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Informationen zum Dokument  BGer U 224/2005  Materielle Begründung
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BGer U 224/2005 vom 05.08.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
U 224/05
 
Urteil vom 5. August 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Traub
 
Parteien
 
U.________, 1967, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger, Rämistrasse 5, 8024 Zürich,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 29. April 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1967 geborene U.________ erhielt von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 1. Dezember 1999, bei welchem er ein Quetschtrauma des linken Mittel- und Ringfingers mit offener Mittelphalanxfraktur am Mittelfinger und subtotaler Abtrennung am Ringfinger auf Höhe der proximalen Endphalanx erlitt, eine Invalidenrente beruhend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 100 Prozent sowie eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Einbusse von 10 Prozent zugesprochen (Verfügung vom 11. Dezember 2003). Die im anschliessenden Einspracheverfahren einzig strittigen Punkte der Höhe sowie des Gegenstands der Integritätsentschädigung wurden mit Entscheid vom 3. März 2004 bestätigt.
 
B.
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 29. April 2005).
 
C.
 
U.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des strittigen Einsprache- und des angefochtenen Beschwerdeentscheids sei ihm eine Integritätsentschädigung "von bis zu 50 %" zuzusprechen.
 
Die SUVA und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Stellungnahme.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Strittig und zu prüfen ist die Höhe des Integritätsschadens, aus dem sich die Integritätsentschädigung im Sinne der Art. 24 f. UVG ableitet.
 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Integritätsentschädigung (Art. 24 UVG und Art. 36 Abs. 1 UVV, jeweils in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung), deren Abstufung nach der Schwere des Integritätsschadens (Art. 25 Abs. 1 UVG; Art. 36 Abs. 2 UVV und Anhang 3 zur UVV in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung; BGE 124 V 32 Erw. 1b mit Hinweisen) und zur Bedeutung der von der medizinischen Abteilung der SUVA erarbeiteten weiteren Bemessungsgrundlagen in tabellarischer Form (sog. Feinraster; vgl. dazu BGE 124 V 32 Erw. 1c; RKUV 1989 Nr. U 76 S. 311 Erw. 4a) zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.
 
2.
 
2.1 Die Beurteilung des Integritätsschadens basiert auf dem medizinischen Befund. In einem ersten Schritt fällt es dem Arzt oder der Ärztin zu, sich unter Einbezug der in Anhang 3 der UVV und gegebenenfalls in den SUVA-Tabellen aufgeführten Integritätsschäden dazu zu äussern, ob und inwieweit ein Schaden vorliegt, welcher dem Typus von Verordnung, Anhang oder Weisung entspricht. Verwaltung und Gericht obliegt es danach, gestützt auf die ärztliche Befunderhebung die rechtliche Beurteilung vorzunehmen, ob ein Integritätsschaden gegeben ist, im Weiteren, ob die Erheblichkeitsschwelle erreicht ist und, bejahendenfalls, welches Ausmass die erhebliche Schädigung angenommen hat. Dass sie sich hiefür an die medizinischen Angaben zu halten haben, ändert nichts daran, dass die Beurteilung des Integritätsschadens als Grundlage des gesetzlichen Leistungsanspruches letztlich Sache der Verwaltung, im Streitfall des Gerichts, und nicht der medizinischen Fachperson ist. Im Gegenzug hat sich der Rechtsanwender insofern an Grenzen zu halten, als im Bereich der Integritätsentschädigung der nicht von ihm zu erbringende Einsatz medizinischen Wissens für die Leistungsbeurteilung einen sehr hohen Stellenwert hat. Gelangt er im Rahmen der freien Beweiswürdigung zur Auffassung, es lägen keine schlüssigen medizinischen Angaben zum Vorliegen eines Integritätsschadens vor, bedingt dies regelmässig Aktenergänzungen in medizinischer Hinsicht (Urteil G. vom 11. Juni 2003, U 210/01, Erw. 6.2.3 mit Hinweis; zum Zusammenwirken ärztlicher Einschätzung und juristischer Wertung bei der Bemessung der Integritätseinbusse vgl. auch Thomas Frei, Die Integritätsentschädigung nach Art. 24 und 25 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung, Diss. Freiburg 1997, S. 68 ff., und Gilg/Zollinger, Die Integritätsentschädigung nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung, Bern 1984, S. 100).
 
2.2
 
2.2.1 Für die Beeinträchtigung der linken Hand haben SUVA und kantonales Gericht auf die Beurteilung durch den Kreisarzt Dr. C.________ vom 26. September 2003 abgestellt. Dieser ging von einer Störung der Gesamtfunktion der linken Hand "mit Ausschaltung der mittelständigen Langfinger" aus. Der Faustschluss betrage noch zehn Kilogramm, was einer Minderung um fünf Sechstel im Vergleich zur gesunden Hand entspreche. Zudem bestehe an Mittel- und Ringfinger ein Schmerzzustand. Auf diese Einschätzung kann ohne weiteres abgestellt werden, zumal sie nicht im Widerspruch zu andern medizinischen Stellungnahmen steht. Zur Diskussion steht also eine funktionelle Einschränkung der linken Hand wegen eines faktischen Ausfalls des Mittel- und des Ringfingers, wobei die Beweglichkeit der Grundgelenke sämtlicher Langfinger gegeben ist.
 
2.2.2 Im äusseren Aspekt ist die Integrität der betroffenen Finger an der linken Hand kaum beeinträchtigt. Jedoch führen funktionelle Einschränkungen und eine Schmerzhaftigkeit zu einer Störung der Gesamtfunktion der Hand. Gemäss Ziff. 2 des Anhangs 3 zur UVV wird die völlige Gebrauchsunfähigkeit eines Organs dem Verlust gleichgestellt; bei teilweisem Verlust und bei teilweiser Gebrauchsunfähigkeit wird der Integritätsschaden entsprechend geringer, wobei die Entschädigung jedoch ganz entfällt, wenn der Integritätsschaden weniger als 5 % des Höchstbetrages des versicherten Verdienstes ergäbe. Daraus folgt, dass bei teilweisem Funktionsverlust ohne Verlust bezüglich der Substanz sich der Integritätsschaden auf den entsprechenden Bruchteil vom Gesamtwert des Organs beläuft (Frei, a.a.O., S. 50).
 
Der den Integritätsschaden beurteilende Arzt hat sich auf Position 36 der SUVA-Tabelle 3 ("Integritätsschäden bei/nach einfachen oder kombinierten Finger-, Hand- und Armverlusten") gestützt, in welcher dem Verlust der zwei mittleren Langfinger ab dem Mittelgelenk ein Wert von insgesamt 10 Prozent zugewiesen wird. Dies entspricht einerseits der Skala der Integritätsentschädigung gemäss Anhang 3 zur UVV, wonach der Verlust von mindestens zwei Gliedern eines Langfingers mit je fünf Prozent veranschlagt wird, und anderseits dem Grundsatz, dass die (teilweise) Gebrauchsunfähigkeit eines Organs dem Fall gleichgestellt wird, dass dieses im entsprechenden Umfang verlustig geht. Die praktischen Auswirkungen der Befunde an den beiden Fingern, die mit den übrigen Teilen der linken Hand eine funktionale Einheit bilden, rechtfertigen eine Gleichsetzung mit der in Position 36 von SUVA-Tabelle 3 vorausgesetzten Amputation ab dem Mittelglied. Die - bei den betroffenen Fingern ab dem PIP-(Mittel-)gelenk nicht mehr gegebene - Beweglichkeit ist für die Greiffunktionen und damit für die Gebrauchsfähigkeit der Hand bedeutsam (RKUV 1997 Nr. U 278 S. 209 Erw. 3b; Debrunner, Orthopädie, 3. Aufl. Bern 1994, S. 554 ff.). So fallen die beiden betroffenen Finger beim Faustschluss aus, wie sich in der kreisärztlichen Abschlussuntersuchung vom 26. September 2003 ergab. Die zusätzlich schmerzbedingte Einschränkung und eine allfällige spätere Arthrodese an den betroffenen Fingermittelgelenken ändern an der Angemessenheit der tabellarisch abgeleiteten Schätzung der Integritätseinbusse nichts, wie das kantonale Gericht überzeugend dargelegt hat.
 
2.3
 
2.3.1 Der Versicherte leidet überdies an einer posttraumatischen Anpassungsstörung mit einer vielschichtigen Symptomatik (depressive und Angstsymptome, dissoziative Zustände), welche eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bewirken (Berichte des Psychiaters Dr. H.________ vom 17. Juli 2003; Psychiatrische Beurteilung durch Frau Dr. O.________ vom 18. August 2003; vgl. Verfügung der SUVA vom 11. Dezember 2003). Der behandelnde Psychiater erwartet eine bleibende psychische Beeinträchtigung (Berichte des Dr. H.________ vom 17. Juli 2003 und vom 17. Oktober 2002). Frau Dr. O.________ schliesst sich dieser Einschätzung in der soeben erwähnten Beurteilung grundsätzlich an, hält aber auch fest, die Schätzung des Integritätsschadens für die psychischen Unfallfolgen könne aktuell noch nicht vorgenommen werden; dies sei "nicht vor Ende 2004" möglich. Nach medizinischer Erfahrung kann zur Dauerhaftigkeit psychischer Störungen üblicherweise erst fünf bis sechs Jahre nach dem Unfallereignis Stellung genommen werden (Hoffmann-Richter/Kopp/Marelli, Integritätsschaden bei psychischen Folgen von Unfällen, in: Medizinische Mitteilungen der SUVA, Nr. 75/2004, S. 105). Zudem könnte der Hinweis der Ärztin auf Art. 21 UVG allenfalls so verstanden werden, dass sie von späteren medizinischen Vorkehren eine Verbesserung des Gesundheitszustandes erwartet (vgl. Abs. 1 lit. d). Dass im Zeitpunkt der Verfügung über die Invalidenrente und über die Integritätsentschädigung für die körperliche Beeinträchtigung noch keine gesicherte individuelle Langzeitprognose über einen lebenslangen Bestand des psychischen Leidens (vgl. BGE 124 V 29) gestellt werden konnte, erscheint auch dadurch begründet, dass die Pathogenese offenbar noch nicht abschliessend geklärt wurde (Bericht des Dr. H.________ vom 7. April 2003).
 
2.3.2 Das Vorgehen des Unfallversicherers ist nicht zu beanstanden. Lassen sich die Anspruchsvoraussetzungen für eine Integritätsentschädigung bei psychischen Unfallfolgen im Zeitpunkt der Rentenverfügung noch nicht zuverlässig beurteilen, sondern kann erst zu einem späteren Zeitpunkt eine gesicherte Prognose hinsichtlich der Dauerhaftigkeit und Erheblichkeit der Beeinträchtigung gestellt werden, so darf die Entscheidung aufgeschoben werden (BGE 113 V 48). Die Leistungsanwartschaft des Beschwerdeführers wird dadurch nicht geschmälert.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 5. August 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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