BGer 1P.147/2005 | |||
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BGer 1P.147/2005 vom 14.07.2005 | |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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1P.147/2005 /gij
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Urteil vom 14. Juli 2005
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I. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Féraud, Präsident,
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Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
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Gerichtsschreiber Steinmann.
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Parteien
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X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Christoph Dumartheray,
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gegen
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Strafgerichtspräsident Basel-Stadt, Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel,
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Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
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Gegenstand
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Strafverfahren; Beschwerdefrist; Akteineinsicht,
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 29. November 2004.
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Sachverhalt:
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A.
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X.________ wurde mit Verfügung des Strafbefehlsrichters vom 28. Juli 2004 der Übertretung des Basler Wirtschaftsgesetzes schuldig befunden und zu einer Busse von Fr. 3'000.-- verurteilt. Dagegen erhob er am 21. September 2004 Einsprache. Als diese am 23. September 2004 als verspätet befunden wurde, ersuchte X.________ am 26. September 2004 unter Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs um Wiedererwägung. Auf das Gesuch trat der Strafgerichtspräsident am 30. September 2004 nicht ein.
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Gleichzeitig mit dem Gesuch um Wiedererwägung erhob X.________ am 26. September 2004 gegen das Nichteintreten auf die Einsprache Beschwerde an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und rügte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Appellationsgericht wies die Beschwerde am 29. November 2004 ab. Es führte im Wesentlichen aus, die Nichtgewährung der Akteneinsicht und der Verzicht auf Fristansetzung zur Begründung der Einsprache sowie das Fehlen einer näheren Begründung des Nichteintretens auf die Einsprache wegen offensichtlicher Verspätung verletzten das rechtliche Gehör nicht; deshalb sei das Nichteintreten auf die Einsprache nicht zu beanstanden.
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B.
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Gegen diesen Entscheid des Appellationsgerichts hat X.________ beim Bundesgericht mit dem Antrag um Aufhebung am 24. Februar 2004 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1, Art. 9, Art. 29 Abs. 1 und 2 sowie von Art. 32 Abs. 2 BV.
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Das Appellationsgericht beantragt mit seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde; der Strafgerichtspräsident liess sich mit einer kurzen Bemerkung ohne Antrag vernehmen. Der Beschwerdeführer und das Appellationsgericht hielten in Replik und Duplik an ihren Anträgen fest.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Der angefochtene Entscheid nimmt an, der Strafbefehl vom 28. Juli 2004 sei am 6. August 2004 ausgefertigt worden. Demgegenüber hält der Beschwerdeführer fest, der Strafbefehl weise den Stempel vom 16. August 2004 auf. Das Appellationsgericht räumt in seiner Vernehmlassung ein, dass der Strafbefehl offenbar am 16. August 2004 zur Ausfertigung gelangt sei und es sich im angefochtenen Entscheid insoweit um einen Verschrieb handle. Dies wird zum einen dadurch belegt, dass auf dem Strafbefehlsexemplar des Beschwerdeführers das Datum nur undeutlich vermerkt ist, zum andern durch einen Computer-Auszug, welcher den 16. August 2004 als Eröffnungsdatum ausweist. Demnach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der streitige Strafbefehl am 16. August 2004 ausgefertigt und eröffnet worden ist bzw. zu diesem Zeitpunkt hätte versendet werden sollen.
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Nach § 138 der Basler Strafprozessordnung (StPO, Rechtssammlung 257.100) hat die durch Strafbefehl verurteilte Person das Recht, innert zehn Tagen, von der Zustellung an gerechnet, bei der Strafbefehlsrichterin oder dem Strafbefehlsrichter Einsprache zu erheben. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass die Einsprache innert der zehntägigen Frist lediglich anzumelden ist und mit der Anmeldung der Antrag um Zusendung der Akten sowie um Einräumung einer angemessenen Frist zur Begründung verbunden werden kann. Mit seiner Einsprache vom 21. September 2004 ist er denn auch in dieser Weise vorgegangen. Von Seiten des Appellationsgerichts wird diese Betrachtung des Verfahrens nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Daraus ist zu schliessen, dass eine Einsprache innert Frist lediglich angemeldet werden muss, indessen noch nicht sämtliche Anträge und Rügen zu enthalten braucht.
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2.
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Es ist nicht bestritten, dass der Beschwerdeführer den Strafbefehl tatsächlich erhalten und am 21. September 2004 Einsprache erhoben hat. Ungeklärt ist indessen, zu welchem Zeitpunkt der Strafbefehl, der den Datumsstempel vom 16. August 2004 aufweist, zugestellt worden und wann genau er beim Beschwerdeführer tatsächlich eingegangen ist.
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Der Beschwerdeführer führt dazu in der staatsrechtlichen Beschwerde aus, er habe sich umgehend nach Erhalt des Strafbefehls am 20. September 2004 an seinen Rechtsvertreter gewandt, welcher danach am folgenden 21. September 2004 die Einsprache erhoben hat. Es sei durchaus denkbar, dass die Zustellung einige Wochen gedauert habe oder der Strafbefehl erst längere Zeit nach dem Datumsstempel der Post übergeben worden sei.
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3.
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3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56, 124 I 241 E. 2 S. 242, mit Hinweisen). Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörde, die Argumente und Verfahrensanträge der Partei entgegenzunehmen und zu prüfen sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen, es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, über die streitige Tatsache Beweis zu erbringen.
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Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 BV die Pflicht der Behörden, ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hört, sorfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat. Die Begründung muss deshalb so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess. Dies bedeutet indessen nicht, dass sich die Behörde ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss (BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236, 112 Ia 107 E. 2b S. 109, mit Hinweisen).
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3.2 Die unter dem Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 2 BV erhobene Rüge, der Einspracheentscheid vom 23. September 2004 genüge den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, ist unbegründet. Der Einspracherichter hielt kurz und bündig fest: "Einsprache verspätet". Aufgrund der Umstände war es offensichtlich, dass der Einspracherichter die Einsprache vom 21. September 2004, die sich gegen den den Stempel vom 16. August 2004 enthaltenden Strafbefehl richtete, als verspätet betrachtete. Hierfür bedurfte es auch unter dem Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 2 BV keiner weiteren Erklärungen. Es zeigt sich denn auch, dass der Beschwerdeführer den Einspracheentscheid durchaus verstanden hat und ihn dementsprechend beim Appellationsgericht hat anfechten können.
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3.3 Wie oben dargelegt, durfte der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass er die Einsprache lediglich anzumelden habe und ihm hernach mit der beantragten Zusendung der Akten Frist für die Begründung angesetzt werde. Aus der Strafprozessordnung ist nicht ersichtlich, dass diese nachträgliche Begründung nur die materielle Seite des Streitfalles umfassen würde, formelle Aspekte indessen ausgeschlosssen seien und mit der Begründung der Einsprache nicht mehr vorgebracht werden könnten. Insbesondere ergibt sich aus dem Verfahrensrecht nicht, dass die Einhaltung der Einsprachefrist schon bei der Anmeldung der Einsprache nachzuweisen wäre. Es liegt vielmehr durchaus nahe, dass mit der eigentlichen Begründung der Einsprache auch auf die Prozessvoraussetzungen eingegangen und insbesondere die (vom Einsprecher nachzuweisende) Frage der Fristeinhaltung im Einzelnen behauptet und begründet wird und hernach darüber Beweis erhoben wird.
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In Anbetracht dieser Rechtslage stellt es eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn sich der Beschwerdeführer im Rahmen der üblichen Einsprachebegründung zur Einhaltung der Einsprachefrist nicht äussern konnte und der Einspracherichter ohne weiteres und ohne Gehörsgewährung auf Verspätung der Einsprache schloss. Die ist insbesondere dann der Fall, wenn die fristauslösende Zustellung - wie vorliegend - mit "normaler Post" erfolgte. Insoweit ist der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Einspracherichter in seinem Anspruch nach Art. 29 Abs. 2 BV verletzt worden.
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3.4 Diese Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch im Appellationsgerichtsverfahren nicht geheilt oder behoben worden. Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, dass die Praxis, die Einsprache im Anschluss an deren Anmeldung noch begründen zu können, lediglich für rechtzeitige Eingaben gelte. Auch das Appellationsgericht legt indessen nicht dar, inwiefern die Strafprozessordnung zwischen der materiellen und der formellen Begründung der Einsprache differenzieren oder dass diesbezüglich eine gefestigte Praxis bestehen würde. Insbesondere ist aufgrund des kantonalen Verfahrensrechts nicht ersichtlich, dass der Einsprecher schon bei der Anmeldung der Einsprache gehalten sein soll, die Einhaltung der Einsprachefrist glaubhaft zu machen oder gar schon nachzuweisen. Somit hat auch das Appellationsgericht dem Beschwerdeführer die Möglichkeit verweigert, zur Rechtzeitigkeit der Einsprache im Rahmen der (nachträglichen) Begründung Stellung zu nehmen, und ihm das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verweigert.
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3.5 Demnach erweist sich die Beschwerde als begründet.
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4.
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Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid des Appellationsgerichts aufzuheben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben und hat der Kanton Basel-Stadt den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 29. November 2004 aufgehoben.
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2.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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3.
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Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strafgerichtspräsidenten Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. Juli 2005
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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