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Informationen zum Dokument  BGer K 93/2004  Materielle Begründung
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BGer K 93/2004 vom 26.01.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
K 93/04
 
Urteil vom 26. Januar 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Flückiger
 
Parteien
 
Ö.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. René Müller, Stapferstrasse 2, 5200 Brugg,
 
gegen
 
CSS Kranken-Versicherung AG, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
 
(Entscheid vom 8. Juni 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Ö.________ (geb. 1961) ist bei der CSS Versicherung (nachfolgend: CSS), Luzern, im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert. Wegen einer angeborenen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte unterzog er sich mehreren Operationen im Bereich Oberlippe/Nase.
 
Am 7. Dezember 1998 unterbreitete Dr. med. S.________, Facharzt Rhinologie und plastische Gesichtschirurgie, der CSS ein Kostengutsprachegesuch für eine weitere Operation der Nase wegen eingeschränkter Atmung. In der Folge wurden verschiedene Arztberichte eingereicht, welche sich für eine Operation der Nase aufgrund von Atemproblemen aussprachen. Einige der ärztlichen Zeugnisse befürworteten zudem eine Oberlippenkorrektur als notwendige Voraussetzung für die Nasenoperation. Die CSS anerkannte eine Leistungspflicht für den Naseneingriff zur Verbesserung der Atmung, lehnte sie hingegen für die Lippenkorrektur ab (Verfügung vom 31. Juli 2002). Daran hielt sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 30. Juni 2003 fest.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 8. Juni 2004).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Beschwerdeführer beantragen, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und bezüglich der medizinischen Notwendigkeit der Lippenoperation ein Gutachten einzuholen.
 
Die CSS schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das kantonale Gericht sowie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die Lippenkorrektur im Lichte von Art. 32 KVG (Erfordernis der Zweckmässigkeit im Sinne der medizinischen Indikation; BGE 125 V 99 Erw. 4a) und in diesem Rahmen die Frage, ob dieser Eingriff eine notwendige operative Vorbereitung für die Nasenoperation und die daraus resultierende Verbesserung der Atmung ist. Dass der Zustand der Lippe als solcher - mangels ausgewiesener Verschlimmerung - den Eingriff nicht rechtfertigt, hat die Vorinstanz zutreffend dargelegt.
 
2.
 
In Würdigung der ärztlichen Abklärungen gelangte die Vorinstanz zum Ergebnis, dass ein medizinisch begründeter Zusammenhang der Lippenkorrektur mit der Nasenoperation nicht erkannt werden könne. Es handle sich bei der Korrektur der Oberlippe um einen überwiegend ästhetischen Eingriff. Diese Folgerung ergebe sich aus den verschiedenen Arztberichten. Dr. med. S.________ äussere im Schreiben vom 10. November 2000 nur, dass die Oberlippe korrigiert werden solle, damit der Nasensteg in die Mittellinie zu stehen komme. Hingegen habe er nichts darüber ausgesagt, dass die Nasenatmung ohne Lippenoperation nicht wesentlich verbessert werden könne. Auch Dr. med. W.________, Facharzt FMH für plastische, ästhetische und Handchirurgie, befürworte sowohl die Nasen- als auch die Lippenkorrektur, gebe aber ebenfalls keine medizinische Begründung für den Zusammenhang der beiden Eingriffe an. Im Bericht vom 15. Januar 2001 schliesse sich Dr. med. K.________, FMH Innere Medizin, der Einschätzung des Dr. med. S.________ an. Demgegenüber sei Dr. med. E.________, Facharzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie, gemäss Schreiben vom 26. November 2001 nur bereit, die rechtsseitige Nasenstenose operativ zu verbessern. Prof. Dr. med. P.________ und Dr. med. H.________, Fachärzte für plastische und rekonstruktive Chirurgie, hätten sich im Schreiben vom 7. Dezember 2001 nicht zu einer möglichen oder sogar notwendigen Lippenkorrektur geäussert. Gemäss ärztlichem Zeugnis vom 2. Mai 2003 habe Prof. Dr. med. A.________, Facharzt für ästhetische Gesichts-, Kiefer- und Oralchirurgie, sogar von einer Verdünnung der Oberlippenseite abgeraten, da eine Gefühlsstörung in der Lippe eintreten würde.
 
3.
 
3.1 Dr. med. E.________ ist, wie erwähnt, nur bereit, die rechtsseitige Nasenstenose operativ zu verbessern. Aus dieser Äusserung kann aber nicht geschlossen werden, dass es keiner Lippenkorrektur bedarf. Der im Arztbericht von Prof. Dr. med. P.________ und Dr. med. H.________ konkret beschriebene operative Eingriff lässt nur vermuten, es sei keine Oberlippenoperation als solche erforderlich. Etwas Schlüssiges ergibt sich daraus für die eingangs gestellte Frage (Erw. 1) nicht. Dr. med. W.________ macht ebenfalls keine konkrete Aussage zur geltend gemachten Notwendigkeit dieser Korrektur als Voraussetzung für die Verbesserung der Nasenatmung. Eine Lippenoperation lehnt Dr. med. A.________ ab, da eine Gefühlsstörung eintreten würde. Diese Risikobeurteilung sagt jedoch nichts Abschliessendes über die Erforderlichkeit des Eingriffes aus. Dr. med. K.________ spricht zwar von einer notwendigen operativen Vorbereitung für die Nasenoperation, bleibt aber eine nähere Begründung dafür schuldig. Das Schreiben des Dr. med. S.________ enthält - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - eine klare Äusserung zur Indikation der Lippenoperation: in einem ersten Schritt sei die Oberlippe zu korrigieren; der Naseneingriff sei wenig sinnvoll, ohne die vorgängig beschriebene Korrektur der Lippe. Die übrigen verfügbaren Berichte entkräften diese Auffassung nicht.
 
3.2 Bei dieser Aktenlage fällt eine abschliessende Beurteilung (BGE 125 V 352 Erw. 3a) der Frage, ob eine Lippenkorrektur als Vorbereitung oder Vorbedingung für die Nasenoperation notwendig sei, ausser Betracht. Zudem bleibt fraglich, ob diese aufgrund der von Dr. med. A.________ geltend gemachten eintretenden Gefühlsstörung überhaupt medizinisch verantwortet werden könnte. Der Fall wird daher an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit sie ein Administrativgutachten zur medizinischen Indikation einhole. Bei dieser Gelegenheit kann auch die Unklarheit hinsichtlich der durch Dr. med. K.________ im Arztbericht vom 3. November 2000 erwähnten Schmerzen in der Oberlippe infolge eines implantierten Knorpelstückes und dessen geforderte operative Korrektur ausgeräumt werden.
 
4.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend steht dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 8. Juni 2004 und die Verfügung der CSS Versicherung, Luzern, vom 31. Juli 2002 aufgehoben und die Sache an die CSS zurückgewiesen, damit sie, nach Aktenergänzungen im Sinne der Erwägungen, über ihre Leistungspflicht neu verfüge.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die CSS Versicherung, Luzern, hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
 
Luzern, 26. Januar 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
i.V.
 
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