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Informationen zum Dokument  BGer 2P.147/2005  Materielle Begründung
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BGer 2P.147/2005 vom 31.08.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2P.147/2005 /vje
 
Urteil vom 31. August 2005
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt
 
André Schlatter,
 
gegen
 
Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh., Marktgasse 2, 9050 Appenzell,
 
Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, Unteres Ziel 20, 9050 Appenzell.
 
Gegenstand
 
Art. 8 und 9 BV, Art. 6 EMRK
 
(Parteikosten im Verwaltungsverfahren),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, vom 12. April 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 6. April 2004 lehnte das Sozialamt A.________ ein Gesuch von X.________ um Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen ab. X.________ focht diese Verfügung bei der Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. an. Diese hiess den Rekurs am 9. November 2004 im Sinne der Erwägungen gut und wies das Sozialamt an, einen allfälligen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen im Sinne der Erwägungen neu zu berechnen und gestützt darauf eine neue Verfügung zu erlassen. Den Antrag, eine ausserrechtliche Entschädigung zuzusprechen, wies sie ab (Ziff. 3 des Entscheiddispositivs). Sie begründete dies damit, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz des Kantons Appenzell I.Rh. vom 30. April 2000 (VerwVG) die Ausrichtung einer solchen Entschädigung an die obsiegende Partei nicht vorsehe. Am 22. Dezember 2004 erhob X.________ gegen diesen Entscheid Beschwerde an das Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, mit dem Antrag, Ziff. 3 des Entscheides aufzuheben und ihr für das Rekursverfahren vor der Standeskommission eine angemessene ausserrechtliche Entschädigung zuzusprechen. Mit Urteil vom 12. April 2005 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab (Ziff. 1 des Urteilsdispositivs); es auferlegte die amtlichen Kosten von Fr. 1'000.-- dem Rechtsvertreter von X.________ (Ziff. 2 des Urteilsdispositivs) und lehnte die Zusprechung einer ausseramtlichen Entschädigung ab (Ziff. 4 des Urteilsdispositivs).
 
B.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 30. Mai 2005 beantragt X.________ dem Bundesgericht, den Beschluss der Standeskommission vom 9. November 2004 in Ziff. 3 und das Urteil des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh. vom 12. April 2005 vollumfänglich aufzuheben.
 
Das Kantonsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde und verzichtet im Übrigen auf eine Stellungnahme. Die Standeskommission hat ausdrücklich auf Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird die vollständige Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils beantragt; dieses Begehren umfasst auch Ziff. 2 des Urteilsdispositivs, womit die amtlichen Kosten dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin auferlegt worden sind. Würde sich die staatsrechtliche Beschwerde in der Hauptsache (Frage des Anspruchs auf Parteientschädigung vor der Standeskommission) als begründet erweisen, wäre das angefochtene Urteil als Ganzes aufzuheben, und es entfiele ohne weiteres auch Ziff. 2 des Urteilsdispositivs. Die Beschwerdeführerin macht allerdings geltend (Ziff. III/7 der Beschwerdeschrift), die Kostenverlegung auf den Rechtsvertreter wäre auch dann zu korrigieren, wenn die staatsrechtliche Beschwerde in den anderen Punkten abgewiesen würde. Zu einem entsprechenden Begehren ist sie indessen nicht legitimiert, weil sie durch diese Kostenregelung nicht beschwert ist und keine Rechtsverletzung erleidet (vgl. Art. 88 OG). Beschwert ist allein ihr Rechtsvertreter, der nur in ihrem Namen, nicht auch in eigenem Namen Beschwerde erhoben hat. Im Übrigen ist nicht auszuschliessen, dass bei einer Aufhebung des beanstandeten Kostenspruchs - bei Abweisung der übrigen Begehren - das Kantonsgericht die Kosten in Anwendung von Art. 35 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsgesetzes des Kantons Appenzell I.Rh. vom 25. April 1999 (VerwGG) der Beschwerdeführerin selber auferlegen würde; ihr Vertreter hätte diesfalls einen Antrag zu ihren Ungunsten gestellt, was unter dem Gesichtswinkel des Verbots von Interessenkonflikten (vgl. Art. 12 lit. c des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61]) unzulässig wäre. Soweit, unabhängig vom Verfahrensausgang in den übrigen Punkten, die Aufhebung von Ziff. 2 des Urteilsdispositivs beantragt wird, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
 
Ebenfalls nicht einzutreten ist auf den Antrag, die Ziff. 3 des Entscheids der Standeskommission aufzuheben, da die Voraussetzungen zur ausnahmsweisen Anfechtung eines unterinstanzlichen Entscheids hier nicht gegeben sind (vgl. BGE 126 II 377 E. 8b S. 395).
 
2.
 
2.1 Wie Standeskommission und Kantonsgericht festgehalten haben, sieht das kantonale Verwaltungsverfahrensgesetz die Ausrichtung einer Parteientschädigung an die obsiegende Partei in einem Verwaltungsverfahren nicht vor. Das Kantonsgericht hat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmungen über die Kosten (Art. 46 - 48 VerwVG) dargelegt, dass es sich dabei um ein qualifiziertes Schweigen handelt. Dies wird von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Sie macht indessen geltend, diese gesetzliche Regelung beruhe auf unsachgemässen Überlegungen und führe zu einer nicht zu rechtfertigenden rechtsungleichen Behandlung von Rechtsuchenden im Verhältnis zu anderen Rechtsuchenden bzw. zum Gemeinwesen. Sie rügt, das angefochtene Urteil verletze, indem es sich auf diese Regelung stütze, Art. 2 der Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I.Rh. (Gleichheit der Bürger und Gleichberechtigten vor dem Gesetze), Art. 8 BV (Rechtsgleichheit) und 9 BV (Schutz vor Willkür) sowie Art. 6 EMRK.
 
2.2 Das Bundesgericht hat es bisher abgelehnt, bei Fehlen einer entsprechenden kantonalrechtlichen Norm unmittelbar aus der Bundesverfassung einen Anspruch auf Ausrichtung einer Parteientschädigung an die Partei abzuleiten, welche im Rahmen eines Verwaltungsbeschwerdeverfahrens die Aufhebung einer Verfügung des Gemeinwesens erwirkt hat. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin liegen entsprechende Entscheidungen nicht Jahrzehnte zurück. Nebst dem einzigen von der Beschwerdeführerin erwähnten BGE 104 Ia 9 ist als amtlich publiziertes Urteil auch BGE 117 V 401 E. 1 zu nennen. Vor allem aber gibt es darüber hinaus verschiedenste weit neuere Urteile, in welchen bestätigt wurde, dass kein verfassungsmässiger Anspruch der im Verwaltungsverfahren obsiegenden Partei auf Parteientschädigung besteht, weil der Anspruch auf Zugang zu einem Gericht regelmässig nicht betroffen ist (nebst anderen Urteile 2P.465/1998 vom 17. Mai 1999 E. 2, 1P.181/1998 vom 23. Oktober 1998 E. 3). Auch das Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung gab keinen Anlass, die Frage anders zu beantworten (Urteile 1P.451/2002 vom 27. November 2002 E. 2 [publ. in RDAT 2003 I N. 46 S. 150], 2P.76/2002 vom 11. Juli 2002 E. 2 [publ. in Pra 2002 Nr. 186 S. 997], 1P.755/2001 vom 11. März 2002 E. 4.2 sowie 1P.145/2000 vom 17. Mai 2000 E. 3).
 
2.3 Die Beschwerdeführerin beantragt mithin die Änderung einer langjährigen, regelmässig bis in die neueste Zeit und unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen (wie Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung) bestätigten Rechtsprechung. Eine Praxisänderung muss sich auf ernsthafte, sachliche Gründe stützen können, die umso gewichtiger sein müssen, je länger und kontinuierlicher die bisherige Rechtsauffassung als zutreffend erachtet wurde (vgl. BGE 127 II 289 E. 3a S. 292 f., mit Hinweisen auf weitere publizierte Urteile).
 
Die Beschwerdeführerin kritisiert den auf die bisherige Praxis gründenden Entschädigungsentscheid im Wesentlichen als mit dem Rechtsgleichheitsgebot nicht vereinbar und erwähnt auch das Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung immer den Aspekt der Rechtsgleichheit berücksichtigt, und zwar sowohl in allgemeiner Hinsicht wie auch in Bezug auf den Anspruch einer bedürftigen Partei auf Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistands (nebst BGE 117 V 401 E. 1b S. 404 etwa Urteile 2P.465/1998 vom 17. Mai 1999 E. 2a und b sowie 1P.181/1998 vom 23. Oktober 1998 E. 3f). Die Beschwerdeführerin hat diese Urteile nicht zur Kenntnis genommen; sie geht darauf jedenfalls nicht ein. Ihre Ausführungen sind schon darum in keiner Weise geeignet, die Notwendigkeit einer Änderung der Rechtsprechung aufzuzeigen. Inwiefern sich aus Art. 6 EMRK ein Anspruch auf Ausrichtung einer Parteientschädigung im Rechtsmittelverfahren betreffend Sozialhilfeleistungen ableiten liesse, ist unerfindlich.
 
2.4 Es lässt sich somit nicht beanstanden, wenn das Appellationsgericht abgelehnt hat, einen allgemeinen Anspruch auf Zusprechung einer Parteientschädigung an die im Rechtsmittelverfahren obsiegende Beschwerdeführerin anzuerkennen. Zwar schliesst das Fehlen eines solchen Anspruchs nicht aus, im Einzelfall ein Recht auf eine solche Entschädigung einzuräumen, wenn die Ablehnung des Entschädigungsbegehrens angesichts der ganz besonderen konkreten Umstände in stossender Weise dem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderliefe (vgl. BGE 104 Ia 9 E. 1 S. 11 oben; ferner BGE 107 Ia 202, wo allerdings bereits nach kantonalem Recht - eingeschränkt - die Möglichkeit für die Zusprechung einer Entschädigung bestand). Solche Umstände sind entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin vorliegend nicht gegeben. Abgesehen davon, dass sich nicht sagen lässt, die Verfügung des Sozialamtes A.________ vom 6. April 2004 sei letztlich geradezu haltlos bzw. willkürlich gewesen, konnte dagegen ein Rechtsmittel ergriffen werden, ohne dass dazu vertiefte Rechtskenntnisse erforderlich waren bzw. ein besonders grosser Aufwand getrieben werden musste (vgl. RDAT 2003 I N. 46 E. 2 S. 152; Urteil 2P.465/1998 vom 17. Mai 1999 E. 2d).
 
3.
 
Die erhobenen Rügen erweisen sich als unbegründet. Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden kann (vgl. E. 1), ist sie abzuweisen.
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'200.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. und dem Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. August 2005
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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