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Informationen zum Dokument  BGer I 303/2002  Materielle Begründung
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BGer I 303/2002 vom 16.09.2002
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 303/02
 
Urteil vom 16. September 2002
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Fessler
 
Parteien
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________, 1940, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Remi Kaufmann, Marktgasse 20, 9000 St. Gallen
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
(Entscheid vom 24. Januar 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.________ ersuchte im Juli 1999 die Invalidenversicherung um Arbeitsvermittlung und eine Rente. Nach Abklärungen und nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens lehnte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 24. Januar 2000 das Leistungsbegehren ab.
 
B.
 
Die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 24. Januar 2002 in dem Sinne gut, dass es die Ablehnungsverfügung aufhob und die Sache zur weiteren Abklärung und neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurückwies.
 
C.
 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben.
 
Während B.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung schliessen lässt, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung deren Gutheissung.
 
D.
 
Mit Eingabe vom 30. August 2002 hat der Rechtsvertreter von B.________ das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung zurückgezogen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Im angefochtenen Entscheid werden die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des streitigen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
In Bezug auf die Invaliditätsbemessung ist sodann unbestritten, dass die Beschwerdegegnerin ohne gesundheitliche Beeinträchtigung neben der Führung des Haushalts im zeitlichen Umfang von 50 % eines Normalarbeitspensums als Kinderkrankenschwester erwerbstätig wäre. Zu einer näheren Prüfung dieser Annahme besteht auf Grund der Akten kein Anlass (BGE 125 V 415 Erw. 1b in fine und 417 oben). Es gelangt somit die gemischte Methode gemäss Art. 27bis Abs. 1 IVV zur Anwendung.
 
2.
 
2.1 Nach der Gerichts- und Verwaltungspraxis sind bei der Bemessung der Invalidität im erwerblichen Bereich die Vergleichsgrössen Validen- und Invalideneinkommen im zeitlichen Rahmen der ohne Gesundheitsschaden (voraussichtlich dauernd) ausgeübten Teilerwerbstätigkeit zu bestimmen. Die Behinderung bei der Haushaltführung wird mittels eines Betätigungsvergleichs ermittelt (Art. 27 IVV). Dabei bleibt eine allfällige verminderte Leistungsfähigkeit in einem Teilbereich infolge der Beanspruchung im anderen Tätigkeitsfeld unberücksichtigt (BGE 125 V 159 Erw. 5c/dd). Die so erhaltenen Teilinvaliditäten werden gewichtet, wobei der Anteil der Erwerbstätigkeit dem zeitlichen Umfang der vom Versicherten ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübten Beschäftigung im Verhältnis zu der im betreffenden Beruf üblichen (Normal-)Arbeitszeit entspricht. Wird der so erhaltene Wert mit 'a' bezeichnet, ergibt sich der Anteil des Aufgabenbereichs nach Art. 5 Abs. 1 IVG aus der Differenz 1-a. Die Summe der so gewichteten Teilinvaliditäten ergibt den für den Rentenanspruch massgeblichen Invaliditätsgrad (vgl. BGE 125 V 148 ff. Erw. 2a und b mit Hinweisen).
 
In Anwendung dieser Regeln ermittelte die Verwaltungsgerichtsbeschwerde führende IV-Stelle einen Invaliditätsgrad von 24 % (0,5 x 41 % + 0,5 x 6 %=23,5 %), was nach Art. 28 Abs. 1 IVG keinen Rentenanspruch begründet.
 
2.2 Nach Auffassung des kantonalen Gerichts widerspricht die Praxis zur gemischten Methode dem Zweck der gesetzlichen Regelung (Art. 27bis IVV sowie Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 IVG), welcher nur darin bestehen könne, der tatsächlichen, auf eine Tagesleistung bezogenen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit Rechnung zu tragen. Das sei nur möglich, wenn die gegenseitige Abhängigkeit der Leistungsfähigkeit in der Teilerwerbstätigkeit und in der Haushaltführung berücksichtigt werde. Andernfalls würden die Teilerwerbstätigen gegenüber den Vollerwerbstätigen und den nur in einem Bereich gemäss Art. 5 Abs. 1 IVG Tätigen willkürlich schlechter gestellt. Der gegenseitigen Beeinflussung der Leistungsfähigkeit eines Teilerwerbstätigen im erwerblichen Bereich und im Haushalt sei dadurch Rechnung zu tragen, dass sowohl der Erwerbsteil als auch der Haushaltteil je als vollzeitlich betrachtet und ein regulärer Einkommensvergleich für eine (hypothetisch) vollerwerbstätige und ein regulärer Betätigungsvergleich für eine (hypothetisch) nur im Haushalt tätige Person vorgenommen würden. Anschliessend seien die beiden so ermittelten Invaliditätsgrade im Ausmass der jeweiligen Tätigkeit (hier hälftig) zu kürzen und dann zu addieren, wobei die maximale Stundenzahl einer ausserhäuslichen Tätigkeit im Normalpensum 100 % der anrechenbaren Gesamtaktivität ausmache.
 
2.2.1 Die Kritik der Vorinstanz an der geltenden Gerichts- und Verwaltungspraxis zur gemischten Methode der Invaliditätsbemessung ist nicht neu. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat bereits im Urteil B. vom 23. Oktober 2001 (I 297/01) hiezu Stellung genommen und im Wesentlichen unter Hinweis auf seine Erwägungen in BGE 125 V 159 Erw. 5c/dd sowie das dort erwähnte Präjudiz vom 19. Mai 1993 (I 417/92) eine Änderung der Rechtsprechung (vgl. dazu BGE 127 V 273 Erw. 4a mit Hinweisen) im Sinne der Bemessung der Invalidität im erwerblichen Bereich bezogen auf eine Ganztagestätigkeit abgelehnt. Anders zu entscheiden, besteht auch vorliegend kein Anlass.
 
2.2.2 Vorab widerspricht sich die Vorinstanz bei ihrer Kritik insofern selber, als sie eine Schlechterstellung der Teilerwerbstätigen gegenüber den Vollerwerbstätigen und den nur in einem Bereich gemäss Art. 5 Abs. 1 IVG Tätigen ortet, an anderer Stelle aber ausführt, Art. 27bis IVV nehme bewusst eine Ungleichbehandlung zwischen hypothetisch ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voll oder nur teilzeitlich Erwerbstätigen in Kauf, indem bei jenen die gemischte Methode zum vornherein nicht anwendbar sei. Dieser Schluss wiederum beruht auf der vom kantonalen Gericht selber als «zugegebenermassen etwas schematisch» bezeichneten Prämisse, «dass auch einem gesunden vollzeitlich Erwerbstätigen die gleichzeitige Besorgung eines (Durchschnitts-)Haushalts unzumutbar ist und deshalb bei der Invaliditätsbemessung auf jeden Fall ausser Betracht bleiben muss. Dem gesunden teilzeitlich Erwerbstätigen hingegen ist die gleichzeitige Besorgung des Haushaltes zumutbar, da damit die tägliche Normalarbeitszeit kaum massgeblich überschritten wird». Abgesehen davon, dass sich dem Gesetz keine Hinweise entnehmen lassen, welche diese Annahmen stützten, erscheinen sie im Zusammenhang auch sachfremd. Im Gegenteil besteht bei gesunden Vollerwerbstätigen und umso mehr bei Teilerwerbstätigen die Vermutung, dass ihnen neben der ausserhäuslichen Arbeit die Führung des Haushaltes grundsätzlich zumutbar ist. Es kommt dazu, dass sich die Vorinstanz insofern zu wenig einlässlich mit der geltenden Rechtsprechung auseinandersetzt, als sie sich zu einem entscheidenden Aspekt der gemischten Methode überhaupt nicht äussert. Gemeint sind die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen im erwerblichen Bereich (Einkommensvergleich) und im Aufgabenbereich nach Art. 5 Abs. 1 IVG (Betätigungsvergleich). Mit dieser im Gesetz angelegten Regelung sowie den damit verbundenen Implikationen (vgl. dazu BGE 125 V 160 f. Erw. 5c/dd) verträgt sich das vom kantonalen Gericht verfochtene Modell einer gesamten zumutbaren Tagesleistung als Bezugsgrösse für die Invaliditätsbemessung nicht.
 
3.
 
3.1 Die IV-Stelle hat eine Teilinvalidität im erwerblichen Bereich von 41 % ermittelt. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal auch das kantonale Gericht an sich von derselben Arbeitsfähigkeit von 50 % in leidensangepassten Tätigkeiten ausgeht wie die Verwaltung. Entgegen der Vorinstanz wird diese Einschätzung nicht durch die Tatsache relativiert, dass aus ärztlicher Sicht die Einschränkung bei der Besorgung des Haushaltes (lediglich) 20-30 % beträgt.
 
3.2 Der Betätigungsvergleich hat eine Behinderung im Haushalt von 6 % ergeben. Selbst wenn zu Gunsten der Beschwerdegegnerin auf die davon abweichende ärztliche Einschätzung abgestellt würde, änderte sich am Ergebnis einer fehlenden anspruchsbegründenden Invalidität nichts.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. Januar 2002 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 16. September 2002
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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