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Informationen zum Dokument  BGer 6P.15/2004  Materielle Begründung
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BGer 6P.15/2004 vom 28.06.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6P.15/2004
 
6S.44/2004 /kra
 
Urteil vom 28. Juni 2004
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Zünd,
 
Gerichtsschreiber Weissenberger.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alex R. Le Soldat,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri, Rathausplatz 2, 6460 Altdorf UR,
 
Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, Rathausplatz 2, Postfach 449, 6460 Altdorf UR.
 
Gegenstand
 
6P.15/2004
 
Art. 9 BV (Strafverfahren; Willkür),
 
6S.44/2004
 
Verletzung von Verkehrsregeln,
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.15/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.44/2004) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, vom 30. Juni 2003.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ fuhr am 20. Februar 2001 mit seinem Personenwagen auf der Autobahn A2 in Richtung Süden. Die nach dem Ende des Naxbergtunnels durchgeführte Geschwindigkeitskontrolle ergab eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 36 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge).
 
B.
 
Das Obergericht des Kantons Uri sprach X.________ kantonal letztinstanzlich am 30. Juni 2003 der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 25'000.--, bedingt löschbar nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr.
 
C.
 
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde sinngemäss mit dem Antrag, es sei der Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er führt gleichzeitig eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde sinngemäss mit dem Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es sei die Vorinstanz anzuweisen, ihn lediglich nach Art. 90 Ziff. 1 SVG zu verurteilen und mit einer Busse von Fr. 100.-- zu belegen.
 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Uri verzichten auf Gegenbemerkungen zu beiden Beschwerden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde
 
1.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe im Hinblick auf die Bemessung der Busse aktenwidrig und damit willkürlich angenommen, er würde ein jährliches Einkommen von Fr. 3'083'000.-- erzielen. Das Obergericht habe offensichtlich übersehen, dass es sich dabei um das Bruttoeinkommen handle. Nach Abzug insbesondere der Hypothekarzinsen verbleibe ein (steuerbares) Nettoeinkommen von lediglich Fr. 1'699'655.78. Indem das Obergericht ein zu hohes Jahreseinkommen und davon ausgehend ein falsches monatliches Einkommen errechnet sowie 10 % von diesem monatlichen Einkommen als Busse festgesetzt habe, sei es in Willkür verfallen.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe der Steuererklärung aus dem Jahr 2002 versehentlich das Bruttoeinkommen statt die Nettoeinkünfte entnommen. Ein offensichtliches Aktenversehen ist mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend zu machen (Art. 277bis Abs. 2 BStP; vgl. auch BGE 121 IV 104 E. 2b und 118 IV 88 E. 2). Das gilt auch für die Frage, ob das Obergericht von den Bruttoeinkünften ausgehen durfte. Dies berührt nicht die Frage der Beweiswürdigung, sondern die Grundsätze der Bemessung von Bussen und ist daher eine Rechtsfrage.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde
 
3.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist kassatorischer Natur (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit der Beschwerdeführer mehr beantragt, als das angefochtene Urteil aufzuheben (Beschwerde, S. 2), ist er nicht zu hören.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Wertung seines Fehlverhaltens als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG (Beschwerde, S. 6-18).
 
4.1 Nach der Rechtsprechung sind die Voraussetzungen von Art. 90 Ziff. 2 SVG ungeachtet der konkreten Umstände erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen um 35 km/h oder mehr, auf nicht richtungsgetrennten Autostrassen sowie Autobahnausfahrten um 30 km/h oder mehr und innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird (vgl. BGE 123 II 37 und 106; zuletzt BGE 128 II 131).
 
Der Beschwerdeführer hat auf der Autobahn die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h unmittelbar nach einem Tunnel um 36km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge) überschritten. Die Vorinstanz hat ihn deswegen im Einklang mit der Praxis des Bundesgerichts wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG schuldig gesprochen. In subjektiver Hinsicht hat sie eingehend und überzeugend dargelegt, dass und weshalb dem Beschwerdeführer angesichts der klaren und wiederholten Signalisation sowie der tieferen Fahrgeschwindigkeiten der anderen Verkehrsteilnehmer grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (angefochtenes Urteil, S. 24 ff.). Darauf kann verwiesen werden. Es liegen keine Umstände vor, die das Verschulden des Beschwerdeführers in einem milderen Licht erscheinen liessen. Seine Einwände, insbesondere die von ihm geltend gemachten Vergleiche mit Deutschland und die wissenschaftlich belegten biologischen Grenzen der Wahrnehmungs- und Leistungsfähigkeit des Menschen, sind offensichtlich unbehelflich. Im Übrigen ist allgemein bekannt, dass auf Autobahnen in Tunnels meist tiefere Höchstgeschwindigkeiten signalisiert sind als 120 km/h. Der Beschwerdeführer hätte auch deshalb besonders aufmerksam auf die Geschwindigkeit achten müssen.
 
5.
 
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Höhe der Busse von Fr. 25'000.-- verletze Bundesrecht (Beschwerde, S. 19 ff.).
 
5.1 Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der Strafrahmen bewegt sich somit zwischen einem Franken und 40'000 Franken Busse sowie drei Tagen und drei Jahren Gefängnis (Art. 36 und Art. 48 StGB sowie Art. 102 Ziff. 1 SVG).
 
Der Richter bestimmt den Betrag der Busse nach den Verhältnissen des Täters so, dass dieser durch die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist. Für die Verhältnisse des Täters sind namentlich von Bedeutung sein Einkommen und sein Vermögen, sein Familienstand und seine Familienpflichten, sein Beruf und Erwerb, sein Alter und seine Gesundheit (Art. 48 Ziff. 2 StGB). Im Gegensatz etwa zu Ordnungsbussen, die gemäss Art. 1 Ordnungsbussengesetz (OBG) vom 24. Juni 1970 (SR 741.03) ohne Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Täters ausgesprochen werden, muss der Richter nach Art. 48 StGB neben dem Verschulden unter anderem auch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abstellen. Soweit das Einkommen berücksichtigt wird, besteht in der Doktrin Einigkeit, dass Unterhalts- und Unterstützungsbeiträge bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Täters voll in Abzug zu bringen sind (vgl. Barbara Amsler/Jürg Sollberger, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Art. 1-110 StGB, Basel usw. 2003, Art. 48 N 12 mit Hinweisen). Umstritten scheint demgegenüber zu sein, ob für die Bemessung der Busse vom Einkommen auch die anderweitigen finanziellen Lasten, d.h. grössere Zahlungsverpflichtungen des Täters wie Ratenzahlungen, Hypotheken, Vermögensverwaltungskosten usw. abzuziehen sind. Dafür könnte sprechen, dass die Busse unter Umständen desozialisierend wirken würde, wenn sie die finanziellen Mittel überstiege, die dem Täter nach Erfüllung seiner wie auch immer entstandenen Verbindlichkeiten blieben, dagegen jedoch, dass ein Täter mit Schulden und Abzahlungs- oder Leasingverpflichtungen mitunter besser wegkommen würde als einer, der keine solche Lasten hat und entsprechend auch bei den Steuern benachteiligt wäre (vgl. Barbara Amsler/Jürg Sollberger, a.a.O., ebd. mit Hinweisen).
 
5.2 Die Vorinstanz wertet das Verschulden des Beschwerdeführers als mittelschwer. Das ist angesichts der groben Verletzung einer für die Sicherheit im Strassenverkehr grundlegenden Verkehrsregel, der Missachtung von drei auffällig angebrachten Geschwindigkeitssignalen auf einer Strecke von etwas über einem Kilometer sowie der viel befahrenen Strecke, auf der auch zahlreiche schwer beladene und vorwiegend langsam fahrende Lastwagen verkehren und auf der es häufig zu überraschenden Staus kommt (angefochtenes Urteil, S. 28 f.), nicht zu beanstanden. Straferhöhend berücksichtigt die Vorinstanz die fehlende Einsicht des Beschwerdeführers (angefochtenes Urteil, S. 29), was dieser nicht beanstandet. Strafmindernd gewichtet sie hingegen den bisher ungetrübten persönlichen und automobilistischen Leumund des Beschwerdeführers.
 
Bei der Bemessung der Busse stützt sich die Vorinstanz auf Art. 48 Ziff. 2 StGB. Sie berücksichtigt neben den von ihr genannten Strafzumessungsfaktoren ausdrücklich nur das Einkommen und Vermögen des Beschwerdeführers. Dieser macht nicht geltend, und es ist auch nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz damit wesentliche Aspekte zu Unrecht ausser Acht gelassen habe.
 
5.3 Die Vorinstanz nimmt an, der Beschwerdeführer erziele im Jahr 2002 (aktuellste Daten) ein Einkommen von rund Fr. 3'083'000.--. Sie legt diesem Betrag die Einkünfte aus unselbständigem Erwerb gemäss Lohnausweisen (Fr. 52'738.--), aus der Bewirtschaftung von nicht selbst bewohnten Liegenschaften gemäss Steuererklärung 2001 (Fr. 2'777'035) und Schreiben der Liegenschaftsverwalterin, wonach sich der Ertrag für 2002 im Rahmen des Vorjahres bewegen dürfte, sowie den Gewinn aus Wertschriften im Jahr 2002 (Fr. 253'048.78) zu Grunde. Zudem nahm sie an, das steuerbare Vermögen betrage per Ende 2002 zwischen 32 und 33 Millionen Schweizer Franken (angefochtenes Urteil, S. 29 f.). Ausgehend davon und angesichts des mittelschweren Verschuldens und der weiteren berücksichtigten Gesichtspunkte erachtet die Vorinstanz eine Busse von Fr. 25'000.--, die rund 10 % des monatlichen Einkommens von Fr. 257'000.-- oder 0,08 % des Vermögens ausmache, als angemessen (angefochtenes Urteil, S. 30).
 
5.4 Bei den von der Vorinstanz berücksichtigten Liegenschaftserträgen handelt es sich um die Bruttoeinnahmen vor Abzug der Hypothekarzinsen, wie ein Blick in die Steuererklärung des Beschwerdeführers für das Jahr 2001 zeigt. Ob es sich dabei um ein Aktenversehen handelt oder die Vorinstanz bewusst die Schuldlasten ausser Acht liess, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Wie es sich damit verhält, kann hier jedoch offen bleiben, da der angefochtene Entscheid materiell Bundesrecht verletzt.
 
Ausgangspunkt für die Bemessung der Busse ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betroffenen. Bei Unselbständigerwerbenden ist dies in der Regel über den Lohnausweis einfach zu ermitteln. Demgegenüber kann es bei Selbständigerwerbenden schwer fallen, die Leistungsfähigkeit zu ermitteln. Unabhängig davon ist sowohl für Lohnempfänger als auch für Selbständigerwerbende das Nettoeinkommen massgebend. Zum Einkommen zählen ausser den Einkünften aus selbständiger und unselbständiger Arbeit namentlich die Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb, aus Land- und Forstwirtschaft, aus dem Vermögen (Miet- und Pachtzinsen, Kapitalzinsen, Dividenden usw.), Renten, Versorgungsleistungen und Unterhaltsbeiträge, Sozialhilfeleistungen. Bei diesen Einkünften ist aber - innerhalb der Grenzen des Rechtsmissbrauchs - nur der Überschuss der Einnahmen über die damit verbundenen Aufwendungen zu berücksichtigen (vgl. Schönke/Schröder/Stree, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2001, § 40 N 9).
 
Im hier zu beurteilenden Fall ermöglichten die zu verzinsenden Grundpfandschulden den Ertrag aus den Liegenschaften. Wie oben gezeigt, sind jedenfalls Aufwendungen, die Voraussetzungen dafür sind, dass Einkünfte überhaupt erzielt werden können, zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit von den Bruttoeinnahmen abzuziehen. Indem die Vorinstanz die Bruttoeinnahmen statt die Nettoeinkünfte (Mietzinse nach Abzug der Hypothekarzinsen, Verwaltungs- sowie Unterhaltskosten) aus den vom Beschwerdeführer nicht selbst bewohnten Liegenschaften zu Grunde legt, um die Höhe der Busse zu bestimmen, verletzt sie Bundesrecht. Angesichts der grossen Differenz zwischen Brutto- und Nettoeinkünften ist das angefochtene Urteil im Strafzumessungspunkt aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die Busse auf der Basis des massgeblichen Nettoeinkommens und unter Berücksichtigung des Vermögens neu festsetzt. Dabei wird die Vorinstanz beachten, dass Bussen gegen Personen mit sehr hohen Einkommen und Vermögen diese im Verhältnis zu anderen Tätern prozentual gerechnet nicht (wesentlich) stärker belasten dürfen.
 
6.
 
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Im Übrigen wird sie abgewiesen. Im Rahmen seines Unterliegens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens (Art. 278 Abs. 1 BStP). Soweit er obsiegt, steht ihm eine Parteientschädigung zu. Da Kosten- und Entschädigungsanteile sich die Waage halten, sind weder Kosten aufzuerlegen noch ist eine Parteientschädigung auszusprechen.
 
Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist und sie nicht abgewiesen wird, das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 30. Juni 2003 im Strafzumessungspunkt aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren wird dem Beschwerdeführer auferlegt. Für das Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde werden weder Kosten erhoben noch wird eine Parteientschädigung ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri und dem Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. Juni 2004
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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