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Informationen zum Dokument  BGer 2A.119/2004  Materielle Begründung
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BGer 2A.119/2004 vom 05.03.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.119/2004 /kil
 
Urteil vom 5. März 2004
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
 
Bundesrichter Müller, Bundesrichterin Yersin,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Werner Bodenmann,
 
gegen
 
Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
 
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung/
 
Verweigerung der Niederlassungsbewilligung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 23. Januar 2004.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der tunesische Staatsangehörige X.________ wurde 1975 in der Schweiz geboren und wohnte bis Ende August 1984, als er nach Tunesien zog, bei seinen Eltern in der Schweiz. Am 16. April 1997 reiste er mit einem 90tägigen Touristenvisum in die Schweiz ein. Am 20. Februar 1998 heiratete er in St. Gallen eine Schweizer Bürgerin und erhielt gestützt darauf (Art. 7 ANAG) am 12. März 1998 eine Jahresaufenthaltsbewilligung. Das Ehepaar hat eine Tochter, geboren am ... 1998, die ebenfalls Schweizer Bürgerin ist.
 
Am 15. Januar 2003 ersuchte X.________ um Erteilung der Niederlassungsbewilligung. Das Ausländeramt des Kantons St. Gallen lehnte mit Verfügung vom 8. Juli 2003 die Erteilung der Niederlassungsbewilligung und auch die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab, unter Ansetzung einer Ausreisefrist bis 29. August 2003. Es hielt dafür, dass X.________ sich rechtsmissbräuchlich auf die Ehe mit einer Schweizerin berufe. Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen wies am 29. September 2003 den gegen diese Verfügung des Ausländeramtes erhobenen Rekurs ab, und auch die gegen diesen Rekursentscheid erhobene Beschwerde an das Verwaltungsgericht blieb erfolglos (Urteil vom 23. Januar 2004).
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 1. März 2004 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts, den Rekursentscheid des Justiz- und Polizeidepartements sowie die Verfügung des Ausländeramtes des Kantons St. Gallen vollumfänglich aufzuheben und das Ausländeramt anzuweisen, ihm die Niederlassungsbewilligung zu erteilen, eventualiter die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.
 
Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen (wie Einholen der kantonalen Akten) angeordnet worden. Das Urteil, mit dessen Ausfällung das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos wird, ergeht im vereinfachten Verfahren (Art. 36a OG).
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) hat der ausländische Ehegatte des Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung; nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Kein Anspruch besteht gemäss Art. 7 Abs. 2 ANAG, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen (Ausländerrechtsehe bzw. Scheinehe). Selbst wenn ursprünglich keine Ausländerrechtsehe eingegangen worden ist, kann sich die Berufung auf die Ehe im ausländerrechtlichen Verfahren als rechtsmissbräuchlich erweisen. Nach feststehender bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn der Ausländer sich auf eine Ehe beruft, die nur noch formell besteht, und, für ihn erkennbar, keine Aussicht auf ein irgendwie geartetes (weiteres) eheliches Zusammenleben bzw. auf die Führung einer Lebensgemeinschaft mit dem schweizerischen Ehegatten besteht, wobei es auf die Ursache der Trennung nicht ankommt. Die Berufung auf die Ehe läuft in einem solchen Fall einzig noch darauf hinaus, dem Ausländer völlig unabhängig vom Bestand einer ehelichen Beziehung die Anwesenheit in der Schweiz zu ermöglichen; auf eine derartige Beanspruchung des gesetzlichen Aufenthaltsrechts des ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers in der Schweiz ist Art. 7 ANAG nicht ausgerichtet (BGE 128 II 145 E. 2.2. S. 151; 127 II 49 E. 5 S. 56 ff. mit Hinweisen). Da der Ausländer, der mit einem Schweizer Bürger verheiratet ist, nach fünf Jahren ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalts einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung erwirbt und dieser, einmal erworben, selbst durch eine Scheidung nicht mehr untergeht, kann der Bewilligungsanspruch schliesslich nur dann wegen Rechtsmissbrauchs erlöschen, wenn die Voraussetzungen hiefür sich vor Ablauf von fünf Jahren seit der Heirat verwirklicht haben.
 
Die Annahme von Rechtsmissbrauch setzt klare Hinweise dafür voraus, dass die Führung einer Lebensgemeinschaft nicht mehr beabsichtigt und nicht mehr zu erwarten ist (BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 151; 127 II 49 E. 5a S. 56 f., mit Hinweisen). Dass es sich so verhalte, entzieht sich in der Regel dem direkten Beweis und ist oft bloss durch Indizien zu erstellen. Feststellungen über das Bestehen solcher Indizien können äussere Gegebenheiten, aber auch innere, psychische Vorgänge betreffen (Wille der Ehegatten); es handelt sich so oder anders um tatsächliche Gegebenheiten, und diesbezügliche Feststellungen binden das Bundesgericht, wenn eine richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen ermittelt hat (Art. 105 Abs. 2 OG). Frei zu prüfen ist nur die Rechtsfrage, ob die festgestellten Tatsachen (Indizien) darauf schliessen lassen, die Berufung auf die Ehe bezwecke die Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften und sei rechtsmissbräuchlich (BGE 128 II 145 E. 2.3 S. 152).
 
2.2 Das Verwaltungsgericht hat diese zur Frage der missbräuchlichen Berufung auf Art. 7 ANAG entwickelten Kriterien vollständig und zutreffend wiedergegeben und sich bei der Entscheidung darüber, ob dem Beschwerdeführer die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung verweigert werden dürfe, davon leiten lassen. Es hält insbesondere dafür, dass jeglicher Wille und jegliche Aussicht auf die Fortführung einer ehelichen Gemeinschaft lange vor Ablauf von fünf Ehejahren erloschen sei. Es hat sich diesbezüglich ausführlich mit den tatsächlichen ehelichen Verhältnissen befasst (S. 6 ff. des angefochtenen Urteils). Aus seinen Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mehrmals in schwerwiegender Weise gegen seine Ehefrau tätlich geworden ist und diese öfters ausserhalb der Wohnung Zuflucht suchen musste. Ende 1999 wurde der Beschwerdeführer im von der Ehefrau angestrengten Eheschutzverfahren erstmals zum Verlassen der Wohnung verpflichtet. Nachdem die Eheleute ab August 2000 vorübergehend wieder zusammen gewohnt hatten, wurde am 7. Februar 2001 vom Eheschutzrichter das Getrenntleben erneut bewilligt und die Wohnung der Ehefrau zugewiesen. Die Wohngemeinschaft wurde in der Folge nicht mehr aufgenommen. Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von dieser Situation den tatsächlichen Schluss gezogen, dass insbesondere bei der Ehefrau spätestens seit Mitte Dezember 2000 kein Ehewille mehr vorhanden sei, was auch der Beschwerdeführer wissen müsse. Zu Recht hält es zudem fest, dass der Beschwerdeführer nicht ernsthaft behaupten könne, er selber habe heute noch einen Ehewillen; wer sich gegenüber der Ehegattin so verhält, wie er dies getan hat, hat keinen Willen, eine echte Lebensgemeinschaft zu führen. Was der Beschwerdeführer gegen die Darstellung der diesbezüglichen tatsächlichen Situation im angefochtenen Urteil vorbringt, ist nicht geeignet, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts als im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG mangelhaft erscheinen zu lassen.
 
Bestehen aber - insbesondere auch aus der Sicht des Beschwerdeführers - keine Aussichten auf eine irgendwie geartete Weiterführung einer Lebensgemeinschaft der Ehegatten, handelt er rechtsmissbräuchlich, wenn er sich im Hinblick auf eine ausländerrechtliche Bewilligung auf die Ehe mit einer Schweizerin beruft. Das Verwaltungsgericht verletzt Bundesrecht nicht, wenn es betätigt, dass dem Beschwerdeführer die Erteilung der Niederlassungsbewilligung bzw. die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter dem Gesichtspunkt von Art. 7 ANAG verweigert werden durfte.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer ist weiter der Ansicht, ihm müsse eine ausländerrechtliche Bewilligung gestützt auf Art. 8 EMRK (Anspruch auf Achtung des Familienlebens) erteilt werden, dies im Hinblick auf die familiäre Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter, zu welcher ihm ein Besuchsrecht zusteht (zwei Samstagnachmittage pro Monat).
 
3.1 Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK gilt nicht absolut. Vielmehr ist nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK ein Eingriff in das durch Ziff. 1 geschützte Rechtsgut statthaft, soweit er eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesellschaft und Moral sowie der Rechte und Pflichten anderer notwendig ist. Die Konvention verlangt insofern eine Abwägung der sich gegenüberstehenden privaten Interessen an der Erteilung der Bewilligung und den öffentlichen Interessen an deren Verweigerung, wobei letztere in dem Sinn überwiegen müssen, dass sich der Eingriff als notwendig erweist (BGE 122 II 1 E. 2 S. 6, mit Hinweis).
 
In der Regel kann sich im Hinblick auf eine Bewilligungserteilung nur derjenige auf Art. 8 EMRK berufen, der mit der in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Person zusammen lebt. Der nicht sorgeberechtigte Ausländer kann die familiäre Beziehung zu seinen Kindern zum Vornherein nur in einem beschränkten Rahmen, nämlich durch Ausübung des ihm eingeräumten Besuchsrechts leben; hierzu ist nicht unabdingbar, dass er dauernd im gleichen Land wie die Kinder lebt und dort über eine Anwesenheitsberechtigung verfügt. Ein Besuchsrecht gegenüber einem in der Schweiz fest anwesenheitsberechtigten Kind verschafft dem ausländischen Elternteil daher im Allgemeinen noch keinen Anspruch auf dauernde Anwesenheit; den Anforderungen von Art. 8 EMRK ist Genüge getan, wenn das Besuchsrecht im Rahmen von Kurzaufenthalten vom Ausland her ausgeübt werden kann, wobei allerdings dessen Modalitäten entsprechend aus- bzw. umzugestalten sind. In ausländerrechtlicher Hinsicht hat das Bundesgericht daraus die Konsequenz gezogen, dass die Aufenthaltsbewilligung nur dann erteilt oder erneuert werden muss, wenn einerseits zwischen dem Ausländer und dessen in der Schweiz ansässigen Kind in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung besteht, die sich wegen der Distanz zwischen der Schweiz und dem Land, in das der Ausländer bei Verweigerung der Bewilligung auszureisen hätte, praktisch nicht aufrechterhalten liesse, und wenn andererseits das Verhalten des Ausländers weitgehend tadellos ist (BGE 120 Ib 1 E. 3 S. 4 ff., 22 E. 4 S. 24 ff.; Urteil 2A.563/2002 vom 23. Mai 2003, E. 2.2., mit weiteren Hinweisen).
 
3.2 Auch bezüglich des Bestehens eines allfälligen Bewilligungsanspruchs bei einem Besuchsrecht hat das Verwaltungsgericht die massgeblichen Kriterien vollständig und zutreffend wiedergegeben und sich bei der Entscheidung darüber, ob dem Beschwerdeführer die Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung verweigert werden dürfe, davon leiten lassen. Es hat sich zuerst mit der Frage der Intensität der Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Tochter befasst (angefochtenes Urteil S. 15 f.). Dabei kam es gestützt auf einen detailliert wiedergegebenen Bericht des Beistands der Tochter zum Schluss, dass der Beschwerdeführer nur beschränkt Verständnis für deren besondere Situation (Entwicklungsrückstand) habe und es insofern an einer besonders engen affektiven Beziehung fehle. Der Beschwerdeführer vermag in der Beschwerdeschrift nichts aufzuzeigen, was geeignet erschiene, diese Einschätzung der tatsächlichen Situation massgeblich zu entkräften (vgl. Art. 105 Abs. 2 OG). Weiter hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf seine (verbindlichen) Feststellungen über das gewalttätige Vorgehen des Beschwerdeführers gegen seine Ehefrau zu Recht hervorgehoben, dass diesem keineswegs ein tadelloses Verhalten zugebilligt werden kann. Vielmehr hat er massiv gegen grundlegende Regeln des Zusammenlebens verstossen und, wie sich das Verwaltungsgericht ausdrückt, sich eines gesellschaftlich und fremdenpolizeilich überaus verpönten Verhaltens schuldig gemacht.
 
Es besteht damit ein ins Gewicht fallendes öffentliches Interesse daran, dass der Beschwerdeführer die Schweiz verlassen muss. Die vorne dargelegten Voraussetzungen, unter denen einem Ausländer, der ein Besuchsrecht zu einem in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Kind hat, gestützt auf diese familiäre Beziehung ausnahmsweise eine ausländerrechtliche Bewilligung zu dauerndem Aufenthalt erteilt werden muss, sind klarerweise nicht erfüllt.
 
3.3 Nicht näher einzugehen ist auf die Überlegungen (im angefochtenen Urteil und in der Beschwerdeschrift) zur Ausübung des Ermessens im Zusammenhang mit Art. 4 ANAG. Hält die Bewilligungsverweigerung vor den einen Rechtsanspruch begründenden Bestimmungen (Art. 7 ANAG und Art. 8 EMRK) stand, bleibt dem Bundesgericht im Rahmen von Art. 4 ANAG allein kein Raum für die Prüfung einer Bundesrechtsverletzung (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG).
 
4.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich in jeder Hinsicht als offensichtlich unbegründet und ist abzuweisen.
 
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Justiz- und Polizeidepartement und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sowie dem Bundesamt für Zuwanderung, Integration und Auswanderung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. März 2004
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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