BGer C 10/2004 | |||
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BGer C 10/2004 vom 17.09.2004 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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C 10/04
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Urteil vom 17. September 2004
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III. Kammer
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Besetzung
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Bundesrichter Rüedi, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Scartazzini
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Parteien
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Regionales Arbeitsvermittlungszentrum Sargans (RAV), Langgrabenweg 22, 7320 Sargans, Beschwerdeführer, vertreten durch das Amt für Arbeit, Unterstrasse 22, 9001 St. Gallen,
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gegen
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G.________, 1978, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
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(Entscheid vom 3. Dezember 2003)
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Sachverhalt:
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A.
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Die am 23. März 1978 geborene G.________ stellte auf den 1. Januar 2002 im Kanton Zürich und infolge Wohnortwechsels auf Anfang Juni 2002 im Kanton St. Gallen Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. Am 26. August 2002 wies das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum Sargans (RAV) der Versicherten schriftlich eine befristete Arbeit ab 15. Oktober 2002 bis 31. Januar 2003 als Bijouterie-Verkäuferin bei X.________ AG zu. Für diese Stelle hat sich G.________ bis zum 5. September 2002 nicht beworben und auf ein Schreiben der Verwaltung vom 10. September 2002 hat sie nicht reagiert. Mit Verfügung vom 30. September 2002 stellte das RAV G.________ für 31 Tage ab 29. August 2002 in der Anspruchsberechtigung ein.
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B.
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Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 3. Dezember 2003 teilweise gut, indem die Versicherte für 25 Tage in der Anspruchsberechtigung eingestellt wurde.
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C.
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Das RAV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt in Auf-hebung des kantonalen Entscheides die Wiederherstellung der Ver-waltungsverfügung vom 30. September 2002.
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G.________ und das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wäh-rend das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) auf eine Vernehmlas-sung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die den Arbeitslosen obliegende Schadenminderungspflicht, insbesondere über die Pflichten der versicherten Personen im Hinblick auf die Vermeidung oder Verkürzung von Arbeitslosigkeit und den Nachweis entsprechender Anstrengungen (Art. 17 Abs. 1 AVIG), über den Einstellungstatbestand der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit (Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG) und die nach dem Grad des Verschuldens zu bemessende Einstellungsdauer (Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2 und 3 AVIV) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bun-desgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 30. September 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderun-gen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
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2.
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2.1 Im vorinstanzlichen Verfahren machte G.________ im Wesentlichen geltend, vom 6. bis zum 16. September 2002 habe sie täglich erfolglos bei der Arbeitgeberin angerufen und an diesem Datum erfah-ren, dass die Stelle besetzt war. Ferner brachte sie vor, die Arbeit-geberin hätte sie wegen der Schwangerschaft ohnehin nicht für diesen Arbeitsplatz vom 15. Oktober 2002 bis 31. Januar 2003 eingestellt, da sie ca. Mitte Januar ihr Kind erwartete. Demgegenüber wies das RAV hauptsächlich darauf hin, die Angabe, die Versicherte habe sich 10 Tage lang andauernd erfolglos telefonisch zu bewerben versucht, erscheine schwer verständlich. Zudem hätte es sich unter diesen Umständen aufgedrängt, eine schriftliche Bewerbung einzureichen.
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Das kantonale Gericht führte im angefochtenen Entscheid aus, unklar sei, ob G.________ vom 6. bis 16. September 2002 ernsthaft ver-sucht habe, die künftige Arbeitgeberin telefonisch zu erreichen. Selbst in der Annahme, der Arbeitslosen sei dies nie gelungen, sei von einer ungenügenden Bewerbung auszugehen, da die Versicherte in diesem Fall verpflichtet gewesen wäre, schriftlich ihr Interesse an der Arbeits-stelle zu bekunden. Es müsse somit von einer Ablehnung der zuge-wiesenen Stelle ausgegangen werden, wobei aus einer gerichtlich eingeholten Auskunft der künftigen Arbeitgeberin nicht hervorging, dass eine Anstellung auf Grund der Schwangerschaft der Versicherten ohnehin nicht in Frage gekommen wäre. Bei der Bemessung des Verschuldens habe das RAV die persönlichen Verhältnisse der Arbeitslosen, insbesondere ihre missliche finanzielle Lage und die Tatsache, dass es sich bei der zugewiesenen Stelle um eine auf dreieinhalb Monate befristete Arbeit gehandelt hatte, zu wenig gewichtet. Mithin erachtete das Gericht eine Einstellungsdauer wegen mittelschweren Verschuldens im Umfang von 25 Tagen als angemessen.
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2.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, mit der Verminderung der Einstellungsdauer von 31 auf 25 Tage habe das Versicherungsgericht unzulässig in die pflichtgemässe Ermessensaus-übung der Verwaltung eingegriffen. Das RAV beanstandet, die Vorin-stanz habe das von ihm als schwer qualifizierte Verschulden zu Unrecht als unangemessen gehalten. Die finanzielle Einbusse der Versicherten sei nicht zu berücksichtigen, weil für die Einstellungsdauer das Verschulden und nicht der verursachte Schaden Massstab sei. Zudem habe das kantonale Gericht unberücksichtigt gelassen, dass sich G.________ eine grobe Pflichtwidrigkeit vorwerfen lassen müsse, weil sie trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage, der begrenzten Arbeitsaussichten im betreffenden Arbeitssegment und der wegen der fortschreitenden Schwangerschaft von ihr selber angeführten erhöhten Schwierigkeiten bei der Stellensuche keine ernsthafte Bemühung um die ausgeschriebene Arbeit vornahm. Im Lichte dieser Betrachtung erscheine eine Einstellungsdauer von 25 Tagen nicht angemessener als eine solche von 31 Tagen.
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2.3
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2.3.1 Nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 30 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 3bis AVIG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 3 AVIV ist der Bemes-sung der Einstellungsdauer bei Ablehnung einer (auch amtlich) zugewiesenen zumutbaren Arbeit nicht zwingend ein schweres Verschulden zugrunde zu legen. Damit bildet die Bestimmung von Art. 45 Abs. 3 AVIV lediglich die Regel, von welcher beim Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall abgewichen werden darf. Insoweit ist das Ermessen von Verwaltung und Sozialversicherungsgericht nicht auf eine Einstellungsdauer im Rahmen eines schweren Verschuldens beschränkt, sondern lässt es auch eine mildere Sanktion zu. Art. 45 Abs. 3 AVIV schreibt die Annahme eines schweren Verschuldens unter Vorbehalt eines entschuldbaren Grundes vor. Wird ein solcher Grund bejaht, ist diese Bestimmung nicht anwendbar und die Einstellungs-dauer bemisst sich nach der Regel des Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG. Diese im konkreten Einzelfall liegenden Gründe können, wie etwa die Befristung einer Stelle, eine objektive Gegebenheit beschlagen (BGE 130 V 126 Erw. 3.2 - 3.5; ARV 2000 Nr. 9 S. 49 ff. Erw. 4b).
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2.3.2 In Anwendung dieser Rechtsprechung besteht kein Grund, von der Regel des Art. 45 Abs. 3 AVIV abzuweichen, wonach vorliegend von einem schweren Verschulden auszugehen ist. Dabei ist der Argu-mentation des Beschwerdeführers beizupflichten. Entgegen der vom Versicherungsgericht in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsge-richtsbeschwerde vertretenen Betrachtungsweise kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Sanktionsraster des seco, weil er für die Ablehnung einer auf drei Monate befristeten Stelle nur die Annah-me eines mittelschweren Verschuldens vorsehe (Einstellung zwischen 23 und 30 Tagen, AM/ALV-Praxis 99/1), erst für die Ablehnung einer auf vier Monate befristeten Stelle die Möglichkeit für die Annahme eines schweren Verschuldens öffne (Einstellung zwischen 27 und 34 Tagen, AM/ALV-Praxis 99/1). In der Tat lässt sich eine Einstellung von 31 Tagen für die Nichtannahme der G.________ zugewiesenen Arbeit in den Sanktionsraster des seco sehr wohl einfügen, zumal sich daraus nach entsprechender Umrechnung bei Ablehnung einer auf dreieinhalb Monate befristeten Stelle eine Einstellungsdauer zwischen 25 und 32 Tagen ergibt. Die Auffassung des Beschwerdeführers, mit der Annahme eines schweren Verschuldens und der verfügten Einstellungsdauer von 31 Tagen für die Ablehnung der auf dreieinhalb Monate befristeten Stelle sei dem Raster des seco Rechnung getragen worden, ist daher begründet.
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2.4 Nicht zutreffend ist sodann die Erwägung der Vorinstanz, es laufe auf eine verfassungswidrige (Art. 8 Abs. 2 BV) Diskriminierung der schwangeren Frauen im Zusammenhang mit der Stellensuche hinaus, wenn in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde als verschuldenser-schwerend gewichtet werde, dass sich die Versicherte in Anbetracht der fortschreitenden Schwangerschaft umso mehr um die zugewiesene Stelle hätte bemühen müssen bzw. wenn ihr ein konsequentes Verschweigen der Schwangerschaft vorgeworfen werde. Von der Be-schwerdegegnerin wurden diesbezüglich keine erhöhten, sondern lediglich, angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage, der begrenzten Arbeitsaussichten im betreffenden Arbeitssegment und der wegen der fortschreitenden Schwangerschaft von ihr selber angeführten Schwierigkeiten, ernsthafte Bemühungen bei der Stellensuche verlangt. Da sich die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung einzig nach dem Grad des Verschuldens bemisst (Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG; BGE 122 V 40 Erw. 4c/aa mit Hinweisen; ARV 2000 Nr. 9 S. 49 Erw. 4a), erweist sich auch der vorinstanzliche Einwand, die misslichen finanziellen Verhältnisse der Versicherten hätten deren Situation im Hinblick auf eine ordentliche Bewerbung erschwert, nicht als zutreffend.
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2.5 Wenn das RAV vorliegend die Einstellungsdauer auf 31 Tage fest-gesetzt hat, hat es unter den gegebenen Umständen weder sein im Rahmen der Verwaltungspraxis zustehendes Ermessen missbraucht (Art. 104 lit. a in Verbindung mit Art. 132 Ingress OG; vgl. BGE 123 V 150), noch kann darin eine unangemessene Handhabung des Ver-schuldensmassstabes erblickt werden (Art. 104 lit. c Ziff. 3 in Verbin-dung mit Art. 132 lit. a OG; vgl. BGE 116 Ib 356 Erw. 2b und BGE 114 V 316 Erw. 5a). Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die vom Beschwerdeführer verfügte Einstellungsdauer zu Unrecht auf 25 Tage verringert. Insoweit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Ent-scheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 3. Dezember 2003 aufgehoben.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kan-tons St. Gallen, der Kantonalen Arbeitslosenkasse St. Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
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Luzern, 17. September 2004
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Vorsitzende der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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