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Informationen zum Dokument  BGer U 98/2005  Materielle Begründung
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BGer U 98/2005 vom 19.07.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
U 98/05
 
Urteil vom 19. Juli 2005
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Flückiger
 
Parteien
 
F.________, 1954 Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Rämistrasse 5, 8001 Zürich,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Glarus, Glarus
 
(Entscheid vom 15. Februar 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1954 geborene F.________ war seit 1987 als Texturierer bei der Firma B.________ AG, angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 6. Juni 1999 stürzte er beim Verlassen eines Eisenbahnzugs auf die Knie. Dabei zog er sich eine Querfraktur der linken Kniescheibe (Patella) zu. Gleichentags wurde am Kantonsspital Glarus ein operativer Eingriff durchgeführt (Patella-Zuggurtungscerclage). Der Versicherte war bis 22. Juni 1999 und (u.a. wegen unbefriedigender Kniegelenksfunktion) erneut vom 16. August bis 4. September 1999 hospitalisiert (Berichte vom 22. Juni und 15. September 1999). Anschliessend hielt er sich bis 20. Oktober 1999 stationär in der Klinik Z.________ auf (Austrittsbericht vom 1. November 1999). Die SUVA holte weitere Informationen des Spital Y.________ vom 20. Dezember 1999, 18. Februar und 31. März 2000 sowie des Dr. med. R.________, Prakt. Arzt, vom 27. März 2000 ein. Anschliessend liess sie am 25. April 2000 eine kreisärztliche Untersuchung (Dr. med. S.________) durchführen, welche zum Ergebnis führte, es bestehe ab 1. Mai 2000 eine Arbeitsfähigkeit von 50 %. Im weiteren Verlauf zog die Anstalt Berichte des Dr. med. R.________ vom 10. November 2000, des Dr. med. A.________, vom 20. November 2000 sowie des Spitals Y.________ vom 15. Januar 2001 bei und liess den Versicherten am 19. Februar 2001 erneut kreisärztlich untersuchen. Der entsprechende Bericht wurde nach Beizug zusätzlicher Akten am 21. März 2001 und - nach Einholung eines MRI-Berichts des Spitals Y.________ vom 30. März 2001 - nochmals am 6. April 2001 ergänzt. Anschliessend stellte die SUVA die Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen per 30. April 2001 ein (Schreiben vom 12. April 2001). Nach Einholung von Auskünften der früheren Arbeitgeberin sprach sie dem Versicherten mit Verfügung vom 27. April 2001 eine Integritätsentschädigung von Fr. 7290.-, entsprechend einer Integritätseinbusse von 7.5%, zu und lehnte es gleichzeitig ab, eine Rente auszurichten. Daran hielt die Anstalt auf Einsprache hin mit Entscheid vom 18. Juli 2001 fest. Der Einspracheentscheid erwuchs in Rechtskraft.
 
Nachdem ihr ein Rückfall gemeldet worden war, zog die SUVA Stellungnahmen der Klinik W.________, vom 19. und 21. November 2001, des Dr. med. A.________ vom 22. Januar 2002 sowie des Kreisarztes vom 7. Februar 2002 bei. Anschliessend sprach sie dem Versicherten mit Verfügung vom 5. Juni 2002 ab 1. November 2001 eine Rente für eine Erwerbsunfähigkeit von 19% zu. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Anstalt ab, soweit darauf eingetreten wurde (Entscheid vom 15. Dezember 2003). Im Verlauf des Einspracheverfahrens waren weitere Berichte und Stellungnahmen des Dr. med. A.________ vom 25. Februar 2002, 18. November 2002 und 4. September 2003, des Kreisarztes Dr. med. E.________ vom 17. April, 14. Juli und 1. Oktober 2003 sowie der Klinik W.________ vom 20. Mai und 23. Juni 2003 eingegangen.
 
B.
 
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Glarus ab (Entscheid vom 15. Februar 2005).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt F.________ beantragen, es seien ihm eine unbefristete Rente für eine Erwerbsunfähigkeit von 50 % sowie eine Integritätsentschädigung von 40 % zuzusprechen; eventuell sei das Verfahren zweck Einholens eines Obergutachtens zurückzuweisen. Ferner wird um unentgeltliche Verbeiständung ersucht.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist der Rentenanspruch für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bis dahin geltenden und ab 1. Januar 2003 nach den neuen Bestimmungen, insbesondere unter Berücksichtigung der mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) verbunden Änderungen zu beurteilen. Das kantonale Gericht hat sodann die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Rente der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 UVG [unter Einbezug der Änderung per 1. Januar 2003]), den Begriff der Invalidität (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung; Art. 8 Abs. 1 ATSG) und die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung; Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig sind auch die vorinstanzlichen Erwägungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1) sowie zum Beweiswert und zur Würdigung ärztlicher Stellungnahmen (BGE 125 V 352 ff. Erw. 3).
 
2.
 
2.1 Die in Rechtskraft erwachsene Verweigerung weiterer Leistungen durch den obligatorischen Unfallversicherer schliesst die spätere Entstehung eines Anspruchs, der sich aus demselben Ereignis herleitet, nicht unter allen Umständen aus. Vielmehr steht ein solcher Entscheid unter dem Vorbehalt späterer Anpassung an geänderte unfallkausale Verhältnisse. Dieser in der Invalidenversicherung durch das Institut der Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 ATSG) geregelte Grundsatz gilt auch im Unfallversicherungsrecht, indem es der versicherten Person jederzeit freisteht, einen Rückfall oder Spätfolgen eines rechtskräftig beurteilten Unfallereignisses geltend zu machen (vgl. Art. 11 UVV) und erneut Leistungen der Unfallversicherung zu beanspruchen (RKUV 1994 Nr. U 189 S. 138 Erw. 3a). Bei einem Rückfall handelt es sich um das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, so dass es zu ärztlicher Behandlung, möglicherweise sogar zu (weiterer) Arbeitsunfähigkeit kommt; von Spätfolgen spricht man, wenn ein scheinbar geheiltes Leiden im Verlaufe längerer Zeit organische oder psychische Veränderungen bewirkt, die zu einem anders gearteten Krankheitsbild führen können (RKUV 2003 Nr. U 487 S. 341 Erw. 2 mit Hinweisen).
 
2.2 Rückfälle und Spätfolgen stellen besondere revisionsrechtliche Tatbestände dar (BGE 127 V 457 Erw. 4b, 118 V 297 Erw. 2d; SVR 2003 UV Nr. 14 S. 43 Erw. 4.2). Diesem Umstand ist auch dann Rechnung zu tragen, wenn zu einem früheren Zeitpunkt ein Leistungsanspruch verneint wurde, wie es hier durch den Einspracheentscheid vom 18. Juli 2001 geschehen ist. Unter diesen Titeln kann daher nicht eine uneingeschränkte neuerliche Prüfung vorgenommen werden. Vielmehr ist von der rechtskräftigen Beurteilung auszugehen, und die Anerkennung eines Rückfalls oder von Spätfolgen setzt eine nachträgliche Änderung der anspruchsrelevanten Verhältnisse voraus (vgl. Art. 17 ATSG). Demgegenüber vermag die unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen unverändert gebliebenen Sachverhalts keinen Grund für die Anerkennung eines Rückfalls oder von Spätfolgen abzugeben (vgl. RKUV 2003 Nr. U 487 S. 341 Erw. 2).
 
3.
 
3.1 Den medizinischen Akten ist zu entnehmen, dass der Patient nach der am 14. August 2000 durchgeführten Metallentfernung weiterhin über Schmerzen klagte. Die chirurgische Klinik des Kantonsspitals Glarus schloss die Behandlung in der Folge ab (Bericht vom 15. Januar 2001). Der Kreisarzt Dr. med. I.________ gelangte am 6. April 2001 zum Ergebnis, der Versicherte leide - als Unfallfolgen, welche die Belastbarkeit des Gehapparats und damit die Arbeitsfähigkeit limitierten - an Belastungsschmerzen im linken Knie, nach operativ versorgter Patellafraktur, verursacht durch eine beginnende Femuropatellararthrose. Ein ganztägiger Arbeitseinsatz mit voller Leistung sei zumutbar in einer stehend und gehend auszuübenden Tätigkeit, welche die Möglichkeit biete, das linke Bein durch sitzende Tätigkeit im Rahmen von etwa einem Viertel bis zu einem Drittel der Arbeitszeit, über den Tag verteilt, zu entlasten. Zu vermeiden seien länger dauernde Arbeiten in ungünstiger Stellung (wie kniend oder in der Hocke), das Heben und Herumtragen schwerer Gewichte über 20 kg sowie Arbeiten mit ausgesprochen häufigem Treppensteigen oder Steigen auf Leitern. Die auf diesem Zumutbarkeitsprofil basierende Verweigerung einer Rente durch die Verfügung vom 27. April 2001 und den Einspracheentscheid vom 18. Juli 2001 erwuchs in Rechtskraft.
 
3.2 Die Klinik W.________ diagnostizierte in ihren Berichten vom 19. und 21. November 2001 eine posttraumatische Patellaarthrose am Knie links bei Status nach Patellafraktur und Versorgung durch Cerclage am 6. Juni 1999 sowie Entfernung der Cerclage am 14. August 2000. Der Patient klage über verstärkte Schmerzen am linken Knie seit der Metallentfernung im August 2000. Die Schmerzen nähmen unter Belastung, etwa beim Treppensteigen, zu. Es werde zu einer rein sitzenden Tätigkeit geraten, wo über eine 50%-ige Arbeitsfähigkeit nachgedacht werden könne. Die SUVA legte der Invaliditätsbemessung dementsprechend vorwiegend sitzend auszuübende und bestimmten zusätzlichen Anforderungen genügende Tätigkeiten zu Grunde, ging jedoch weiterhin von voller Leistung und vollem Pensum aus. Dies ergab den in der Verfügung vom 5. Juni 2002 enthaltenen Invaliditätsgrad von 19%. Im Verlauf des Einspracheverfahrens wurde die Zumutbarkeitsbeurteilung durch den Kreisarzt Dr. med. Weber dahingehend modifiziert, dass eine abwechselnd sitzende / stehende oder gehende Tätigkeit ganztägig ausgeübt werden könne. Die Dauer der stehenden bzw. gehenden Position sollte einen Viertel bis einen Drittel der Arbeitszeit nicht übersteigen und auf den ganzen Tag verteilt sein. Zu vermeiden seien länger dauernde Arbeiten in kniender Position oder in der Hocke, das Heben von Lasten über 15 bis 20 kg, das Arbeiten auf Leitern sowie häufiges Treppensteigen. Diese Einschätzung lässt sich auf Grund der medizinischen Akten sowie mit Blick auf die formellrechtliche Ausgangslage, welche ein Abweichen von der Beurteilung im Einspracheentscheid vom 18. Juli 2001 nur insoweit zulässt, als sich die Situation zwischenzeitlich verändert hat, nicht beanstanden. Der festgestellten leichten Zunahme der retropatellären Arthrose und den damit verbundenen Einschränkungen wird durch die Reduktion der stehend oder gehend zu verrichtenden Anteile Rechnung getragen. Die kreisärztliche Untersuchung vom 30. März 2004 hat bestätigt, dass keine weitergehenden Veränderungen stattgefunden haben. Dementsprechend beruht der Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2003, wie die Vorinstanz festgehalten hat, auf einer rechtlich korrekten Zumutbarkeitsbeurteilung. Richtig ist auch die darin enthaltene Aussage, dass die SUVA für allfällige psychische Unfallfolgen nicht leistungspflichtig wäre, weil der dafür vorausgesetzte adäquate Kausalzusammenhang im Lichte der Rechtsprechung (BGE 115 V 133 ff.) verneint werden müsste. Es kann diesbezüglich auf die Begründung im Einspracheentscheid verwiesen werden. Weitere medizinische Abklärungen, wie sie der Beschwerdeführer eventualiter beantragen lässt, rechtfertigen sich nicht, weil davon keine zusätzlichen relevanten Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; RKUV 2003 Nr. U 473 S. 50 Erw. 3, 2002 Nr. U 469 S. 527 Erw. 2c)
 
4.
 
Ausgehend vom dargestellten Zumutbarkeitsprofil lässt sich der durch die Vorinstanz bestätigte Invaliditätsgrad von 19 %, beruhend auf einem Valideneinkommen von Fr. 52'336.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 42'675.-, nicht beanstanden.
 
5.
 
Der Beschwerdeführer lässt die Zusprechung einer Integritätsentschädigung von 40 % verlangen. Die damit offenbar angesprochene Position "Verlust eines Beins im Kniegelenk" gemäss Anhang 3 zur UVV ist jedoch offensichtlich nicht gegeben. Auch aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, welche einen (zusätzlichen) Anspruch auf Integritätsentschädigung zu begründen vermöchten. Der entsprechenden Beurteilung durch Dr. med. E.________ im Bericht über die Untersuchung vom 30. März 2004 sowie der Notiz vom 13. Mai 2004 kann gefolgt werden.
 
6.
 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg, Zürich, aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Glarus und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 19. Juli 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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