VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 160/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 160/2004 vom 25.02.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 160/04
 
Urteil vom 25. Februar 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Scartazzini
 
Parteien
 
P.________, 1970, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat André Meier, Hauptstrasse 34, 4102 Binningen,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 3. Februar 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1970 geborene P.________ war ab 1. Februar 1986 bis zur durch die Arbeitgeberin auf den 31. Dezember 1995 vorgenommenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses in der Firma X._________ AG tätig. In der Folge bezog sie ab Anfang 1996 Arbeitslosenentschädigung. Am 31. Januar 1997 wurde sie als Mitfahrerin in eine Auffahrkollision verwickelt. Nach erfolgter Unfallmeldung für arbeitslose Personen anerkannte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Die Versicherte war nach anfänglicher vollständiger Arbeitsunfähigkeit ab 15. Februar 1997 voll arbeitsfähig. Im Januar 1998 trat P.________ eine Stelle als Logistikmitarbeiterin in der Firma Y.________ AG an, anfänglich aus betrieblichen Gründen im Rahmen von 50 % und ab Sommer 1998 sodann zu 100 %. Im Herbst 1999 kam es zu einer Exazerbation der Beschwerden, worauf der Versicherten ab 1. November 1999 eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Am 28. September 2000 meldete sich P.________ bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen in Form von Berufsberatung, einer Umschulung sowie einer Rente an. Die IV-Stelle Bern holte die Akten der SUVA ein und gab eine Abklärung im Medizinischen Zentrum Römerhof Zürich (MZR) in Auftrag. Auf Grund der physischen und psychischen Befunde gelangten die Ärzte im MZR-Gutachten vom 12. März 2002 zum Schluss, die Versicherte weise eine Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer angepassten Tätigkeit auf. Am 25. März 2002 nahmen die Gutachter nach entsprechender Aufforderung durch die IV-Stelle zu den im Anschluss an die Begutachtung erhobenen Einwänden des Rechtsvertreters der Versicherten Stellung. Mit Verfügung vom 12. Juni 2002 bestätigte die IV-Stelle die mit Vorbescheid vom 1. Mai 2002 in Aussicht genommene Abweisung des Rentenbegehrens gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 37 %. Am 5. Juli 2002 stellte die SUVA die Versicherungsleistungen ab 22. Juli 2002 mit der Begründung ein, aus medizinischer Sicht hinterlasse der Unfall vom 31. Januar 1997 keine Folgen, die die Erwerbsfähigkeit messbar beeinträchtigen könnten, sodass kein Anspruch auf eine Invalidenrente oder eine Integritätsentschädigung bestehe. Dagegen erhob die Versicherte bei der Anstalt Einsprache.
 
B.
 
P.________ liess gegen die Verfügung vom 12. Juni 2002 Beschwerde erheben mit den Rechtsbegehren, in deren Aufhebung sei ihr eine ganze Rente mit Zusatz- und Kinderrenten auszurichten. Eventuell sei die Angelegenheit zur weiteren Sachverhaltsabklärung an die Verwaltung zurückzuweisen. Dabei machte sie im Wesentlichen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend und beanstandete die Festsetzung der Vergleichseinkommen sowie die Schlüssigkeit des MZR-Gutachtens. Mit Entscheid vom 3. Februar 2004 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ab.
 
C.
 
P.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die vorinstanzlichen Rechtsbegehren mit Ausnahme der Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erneuern. Ausserdem wird auch für das letztinstanzliche Verfahren um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ersucht.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG; BGE 116 V 249 Erw. 1b), zu den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 [in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassung] und 1bis IVG [in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2003]) und zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (zu Art. 28 Abs. 2 IVG [in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002] vgl. BGE 104 V 136 f. Erw. 2a und b; AHI 2000 S. 309 Erw. 1a in fine mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 30 Erw. 1 mit Hinweisen), namentlich zur Verwendung von Tabellenlöhnen bei der Ermittlung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens (Invalideneinkommen; BGE 126 V 76 f. Erw. 3b mit Hinweis; AHI 2002 S. 67 Erw. 3b) und zum in diesem Zusammenhang gegebenenfalls vorzunehmenden behinderungsbedingten Abzug (AHI 1999 S. 181 Erw. 3b; siehe auch BGE 126 V 78 ff. Erw. 5; AHI 2002 S. 67 ff. Erw. 4) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes und der Ärztin bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 f. Erw. 4 mit Hinweisen) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis; AHI 2000 S. 152 Erw. 2c). Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der Rechtsprechung entwickelten intertemporalrechtlichen Regeln (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) in materiellrechtlicher Hinsicht auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist. Zu ergänzen ist, dass die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 nicht zur Anwendung gelangen (BGE 129 V 4 Erw. 1.2).
 
2.
 
2.1 Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid auf zahlreiche Arztberichte und insbesondere auf das von der IV-Stelle eingeholte Gutachten des MZR vom 12. März 2002. Darin haben PD Dr. med. M.________ und Frau Dr. med. L.________ festgestellt, die Versicherte leide an chronifizierten Schmerzen am cervico-thoracalen Übergang bei Fehlhaltung mit konsekutiver Überlastung cervico-thoracal bei Hyperkyphosierung im Bereich der BWS mit konsekutiver funktioneller Hyperlordosierung im Bereich der HWS und BWS, an beginnend diskreten Chondrosen und Streckhaltung unterhalb C2, globalmuskulärer Insuffizienz sowie an einem abnormen, teilweise bewusstseinsfernen Krankheitsverhalten. Die Gutachter kamen zum Schluss, aus somatischer Sicht bestehe für leichte Arbeiten eine vollständige Arbeitsfähigkeit. Auf Grund der psychiatrischen Befunde ergebe sich eine Reduktion der Arbeitsfähigkeit auch in einer leichten Tätigkeit, womit für eine angepasste Arbeit unter Berücksichtigung der somatischen und der psychiatrischen Befunde eine 70%ige Arbeitsfähigkeit bestehe. In erwerblicher Hinsicht ermittelte das kantonale Gericht gestützt auf die tatsächlichen Verhältnisse der Versicherten als Logistikmitarbeiterin in der Firma Y.________ AG ein Valideneinkommen von Fr. 42'069.- und nach Beizug der Tabellenlöhne (LSE) ein hypothetisches Invalideneinkommen von Fr. 28'899.-, was zu einem Invaliditätsgrad von 31.3 % führte.
 
2.2 Demgegenüber wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneut geltend gemacht, das MZR-Gutachten weise verschiedene Mängel auf. Insbesondere sei die Versicherte entgegen der Feststellung der Ärzte anlässlich der Auffahrkollision nicht angegurtet gewesen. Zudem seien die Gutachter irrtümlicherweise davon ausgegangen, die Versicherte habe zwischen dem 16. Februar 1997 und dem 1. November 1999 keinen Arzt aufgesucht. Erneuert werden die Einwände, die psychiatrische Untersuchung sei nicht schlüssig, weil sie lediglich eine halbe Stunde gedauert habe, die typischen Folgen einer HWS-Distorsion seien anhand eines radiologischen Befundes zu erkennen, und es bestünden nicht berücksichtigte vegetative Störungen. Die Beschwerdeführerin wiederholt ferner, die radiologisch festgestellte pathologisch vermehrte Beweglichkeit in den Segmenten C3/4 und C 4/5 erkläre das Schmerzsyndrom, während es einer gutachterlichen Prüfung bedürfe um abzuklären, ob neuropsychologische Funktionsstörungen und psychische Störungen vorliegen. Schliesslich wird erneut vorgebracht, als Kündigungsgrund habe die Firma X.________ AG, bei welcher die Beschwerdeführerin bis Ende Dezember 1995 tätig gewesen war und wo sie im Jahr 2002 ein Valideneinkommen von Fr. 50'894.- hätte erzielen können, nur gesundheitliche Schwierigkeiten angegeben. Bei der Ermittlung des im Gesundheitsfall massgeblichen Einkommens sei vom letzten Lohn, welcher vor dem Eintritt der Gesundheitsschädigung erzielt wurde, auszugehen. Da wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigungen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit spätestens seit dem Unfall vom 31. Januar 1997 bestanden hätten, sei zu Unrecht auf den Lohn abgestellt worden, welcher die Versicherte nach der im Januar 1998 aufgenommenen Tätigkeit in der Firma Y.________ AG erzielt hatte, abgestellt worden.
 
2.3
 
2.3.1 Die bereits im vorinstanzlichen Verfahren praktisch identisch vorgebrachten Rügen vermögen im Sinne der zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid, auf welche verwiesen wird, dagegen nicht aufzukommen. Insbesondere ist festzuhalten, dass die im MZR-Gutachten enthaltenen physischen und psychischen Befunde sowie die ärztlichen Beurteilungen in Bezug auf die verbleibende Arbeitsfähigkeit zuverlässig sind. Dabei wurde die somatische Schmerzkomponente nicht unbeachtet gelassen, nachdem die Gutachter zum Schluss gelangt waren, aus somatischer Sicht bestehe lediglich für leichte Arbeiten eine vollständige Arbeitsfähigkeit. Zu den im Anschluss an die Begutachtung erhobenen Einwänden des Rechtsvertreters der Versicherten nahmen die Gutachter Stellung. Auch weitere ärztliche Berichte, die im massgebenden Zeitraum abgegeben wurden, vermögen das Gutachten nicht in Zweifel zu ziehen.
 
2.3.2 Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin ist das Ergebnis des angefochtenen Entscheides auch hinsichtlich der Festsetzung der Vergleichseinkommen nicht zu beanstanden. Zu Recht hält die Vorinstanz fest, für die Ermittlung des Einkommens, welches die versicherte Person ohne Invalidität erzielen könnte, sei entscheidend, was sie im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns, im vorliegenden Fall im Monat November 2000, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunde tatsächlich verdient hätte, da es empirischer Erfahrung entspreche, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre (BGE 129 V 224 Erw. 4.3.1). Es trifft zwar zu, dass dabei in der Regel vom letzten Lohn auszugehen ist, welchen die versicherte Person vor Eintritt der Gesundheitsschädigung erzielt hat (ZAK 1980 S. 593). Auf den Lohn, welcher bei der Firma X.________ AG im Jahr 1995 bezogen wurde, kann jedoch nicht abgestellt werden, zumal die Beschwerdeführerin anschliessend, von Januar 1996 bis Dezember 1997 - somit auch im Zeitpunkt des Unfalls vom 31. Januar 1997 - keinen Lohn, sondern Arbeitslosenentschädigung bezog und bereits ab 15. Februar 1997 voll arbeitsfähig war. Für das Vorliegen eines Gesundheitsschadens mit Auswirkungen in erwerblicher Hinsicht bestanden in jenem Zeitpunkt daher keine Anhaltspunkte. Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die vorinstanzlichen Erwägungen vorgetragen wird, vermag den kantonalen Entscheid somit auch in dieser Hinsicht nicht zu entkräften. Dieser ist daher rechtens.
 
2.4 Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde muss als aussichtslos bezeichnet werden, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung abzuweisen ist (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1, 128 I 236 Erw. 2.5.3, je mit Hinweisen).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 25. Februar 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).