BGer 1P.671/2003 | |||
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BGer 1P.671/2003 vom 04.02.2004 | |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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1P.671/2003 /sta
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Urteil vom 4. Februar 2004
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I. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
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Bundesgerichtsvizepräsident Nay, Bundesrichter Féraud,
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Gerichtsschreiber Störi.
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Parteien
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X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Joachim Lerf,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Zaehringenstrasse 1, 1700 Freiburg,
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Kantonsgericht Freiburg, Strafkammer, Postfach 56, 1702 Freiburg.
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Gegenstand
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Art. 26, 27, 29 Abs. 2 und Art. 36 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Beschlagnahme),
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg, Strafkammer, vom 8. Oktober 2003.
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Sachverhalt:
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A.
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Im Zuge eines Strafverfahrens gegen X.________ wegen Betäubungsmitteldelikten erliess der Untersuchungsrichter Y.________ am 2. Oktober 2002 einen Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl, gestützt auf den die Kantonspolizei am 9. Oktober 2002 in A.________ 106 Kartonkisten mit Hanf beschlagnahmte.
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Im Rahmen des von X.________ angestrengten Beschwerdeverfahrens stellte die Strafkammer des Kantonsgerichts Freiburg am 23. Januar 2003 fest, der Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl vom 2. Oktober 2002 sei mangelhaft und ordnete ihrerseits rückwirkend auf den 9. Oktober 2002 die Beschlagnahme der 106 Hanfkisten an.
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Auf staatsrechtliche Beschwerde von X.________ hin hob das Bundesgericht den Entscheid der Strafkammer mit Urteil vom 16. Mai 2003 auf. Es erwog, eine bereits durchgeführte rechtswidrige Beschlagnahme könne nicht nachträglich verfügt und so gerechtfertigt werden; hingegen könne eine solche neu angeordnet werden, wenn im Zeitpunkt der neuen Anordnung die Voraussetzungen dafür erfüllt seien.
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B.
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Am 4. Juni 2003 hob die Strafkammer den Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl des Untersuchungsrichters vom 2. Oktober 2002 auf und wies diesen an, unverzüglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Beschlagnahme der Hanfkisten im jetzigen Zeitpunkt erfüllt seien und diese je nachdem zu beschlagnahmen oder X.________ herauszugeben.
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Mit Verfügung vom 17. Juni 2003 beschlagnahmte der Untersuchungsrichter die 106 Hanfkisten.
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Mit Beschwerde vom 30. Juni 2003 beantragte X.________ primär, es sei festzustellen, der Hanf sei unwiederbringlich zerstört, und subsidiär, die Ware sei ihm herauszugeben.
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Am 25. Juli 2003 besichtigte der Untersuchungsrichter das Hanfdepot und stellte fest, der Hanf sei in gutem, getrocknetem Zustand und eigne sich weiterhin zur Verwendung als Betäubungsmittel. Gestützt auf diesen Befund beantragte er der Strafkammer, die Beschwerde abzuweisen. X.________ machte in seiner Vernehmlassung geltend, der Untersuchungsrichter habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem er das Hanfdepot besichtigt habe, ohne ihn dazu eingeladen zu haben; ausserdem seien dessen Feststellungen über den Zustand des Hanfs zweifelhaft, seien doch auf den Fotos Anzeichen für Gärungsvorgänge und Schimmelbefall erkennbar.
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Die Strafkammer wies die Beschwerde am 8. Oktober 2003 ab.
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C.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. November 2003 wegen Verletzung der Art. 26, Art. 27, Art. 29 Abs. 2 und Art. 36 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK beantragt X.________, diesen Entscheid der Strafkammer aufzuheben.
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Die Strafkammer und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Auf die Beschwerde ist aus den gleichen Gründen einzutreten wie im ersten in dieser Sache ergangenen Urteil vom 16. Mai 2003.
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2.
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2.1 Wie schon in seiner Beschwerde an die Strafkammer macht der Beschwerdeführer geltend, der Untersuchungsrichter habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem er ihn nicht an der Besichtigung des Hanfdepots habe teilnehmen lassen. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 42 lit. c der Strafprozessordnung des Kantons Freiburg vom 14. November 1996 (StPO) habe er das Recht, an allen "von einem Richter persönlich durchgeführten Beweiserhebungen beizuwohnen". Die Strafkammer habe dazu unter Verletzung ihrer Begründungspflicht ausgeführt, es sei "offensichtlich", dass diese Besichtigung keine Beweiserhebung im Sinne von Art. 42 StPO darstelle, weshalb der Untersuchungsrichter nicht verpflichtet gewesen sei, ihn dazu einzuladen. Dies sei indessen keineswegs "offensichtlich", sondern falsch. Der Untersuchungsrichter habe nämlich entgegen dem ihm von der Strafkammer erteilten Auftrag beim Erlass des Beschlagnahmebefehls am 17. Juni 2003 nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme des Hanfs gegeben seien und habe dies mit dessen Besichtigung vom 25. Juli 2003 nachgeholt. Diese stelle somit einen richterlichen Augenschein bzw. eine Untersuchung von Beweisgegenständen im Sinne der Art. 74 ff. StPO dar, zu der er zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs hätte beigezogen werden müssen. Die Strafkammer habe daher Art. 29 Abs. 2 BV verletzt, indem sie dieses Vorgehen des Untersuchungsrichters geschützt habe.
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2.2 Der Untersuchungsrichter erwog in der Verfügung vom 17. Juni 2003, er habe nach Art. 122 StPO die Beschlagnahme von Gegenständen anzuordnen, die als Beweisstücke dienen könnten oder deren Einziehung in Frage komme. Er kam zum Schluss, diese Voraussetzungen seien bei den 106 bereits am 9. Oktober 2002 sichergestellten Hanfkisten erfüllt, und beschlagnahmte sie. Nachdem der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an die Strafkammer ernsthafte Zweifel an der Lagerung des Hanfs vorgebracht und die Vermutung geäussert hatte, die Ware sei bereits verdorben, prüfte der Untersuchungsrichter deren Zustand und erstattete darüber nach einer Besichtigung den streitigen Bericht. Das Kantonsgericht stellte im angefochtenen Urteil darauf ab. Zur Begründung führte es einerseits an, es bestehe keine Gefahr, dass der Hanf mit der Beschlagnahme dem Beschwerdeführer endgültig und nicht bloss vorübergehend entzogen werde. Anderseits hielt es fest, die Rüge, der Hanf sei zerstört worden, erweise sich somit als unbegründet, so dass dessen weiteren auf dieser Annahme aufbauenden Vorbringen ins Leere stiessen. Mit diesen hatte der Beschwerdeführer geltend gemacht, der Hanf sei heute verdorben, weshalb er weder als Beweismittel dienen könne noch für eine Einziehung an den Staat in Betracht falle, womit die Voraussetzungen für die Beschlagnahme nach Art. 122 StPO nicht mehr erfüllt seien; daran wird auch in der staatsrechtlichen Beschwerde festgehalten. Der Bericht wurde demnach nicht nur als Beweis für ordnungsgemässe Lagerung verwendet, sondern auch, um den Einwand gegen die Beschlagnahme zu verwerfen und diese zu bestätigen; insoweit fand also durchaus eine Beweisabnahme im Strafverfahren statt, die zudem auch noch zur Begründung der Einziehung wird Verwendung finden können. Deshalb hat das Kantonsgericht Art. 42 lit. c StPO in willkürlicher Weise nicht auf die untersuchungsrichterliche Prüfung des beschlagnahmten Hanfs angewendet und das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt.
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3.
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Unter Berufung auf BGE 129 I 103 bringt der Beschwerdeführer vor, der Beschlagnahme von Hanf komme ein definitiver, nicht ein bloss vorläufiger Charakter zu, weshalb die in Art. 6 Ziff. 1 EMRK für ein faires Verfahren vorgesehenen Garantien zur Anwendung gelangen müssten; sie seien nicht erfüllt. Seiner Ansicht nach müsste unter diesen Umständen auch die Rechtsweggarantie von Art. 32 Abs. 3 BV (Überprüfung durch ein höheres Gericht) zur Anwendung gelangen.
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In BGE 129 I 103 war die Beschlagnahme von lebenden Hanfpflanzen und Hanfstecklingen zu beurteilen, die nur mit einer aufwändigen Pflege erhalten werden können. Die Stecklinge können zudem offenbar nur während sechs Wochen als solche verwendet werden und verlieren jeden kommerziellen Wert, wenn sie älter sind. Das Bundesgericht kam daher zum Schluss, die Beschlagnahme der Pflanzen verhindere deren Verwendung zum vorgesehenen Zweck endgültig, was rechtfertige, das Rechtsmittelverfahren darüber als Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK aufzufassen und die darin enthaltenen Garantien für anwendbar zu erklären.
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Vorliegend geht es indessen nicht um die Beschlagnahme lebender Hanfpflanzen, sondern um geernteten Hanf. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, die Ware würde auch bei sachgerechter Lagerung bis zum Abschluss des Strafverfahrens - wie z.B. die Hanfstecklinge - allein durch Zeitablauf verderben. Unter diesen Umständen lässt sich nicht sagen, mit ihrer strafprozessualen Beschlagnahme sei faktisch bereits endgültig über ihr Schicksal entschieden worden; es handelt sich mithin um eine "normale" strafprozessuale Massnahme vorläufigen Charakters, für deren Anordnung die Garantien von Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie von Art. 32 Abs. 3 BV nicht gelten. Die Rüge ist unbegründet.
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4.
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Die Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Damit erübrigt sich, die weiteren Rügen zu behandeln, wonach der angefochtene Entscheid gegen die Eigentumsgarantie von Art. 26 BV, die Wirtschaftsfreiheit von Art. 27 BV sowie das Verhältnismässigkeitsprinzip von Art. 36 Abs. 3 BV verstosse.
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Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 OG), und der Kanton Freiburg hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art.159 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der Strafkammer des Kantonsgerichts Freiburg vom 8. Oktober 2003 aufgehoben.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Der Kanton Freiburg hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 4. Februar 2004
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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