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Informationen zum Dokument  BGer 2A.642/2004  Materielle Begründung
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BGer 2A.642/2004 vom 14.07.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.642/2004 /grl
 
Urteil vom 14. Juli 2005
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Müller,
 
Bundesrichterin Yersin,
 
Ersatzrichter Camenzind,
 
Gerichtsschreiber Fux.
 
Parteien
 
A.________ SA,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher
 
Diego Clavadetscher,
 
gegen
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,
 
Eidgenössische Steuerrekurskommission,
 
avenue Tissot 8, 1006 Lausanne.
 
Gegenstand
 
Mehrwertsteuer; Kassabons,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom
 
6. Oktober 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Aktiengesellschaft "A.________ SA", mit Sitz in X.________, ist im Handelsregister des Kantons Bern eingetragen. Sie bezweckt laut Statuten das Führen von einem oder mehreren Verkaufsgeschäften für Uhren, Schmuck, Modeaccessoires, Lederwaren und ähnliche Artikel. Die Gesellschaft kann sich an andern Unternehmungen beteiligen und Liegenschaften erwerben oder veräussern. Sie betreibt insgesamt vier Souvenirläden und verkauft ihre Produkte, darunter auch Schokolade (insbesondere die in X.________ hergestellte X.________-Schokolade) vor allem an ausländische Touristen. Die Gesellschaft ist seit dem 1. Januar 1995 im Register der Eidgenössischen Steuerverwaltung für Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen.
 
Im November 1999 führte die Eidgenössische Steuerverwaltung bei der A.________ SA und deren Rechtsvorgängerin, der B.________ AG, in X.________, eine Kontrolle durch. Geprüft wurden die Steuerperioden 1. Quartal 1995 bis 2. Quartal 1999 (Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis 30. Juni 1999) sowie 1. Quartal 1998 bis 4. Quartal 1998 (Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1998). In der Folge forderte die Eidgenössische Steuerverwaltung von der A.________ SA einen Steuerbetrag von Fr. 167'202.-- und von der B.________ AG einen solchen von Fr. 5'942.-- nach (nebst Verzugszinsen; Ergänzungsabrechnungen Nr. 117'129 vom 15. Dezember 1999 und Nr. 117'124 vom 16. November 1999). Die Steuerverwaltung begründete die Forderungen damit, dass die Steuerpflichtige auf ihren Kassenquittungen die Mehrwertsteuer für den Verkauf von Schokolade mit 6,5 % bzw. 7,5 % ausweise, anstatt zu dem für Lebensmittel anwendbaren reduzierten Satz von 2 % bzw. 2,3 %. Werde aber ein falscher Steuersatz ausgewiesen, so sei dieser auch geschuldet. Die A.________ SA bestritt die beiden Ergänzungsabrechnungen und machte geltend, die Kassazettel dienten lediglich der internen Umsatzermittlung; den Kunden würden jeweils handgeschriebene Belege ohne Hinweis auf den Mehrwertsteuersatz ausgehändigt.
 
Mit Entscheid vom 20. März 2000 bestätigte die Eidgenössische Steuerverwaltung die Nachforderungen. Die dagegen gerichteten Einsprachen wies sie am 18. November 2002 ab.
 
B.
 
Die A.________ SA focht die Einspracheentscheide mit Beschwerde vom 3. Januar 2003 an die Eidgenössische Steuerrekurskommission an, welche die beiden Verfahren vereinigte. In der Folge hob die Eidgenössische Steuerverwaltung nach Einsicht in die von der Rekurrentin angebotenen Geschäfts- und Buchhaltungsunterlagen die Einspracheentscheide vom 18. November 2002 wiedererwägungsweise auf und reduzierte die Steuernachforderung gegen die A.________ SA auf Fr. 112'025.--, diejenige gegen deren Steuervorgängerin auf Fr. 3'981.-- (je zuzüglich Verzugszins; Wiedererwägungsentscheide vom 30. Mai 2003).
 
In ihrem Entscheid vom 6. Oktober 2004 erwog die Eidgenössische Steuerrekurskommission, im Wiedererwägungsentscheid der Steuerverwaltung werde nunmehr zutreffend davon ausgegangen, dass in den Fällen, in denen die Rekurrentin die Kassabons zurückbehalten und den Kunden lediglich den Rechnungsbeleg ausgehändigt habe, die Mehrwertsteuer zum reduzierten Satz geschuldet sei, in den andern Fällen hingegen zum Normalsatz, wie auf den ausgehändigten Kassabons ausgewiesen. Die Steuerrekurskommission schützte ebenfalls die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung ermittelte Schätzung, wonach die Rekurrentin im fraglichen Zeitraum für rund 33 % des Umsatzes von Schokolade die entsprechenden Kassabons zurückbehalten habe. Nachzuliefern sei indessen nur jene Mehrwertsteuer, die der Differenz zwischen dem anwendbaren reduzierten Satz und dem effektiv ausgewiesenen Normalsatz von 6,5 % entspreche; soweit der neue Normalsatz von 7,5 % zu Grunde gelegt worden sei, sei die Nachforderung ungerechtfertigt. Dementsprechend erkannte die Eidgenössische Steuerrekurskommission, die beiden Beschwerden seien, soweit nicht gegenstandslos geworden, teilweise gutzuheissen, im Übrigen jedoch abzuweisen. Sie hob die angefochtenen Einspracheentscheide vom 18. November 2002 bzw. die Wiedererwägungsentscheide vom 30. Mai 2003 im gutgeheissenen Punkt auf und wies die Sache diesbezüglich an die Eidgenössische Steuerverwaltung zu neuem Entscheid zurück.
 
C.
 
Die A.________ SA hat am 8. November 2004 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 6. Oktober 2004 sei aufzuheben; die Eidgenössische Steuerverwaltung sei anzuweisen, die vorsorglich geleisteten Zahlungen zuzüglich Vergütungszins zurückzuerstatten. Die Beschwerdeführerin rügt hauptsächlich eine Verletzung des Legalitätsprinzips, eine bundesrechtswidrige Verteilung der Beweislast, die Auferlegung von Kosten im Einspracheverfahren sowie die Höhe der für das vorinstanzliche Verfahren zugesprochenen Parteientschädigung (Fr. 300.--).
 
Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde insoweit gutzuheissen, als der Beschwerdeführerin im Einspracheentscheid Verfahrenskosten auferlegt worden seien, im Übrigen aber abzuweisen. Die Eidgenössische Steuerrekurskommission hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Der angefochtene Entscheid unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 54 Abs. 1 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer [MWSTV; AS 1994 1464] bzw. Art. 66 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer [MWSTG; SR 641.20]). Die Beschwerdeführerin ist im Sinn von Art. 103 lit. a OG legitimiert, dieses Rechtsmittel zu ergreifen. Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde (vgl. Art. 106 Abs. 1 und Art. 108 OG) ist einzutreten.
 
1.2 Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann eine Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und lit. b OG). An die Sachverhaltsfeststellung des angefochtenen Entscheids ist das Bundesgericht allerdings gebunden, wenn als Vorinstanz - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen ermittelt hat (Art. 105 Abs. 2 OG).
 
1.3 Am 1. Januar 2001 sind das Mehrwertsteuergesetz und die zugehörige Verordnung vom 29. März 2000 (MWSTGV; SR 641.201) in Kraft getreten. Diese Erlasse finden indessen, mit Ausnahme von Verfahrens- und Kostenfragen (vgl. unten E. 6.1), auf die vorliegende, Steuersachverhalte der Jahre 1995 bis 1999 betreffende Streitigkeit keine Anwendung, weil sich hier ansonsten einzig Fragen des bisherigen Rechts stellen (vgl. Art. 93 und Art. 94 MWSTG).
 
2.
 
Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin den Verkauf von Schokolade zum reduzierten Satz von 2 % bzw. 2,3 % gegenüber der Eidgenössischen Steuerverwaltung abgerechnet hat. Nicht mehr Streitgegenstand bilden auch diejenigen Fälle, bei denen den Kunden (Leistungsempfängern) keine Kassazettel, sondern lediglich handgeschriebene Quittungen ohne Hinweis auf die Mehrwertsteuer ausgehändigt wurden, die Mehrwertsteuer mithin verdeckt überwälzt wurde. Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Mehrwertsteuer, die sie auf den an die Kunden abgegebenen Kassenquittungen unrichtigerweise zum Normalsatz ausgewiesen, der Eidgenössischen Steuerverwaltung aber nur zu den reduzierten Sätzen abgeliefert hat, in voller Höhe schuldet, falls gegenüber den Leistungsempfängern keine Korrektur der Rechnung oder keine Gutschrift erfolgt. Zu verdeutlichen ist, dass die Beschwerdeführerin gemäss dem angefochtenen Entscheid nur jene Mehrwertsteuer nachzuliefern verpflichtet ist, die der Differenz zwischen dem geschuldeten reduzierten und dem auf den Kassabelegen tatsächlich ausgewiesenen Steuersatz entspricht. Abzuliefern ist mit andern Worten nicht irgendeine fiktive Steuer, sondern im Ergebnis nur die auf den ausgehändigten Kassabons (unrichtig) ausgewiesene und damit den Kunden berechnete Mehrwertsteuer, soweit sie von der Beschwerdeführerin noch nicht an die Eidgenössische Steuerverwaltung überwiesen wurde.
 
3.
 
3.1 Der Besteuerung im Inland unterliegen unter anderem Lieferungen, sofern es sich nicht ausdrücklich um von der Besteuerung ausgenommene oder z.B. infolge Exports befreite Umsätze handelt (Art. 4 lit. a, Art. 5, Art. 15 MWSTV). Für Lieferungen von Esswaren beträgt der Steuersatz 2 % bzw. (ab 1. Januar 1999) 2,3 % (Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV). Die zum Normalsatz steuerbaren Leistungen sind mit 6,5 % bzw. 7,5 % abzurechnen (Art. 27 Abs. 1 lit. b MWSTV).
 
3.2 Auf Verlangen des steuerpflichtigen Empfängers hat der Mehrwertsteuerpflichtige über seine Leistung eine Rechnung mit den im Gesetz detailliert umschriebenen Angaben auszustellen (Art. 28 Abs. 1 MWSTV; Art. 37 Abs. 1 MWSTG). Anzugeben sind unter anderem das für die Lieferung oder Dienstleistung geschuldete Entgelt und der davon berechnete Steuerbetrag (Art. 28 Abs. 1 lit. e und lit. f MWSTV; Art. 37 Abs. 1 lit. e und f MWSTG). Der Steuerpflichtige kann die Mehrwertsteuer offen oder verdeckt überwälzen (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. f MWSTV; Art. 37 Abs. lit f MWSTG). Bei offenem Ausweis wird die Mehrwertsteuer neben dem Entgelt auf der Rechnung separat ausgewiesen; bei verdecktem Ausweis wird nur der Bruttobetrag angegeben, in dem die Mehrwertsteuer mit enthalten ist. Der offene Ausweis hat den Vorteil, dass der Anteil der Mehrwertsteuer leicht ersichtlich ist; der verdeckte Ausweis erhöht dagegen namentlich für Private die Vergleichbarkeit des Gesamtpreises (Alois Camenzind/Niklaus Honauer/ Klaus A. Vallender, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz, Bern/Stuttgart/ Wien, 2. Aufl. 2003, Rz 1332 ff., S. 455 ff.). Enthält eine Rechnung Umsätze, die Leistungen mit unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen umfassen, so ist im Detail anzugeben, wie sich das Entgelt auf die unterschiedlich besteuerten Umsätze verteilt (Art. 28 Abs. 2 MWSTV; Art. 37 Abs. 2 MWSTG).
 
3.3 Im Mehrwertsteuerrecht wird der Rechnung, die durch den Leistungserbringer zuhanden des Leistungsempfängers ausgestellt wird, eine zentrale Bedeutung beigemessen. Die Rechnung ist nicht ein reiner Buchungsbeleg. Sie dient dem Empfänger nicht nur als Ausweis für den Vorsteuerabzug, sondern sie stellt auch ein wichtiges Indiz dafür dar, dass der Aussteller bei einer Lieferung Lieferant des Gegenstandes ist. Gleichzeitig erklärt der Rechnungssteller dem Empfänger, dass er die ausgewiesene Mehrwertsteuer der Eidgenössischen Steuerverwaltung abgeliefert hat oder noch abliefern wird. Die verschiedenen Funktionen und die Bedeutung der Rechnung sind sowohl in der Praxis der Steuerverwaltung als auch in der Lehre und Rechtsprechung anerkannt (Wegleitung 1997 für Mehrwertsteuerpflichtige, Rz 734 ff.; Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz 1312; Jean Marc Rivier/Annie Rochat Pauchard, Droit fiscal Suisse, La Taxe zur La Valeur Ajoutée, Fribourg 2000, S. 221; ASA 72 S. 727 E. 5a S. 732). Ist der Kunde steuerpflichtig, sind deshalb die im Gesetz genannten Anforderungen an die Rechnung strikte einzuhalten, weil nur so die Durchsetzung der mit der Fakturierung im Mehrwertsteuerrecht verbundenen Zielsetzungen gewährleistet und Missbräuche vermieden werden können. Die besonderen Formvorschriften bezüglich der Ausstellung von Rechnungen sind aufgrund der Verwaltungspraxis nur dann nicht zu beachten, wenn es sich um einen nicht steuerpflichtigen Kunden handelt (Wegleitung 1997, Rz 737). Auch ein nicht steuerpflichtiger Kunde (z.B. ein ausländischer Tourist) kann indessen auf eine gesetzeskonforme Rechnung angewiesen sein, etwa um eine Steuerbefreiung gemäss Art. 15 Abs. 2 lit. a MWSTV geltend zu machen.
 
3.4 Die schweizerische Mehrwertsteuer ist als Selbstveranlagungssteuer ausgestaltet. Dies bedingt eine möglichst einfache Kontrolle durch die Eidgenössische Steuerverwaltung. Deshalb wurden in der Praxis auch besondere Regeln für die Korrektur von Rechnungen aufgestellt. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die fakturierte Mehrwertsteuer zu hoch oder zu niedrig berechnet wurde (Rechnungsfehler, Anwendung eines falschen Steuersatzes, unrichtige Berechnungsgrundlage usw.), so ist eine Korrektur durch die Erstellung einer berichtigten Rechnung oder Gutschrift vorzunehmen. Ist der Rechnungsempfänger eine steuerpflichtige Person, so ist unter Umständen der Vorsteuerabzug zu korrigieren. Die Verwaltungspraxis geht zudem davon aus, dass bei fehlender Berichtigung die allenfalls zu Unrecht oder zu viel berechnete Steuer in voller Höhe geschuldet und abzuliefern ist (Wegleitung 1997, Rz 779; Wegleitung 2001, Rz 808). Mit der Korrektur von ungenügenden Rechnungen haben sich Lehre und Rechtsprechung eingehend auseinander gesetzt (vgl. die Übersicht in: Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz 1336 f.). Ob allenfalls zu Unrecht oder zu viel berechnete Steuern, die noch nicht überwiesen wurden, in voller Höhe geschuldet und an die Eidgenössische Steuerverwaltung abzuliefern seien, hatte das Bundesgericht bisher nicht zu entscheiden.
 
4.
 
Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung des Legalitätsprinzips geltend, weil für die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgenommene Abrechnung der Schokoladenlieferungen zum Normalsatz statt des reduzierten Steuersatzes keine gesetzliche Grundlage bestehe.
 
4.1 Das in der Bundesverfassung verankerte Legalitätsprinzip besagt, dass sich staatliches Handeln auf eine genügende Rechtsgrundlage stützen muss (Art. 5 Abs. 1 BV). Im Abgaberecht wird dieser Grundsatz durch Art. 127 Abs. 1 BV verdeutlicht, der verlangt, dass die wesentlichen Elemente einer Steuer (Kreis der Abgabepflichtigen, Gegenstand und Bemessung, Steuersätze und -tarife) durch ein Gesetz im formellen Sinn festzulegen sind (Klaus A. Vallender/René Wiederkehr, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2002, N 4 ff. zu Art. 127; Ernst Blumenstein/Peter Locher, System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002, § 1, S. 14).
 
Die Mehrwertsteuerverordnung ist eine unmittelbar auf die Bundesverfassung gestützte ("selbständige") gesetzesvertretende Verordnung; sie stellt somit kein Gesetz im formellen Sinn dar (Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz 12 und 13). Da die im Abgaberecht erforderlichen Besteuerungsvoraussetzungen aber in der Verfassung selber enthalten sind (Art. 196 Ziffer 14 BV bzw. Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 ÜbBest.aBV), genügt die bis zum Inkrafttreten des Mehrwertsteuergesetzes am 1. Januar 2001 geltende Regelung dem Legalitätsprinzip vollumfänglich. Zu beachten ist, dass der Verfassungsgeber dem Bundesrat auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer eine sehr weitgehende Rechtsetzungsbefugnis eingeräumt hat, die den Erlass sämtlicher Grundsätze materieller und formeller Art umfasst, die für eine gesetzmässige Steuererhebung nötig sind. Das Bundesgericht kann deshalb nur prüfen, ob sich der Bundesrat mit der getroffenen Lösung an die ihm erteilte Kompetenzdelegation gehalten hat (BGE 123 II 385 E. 3a S. 388 f.; zu den Grundsätzen, nach denen die Mehrwertsteuerverordnung zu überprüfen ist, vgl. auch BGE 123 II 16 E. 3 S. 22 f.; 295 E. 3 S. 298 f.).
 
4.2 Gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. f MWSTV (vgl. auch Art. 37 Abs. 1 lit. f MWSTG) ist in einer Rechnung im mehrwertsteuerlichen Sinn der vom Entgelt geschuldete Steuerbetrag anzugeben. Selbst wenn der Leistungsempfänger nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, ist im Regelfall eine Rechnung auszustellen (ASA S. 727 E. 5a S. 732 f.). Der in der Rechnung aufgeführte Mehrwertsteuerbetrag dient, wie oben dargelegt (E. 3.3), gegenüber dem Leistungsempfänger unter anderem als Ausweis dafür, dass auf seiner Leistung die Steuer lastet und dass der Leistungserbringer diesen Betrag der Eidgenössischen Steuerverwaltung abzuliefern hat. Fiktive Hinweise auf die Steuer oder auf Steuerbeträge, die nicht abgeliefert werden, sind deshalb unzulässig. Das schweizerische Mehrwertsteuerrecht basiert auf dem System der Steuererhebung durch die Steuerpflichtigen, wogegen der Konsument als eigentlicher Träger der Steuer gilt (Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz 51). Wird nun in der Verwaltungspraxis verlangt, dass allenfalls zu Unrecht oder zu viel berechnete Steuern in voller Höhe geschuldet sind (vgl. Wegleitung 1997, Rz 779), so ist dies nur systemgerecht, wird doch damit vermieden, dass der Steuerpflichtige Steuern für sich beanspruchen kann, die ihm rechtlich nicht zustehen. Dass damit in Fällen, wo fälschlicherweise der Normalsatz an Stelle des reduzierten Steuersatzes verwendet wird, nicht der gemäss Gesetz vorgegebene Steuersatz an die Eidgenössische Steuerverwaltung abgeliefert wird, ändert daran nichts; solche Fehler können mit einer nachträglichen Korrektur der Rechnung berichtigt werden. Solange eine solche nicht erfolgt, ist der durch den Steuerpflichtigen vereinnahmte Betrag abzuliefern, zumal der Steuerpflichtige im Abrechnungsverfahren gegenüber dem Fiskus die Stelle des Steuerbezügers einnimmt und allenfalls zu Unrecht vereinnahmte Steuerbeträge nicht für sich beanspruchen kann.
 
Zum gleichen Ergebnis führt eine geltungszeitliche Auslegung von Art. 28 Abs. 1 MWSTV, welche die Beratungen des Ständerates im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Mehrwertsteuergesetzes mit berücksichtigt: Im Zusammenhang mit der Beratung zu Art. 37 Abs. 4 MWSTG (vgl. Art. 28 Abs. 4 MWSTV) führte der Bundesrat aus, dass fiktive Steuerbeträge in einer Rechnung nicht zugelassen würden und der Konsument davon ausgehen könne und müsse, die ihm gegenüber fakturierte Lieferung werde tatsächlich an den Fiskus abgeliefert (AB 1998 S 997 f., Votum Villiger).
 
4.3 Die kritisierte Verwaltungspraxis, wonach allenfalls zu Unrecht oder zu viel berechnete Steuerbeträge in voller Höhe geschuldet und abzuliefern sind (Wegleitung 1997, Ziff. 779), hat somit in Art. 28 Abs. 1 MWSTV in Verbindung mit Art. 196 Ziff. 14 Abs. 1 lit. f und lit. g BV bzw. Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 ÜbBest.aBV eine genügende gesetzliche Grundlage; ein Verstoss gegen das Legalitätsprinzip liegt nicht vor. Damit erübrigt es sich, auf die umstrittene Frage einzugehen, ob es zusätzlich an einer gesetzlichen Grundlage für das Zurückbehalten der Steuer durch die Beschwerdeführerin (Steuerpflichtige) mangle, wie die Vorinstanz annimmt.
 
5.
 
Was in der Beschwerdeschrift dagegen im Weiteren vorgebracht wird, erweist sich als nicht stichhaltig:
 
5.1 Insbesondere trifft die Auffassung der Beschwerdeführerin, der Steuerpflichtige sei nicht für den Fiskus tätig, indem er die Steuern für diesen einziehe, nicht zu. Wie oben (E. 4.2) erwähnt, erfolgt nach dem schweizerischen Mehrwertsteuersystem der Steuerbezug nicht beim Verbraucher, sondern beim Leistungserbringer. Dieser ist damit für die Ablieferung der Steuer verantwortlich und ist als Steuersubjekt auch Schuldner der für den Fiskus eingezogenen Steuer, während Träger der Steuer der Endverbraucher ist. Dieses Konzept ist in der Lehre und Rechtsprechung unbestritten (vgl. BGE 123 II 295 E. 5 f. S. 301 ff., mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien; Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz 75 ff. und Rz 994 ff.; Diego Clavadetscher, Ein Plädoyer für den schlecht gelöhnten Gehilfen des Fiskus, in: Der Schweizer Treuhänder 76/2002, S. 725 ff.).
 
5.2 Am Ergebnis nichts zu ändern vermag ferner der Hinweis in der Beschwerdeschrift, dass das ausländische Recht (z.B. Art. 21 Abs. 1 lit. d der 6. EU-Richtlinie oder § 14 c Abs. 2 des deutschen Umsatzsteuergesetzes) eigens eine Gesetzesgrundlage dafür vorsehe, dass der Steuerpflichtige auch einen allfälligen Mehrbetrag an den Fiskus abzuliefern habe, wenn für Leistungen ein höherer als nach dem Gesetz geschuldeter Steuerbetrag ausgewiesen werde. Wie dargelegt, genügen die im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht vorhandenen Gesetzesgrundlagen für die von der Verwaltung in der Wegleitung stipulierte Ablieferungspflicht von zu Unrecht erhobenen Steuern aufgrund fehlerhafter Rechnung. Es besteht demnach keine unmittelbare Notwendigkeit zum Erlass analoger Gesetzesbestimmungen, selbst wenn dies wünschenswert und sinnvoll sein mag.
 
5.3 Weiter macht die Beschwerdeführerin zu Unrecht geltend, die Auffassung der Vorinstanz, wonach für Steuern, die als an den Kunden überwälzt zu gelten haben, eine Ablieferungspflicht bestehe, solange keine Rückzahlung an den Kunden erfolge oder diesem nicht ein korrigierter Beleg abgegeben werde, sei im Licht von Art. 28 Abs. 6 MWSTV nicht haltbar: Nach dieser Bestimmung sind zur Beurteilung von Streitigkeiten über die Steuerüberwälzung die Zivilgerichte zuständig. In den von der Beschwerdeführerin zitierten Urteilen hatte sich das Bundesgericht unter anderem mit Fragen der Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu befassen, wenn eine Abrechnung unter Vorbehalt erfolgte. Es ist dabei zum Schluss gekommen, dass gestützt auf die nachträgliche Rückerstattung der Mehrwertsteuer die mit der Steuer abgerechneten und fakturierten Rechnungen durch den Leistungserbringer zu korrigieren sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass die aufgrund einer unzulässigen Besteuerung mit Mehrwertsteuer belastete Rechnung und der damit allenfalls geltend gemachte Vorsteuerabzug beim Leistungserbringer berichtigt werden können. Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass in jedem Fall eine Rechnungskorrektur zu erfolgen hat. Lediglich bezüglich der von der Eidgenössischen Steuerverwaltung verlangten weiteren Voraussetzung, dass der neue Zahlungsfluss oder eine allfällige Verrechnung auch tatsächlich stattzufinden hätten, hat das Bundesgericht erkannt, ein solches Erfordernis stehe im Widerspruch zu dem in Art. 28 Abs. 6 MWSTV festgelegten Grundsatz der Privatautonomie (Urteile 2A.320/2002 und 2A.326/2002 vom 2. Juni 2003, E. 5.4.1; vgl. auch Urteil 2A.461/2002 vom 2. Juni 2003, E. 3.2). An dieser Praxis ist festzuhalten. Nicht zu beurteilen war in jenen Fällen die Frage des Rechtsverhältnisses zwischen dem Steuerpflichtigen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung bzw. die Ablieferungspflicht von tatsächlich, unter Umständen zu Unrecht bezogenen Steuern. Die Beschwerdeführerin kann somit aus den genannten Urteilen nichts zu ihren Gunsten ableiten.
 
5.4 Schliesslich liegt auch keine bundesrechtswidrige Beweislastverteilung vor. Eine solche erblickt die Beschwerdeführerin darin, dass die Steuerbehörden den angeblich ihnen obliegenden Nachweis nicht erbracht haben sollen, dass die "fehlerhaften" Kassabons zum Leistungsempfänger gelangten oder diesem zur Verfügung gestellt wurden.
 
Der Mehrwertsteuerpflichtige trägt die Verantwortung für die korrekte und vollständige Deklaration und Versteuerung der Umsätze (ASA S. 727 E. 6b S. 734; Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., S. 531, Rz 1579). Mit Bezug auf die Beweislastverteilung ergeben sich bei der Mehrwertsteuer als Selbstveranlagungssteuer keine Besonderheiten: Die Steuerbehörde trägt die Beweislast für steuerbegründende und -erhöhende, der Steuerpflichtige für steueraufhebende und -mindernde Tatsachen (Martin Zweifel, Die Sachverhaltsermittlung im Steuerveranlagungsverfahren, Zürich 1989, S. 109 f.; Blumenstein/Locher, a.a.O., S. 453 f.). Im Fall einer Ermessenseinschätzung (vgl. Art. 48 MWSTV; Art. 60 MWSTG) obliegt dem Steuerpflichtigen der Beweis für die Unrichtigkeit der Schätzung.
 
Dass es Fälle gibt, in denen die fraglichen Kassabons tatsächlich an die Leistungsempfänger gelangten, hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt und ist auch aus den Akten und Unterlagen ersichtlich. Hinzu kommt, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung und den Gepflogenheiten in Verkaufsgeschäften die Kassabons an die Kunden abgegeben werden, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt. Ob der Kunde den Kassabon tatsächlich mit sich nimmt oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Funktion dieses Beweismittels, das darüber Auskunft gibt, welche Waren gekauft wurden und dass diese durch den Kunden bezahlt wurden. Wenn nun die Beschwerdeführerin wider die Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr geltend machen will, dass Kassabons mit den nicht korrekten Mehrwertsteuersätzen nicht an die Kunden ausgehändigt worden seien, so ist sie für diese steuermindernde Tatsache selber beweispflichtig.
 
Die Ermessensveranlagung als solche wird von der Beschwerdeführerin nicht mehr bestritten.
 
6.
 
Die Beschwerdeführerin ficht ebenfalls die Kostenauflage im Einspracheverfahren sowie die Höhe der ihr für das vorinstanzliche Verfahren zugesprochenen Parteientschädigung an.
 
6.1 Im Zeitpunkt der Einleitung des Einspracheverfahrens stand noch die Mehrwertsteuerverordnung vom 22. Juni 1994 in Kraft. Die beiden Einspracheentscheide vom 18. November 2002 und die beiden Wiedererwägungsentscheide vom 30. Mai 2003 ergingen alle unter neuem Recht. Nach altem Recht waren die Kosten abweisender Einspracheentscheide in der Regel von den Einsprechenden zu tragen (Art. 56 Abs. 2 MWSTV). Gemäss neuem Recht werden demgegenüber im Veranlagungs- und Einspracheverfahren in der Regel keine Kosten erhoben (Art. 68 MWSTG). Auf hängige Verfahren sind in der Regel die neuen Vorschriften anzuwenden, sofern die Kontinuität des materiellen Rechts gewährleistet ist und eine positive Übergangsnorm fehlt (Urteil 2A.68/2003 vom 31. August 2004, E. 9). Das trifft hier zu; Gründe, weshalb der Beschwerdeführerin die Kosten ausnahmsweise aufzuerlegen wären, sind keine ersichtlich. Die Kostenauflagen in den Einspracheentscheiden sind demnach aufzuheben, wie dies übrigens die Eidgenössische Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung selber beantragt.
 
6.2 Gemäss Art. 64 VwVG kann die Beschwerdeinstanz der ganz oder teilweise obsiegenden Partei von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädigung für ihr erwachsene notwendige und verhältnismässig hohe Kosten zusprechen. Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin in Anwendung dieser Bestimmung eine Parteientschädigung von Fr. 300.-- zugesprochen. Das ist unter den gegebenen Umständen nicht zu beanstanden, auch wenn die Bemessung im angefochtenen Entscheid nicht näher begründet wird: Die Beschwerdeführerin obsiegte im vorinstanzlichen Verfahren nur in einem Punkt von untergeordneter Bedeutung; überdies wurde die Aufbereitung von steuerminderndem Datenmaterial durch die Eidgenössische Steuerverwaltung übernommen, wie in deren Vernehmlassung vermerkt wird.
 
7.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach dem Gesagten hinsichtlich der Kosten der Einspracheverfahren gutzuheissen; im Übrigen ist sie abzuweisen.
 
Obschon die Beschwerdeführerin in einem Nebenpunkt obsiegt, sind ihr die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens vollständig aufzuerlegen und ist ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen. Die Verlegung der Kosten der Einspracheverfahren ist im Verhältnis zur gesamten Streitsache von so untergeordneter Bedeutung, dass sich weder eine Aufteilung der Verfahrenskosten noch die Zusprechung einer reduzierten Parteientschädigung rechtfertigt. In diesem Punkt bedarf auch der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission keiner Korrektur.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird insoweit gutgeheissen und der angefochtene Entscheid aufgehoben, als mit ihm die der Beschwerdeführerin für das Entscheid- und das Einspracheverfahren (wiedererwägungsweise) auferlegten Kosten (Ziff. 5 des Einspracheentscheides vom 30. Mai 2003) bestätigt wurden. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen und der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 6. Oktober 2004 bestätigt.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Es werden keine Parteikosten zugesprochen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Eidgenössischen Steuerverwaltung und der Eidgenössischen Steuerrekurskommission schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Juli 2005
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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