230.-- (Fr. 5'500.-- / 24 Stunden und 10 Minuten). Dieses erhebliche Abweichen von der richterlich einverlangten Kostennote hätte zumindest summarisch begründet werden müssen. Aufgrund der pauschalen Kürzung ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kassationshof die Kostennote nicht in der beantragten Höhe genehmigte.
 
3.
 
Die Rüge der Gehörsverweigerung ist somit begründet. Angesichts der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BGE 127 I 128 E. 4d S. 132; 127 V 431 E. 3d S. 437, je mit Hinweisen) ist der Entscheid des Kassationshofs im angefochtenen Umfang aufzuheben.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Praxisgemäss ist dem Beschwerdeführer nach Massgabe seines Obsiegens eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. BGE 125 II 518 ff.).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen soweit darauf einzutreten ist, und Ziffer II. B. 3. lit. b sowie Ziffer III. lit. b des Urteiles des Kassationshofs des Kantons Bern vom 11. Februar 2002 werden aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator und dem Kassationshof des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. August 2002
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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