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Informationen zum Dokument  BGer 1P.249/2004  Materielle Begründung
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BGer 1P.249/2004 vom 14.06.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.249/2004 /gij
 
Urteil vom 14. Juni 2004
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
 
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
 
Bundesrichter Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiberin Scherrer.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Y.________,
 
gegen
 
Präsident der Abteilung IV der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen,
 
Präsident des Verwaltungsgerichtes des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; SVG; unentgeltliche Rechtspflege,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Präsidenten des Verwaltungsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 25. März 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________, geboren 1983, verlor am 16. Dezember 2003 um 9.05 Uhr als Lenker seines Personenwagens BMW 525i auf der Fahrt von Haag nach Buchs auf der mit Schneematsch bedeckten Strasse die Herrschaft über sein Fahrzeug, prallte in einen Baum und verletzte sich schwer. Nachdem er mit der Schweizerischen Rettungsflugwacht (REGA) ins Kantonsspital St. Gallen überführt worden war, wurde ihm dort u.a. eine Blut- und Urinprobe entnommen. Laut dem Bericht des Instituts für Rechtsmedizin des Kantonsspitals St. Gallen vom 22. Dezember 2003 war X.________ im Zeitpunkt des Unfalls aufgrund einer akuten Cannabis-Wirkung nicht mehr fahrfähig. Im Bericht wurde überdies festgehalten, die sehr hohe THC-Carbonsäurekonzentration spreche dafür, dass X.________ regelmässig Cannabis konsumiere und möglicherweise süchtig sei, weshalb eine entsprechende amtsärztliche Abklärung empfohlen werde.
 
B.
 
Am 20. Januar 2004 teilte das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt X.________ mit, aufgrund des Unfalles sowie der Blut- und Urinprobe bestünden Zweifel an seiner Fahreignung. Man beabsichtige, ihn zu einer spezialärztlichen Untersuchung aufzubieten. X.________ wurde aufgefordert, innerhalb von zwanzig Tagen einen Kostenvorschuss von Fr. 700.-- zu leisten. Falls der Vorschuss nicht innerhalb der angesetzten Frist überwiesen werde und damit die Abklärungen nicht eingeleitet werden könnten, werde ihm der Führerausweis gestützt auf Art. 35 Abs. 3 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.51) vorsorglich entzogen.
 
Mit Eingabe vom 29. Januar 2004 liess X.________, vertreten durch seinen Arbeitgeber, die Einstellung des Verfahrens mangels hinreichender und begründeter Anhaltspunkte für eine fehlende Fahreignung beantragen.
 
C.
 
Mit Verfügung vom 3. Februar 2004 untersagte das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt X.________ das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien ab sofort und forderte ihn auf, seine Führerausweise spätestens am zweiten Tag nach Zustellung der Verfügung abzugeben oder per Post einzusenden. Einem allfälligen Rekurs wurde zufolge Gefahr die aufschiebende Wirkung entzogen.
 
D.
 
Gegen diese Verfügung gelangte X.________ an die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen. U.a. beantragte er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dieses Gesuch wies der Abteilungspräsident der Verwaltungsrekurskommission am 25. Februar 2004 wegen Aussichtslosigkeit des Rekurses ab und forderte den Rekurrenten auf, bis 12. März 2004 einen Kostenvorschuss von Fr. 400.-- zu leisten.
 
Dagegen reichte X.________ beim Präsidenten des St. Galler Verwaltungsgerichts Beschwerde ein, mit den Anträgen, die Verfügung des Abteilungspräsidenten der Verwaltungsrekurskommission sei aufzuheben und es sei ihm für das Rekursverfahren die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren. Desgleichen beantragte er die unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren. Mit Entscheid vom 25. März 2004 wies der Präsident des Verwaltungsgerichtes die Beschwerde und das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Beschwerdeverfahren ab.
 
E.
 
X.________ erhebt mit Eingabe vom 23. April 2004 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Der Präsidialentscheid des Verwaltungsgerichtes St. Gallen sei aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren stellt der Beschwerdeführer ebenfalls das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
 
Der Präsident des St. Gallischen Verwaltungsgerichtes schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann.
 
Nach der Praxis des Bundesgerichts liegt in aller Regel ein nicht wiedergutzumachender Nachteil unter anderem vor, wenn - wie hier - kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG) entschieden wird, dem Beschwerdeführer könne die unentgeltliche Verbeiständung nicht gewährt werden (BGE 126 I 207 E. 2a S. 210 f.; 111 Ia 276 E. 2b S. 278 f.). Es besteht kein Grund, im vorliegenden Fall von dieser Regel abzuweichen (siehe dazu BGE 111 Ia 276 E. 2b S. 278).
 
Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer erachtet das Willkürverbot als verletzt, weil der Präsident des Verwaltungsgerichtes seine Beschwerde als im vornherein aussichtslos bezeichnet und die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für gerechtfertigt gehalten hat.
 
3.
 
Art. 29 Abs. 3 BV gewährleistet jeder Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bestimmt sich der Umfang des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Die unmittelbar aus der Bundesverfassung hergeleiteten Regeln greifen nur, wenn das kantonale Recht der bedürftigen Parteien nicht in ausreichendem Mass die Möglichkeit sichert, ihre Rechte zu wahren (BGE 122 I 49 E. 2a S. 50 mit Hinweis). Die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, untersucht es in rechtlicher Hinsicht frei; soweit es um tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt (BGE 126 I 165 E. 3; 124 I 1 E. 2, 304 E. 2c S. 306 f.; 119 Ia 11 E. 3a, je mit Hinweisen). Da das Bundesgericht im vorliegenden Fall mit freier Kognition zu prüfen hat, ob der in Art. 29 Abs. 3 BV garantierte Anspruch verletzt wurde (E 3.2 unten), kommt der Willkürrüge des Beschwerdeführers keine eigenständige Bedeutung zu.
 
3.1 Gemäss Art. 99 Abs. 1 des St. Gallischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Mai 1965 (VRP-SG; sGS 951.1) werden in den Klagefällen, vor Verwaltungsrekurskommissionen, vor Versicherungsgericht und vor Verwaltungsgericht sowie wenn das Bundesrecht es vorschreibt, die unentgeltliche Rechtspflege und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung gewährt. Abs. 2 der zitierten Bestimmung verweist auf die Vorschriften des Zivilprozessgesetzes, welche sachgemässe Anwendung finden. Art. 281 des Zivilprozessgesetzes vom 20. Dezember 1990 (ZPG-SG; sGS 961.2) sieht vor, dass eine Partei Anspruch auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung hat, wenn ihr die Mittel fehlen, um neben dem Lebensunterhalt für sich und die Familie die Prozesskosten aufzubringen. Die unentgeltliche Prozessführung wird u.a. nicht bewilligt, wenn das Verfahren aussichtslos erscheint (Art. 281 lit. a ZPG-SG).
 
3.2 Da das kantonale Recht keine selbständige Regelung zur Aussichtslosigkeit kennt, die weiter gehen würde als der bundesverfassungsrechtliche Anspruch, ist auf die bundesgerichtliche Praxis zur Aussichtslosigkeit im Zusammenhang mit unentgeltlicher Rechtspflege abzustellen. Als aussichtslos sind nach der Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnchancen beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 124 I 304 E. 2c S. 306). Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 122 I 5 E. 4a S. 6).
 
3.3 Der Beschwerdeführer machte im Wesentlichen geltend, der vorsorgliche Entzug gründe in seinem Fall nicht auf einer unmittelbaren Gefährdung der Verkehrssicherheit, sondern stehe in direktem Zusammenhang damit, dass er den geforderten Kostenvorschuss von Fr. 700.-- für die amtsärztliche Abklärung nicht geleistet habe. Würde er eine unmittelbare Gefahr für den Strassenverkehr darstellen, hätte das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt unverzüglich einen vorsorglichen Sicherungsentzug verfügen müssen und diesen nicht von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig machen dürfen.
 
Erscheint ein Fahrzeugführer aufgrund seiner beeinträchtigten Fahrtüchtigkeit als besonderes Risiko für die Verkehrssicherheit, ist der vorsorgliche Sicherungsentzug sofort anzuordnen (Art. 35 Abs. 3 VZV). Dies setzt eine unmittelbare ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer voraus. Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Konsum von Cannabis für sich allein noch nicht den Schluss auf fehlende Fahreignung zulässt (vgl. BGE 127 II 122 E. 4b S. 127 mit Hinweis). Davon ging auch der Verwaltungsgerichtspräsident aus, und er bejahte aufgrund der bisherigen Akten allein Anhaltspunkte für die Einholung eines Gutachtens (angefochtener Entscheid E. 2b), führte aber keine solche dafür an, dass der Beschwerdeführer eine unmittelbare ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstelle. Soweit der Präsident des Verwaltungsgerichtes BGE 124 II 569 anführt und die Verweigerung des Kostenvorschusses als solche, bei den notwendigen gutachtlichen Abklärungen zu kooperieren und damit als Indiz für eine beeinträchtigte Fahrfähigkeit wertet, verkennt er, dass im erwähnten Entscheid zusätzliche Abklärungen im Rahmen eines definitiven Sicherungsentzuges zur Diskussion standen, nicht die Anordnung des vorsorglichen Entzuges. Die Weigerung, den Kostenvorschuss zu bezahlen, darf daher nicht ohne weiteres als genügenden Grund für einen sofortigen vorsorglichen Ausweisentzug angesehen werden. Jedenfalls ist es unter den gegebenen Umständen vor dem verfassungsmässigen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht haltbar, die Beschwerde gegen den vorsorglichen Führerausweisentzug als im vornherein aussichtslos zu betrachten und die unentgeltliche Rechtspflege deswegen für diese zu verweigern.
 
4.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich demzufolge als begründet. Sie ist gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
 
Bei diesem Verfahrensausgang wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. Dem Kanton St. Gallen sind in Anwendung von Art. 156 Abs. 2 OG keine Kosten aufzuerlegen. Parteientschädigung ist keine zuzusprechen, da der Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten war und keinen besonderen Aufwand geltend macht (BGE 125 II 518 E. 5b S. 519 f.).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichtspräsidenten des Kantons St. Gallen vom 25. März 2004 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Präsidenten der Abteilung IV der Verwaltungsrekurskommission und dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtes des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Juni 2004
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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