VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 561/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 561/2004 vom 23.03.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 561/04
 
Urteil vom 23. März 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Parteien
 
R.________, 1985, Beschwerdeführer, vertreten durch Dr. med. S.________,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 20. Juli 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 30. Oktober 2003 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich ein Gesuch von R.________ (geb. 1985) um medizinische Massnahmen ab. Diese Verfügung bestätigte die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 21. Januar 2004.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 20. Juli 2004 ab.
 
C.
 
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die Zusprechung medizinischer Massnahmen beantragen.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Anspruch von Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr auf medizinische Massnahmen (Art. 12 Abs. 1 IVG; Art. 5 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 ATSG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 120 V 279 Erw. 3a, AHI 2003 S. 104 Erw. 2, 2000 S. 64 Erw. 1) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
2.
 
2.1 Laut den Akten leidet der Versicherte an einer Dysthymie, welche gemäss dem Bericht von Dr. med. S.________, Kinder- und Jugendpsychiatrie FMH, vom 25. September 2003 erstmals am 15. April 2002 diagnostiziert worden sei. Die intensive und fachgerechte Behandlung habe 15. August 2002 begonnen und müsse dringend fortgesetzt werden. Seit dem Beginn dieser Behandlung zeige der Versicherte eine gute Compliance. Er sei sehr zur Zusammenarbeit motiviert. Ohne Behandlung drohe eine Invalidisierung, während die Therapie eine spätere Eingliederung ins Erwerbsleben wesentlich verbessern werde. Es zeigten sich bereits Fortschritte. Gleichzeitig ersuchte Dr. S.________ um Kostengutsprache für die Therapie bis zum Erreichen des 20. Altersjahres, d.h. August 2005.
 
In der Einsprache vom 24. November 2003 führt Dr. S.________ aus, der Zustand habe sich verbessert. Die Weiterführung der Psychotherapie diene der Erhaltung und weiteren Verbesserung des jetzt schon gebesserten Zustandes vor allem im Hinblick auf die schulische und die daran anschliessende berufliche Integration. Dieses anvisierte Ziel der sozialen und beruflichen Integration des jetzt 18 Jahre alten Versicherten könne dank prognostisch günstiger Faktoren mit grosser Wahrscheinlichkeit bis zum 20. Altersjahr erreicht werden. In zwei Jahren werde sich die Therapie ohne negative Folgen für die Berufsausbildung beenden lassen. Falls es nach Erreichen des erwähnten Altersjahres erneut zu behandlungsbedürftigen Auswirkungen der Dysthymie kommen sollte, bestehe mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ohne Behandlung keine Gefahr negativer Auswirkungen auf das Erwerbsleben mehr. Diese Prognose lasse sich bereits heute genügend zuverlässig stellen. Sowohl retrospektiv wie auch prospektiv liege keine Dauerbehandlung vor.
 
In der kantonalen Beschwerde vom 19. Februar 2004 führt Dr. S.________ aus, die Behandlung diene nicht der Erhaltung eines stationären Zustandes, sondern der beruflichen Integration mit deutlicher Verbesserung der Leistungen im kognitiven und sozialen Bereich. Zudem bestätigt er die günstige Prognose und die Begrenzung der Behandlungsdauer bis zum vollendeten 20. Altersjahr. Diese Angaben wiederholt Dr. S.________ in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
2.2 Verwaltung und Vorinstanz verneinten den Anspruch auf medizinische Massnahmen mit der Begründung, es lasse sich keine sichere Prognose stellen, erwähne Dr. S.________ doch selbst die Möglichkeit, dass nach dem vollendeten 20. Altersjahr weitere Behandlungen erfolgen müssten. Gemäss der medizinischen Fachliteratur sei eine Dysthymie zwar nicht zwangsläufig chronisch, doch werde ihr besonders bei frühem Krankheitsbeginn keine günstige Prognose gestellt. Vielmehr werde auf die ausgeprägte Tendenz zur Chronifizierung hingewiesen. Es sei daher auch im vorliegenden Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass eine kontinuierliche Behandlung nötig sein werde, um einen stabilen Zustand zu erhalten.
 
2.3 Nach der Rechtsprechung fällt bei Versicherten vor dem 20. Altersjahr die Übernahme von Psychotherapie als medizinischer Massnahme nicht schon deshalb ausser Betracht, weil es um eine mehrere Jahre dauernde Behandlung geht. Von der Invalidenversicherung nicht getragen wird eine solche Vorkehr hingegen, wenn sie sich gegen eine psychische Krankheit richtet, welche nach heutiger Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft ohne kontinuierliche Behandlung nicht dauerhaft gebessert werden kann. Wie sich den Ausführungen des Dr. med. S.________ entnehmen lässt, ist dies beim Beschwerdeführer nicht der Fall. Gemäss den ärztlichen Berichten kann mit der Fortsetzung der Behandlung verhindert werden, dass die Berufsbildung des Versicherten auf Grund der bestehenden psychischen und sozialen Konflikte beeinträchtigt wird. Es ist mit den bisherigen Massnahmen denn auch gelungen, eine stabile Defektentwicklung zu verhindern. Unter diesen Umständen ist die für die Übernahme einer Psychotherapie rechtsprechungsgemäss ausreichende Voraussetzung, dass das psychische Leiden ohne die psychotherapeutische Behandlung zu einem schwer korrigierbaren, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich behindernden oder gar verunmöglichenden stabilen pathologischen Zustand führen würde, vorliegend erfüllt (Urteil M. vom 6. Mai 2003, I 16/03). In diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem in AHI 2003 S. 103 publizierten Urteil, in welchem die Übernahme der medizinischen Massnahme daran scheiterte, dass der Vorkehr kein überwiegender Eingliederungscharakter zukam. Dies ist hingegen bei der hier streitigen Psychotherapie der Fall. Sie bezweckt keinen labilen Zustand in stationärem Gleichgewicht zu halten, sondern führt eine deutliche und dauerhafte Verbesserung herbei. Zudem besteht eine gute Prognose und ist ein Ende der Behandlung innerhalb von total zwei Jahren absehbar, weshalb keine Dauerbehandlung vorliegt. Daran vermögen die Hinweise der Vorinstanz auf die im allgemeinen ungünstige Prognose bei Dysthymien nichts zu ändern, ist doch davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer einer der durchaus möglichen günstig verlaufenden Fälle vorliegt. Beim Versicherten hat die Krankheit sodann nicht schon im frühen Kindesalter begonnen, was die Therapiechancen erhöht. Die Invalidenversicherung hat demnach die anbegehrte Massnahme, deren Erforderlichkeit und Zweckmässigkeit feststeht und unbestritten ist, zu übernehmen.
 
3.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der durch einen Arzt vertretene Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 OG; in BGE 122 V 230 nicht publizierte Erw. 7).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Juli 2004 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 21. Januar 2004 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung hat.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Entschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 23. März 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).