BGer I 459/2002 | |||
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BGer I 459/2002 vom 29.10.2002 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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I 459/02
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Urteil vom 29. Oktober 2002
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IV. Kammer
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Besetzung
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Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Keel Baumann
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Parteien
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J.________, 1953, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz, Schwanengasse 8, 3011 Bern,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
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(Entscheid vom 28. Mai 2002)
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Sachverhalt:
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A.
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Mit Vorbescheid vom 6. Dezember 2001 orientierte die IV-Stelle des Kantons Aargau den 1953 geborenen J.________, dass sie beabsichtige, ihm rückwirkend ab 1. April 2000 eine halbe Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 58 % zuzusprechen. Hiegegen opponierte J.________ in einem an die Verwaltung gerichteten Schreiben vom 12. Dezember 2001. Im Weitern liess er innert der ihm zur Stellungnahme gesetzten 14-tägigen Frist durch den von ihm zwischenzeitlich beigezogenen Rechtsanwalt um Aktenzustellung und Fristerstreckung für die Einreichung einer (weiteren) Stellungnahme ersuchen (Schreiben vom 18. Dezember 2001). Die IV-Stelle sandte dem Rechtsvertreter die Akten (Posteingang: 25. Januar 2002) und setzte ihm eine Frist für die Rückgabe von 20 Tagen (d.h. bis 14. Februar 2002). Nachdem der Rechtsvertreter die IV-Stelle am 28. Januar 2002 darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie sein Fristerstreckungsgesuch vom 18. Dezember 2001 noch nicht behandelt hatte, retournierte er ihr am 30. Januar 2002 die Akten. Am 13. Februar 2002 erliess die IV-Stelle die im Sinne des Vorbescheides lautende, das Leistungsbegehren ablehnende Verfügung, welche sie irrtümlich nicht dem Rechtsvertreter, sondern dem Versicherten zustellte. Nach Eingang eines ebenfalls am 13. Februar 2002 gestellten erneuten Gesuchs um Erstreckung der Frist bis 22. März 2002 teilte die Verwaltung dem Rechtsvertreter mit, diese erübrige sich, weil sein Mandant am 19. (recte 12.) Dezember 2001 einen schriftlichen Einwand gemacht habe und die Verfügung bereits am 13. Februar 2002 erlassen worden sei (Schreiben vom 19. Februar 2002). Auf ein Gesuch um Wiedererwägung der Verfügung vom 13. Februar 2001 trat die IV-Stelle schliesslich am 11. März 2002 nicht ein.
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B.
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Am 11. März 2002 liess J.________ Beschwerde erheben und beantragen, die Verfügung vom 13. Februar 2002 sei aufzuheben bzw. nichtig zu erklären und es sei ihm eine ganze Invalidenrente auszurichten; eventualiter seien die Akten an die Vorinstanz zurückzuweisen und es sei ein ärztliches Gutachten zur Abklärung der Erwerbsfähigkeit in Auftrag zu geben; subeventualiter seien die Akten an die IV-Stelle zurückzuweisen und es sei ein Arbeitsversuch durchzuführen. Mit Entscheid vom 28. Mai 2002 wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde ab.
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C.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt J.________ das Rechtsbegehren stellen, die Verfügung und der kantonale Entscheid seien aufzuheben und es sei die Sache an die IV-Stelle zur Durchführung des Vorbescheidverfahrens und anschliessender Neubeurteilung zurückzuweisen; eventualiter sei ihm eine ganze Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Vorab ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aus der mangelhaften Eröffnung der Verfügung - die Zustellung erfolgte an ihn statt an seinen Rechtsvertreter - nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag. Denn nach ständiger Rechtsprechung führt die fehlerhafte Eröffnung nicht zur Nichtigkeit der Verfügung; verlangt wird nur, dass der Verfügungsadressat keinen Nachteil erleidet (BGE 111 V 150 Erw. 4c mit Hinweisen; BGE 122 I 99 Erw. 3a/aa; ARV 2002 S. 68 Erw. 3a). Ein solcher ist nicht ersichtlich, da die Verfügung rechtzeitig angefochten wurde.
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2.
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Streitig und zu prüfen ist, ob das Vorbescheidverfahren korrekt durchgeführt worden ist, dies mit Blick darauf, dass die IV-Stelle die Verfügung vom 13. Februar 2002 erliess, ohne das vom Rechtsvertreter des Versicherten am 18. Dezember 2001 gestellte Gesuch um Erstreckung der Frist zur Einreichung einer (weiteren) Stellungnahme zu behandeln. Nach dem angefochtenen Entscheid kann offen gelassen werden, ob in diesem Vorgehen der Verwaltung eine Gehörsverletzung zu erblicken ist, weil diese im kantonalen Verfahren auf jeden Fall geheilt worden wäre, welcher Auffassung sich die IV-Stelle anschliesst. Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer den Standpunkt, es handle sich um eine so schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs, dass eine Heilung im nachfolgenden Beschwerdeverfahren nicht möglich sei.
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3.
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3.1 Gemäss Art. 73bis IVV hat die IV-Stelle, bevor sie über die Ablehnung eines Leistungsbegehrens oder über den Entzug oder die Herabsetzung einer bisherigen Leistung beschliesst, dem Versicherten oder seinem Vertreter Gelegenheit zu geben, sich mündlich oder schriftlich zur geplanten Erledigung zu äussern und die Akten seines Falles einzusehen (Abs. 1). Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn die Versicherung offensichtlich nicht leistungspflichtig ist (Abs. 3; vgl. zum Ganzen auch Rz 3015 ff. des vom BSV herausgegebenen Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung [KSVI]).
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Das Vorbescheidverfahren im Sinne von Art. 73bis IVV bezweckt - nebst der Entlastung der Verwaltungsrechtspflegeorgane - dem Versicherten den Anspruch auf rechtliches Gehör zu gewährleisten (BGE 124 V 182 Erw. 1c mit Hinweisen; vgl. dazu auch Art. 29 Abs. 2 BV). Bei der Anhörung soll der Versicherte sämtliche Anträge und Einwendungen bezüglich der geplanten Erledigung - von der Abklärung der Verhältnisse bis hin zur beabsichtigten Rechtsanwendung - vorbringen können. Die Regelung in Art. 73bis IVV geht insoweit über den in Art. 29 Abs. 2 BV garantierten Mindestanspruch hinaus, als der Versicherte oder sein Rechtsvertreter nicht nur zu den erhobenen Beweisen, sondern auch zur geplanten Rechtsanwendung Stellung nehmen kann (BGE 125 V 405 Erw. 3e mit Hinweisen; Urteil G. vom 24. Juli 2002, I 584/01).
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3.2 Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).
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Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
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3.3 Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden hat, liegt eine schwere Form der Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn ein nach Erlass des Vorbescheids eingereichtes Begehren um Aktenedition oder eine Stellungnahme zum Vorbescheid unberücksichtigt geblieben ist, indem auf die Vorbringen nicht eingegangen wurde (BGE 124 V 182 Erw. 2; Urteile T. vom 7. August 2000, I 184/00, und F. vom 19. April 2000, I 30/00). Im kürzlich ergangenen Urteil G. vom 24. Juli 2002 (I 584/01) hielt es fest, dass es sich ebenso verhält, wenn die Verwaltung - ohne dass ein Anwendungsfall von Art. 73bis Abs. 3 IVV gegeben wäre - überhaupt kein Vorbescheidverfahren durchführt und ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs eine rentenablehnende Verfügung erlässt (vgl. auch SVR 1996 IV Nr. 98 S. 298 Erw. 2d in fine).
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4.
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Im vorliegenden Fall erhielt der Versicherte zwar Gelegenheit, sich zum Vorbescheid zu äussern, wovon er am 12. Dezember 2001 denn auch Gebrauch machte. Indessen gab er noch während laufender Frist - über den zwischenzeitlich beigezogenen Rechtsvertreter - zu erkennen, dass er eine weitere Stellungnahme abzugeben beabsichtige, und ersuchte hiefür um Zustellung der Akten und Erstreckung der im Vorbescheid angesetzten Frist. Indem die Verwaltung auf das entsprechende Fristerstreckungsgesuch überhaupt nicht einging und die rentenablehnende Verfügung dessen ungeachtet erliess, hat sie das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Diese Verletzung wiegt ebenso schwer, wie wenn das Vorbescheidverfahren überhaupt nicht durchgeführt worden wäre. Denn nachdem der Versicherte einen Rechtsvertreter beigezogen und der Verwaltung signalisiert hatte, dass er sich nochmals - fachkundig vertreten - äussern wollte, kam der von ihm bereits am 12. Dezember 2001 abgegebenen Stellungnahme keine wesentliche Bedeutung mehr zu. Entgegen der Auffassung von Vorinstanz und IV-Stelle ist somit von einer schwerwiegenden, keiner Heilung zugänglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs auszugehen. Der angefochtene Entscheid und die Verwaltungsverfügung sind daher aufzuheben und die Sache ist zur Gewährung des rechtlichen Gehörs (Durchführung des Vorbescheidverfahrens) und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons Aargau vom 28. Mai 2002 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 13. Februar 2002 aufgehoben und die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen zur Durchführung des Vorbescheidverfahrens und zum Erlass einer neuen Verfügung.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Die IV-Stelle des Kantons Aargau hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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4.
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Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 29. Oktober 2002
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
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