VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6P.35/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6P.35/2004 vom 29.07.2004
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6P.35/2004
 
6S.100/2004 /pai
 
Urteil vom 29. Juli 2004
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wiprächtiger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Kolly, Zünd,
 
Gerichtsschreiber Näf.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Peter Schnyder,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur,
 
Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, Poststrasse 14,
 
7000 Chur.
 
Gegenstand
 
6P.35/2004
 
Art. 9, 29 Abs. 1 und 2, 32 BV, Art. 6 EMRK (Strafverfahren; Beweiswürdigung, rechtliches Gehör)
 
6S.100/2004
 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln beim Überholen (Art. 90 Ziff. 2 SVG in Verbindung mit Art. 34 Abs. 4 und Art. 35 Abs. 2 und 4 SVG),
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.35/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.100/2004) gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, vom 3. Dezember 2003.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Kreispräsident Klosters verurteilte X.________ mit Strafmandat vom 22. Februar 2001 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 35 Abs. 2 und Abs. 4 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 2 SVG zu einer Busse von 4'000 Franken. X.________ erhob Einsprache.
 
Er wurde in den Anklagezustand versetzt. In der Anklageschrift vom 17. Juli 2002 wird der Sachverhalt wie folgt umschrieben:
 
"Am Morgen des 7. Dezember 2000 fuhr X.________ als Lenker des Personenwagens Mercedes....... auf der Hauptstrasse Nr. 28 von Klosters in Richtung Davos hinter einem VW Golf und einem Lastwagen ....... her. Um zirka 08.45 Uhr erreichte die nun mit einer Geschwindigkeit von zirka 33 km/h fahrende Kolonne die Örtlichkeit 'Wijer' Gemeinde Klosters. Die Strasse kann an dieser Stelle gut 300 Meter überblickt werden, worauf zuerst der Lenker des VW Golf und danach der Angeklagte zum Überholen des Lastwagens ansetzte. Gleichzeitig näherte sich aus der Gegenrichtung ein VW Käfer ......., welcher von A.________ gelenkt wurde und ungefähr mit der gesetzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h talwärts fuhr. Als A.________ den überholenden VW Golf erkannte, verzögerte sie ihre Fahrt während rund 1,6 Sekunden auf zirka 60 km/h. X.________ nahm das aus der folgenden unübersichtlichen Kurve herannahende Fahrzeug erst wahr, als er sich neben dem zu überholenden Lastwagen befand. Er entschloss sich daher, das Manöver trotz des Gegenverkehrs abzuschliessen. Als er mit seinem Fahrzeug nach dem Überholvorgang mit einer Geschwindigkeit von zirka 80 km/h brüsk wieder auf die rechte Fahrbahnspur gewechselt hatte, betrug der Abstand zum entgegenkommenden VW Käfer lediglich noch zirka 45 Meter. Rund 1,2 Sekunden nach Beendigung des Überholmanövers kreuzten sich die beiden Personenwagen. Für den Überholvorgang, welcher sich auf mindestens 100 Meter erstreckte, benötigte der Angeklagte zirka 6 Sekunden."
 
B.
 
Der Bezirksgerichtsausschuss Prättigau/Davos sprach X.________ am 7. November 2002 der groben Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 35 Abs. 2 und Abs. 4 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 2 SVG schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von 4'000 Franken, bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr.
 
Der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden bestrafte X.________ am 23. Januar 2003 in teilweiser Gutheissung von dessen Berufung in Bestätigung der erstinstanzlichen Schuldsprüche mit einer Busse von 2'500 Franken.
 
C.
 
X.________ focht das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses vom 23. Januar 2003 mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde und mit staatsrechtlicher Beschwerde an.
 
Der Kassationshof des Bundesgerichts hob am 26. September 2003 das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wurde als gegenstandslos am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.
 
D.
 
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden bestrafte X.________ am 3. Dezember 2003 in Bestätigung der erstinstanzlichen Schuldsprüche mit einer Busse von 2'000 Franken.
 
E.
 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses vom 3. Dezember 2003 aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
F.
 
Das Kantonsgericht hat unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil auf Gegenbemerkungen zu den beiden Beschwerden verzichtet.
 
G.
 
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Auf Grund der Ausführungen im angefochtenen Urteil und unter Berücksichtigung der darin zitierten Aktenstücke, insbesondere des Gutachtens des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamts des Kantons St. Gallen vom 26. April 2002 samt Beilagen (kant. Akten Doss. 3 act. 18 und act. 19) sowie der Bildaufnahmen des Vorfalls (kant. Akten Doss. 3 act. 3) ist in tatsächlicher Hinsicht von Folgendem auszugehen.
 
Als der Beschwerdeführer, dem VW Golf folgend, mit seinem Mercedes 180 das Überholmanöver einleitete, kam auf der Strasse, soweit diese überblickbar war, kein Fahrzeug entgegen. Während des Überholvorgangs konnte der Beschwerdeführer wegen des vor ihm fahrenden VW Golf die Überholstrecke zeitweise nicht überblicken. Der Beschwerdeführer sah den entgegenkommenden VW Käfer erst, als der Lenker des VW Golf das Überholmanöver abschloss und vor dem Lastwagen, welcher mit einer Geschwindigkeit von mindestens 33 km/h fuhr, wieder nach rechts einbog. In diesem Moment befand sich der Mercedes 180 des Beschwerdeführers ungefähr auf der Höhe der Führerkabine des Lastwagens und ca. 110 Meter vom entgegenkommenden VW Käfer entfernt. Im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer nach Abschluss des Überholmanövers wieder vollständig auf die rechte Fahrbahnhälfte eingebogen war, war er noch ca. 45 Meter vom entgegenkommenden VW Käfer entfernt. Rund 1,2 Sekunden später kreuzten sich die beiden Fahrzeuge, die mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h fuhren. Die Lenkerin des VW Käfer betätigte, als sie auf ihrer Fahrbahnhälfte die beiden überholenden Fahrzeuge entgegenkommen sah, während 1,6 Sekunden die Bremsen und reduzierte dadurch ihre Geschwindigkeit von etwa 80 km/h auf rund 60 km/h. Sie beendete dieses Bremsmanöver, als sie ca. 80 Meter vom Fahrzeug des Beschwerdeführers entfernt war. Hätte sie nicht kurzzeitig die Bremsen betätigt, wäre das Fahrzeug des Beschwerdeführers nach dem vollständigen Wiedereinbiegen auf die rechte Fahrbahnhälfte nach Abschluss des Überholmanövers 27 Meter vom entgegenkommenden VW Käfer entfernt gewesen. Der Beschwerdeführer benötigte für das Überholmanöver auf der in seiner Fahrtrichtung eine Steigung von etwa 5 % aufweisenden Strasse ca. 6 Sekunden und legte dabei eine Strecke von mindestens 100 Metern zurück.
 
1.2 Nach der Auffassung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer durch sein Überholmanöver sowohl einerseits Art. 35 Abs. 2 und Abs. 4 SVG betreffend das Überholen als auch andererseits Art. 34 Abs. 4 SVG betreffend den gebotenen Abstand missachtet und diese Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG grob verletzt.
 
1.3 Der Beschwerdeführer macht in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde und in der staatsrechtlichen Beschwerde mit im Wesentlichen inhaltlich übereinstimmenden Begründungen geltend, er habe sich lediglich der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig gemacht. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz verstosse gegen Bundesrecht (eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde) beziehungsweise sei willkürlich (staatsrechtliche Beschwerde). In der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde macht er zudem geltend, seine Verurteilung wegen Verletzung der Verkehrsregel im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG sei bundesrechtswidrig.
 
2.
 
Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren. Nach Art. 35 Abs. 2 SVG ist Überholen gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Gemäss Art. 35 Abs. 4 SVG darf unter anderem in unübersichtlichen Kurven und vor Kuppen nicht überholt werden.
 
2.1 Der Beschwerdeführer anerkennt, dass er die Verkehrsregeln im Sinne von Art. 35 Abs. 2 und Abs. 4 SVG missachtet hat. Er bestreitet aber, auch die Verkehrsregel im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG verletzt zu haben. Art. 35 Abs. 2 SVG stelle eine auf das Überholen bei Gegenverkehr zugeschnittene Spezialnorm dar, die eine gleichzeitige Anwendung des allgemeineren Art. 34 Abs. 4 SVG ausschliesse. Letzterer sei neben Art. 35 Abs. 2 SVG lediglich dann kumulativ anwendbar, wenn nicht nur der Gegenverkehr behindert, sondern zusätzlich die Abstandsvorschriften gegenüber andern Verkehrsteilnehmern (überholtes Fahrzeug, vorausfahrendes Fahrzeug) verletzt werden. Der diesbezügliche Vorwurf sei indessen aufgrund des Bundesgerichtsentscheids vom 26. September 2003 in Sachen des Beschwerdeführers fallen gelassen worden.
 
2.2 Die Vorinstanz begründet die Verurteilung wegen Verletzung der Verkehrsregel im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer den Lastwagen überholte, obschon die Distanz zu allfälligen entgegenkommenden Fahrzeugen nicht ausreichte, und dass er daher zu knapp vor dem entgegenkommenden VW Käfer wieder auf die rechte Fahrbahnhälfte wechselte. Gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG sei auch beim Überholen gegenüber allen Verkehrsteilnehmern ein ausreichender Abstand zu wahren. Somit sei nach dieser Bestimmung beim Überholen auch gegenüber einem entgegenkommenden Fahrzeug ein Sicherheitsabstand einzuhalten. Der Überholweg dürfe nicht so kurz gemessen sein, dass der Überholende bei einem allfällig entgegenkommenden Fahrzeug nur noch haarscharf vor diesem und dem Überholten wieder einbiegen könne. Zwischen dem Wiedereinbiegen des überholenden Fahrzeugs und dem Kreuzen mit einem entgegenkommenden Fahrzeug müsse daher ein Sicherheitsabstand von mindestens zwei Sekunden bestehen. Der Mercedes des Beschwerdeführers sei nach dem vollständigen Wiedereinbiegen auf die rechte Fahrbahnhälfte lediglich rund 45 Meter vom entgegenkommenden VW Käfer entfernt gewesen, und die beiden Fahrzeuge hätten sich ca. 1,2 Sekunden später gekreuzt. Dieser Sicherheitsabstand sei angesichts der Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge von 70 km/h ungenügend. Da der Beschwerdeführer somit zum entgegenkommenden VW Käfer keinen genügenden Abstand eingehalten habe, sei er von der Vorinstanz zu Recht auch der Verletzung von Art. 34 Abs. 4 SVG schuldig gesprochen worden (angefochtenes Urteil S. 8 f.).
 
2.3 Die Pflicht zur Wahrung eines ausreichenden Abstands besteht gemäss Art. 34 Abs. 4 SVG gegenüber allen Strassenbenützern und auch beim Überholen. Art. 34 Abs. 4 SVG missachtet beim Überholen, wer vor der Einleitung des Überholmanövers zu nahe auf den Vordermann aufschliesst, während des Überholvorgangs einen ungenügenden seitlichen Abstand zum Fahrzeug, das überholt wird, einhält und beim Abschluss des Überholmanövers zu nahe vor dem Überholten wieder nach rechts einbiegt. Art. 34 Abs. 4 SVG missachtet auch, wer beim gleichzeitigen Überholen und Kreuzen einen ungenügenden seitlichen Abstand zum entgegenkommenden Fahrzeug einhält. Gleichzeitiges Überholen und Kreuzen ist daher nur gestattet, wenn die Fahrbahn so breit ist, dass sowohl zum Überholten wie auch zum entgegenkommenden Fahrzeug ein genügender seitlicher Abstand gewahrt werden kann. Wenn dies nicht der Fall ist, dann ist der zum Überholen nötige Raum nicht frei im Sinne von Art. 35 Abs. 2 SVG (siehe Hans Giger, Strassenverkehrsgesetz, 6. Aufl., 2002, Ziff. 4 zu Art. 34 SVG, Ziff. 2c zu Art. 35 SVG).
 
Hingegen ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Längsdistanz, d.h. die Entfernung zu einem entgegenkommenden Fahrzeug, die sich naturgemäss fortwährend verringert, nicht im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG ein "Abstand", der zu "wahren" ist. Diese Längsdistanz ist auch beim Wiedereinbiegen kein im Sinne dieser Bestimmung zu wahrender Abstand. Daher liegt kein Verstoss gegen Art. 34 Abs. 4 SVG vor, wenn bei Einleitung des Überholmanövers und/oder beim Wiedereinbiegen bei Abschluss des Überholvorgangs die Längsdistanz, d.h. die Entfernung zu einem entgegenkommenden Fahrzeug zu kurz ist. Wer überholt, obschon ein entgegenkommendes Fahrzeug zu nahe ist, und/oder wer in zu geringer Entfernung vom entgegenkommenden Fahrzeug wieder nach rechts einbiegt, missachtet dadurch Art. 35 Abs. 2 SVG und nicht (auch) Art. 34 Abs. 4 SVG.
 
Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Verletzung der Verkehrsregel im Sinne von Art. 34 Abs. 4 SVG verstösst daher gegen Bundesrecht. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb in diesem Punkt gutzuheissen.
 
3.
 
Wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt, wird mit Haft oder mit Busse bestraft (Art. 90 Ziff. 1 SVG). Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft (Art. 90 Ziff. 2 SVG).
 
3.1 Der qualifizierte Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben (BGE 130 IV 32 E. 5.1; 123 II 106 E. 2a 123 IV 88 E. 3a, je mit Hinweisen). Ob eine konkrete, eine erhöhte abstrakte oder nur eine abstrakte Gefahr geschaffen wird, hängt von der Situation ab, in welcher die Verkehrsregelverletzung begangen wird. Wesentliches Kriterium für die Annahme einer erhöhten abstrakten Gefahr ist die Nähe der Verwirklichung. Die allgemeine Möglichkeit der Verwirklichung einer Gefahr genügt demnach nur zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 90 Ziff. 2 SVG, wenn in Anbetracht der Umstände der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder gar einer Verletzung nahe liegt (BGE 123 IV 88 E. 3a; 118 IV 285 E. 3a).
 
Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der Rechtsprechung ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 130 IV 32, E. 5.1; 126 IV 192 E. 3; 123 IV 88 E. 2a und E. 4a; 118 IV 285 E. 4). Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht gezogen, also unbewusst fahrlässig gehandelt hat (BGE 130 IV 32 E. 5.1 mit Hinweis). In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht (BGE 118 IV 285 E. 4 mit Hinweisen). Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen (nicht veröffentlichte BGE 6S.11/2002 vom 20. März 2002 und 6S.56/1994 vom 11. April 1994).
 
3.2 Als der Beschwerdeführer das Überholmanöver einleitete, konnte er nicht wissen, ob und gegebenenfalls wann ein Fahrzeug aus der Gegenrichtung entgegenkommen und wie dessen Lenker reagieren würde. Während des Überholvorgangs war die Sicht des Beschwerdeführers auf die Überholstrecke durch den VW Golf, der vor ihm den Lastwagen überholte, behindert. Der Beschwerdeführer nahm den entgegenkommenden VW Käfer erst wahr, als der Lenker des VW Golf das Überholmanöver abschloss und wieder nach rechts einbog. In diesem Zeitpunkt befand sich der Mercedes des Beschwerdeführers ungefähr auf der Höhe der Führerkabine des zu überholenden Lastwagens und ca. 110 Meter vom entgegenkommenden VW Käfer entfernt. Wäre das entgegenkommende Fahrzeug in diesem Zeitpunkt schon näher gewesen und etwas schneller gefahren, hätte es leicht zu einer Kollision kommen können. Der Beschwerdeführer schloss sich dem Lenker des VW Golf an, der vor ihm den Lastwagen überholte. Die Länge des Überholweges des Beschwerdeführers hing damit auch vom Verhalten des Lenkers des VW Golf ab. Der Beschwerdeführer konnte beispielsweise, da der VW Golf vor ihm fuhr und ihm damit gleichsam im Wege war, den Überholweg nicht durch eine zusätzliche Beschleunigung seiner Geschwindigkeit verkürzen, selbst wenn er den entgegenkommenden VW Käfer wahrgenommen hätte. Er musste auch beim Wiedereinbiegen auf die Fahrweise des Lenkers des VW Golf Rücksicht nehmen. Hätte dieser nach dem Wiedereinbiegen vor dem Lastwagen seine Geschwindigkeit etwa angesichts der nahen Kurve verringert, so hätte dies ein Wiedereinbiegen des Beschwerdeführers zwischen dem Lastwagen und dem VW Golf erschweren können.
 
Indem der Beschwerdeführer auf der ohnehin zu kurzen Überholstrecke vor einer unübersichtlichen Kurve sich dem überholenden VW Golf anschloss und hinter diesem Fahrzeug zeitweise ohne Sicht auf die Überholstrecke den Lastwagen überholte, schuf er unter den gegebenen Umständen eine erhöhte abstrakte Gefahr und handelte er grob fahrlässig.
 
3.3 Was der Beschwerdeführer in seinen beiden inhaltlich weitgehend wörtlich übereinstimmenden Beschwerden vorbringt, geht zum einen an der Sache vorbei und ist zum andern unbegründet.
 
3.3.1 In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nicht dargelegt, inwiefern tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz auf willkürlicher Beweiswürdigung beruhen beziehungsweise unter Verletzung verfassungsmässiger Rechte des Beschwerdeführers getroffen worden sind. Ob unter den gegebenen Umständen die Voraussetzungen einer erhöhten abstrakten Gefahr sowie grober Fahrlässigkeit im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt sind, ist eine Frage des eidgenössischen Rechts.
 
3.3.2 Das eingehend begründete Urteil der Vorinstanz enthält zwar in den Erwägungen zu Art. 90 Ziff. 2 SVG (E. 5 S. 9 ff.) einzelne Ausführungen, die lediglich eine einfache Verkehrsregelverletzung zu begründen vermögen und welche angesichts ihrer Formulierungen teilweise zu Widerspruch Anlass geben können. Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 i.V.m. Art. 35 Abs. 2 und Abs. 4 SVG verstösst aber im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht. Die Vorinstanz erachtet es letztlich zu Recht als entscheidend, dass der Beschwerdeführer "völlig unverantwortlich dem vorausfahrenden VW Golf hinterhergefahren ist, als dieser den Lastwagen überholte", und dass er "dabei infolge der beeinträchtigten Sicht durch das vorausfahrende Fahrzeug nicht beurteilen (konnte), ob er das Überholmanöver ohne Gefährdung Dritter durchführen konnte" (angefochtenes Urteil S. 13). Das Verhalten des Beschwerdeführers schuf aus den vorstehend genannten Gründen eine erhöhte abstrakte Gefahr, da, wie auch die in den Akten enthaltenen Bildaufnahmen des Vorfalls zeigen, eine konkrete Gefährdung nahe lag. Daran ändert nichts, dass tatsächlich niemand konkret gefährdet wurde. Sollte der Beschwerdeführer sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner unstreitig gegen eine grundlegende Verkehrsregel verstossenden Fahrweise tatsächlich nicht bewusst gewesen sein, wie die Vorinstanz anzunehmen scheint (siehe angefochtenes Urteil S. 15), so ist jedenfalls das Nichtbedenken dieser allgemeinen Gefährlichkeit, die unter den gegebenen Umständen offensichtlich erkennbar war, als rücksichtslos und daher grob fahrlässig zu bewerten.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
 
4.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist in einem Nebenpunkt gutzuheissen und im Übrigen abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer für beide Verfahren eine Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 2'500.-- zu tragen und ist ihm eine Entschädigung von Fr. 500.-- aus der Bundesgerichtskasse auszurichten. Er hat somit per Saldo eine Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- zu zahlen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit die Verurteilung des Beschwerdeführers in Anwendung von Art. 34 Abs. 4 SVG betreffend, gutgeheissen und das angefochtene Urteil daher aufgehoben.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird im Übrigen abgewiesen.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat per Saldo eine Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- zu zahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. Juli 2004
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).