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Informationen zum Dokument  BGer H 9/2005  Materielle Begründung
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BGer H 9/2005 vom 27.04.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
H 9/05
 
Urteil vom 27. April 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber Fessler
 
Parteien
 
V.________ AG, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Ausgleichskasse des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug
 
(Entscheid vom 25. November 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die im Mai 1992 gegründete V.________ AG ist u.a. im Bereich «Audiotex» tätig. Sie bietet Dienstleistungen über das Telefon an («0906 Telekiosk»). Dazu gehört eine Erotik-Hotline. Die Gespräche werden von so genannten Enhancern von zu Hause aus über das Festnetz geführt. Die Firma ist der Ausgleichskasse des Kantons Zug angeschlossen.
 
Bei der Anfang September 2003 durchgeführten Arbeitgeberkontrolle stellte der Revisor der Ausgleichskasse fest, dass die Firma in den Jahren 2000-2002 an 84 Enhancer Entschädigungen in der Höhe von insgesamt Fr. 172'728.30 ausbezahlt hatte, ohne diese Summe zu verabgaben.
 
Mit Verfügungen vom 12. Dezember 2003 verpflichtete die Ausgleichskasse die Firma zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag in der Höhe von Fr. 25'914.40. Am gleichen Tag wurden der Firma Verzugszinsen von Fr. 2399.60 in Rechnung gestellt. Mit Einspracheentscheid vom 9. Juni 2004 bestätigte die Verwaltung die Nacherfassung, reduzierte aber die beitragspflichtige Lohnsumme auf Fr. 148'712.15.
 
B.
 
Die Beschwerde der V.________ AG wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 25. November 2004 ab.
 
C.
 
Die V.________ AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Telefon-Enhancer seien als Selbstständigerwerbende anzuerkennen.
 
Kantonales Gericht und Ausgleichskasse beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
D.
 
Die V.________ AG hat zu den Ausführungen in der Vernehmlassung des kantonalen Gerichts Stellung genommen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob die im Zeitraum 2000-2002 von der Beschwerdeführerin an 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Enhancer) des von ihr betriebenen Telekioskes ausbezahlten Entgelte in der Höhe von Fr. 148'712.15 Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Erwerbstätigkeit darstellen. Für die Beurteilung dieser Frage kommt dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 6. Oktober 2002 über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) keine Bedeutung zu (BGE 130 V 332 f. Erw. 2.2 und 2.3; Urteil S. vom 5. Mai 2004 [C 51/04] Erw. 1).
 
Da es nicht um Versicherungsleistungen geht, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b OG sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
 
3.
 
Im angefochtenen Entscheid werden die Rechtsgrundlagen zum Begriff und zur Abgrenzung unselbstständiger von selbstständiger Erwerbstätigkeit (vgl. BGE 123 V 163 Erw. 1, 122 V 171 ff. Erw. 3a-c und 283 f. Erw. 2a und b) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
4.
 
4.1 Im Urteil S. vom 27. Juni 1996 (BGE 122 V 169) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht die Tätigkeit als «Telefonhostess» in einem Telekiosk als unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art.5 Abs.2 AHVG qualifiziert. Beim Telekiosk handelt es sich um eine Einrichtung, welche es dem Betreiber erlaubt, dem Publikum auf verschiedenen Telefonleitungen Nachrichten und Informationen, beispielsweise aus den Bereichen Tourismus, Wetter, Astrologie, Witze, Plaudereien und Spiele, zu liefern (vgl. BGE 122 V 170 oben). Für diese Beurteilung waren die folgenden Sachverhaltselemente wesentlich: Der Einsatz der Hostessen erfolgte im Betrieb und mit der vom Firmeninhaber gemieteten Telefonanlage («Callcenter»). Die zu verrichtende Arbeit war klar vorgegeben. Sie bestand in der Bedienung des Telefons und dem Führen des von den Anrufenden gewünschten Gesprächs. Bestimmte Einsatzzeiten waren nicht vorgeschrieben. Indessen waren die Hostessen vertraglich verpflichtet, nach Bedarf des 'Auftraggebers' und nach ihren jeweiligen Möglichkeiten tätig zu sein. Ein tageweiser Einsatz war die Regel. Die Entschädigung (Honorar und Spesen) erfolgte nach Stundenaufwand. Schliesslich bestand ein vertragliches Konkurrenzverbot. Danach war es den Hostessen untersagt, selbstständig oder als Angestellte in diesem Bereich tätig zu werden oder zu diesem Zwecke eine eigene Firma zu gründen (vgl. BGE 122V174 ff. Erw.5 sowie 6a/bb und cc).
 
Demgegenüber arbeiteten im hier zu beurteilenden Fall die Enhancer zu Hause. Nach Einloggen in das computerunterstützte IVR (InteractiveVoiceResponse)-System konnte ihnen die Firma die Anrufe der Dienstleistungsnehmer durchstellen («vermitteln»), und sie konnten die nachgefragten Gespräche führen. Die Einsätze waren geplant. Eine allfällige Abwesenheit musste (spätestens) drei Tage vorher gemeldet werden. Die Entschädigung betrug 50Rappen (0.26Euro) pro Minute Gesprächsdauer. Ein Konkurrenzverbot bestand nicht. Die Zuteilung der Anrufe erfolgte grundsätzlich computergesteuert.
 
4.2 Für das kantonale Gericht sind diese tatsächlichen Unterschiede kein Anlass für eine abweichende Beurteilung der Statusfrage im Sinne selbstständiger Erwerbstätigkeit der Enhancer. Insbesondere könne der Umstand nicht ins Gewicht fallen, dass die betreffenden Dienstleistungen nicht in einem Callcenter, sondern von zu Hause aus erbracht worden seien. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist BGE 122 V 169 nicht einschlägig. Die Hostessen hätten in einem Callcenter nach festen Zeiten und unter Aufsicht eines Vorgesetzten (Supervisor) gearbeitet. Sie hätten nicht die Möglichkeit gehabt, gleichzeitig anderen Tätigkeiten nachzugehen, nach eigenem Belieben ihre Arbeitszeiten festzulegen und dies dann der Firma mitzuteilen, und sie hätten nur in Abstimmung mit dem Betrieb Ferien nehmen können. Die Hostessen hätten allen Weisungen des/der Vorgesetzten Folge leisten müssen. Ebenfalls seien in vielen Callcentern Gespräche mitgehört oder aufgezeichnet und allenfalls zu Ungunsten der Angestellten verwendet worden. Bei dem von ihr verwendeten IVR-System hätten die Enhancer selber bestimmen können, wann sie arbeiten wollten, und sie seien nie weisungsgebunden gewesen. Einige Enhancer hätten sogar gleichzeitig für unmittelbare Konkurrenzunternehmen gearbeitet, ohne dass die Firma dies verbieten konnte. Dafür hätten sie in eine eigene Telefonanlage investieren müssen, soweit sie keinen Festnetzanschluss besassen. Die Enhancer, die für sie arbeiteten, seien hinreichend vergleichbar mit der nicht zu kleinen Zahl von Damen, die über eine eigene Telekiosknummer verfügten und die Anrufe direkt von einer Telefongesellschaft (Swisscom, Sunrise etc.) erhielten. Diese Personen gälten als selbstständigerwerbend, auch wenn sie keine eigenen Geschäftsräume hätten, keine Angestellten beschäftigten und kein spezifisches Unternehmerrisiko bestände, insbesondere keine grossen Investitionen (Gebühren und Inserate von Fr. 120.- monatlich) zu tätigen seien.
 
4.3
 
4.3.1 Die Tätigkeit der Enhancer gehört zum Geschäftsbereich «Betreiben einer Erotik-Hotline» der Beschwerdeführerin. Ihre Gespäche mit den Kunden sind die Dienstleistung der Firma. Für ihre Arbeit brauchen die Enhancer deren Infrastruktur (IVR-System). Dies geschieht indessen nicht etwa gegen eine entsprechende Gebühr, wie sie die Firma der Telefongesellschaft (Swisscom Enterprise Solutions AG) zu entrichten hatte. Sie erbringen die Dienstleistung auch nicht in eigenem Namen. Das Arbeitserzeugnis (Gespräch) ist ein Produkt der Firma. In diesem Zusammenhang geht das Argument der Beschwerdeführerin, die Enhancer seien nicht von der Infrastruktur des Unternehmens abhängig gewesen, weil die Möglichkeit zum Betrieb eines eigenen Telekioskes bestanden habe, offensichtlich an der Sache vorbei. Das von ihr verwendete IVR-System unterscheidet sich im Wesentlichen darin von einem Callcenter, dass die Anrufer (Dienstleistungsnehmer) nicht direkt zu den Enhancern gelangen. In beiden Fällen betrieblicher Organisation erbringt indessen rechtlich gesehen die Betreiberin die Dienstleistung. Insoweit besteht kein Grund, die Statusfrage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlich zu beantworten je nachdem, welches System (IVR, Callcenter) verwendet wird.
 
Aus dem Vorstehenden ergibt sich ohne weiteres, dass die Enhancer in die Arbeitsorganisation der Firma eingebunden waren und dieser ihnen gegenüber ein Weisungsrecht zukam. Diese Befugnisse, soweit sie nicht vertraglich vereinbart waren, gingen mindestens soweit, um den reibungslosen Betriebsablauf unter Berücksichtigung der Besonderheiten, die die Arbeit zu Hause und die Benützung des Festnetzanschlusses mit sich brachten, zu gewährleisten. Auch wenn und soweit darüber nichts in den vorformulierten Verträgen stand, hatte die Beschwerdeführerin das Recht, den Enhancern Weisungen zu erteilen, auch was das Auftreten am Telefon oder das Verhalten ihr gegenüber betraf. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Verträge einseitig von der Firma verfasst worden waren. Es wird nicht geltend gemacht, mit einzelnen Enhancern seien vom Standardtext abweichende Vereinbarungen getroffen worden. Dies stellt ebenfalls ein Indiz für unselbstständige Erwerbstätigkeit dar. Dass und soweit die Firma von ihrer Weisungsbefugnis keinen Gebrauch machte, etwa betreffend Einhaltung der vertraglich vereinbarten Frist von drei Tagen, um sich von einem vorgesehenen Einsatz abzumelden, ist ohne Belang.
 
4.3.2 Im Weiteren liegt es in der Natur der Sache resp. ergibt sich zwingend aus der Verwendung des IVR-Systems (Arbeitsplatz zu Hause, computergesteuerte Zuteilung der bei der Firma eingehenden Anrufe, Gesprächsführung über Festnetzanschluss), dass der Einsatz insbesondere durch Besuche und private Telefonanrufe gestört werden konnte. Ebenfalls liegt auf der Hand, dass aus dem selben Grund die Kontrolle der Einhaltung der Präsenzzeit erschwert war. Ebenso konnte auch bei guter Planung im Unterschied zu einem Callcenter ein ausfallender Enhancer nicht ohne weiteres und sofort ersetzt werden. Dafür wurde folgerichtig keine Präsenzzeit vergütet. Trotzdem kann unter den gegebenen Umständen nicht von einem erfolgsabhängigen Honorar gesprochen werden. Dies gilt umso mehr, als die Bezahlung von 50 Rappen pro Minute Gesprächsdauer fix war. Der Ansatz erhöhte sich nicht etwa mit der Länge des Anrufs. Ebenfalls wurde kein Bonus bezahlt. Im Übrigen konnte die Tätigkeit der Enhancer ohne grossen Aufwand anhand der betreffenden Statistiken der Telefongesellschaft überprüft werden. Dass die Firma daran kein Interesse hatte, macht die Beschwerdeführerin zu Recht nicht geltend. Dieser Umstand stellt ein gewichtiges Indiz für unselbstständige Erwerbstätigkeit dar (BGE 122 V 176 oben).
 
4.3.3 Schliesslich zeigt der von der Beschwerdeführerin angestellte Vergleich mit selbstständigen Telekiosk-Betreiberinnen und Betreibern nur, aber immerhin, dass dem spezifischen Unternehmerrisiko in Form von Investitionen, eigenen Geschäftsräumlichkeiten und Personal für die Statusfrage keine entscheidende Bedeutung zukommt. Daraus lässt sich somit nichts weder in diesem noch jenem Sinn ableiten. Anderseits hat, wer selber einen Telekiosk betreiben will, Gebühren für die Bewilligung und die Nummer zu bezahlen, und es fallen regelmässig Werbekosten an. Auch wenn dieser Geschäftsaufwand nicht sehr hoch ist, kennzeichnet er selbstständige Erwerbstätigkeit. Es kommt dazu, dass die (zivil- und strafrechtlichen) Verantwortlichkeiten von Enhancern und Telefonhostessen anders sind als bei Betreibern eines eigenen Telekioskes (vgl. BGE 121 IV 109).
 
4.3.4 Das hier fehlende Konkurrenzverbot allein hat nicht ein derartiges Gewicht, dass deswegen selbstständige Erwerbstätigkeit anzunehmen wäre.
 
Nach dem Gesagten ist die Tätigkeit der Enhancer im fraglichen Zeitraum 2000-2002 beitragsrechtlich gleich wie im Fall der Telefonhostessen nach BGE 122 V 169 als unselbstständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren. In diesem Zusammenhang kann nicht von einer unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und von zu Unrecht nicht abgenommenen Beweisen gesprochen werden.
 
5.
 
Die Beschwerdeführerin verlangt im Eventualantrag eine Reduktion der verabgabten Lohnsumme von Fr. 148'712.15 um 15%, nämlich die (den Enhancern) ausbezahlten Sozialversicherungsbeiträge.
 
Bemessungsgrundlage bildet der massgebende Lohn nach Art. 5 Abs. 2 AHVG. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar und es ist nicht ersichtlich, dass in der Bruttolohnsumme von Fr. 148'712.15 nicht der Beitragspflicht unterliegende Lohnbestandteile enthalten sind. Das Begehren ist somit unbegründet. Allfällige Rückforderungen als Folge der Beitragsnachzahlung sind nach zutreffender Feststellung des kantonalen Gerichts auf zivilrechtlichem Weg geltend zu machen.
 
6.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 27. April 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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