BGer U 70/2005 | |||
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BGer U 70/2005 vom 12.09.2005 | |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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U 70/05
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Urteil vom 12. September 2005
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IV. Kammer
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Besetzung
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Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Scartazzini
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Parteien
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I.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Andrea Müller-Ranacher, Rämistrasse 2, 8024 Zürich,
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gegen
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Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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(Entscheid vom 4. Januar 2005)
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1947 geborene I.________ arbeitete bis zum 31. Dezember 2000 als Kranführer/Bauarbeiter bei der Firma X.________ AG. Ab 1. September 2000 war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig und bezog Krankentaggelder. Ab 1. Mai 2001 bezog er zudem Leistungen der Arbeitslosenversicherung und war über diese bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unter anderem gegen Nichtberufsunfälle versichert. Am 7. Juni 2002 zog sich der Versicherte bei einer Autokollision Verletzungen am Kopf zu. Die SUVA erbrachte in der Folge gemäss Verfügung vom 9. Juli 2002 und unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Einspracheentscheid vom 17. September 2002 Heilbehandlung und Taggelder. Mit Verfügungen vom 11. April 2003 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem Versicherten eine halbe Rente für die Zeit vom 1. September 2001 bis 31. August 2002 sowie eine ganze Rente mit Wirkung ab 1. September 2002 zu. Gestützt auf einen Austrittsbericht der Rehaklinik Y.________ vom 14. März 2003, welche attestierte, der Versicherte weise im Rahmen seiner bisherigen Invalidenrente von Seiten des Unfalles eine Arbeitsfähigkeit von 100 % in einer leichten, wechselbelastenden Tätigkeit ohne wiederholte Überkopfarbeiten auf, stellte die SUVA ihre Leistungen mit Verfügung vom 4. Juni 2003 auf den 10. Juni 2003 ein und bestätigte dies mit Einspracheentscheid vom 16. Dezember 2003.
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B.
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Dagegen liess I.________ Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des Einspracheentscheides seien die gesetzlichen Leistungen über den 10. Juni 2003 hinaus zu gewähren und die Sache sei eventuell zwecks weiterer Abklärungen an die SUVA zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 4. Januar 2005 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
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C.
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I.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung.
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Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Streitig und zu prüfen ist unter dem Gesichtswinkel des in Art. 6 Abs. 1 UVG angelegten Anspruchserfordernisses der Kausalität, ob über den Zeitpunkt der von der SUVA auf den 10. Juni 2003 vorgenommenen Einstellung der Leistungen hinaus ein Anspruch auf Heilbehandlung und Taggeld besteht.
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1.2 Bei der Prüfung eines schon vor dem In-Kraft-Treten des ATSG auf den 1. Januar 2003 entstandenen Anspruchs auf Leistungen der Unfallversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln heranzuziehen, gemäss welchen - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge ist der Leistungsanspruch für die Zeit bis 31. Dezember 2002 auf Grund der bisherigen und ab diesem Zeitpunkt nach den neuen Normen zu prüfen (vgl. BGE 130 V 329 ff. und 446 Erw. 1 mit Hinweisen).
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2.
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Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Grundlagen und die Rechtsprechung zu den nach Art. 10 und 16 UVG für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten Erfordernissen richtig wiedergegeben. Zudem hat es die Rechtsprechung zum Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4; BGE 124 V 181 Erw. 1a mit Hinweisen), zu dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Untersuchungsgrundsatz (BGE 130 V 68 f. Erw. 5.2.5 mit Hinweisen), zum Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 153 Erw. 2.1 mit Hinweisen) und zum Beweiswert eines Arztberichts (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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3.
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In formeller Hinsicht macht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Untersuchungsmaxime geltend. Dabei führt er aus, der vorinstanzliche Entscheid beruhe auf den im Austrittsbericht der Rehaklinik Y.________ vom 14. März 2003 gemachten Feststellungen. Zu den entsprechenden Konsilien sei allerdings kein Übersetzer beigezogen worden, obschon er als albanischsprachiger Versicherter darum ersucht habe; seine Deutschkenntnisse seien sehr gering und er habe den Ausführungen der Ärzte teilweise nicht folgen können. Seine sprachlichen Schwierigkeiten seien im Bericht von Prof. Dr. med. S.________ vom 20. Januar 2003 und in jenem des Psychiaters R.________ vom 19. Februar 2003 attestiert worden.
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Indessen hat die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt, dass nach der Rechtsprechung grundsätzlich der Gutachter im Rahmen sorgfältiger Auftragserfüllung zu entscheiden hat, ob eine medizinische Abklärung in der Muttersprache des Exploranden oder unter Beizug eines Übersetzers im Einzelfall geboten ist (AHI 2004 S. 146 f. Erw. 4.2.1). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann aus dem Vermerk von R.________ in seinem Bericht vom 19. Februar 2003, wonach der Versicherte Deutsch auf einfachstem Niveau spreche, nicht geschlossen werden, der Psychiater habe seinen Auftrag nicht mit der gebotenen Sorgfalt erfüllen können. Ebenfalls unbegründet ist der Einwand, eine biomechanische Kurzbeurteilung der Arbeitsgruppe für Unfallmechanik vom 12. September 2002 sei unberücksichtigt gelassen worden. Aus den Akten geht vielmehr hervor, dass die SUVA und das kantonale Gericht auch diese Untersuchung in die gesamte Fallbeurteilung miteinbezogen, daraus jedoch nicht die Schlüsse gezogen haben, die der Beschwerdeführer in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend macht. Die Rügen einer Verletzung der Untersuchungsmaxime und des rechtlichen Gehörs sind daher unbegründet. Die beanstandeten Konsilien sind beweismässig verwertbar.
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4.
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4.1 In materiellrechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer hauptsächlich geltend, die Argumentation der Vorinstanz sei insofern widersprüchlich, als sie einerseits von einem hinsichtlich Unfallfolgen negativen neurologischen Befund ausgehe und andererseits eine traumatische Hirnverletzung feststelle. Zudem sei entgegen den Schlussfolgerungen des kantonalen Gerichts das häufig nach einem Unfall auftretende bunte Beschwerdebild eines Schleudertraumas dokumentiert. In Anwendung der Rechtsprechung zu Unfällen mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle seien vorliegend auch mehrere der hinsichtlich der Adäquanzprüfung erforderlichen Kriterien erfüllt. Zwischen dem erlittenen Unfall und den geklagten Beschwerden bestehe ein adäquater Kausalzusammenhang.
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4.2 Das kantonale Gericht hat gestützt auf die gesamte Aktenlage erwogen, der Versicherte habe am 7. Juni 2002 u.a. ein Trauma der Halswirbelsäule (HWS) erlitten. Im Austrittsbericht vom 14. März 2003, welchem ein neurologisches Konsilium von Prof. Dr. med. S.________ und ein psychosomatisches Konsilium des Psychiaters R.________ zu Grunde lagen, stellten die Ärzte der Rehaklinik Y.________ eine mässiggradig schmerzhaft eingeschränkte HWS-Beweglichkeit bei Status nach HWS-Distorsion und leichter, möglicherweise mässiger traumatischer Hirnverletzung fest. Zum Untersuchungszeitpunkt fand sich gemäss Prof. Dr. med. S.________ allerdings kein objektives fokal neurologisches Defizit, was bereits aus einer kernspintomographischen Abklärung vom 16. Oktober 2002 hervorgegangen war. Von einem Widerspruch zwischen der diagnostizierten Hirnverletzung und dem Ausbleiben daraus möglicherweise entstehender Folgen kann daher nicht die Rede sein. Gestützt auf den Austrittsbericht der Rehaklinik Y.________ hat die Vorinstanz sodann befunden, dass nach medizinisch überzeugender Feststellung keine Besserungsmöglichkeiten des zervikozephalen Syndroms mehr bestanden hatten, weshalb die Behandlung und die Taggelder zu Recht auf den 10. Juni 2003 eingestellt worden waren. Entgegen der Darlegung des Beschwerdeführers ergeben sich aus den medizinischen Unterlagen - abgesehen von der psychischen Komponente - nur die geltend gemachten Schmerzen im Bereich der HWS und rechtsseitig am Kopf, während die übrigen Elemente des typischen Beschwerdebildes eines Schleudertraumas fehlen. Sowohl aus diesem Grund als auch weil ein objektives neurologisches Defizit zu verneinen war und die psychischen Beschwerden rund sechs Monate nach dem Unfall im Vordergrund gestanden hatten, gelangte das kantonale Gericht, nachdem es den Unfall als im mittleren Bereich liegendes Ereignis eingestuft hatte, richtigerweise zum Schluss, dass der adäquate Kausalzusammenhang nicht in Anwendung von BGE 117 V 369, sondern nach der Rechtsprechung zu den psychischen Fehlentwicklungen (BGE 115 V 133 ff.; vgl. BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen sowie RKUV 2005 Nr. U 548 S. 228 ff.) zu prüfen war. Diesbezüglich wurde zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer allenfalls das Kriterium der körperlichen Dauerschmerzen erfüllt, was für die Bejahung eines adäquaten Kausalzusammenhanges jedoch nicht genügt. Schliesslich ist zu beachten, dass die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachten und in einer biomechanischen Kurzbeurteilung der Arbeitsgruppe für Unfallmechanik vom 12. September 2002 beschriebenen Besonderheiten des Alters des Versicherten, seiner vorbestehenden Rückenbeschwerden, des Nichttragens des Sicherheitsgurtes und des körperlichen Übergewichts für die Beurteilung der Adäquanz des Kausalzusammenhanges nicht entscheidend sind.
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5.
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Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben. Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Andrea Müller-Renacher, Zürich, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
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Luzern, 12. September 2005
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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