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Informationen zum Dokument  BGer H 222/2003  Materielle Begründung
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BGer H 222/2003 vom 08.10.2004
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
H 222/03
 
Urteil vom 8. Oktober 2004
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke
 
Parteien
 
K.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
(Entscheid vom 27. Juni 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1994 gegründete X.________ AG war der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen (nachfolgend: Ausgleichskasse) als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Gemäss Handelsregisterauszug amteten zunächst R.________ und L.________ als Mitglieder sowie C.________ als Präsident des Verwaltungsrats, Letztere jedoch nur bis 26. März 1998. Per 29. Juli 1998 erfolgte ein Sitzwechsel von A.________ nach B.________ sowie eine Firmenänderung in Y.________ AG. Gleichzeitig amtete R.________ nunmehr als Verwaltungsratspräsident, während neu K.________ das Mandat des Vizepräsidenten und Geschäftsführers übernahm. Am 2. Dezember 1999 übernahm S.________ zusätzlich ein Verwaltungsratsmandat. K.________ und R.________ tauschten per 12. Oktober 2000 ihre Funktion; schliesslich wurde R.________ wie auch S.________ per 17. Januar 2001 im Handelsregister gelöscht.
 
Am 22. Februar 2002 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 28. Februar 2002 mangels Aktiven wieder eingestellt. Mit Verfügungen vom 17. Juni 2002 verpflichtete die Ausgleichskasse die Organe der Gesellschaft zur Leistung von Schadenersatz gemäss Art. 52 AHVG für entgangene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungskostenbeiträge, Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) in unterschiedlicher Höhe, aber in solidarischer Haftbarkeit mit den anderen für den jeweils sie betreffenden Betrag: L.________ und C.________ zum Betrag von jeweils Fr. 23'556.75 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 20'570.40, kantonalrechtlicher Teil: Fr. 2'986.35), R.________ und S.________ zum Betrag von jeweils Fr. 64'543.60 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 55'984.80, kantonalrechtlicher Teil: Fr. 8'558.80) sowie K.________ zum Betrag von Fr. 78'911.85 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 68'400.70, kantonalrechtlicher Teil: Fr. 10'511.15). Die Betroffenen erhoben hiegegen Einspruch.
 
B.
 
Mit Entscheid vom 27. Juni 2003 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die von der Ausgleichskasse im reduzierten Umfang von Fr. 71'082.70 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 61'631.55, kantonalrechtlicher Teil Fr. 9'451.15) erhobene Klage gegen K.________ teilweise gut und verpflichtete ihn zur Zahlung von Schadenersatz im Betrag von Fr. 46'025.55 für den bundesrechtlichen und Fr. 7'057.15 für den kantonalrechtlichen Teil, wobei die Klägerin Zahlungen der Solidarschuldner R.________, C.________, L.________ und S.________ auf diese Beträge anteilsmässig anzurechnen habe.
 
C.
 
K.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; im Weiteren sei ihm für seine Aufwendungen eine Parteientschädigung von Fr. 5'000.- zuzusprechen.
 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der Mitinteressierte C.________ schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die als Mitinteressierte beigeladenen R.________, S.________ und L.________ haben sich nicht vernehmen lassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).
 
2.
 
Der angefochtene Entscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
3.
 
3.1 Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, findet das auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, mit welchem zahlreiche Bestimmungen im AHV-Recht, insbesondere auch hinsichtlich der Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG (Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVG, eingefügt durch Anhang Ziff. 7 ATSG), geändert worden sind, vorliegend keine Anwendung, weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 130 V 3 Erw. 3, 129 V 4 Erw. 1.2).
 
3.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über den Eintritt des Schadens und Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens (BGE 119 V 92 Erw. 3), über die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 126 V 237, 123 V 15 Erw. 5b, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 444 Erw. 3a, 123 V 15 Erw. 5b, je mit Hinweisen), die erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen), die Haftungsvoraussetzung des qualifizierten Verschuldens und dem dabei zu berücksichtigenden - differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 202 Erw. 3a, ZAK 1992 S. 248 Erw. 4b, je mit Hinweisen; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081) sowie den adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a) zutreffend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.
 
4.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführer Schadenersatz zu leisten hat.
 
4.1 Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 2 hievor), umfasst die gegenüber dem Beschwerdeführer klageweise geltend gemachte Schadenersatzforderung in der Höhe von Fr. 71'082.70 unbezahlt gebliebene Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten, Mahngebühren, Betreibungskosten und Verzugszinsen. Dabei hat die Vorinstanz unter Berücksichtigung von Herabsetzungsgründen - die Ausgleichskasse hat die Ausstände insofern mitzuverantworten, als sie elementare Vorschriften der Beitragsveranlagung und des Beitragsbezugs verletzt hat (vgl. Erw. 4.3.2 hernach) - den gesamten Betrag um Fr. 18'000.- reduziert, woraus der Betrag von Fr. 53'082.70 resultiert. Die konkursite Gesellschaft entrichtete die geschuldeten Beiträge über Jahre nur schleppend, auf Betreibung hin und schliesslich gar nicht mehr. Damit verstiess sie grobfahrlässig gegen die Vorschriften von Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV (sowohl in der bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen, wie auch in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung), was grundsätzlich die volle Schadenersatzpflicht gemäss Art. 52 AHVG nach sich zieht (BGE 118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen).
 
4.2 Dieses Verschulden der Arbeitgeberin hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer, seines Zeichens Verwaltungsrat und Geschäftsführer der AG, welcher sich zudem selbst als Kontaktperson gegenüber der Ausgleichskasse bezeichnete und die Lohnbescheinigungen unterzeichnete, zu Recht als grobfahrlässiges Verhalten, das die Schadenersatzpflicht nach sich zieht, angerechnet. Sie hat sich ausführlich zur Widerrechtlichkeit, zum Verschulden, zu den geltend gemachten Exkulpationsgründen sowie zum Kausalzusammenhang zwischen der schuldhaften Verletzung der AHV-Vorschriften und dem Eintritt des Schadens geäussert. So ist insbesondere richtig, dass ein Verwaltungsratsmitglied mit der Mandatsübernahme in die Verantwortung sowohl für die laufenden als auch für die verfallenen, vor seiner Verwaltungsratstätigkeit entstandenden Beitragsschulden tritt, weshalb vorliegend der Beschwerdeführer auch für die Beitragsausstände 1997 haftet. Sodann hat das kantonale Gericht zutreffend dargetan, dass den Beschwerdeführer das Vorbringen, es seien ihm die Pflichten gegenüber der AHV beim Eintritt in den Verwaltungsrat nicht bekannt gewesen, nicht entlasten kann, nachdem er unbestrittenermassen für die Beitragsabrechnung zuständig war und selbst eingeräumt hat, den Beitragsforderungen nicht die gleich hohe Zahlungspriorität beigemessen zu haben wie anderen Forderungen.
 
4.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen:
 
4.3.1 Soweit er zunächst erneut geltend macht, die Ausgleichskasse habe die Schadenersatzforderung verspätet geltend gemacht, kann mit der Vorinstanz festgestellt werden, dass weder die Pfändungsurkunde vom 21. Juni 2000 noch die Mitteilung vom 27. Februar 2001 über die Verwertung der beweglichen Sachen eine Schadenskenntnis zu begründen vermögen. Ebenso verhält es sich mit dem Schreiben des Konkursamtes vom 28. Mai 2001, auf welches der Beschwerdeführer verweist. In diesem Schreiben wurde zwar die Ausgleichskasse davon in Kenntnis gesetzt, die Nachpfändung habe ergeben, dass der Aktivposten nun verwertet werde und das Lager leer sei; es seien keine pfändbaren Guthaben, Forderungen und Gegenstände mehr vorhanden, weshalb das Betreibungsamt auf die Eröffnung einer neuen Pfändungsgruppe verzichte. Gleichzeitig wurde aber auch ausgeführt, der Schuldner würde die Schulden zurückzahlen, wenn eine Finanzierung zu Stande käme. Damit stellte der Schuldner eine Möglichkeit der Bezahlung in Aussicht, weshalb ebenso wie bei der Einreichung des Verwertungsbegehrens am 14. August 2000 - wie die Vorinstanz erwogen hat und der Beschwerdeführer mittlerweile einräumt - auf Grund einer Aussage des Schuldners, er sei in der Lage, eine Schuld beispielsweise in Raten zu zahlen, nicht von der Schadenskenntnis der Ausgleichskasse ausgegangen werden kann. Es kommt hinzu, dass das Betreibungsamt bis dahin noch keinen Verlustschein ausgestellt hatte.
 
4.3.2 Zum anderen macht er hinsichtlich der von der Vorinstanz vorgenommenen Herabsetzung (BGE 122 V 189 Erw. 3c, AHI 2002 S. 51) geltend, die Summe der Beiträge, für welche Veranlagungsverfügungen verspätet ergangen seien, ergebe Fr. 23'557.75, weshalb die Schadenersatzforderung um diesen Betrag, und nicht nur um Fr. 18'000.- zu reduzieren sei.
 
Dazu ist einerseits festzuhalten, dass die Höhe der Herabsetzung nicht an einen bestimmten Verfügungsbetrag gebunden ist (vgl. beispielsweise Urteil A. vom 21. Juni 2001, H 90/00), sondern vielmehr im Ermessen der Vorinstanz liegt, dessen Ausübung das Eidgenössische Versicherungsgericht nur bei rechtsfehlerhafter Betätigung korrigiert (Erw. 2). Andererseits trifft es zwar zu, dass die Beschwerdegegnerin einzelne Betreibungen nach zwei Jahren erneut erheben musste und mit ihren Veranlagungsverfügungen zur Beseitigung des Rechtsvorschlages zu lange zugewartet hat. Indessen hätte der Beschwerdeführer auch zu jenem Zeitpunkt noch dafür sorgen können und auch müssen, dass die Ausstände bezahlt werden. Dies hat er nicht getan. Vielmehr blieb die Gesellschaft auch die laufenden Beiträge schuldig und musste weiter betrieben werden. Es kann daher nicht gesagt werden, bei früherer Geltendmachung der Beiträge wäre es zu keinerlei Ausständen gekommen. Unter diesen Umständen ist die Vorinstanz mit der ermessensweise festgelegten Schadenminderung von Fr. 18'000.- dem Beschwerdeführer, entgegen seiner Auffassung, sehr weit, jedenfalls in einem Masse entgegengekommen, das keineswegs als missbräuchlich bezeichnet werden kann (Erw. 2).
 
5.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Lasten des unterliegenden Beschwerdeführers (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Ein Anspruch auf Parteientschädigung für seine Aufwendungen besteht demgemäss nicht (Art. 159 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Bundesamt für Sozialversicherung, S.________, C.________, R.________ und L.________ zugestellt.
 
Luzern, 8. Oktober 2004
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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