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Informationen zum Dokument  BGer I 431/2005  Materielle Begründung
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BGer I 431/2005 vom 13.10.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 431/05
 
Urteil vom 13. Oktober 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Bundesrichter Lustenberger, Kernen und Seiler; Gerichtsschreiber Jancar
 
Parteien
 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
S.________, 1960, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Frey, Genferstrasse 24, 8027 Zürich,
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 29. April 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1960 geborene S.________ beendete 1978 ein Volontariat bei der Firma X.________ mit einem Fähigkeitsausweis. Seit ca. 1980 leidet sie an einer rechtsbetonten Hörstörung. Deswegen gab ihr die Invalidenversicherung mit Verfügungen 18. Dezember 1990 und 20. Dezember 2001 jeweils leihweise Hörgeräte ab. Zudem leidet die Versicherte an einem Dandy-Walker-Syndrom, rezidivierenden Episoden mit Drehschwindel und Gangunsicherheit, kognitiven Defiziten sowie Herzbeschwerden (koronare Herzkrankheit, Status nach stummem Vorderwandinfarkt). Die Drehschwindelepisoden treten einmal, manchmal zweimal monatlich auf und manifestieren sich während einer Woche begleitet von Gangunsicherheit. Zuletzt arbeitete die Versicherte ab 5. Juni 2001 bis 28. Februar 2002 zu ca. 25 % bis 30 % als Verkäuferin bei der Firma Y.________. Am 31. Dezember 2002 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Nach Abklärung der medizinischen und erwerblichen Verhältnisse sowie Einholung eines Haushaltabklärungsberichts vom 21. April 2004 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich ab 1. Januar 2002 eine ganze Invalidenrente zu. Am 24. April 2004 stellte die Versicherte Antrag auf Hilflosenentschädigung. Nach Beizug eines Abklärungsberichts für Hilflosenentschädigung vor Ort vom 26. Juli 2004 kam die IV-Stelle zum Schluss, die Versicherte sei in der Lebensverrichtung "Fortbewegung" regelmässig in erheblicher Weise auf Dritthilfe angewiesen und bedürfe der dauernden persönlichen Überwachung. Sie sprach ihr demnach ab 1. März 2003 eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades zu (Verfügungen vom 25. August 2004). Die hiegegen erhobene Einsprache wies sie am 4. Oktober 2004 ab, wobei sie dieses Schreiben nicht als Einspracheentscheid betitelte und es auch nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versah. Nach entsprechendem Einwand der Versicherten erliess die IV-Stelle am 3. Januar 2005 einen neuen, formell korrekten Einspracheentscheid, mit welchem sie die Einsprache abwies.
 
B.
 
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid auf und stellte fest, dass die Versicherte Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades habe (Entscheid vom 29. April 2005).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung die Aufhebung des kantonalen Entscheides und des Einspracheentscheides; es sei festzustellen, dass die Versicherte nicht hilflos im Sinne des Gesetzes sei; eventuell sei der Einspracheentscheid zu bestätigen.
 
Die Versicherte schliesst auf Abweisung, die IV-Stelle auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Die IV-Stelle hat der Versicherten mit Einspracheentscheid vom 3. Januar 2005 ab 1. März 2003 eine Hilflosenentschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades zugesprochen. Demnach sind der Beurteilung der Verhältnisse bis 31. Dezember 2003 die alten und danach die mit der 4. IV-Revision geänderten Rechtsvorschriften zu Grunde zu legen (BGE 130 V 445 und 329; unveröffentlichtes Urteil V. vom 27. April 2005, I 148/05).
 
1.2 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Hilflosenentschädigung und die für deren Höhe wesentliche Unterscheidung dreier Hilflosigkeitsgrade (Art. 9 ATSG; Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 IVG) sowie die Rechtsprechung zum Beweiswert eines Abklärungsberichts im Sinne von Art. 69 Abs. 2 IVV für die Beurteilung des Hilflosigkeitsgrades (BGE 130 V 61 ff. mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch, dass der Gesetzgeber mit Art. 9 ATSG die bisherige Definition der Hilflosigkeit nach alt Art. 42 Abs. 2 IVG übernommen hat (vgl. BBl 1991 II 249; SVR 2005 IV Nr. 4 S. 14). Korrekt wiedergegeben hat die Vorinstanz auch die in Art. 37 Abs. 2 IVV (bis 31. Dezember 2003 Art. 36 Abs. 2 IVV) umschriebene mittelschwere Hilflosigkeit und die nach der Rechtsprechung bei der Bestimmung des Hilflosigkeitsgrades massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (Ankleiden, Auskleiden; Aufstehen, Absitzen, Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichtung der Notdurft; Fortbewegung [im oder ausser Haus], Kontaktaufnahme; BGE 127 V 97 Erw. 3c, 125 V 303 Erw. 4a, 124 II 247 f., 121 V 90 Erw. 3a mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.
 
1.3 Zu ergänzen ist, dass nach Art. 37 Abs. 3 IVV (bis 31. Dezember 2003 Art. 36 Abs. 3 IVV) leichte Hilflosigkeit vorliegt, wenn der Versicherte trotz der Abgabe von Hilfsmitteln a. in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist oder b. einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf oder c. einer durch das Gebrechen bedingten ständigen und besonders aufwendigen Pflege bedarf oder d. wegen einer schweren Sinnesschädigung oder eines schweren körperlichen Gebrechens nur dank regelmässiger und erheblicher Dienstleistungen Dritter gesellschaftliche Kontakte pflegen kann oder e. dauernd auf lebenspraktische Begleitung im Sinne von Art. 38 angewiesen ist. Letzterer Buchstabe ist am 1. Januar 2004 in Kraft getreten.
 
Die benötigte Hilfe kann praxisgemäss nicht nur in direkter Dritthilfe, sondern auch bloss in Form einer Überwachung der versicherten Person bei Vornahme der relevanten Lebensverrichtungen bestehen, indem etwa die Drittperson sie auffordert, eine Lebensverrichtung vorzunehmen, die sie wegen ihres psychischen Zustandes ohne besondere Aufforderung nicht vornehmen würde (so genannte indirekte Dritthilfe; BGE 121 V 91 Erw. 3c, 107 V 149 Erw. 1c und 139 Erw. 1b, 106 V 157 f., 105 V 56 Erw. 4a; Urteil H. vom 31. Mai 2005 Erw. 2.2, I 565/04).
 
Das Erfordernis der dauernden persönlichen Überwachung als zusätzliche oder als alternative Anspruchsvoraussetzung bezieht sich nicht auf die alltäglichen Lebensverrichtungen und ist deshalb von der indirekten Dritthilfe zu unterscheiden (ZAK 1984 S. 357 Erw. 2c). Es handelt sich hier vielmehr um eine Art medizinischer oder pflegerischer Hilfeleistung, welche infolge des physischen, geistigen oder psychischen Zustandes des Versicherten notwendig ist (BGE 107 V 139 Erw. 1b mit Hinweisen; ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c). Die Notwendigkeit der persönlichen Überwachung ist beispielsweise dann gegeben, wenn eine versicherte Person wegen geistiger Absenzen nicht während des ganzen Tages allein gelassen werden kann (BGE 107 V 139, 106 V 158, 105 V 56 Erw. 4; ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c). "Dauernd" hat in diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung von "rund um die Uhr", sondern ist als Gegensatz zu "vorübergehend" zu verstehen (ZAK 1990 S. 46 Erw. 2c, 1986 S. 486 Erw. 1a; erwähntes Urteil H. Erw. 2.2).
 
2.
 
Der auf Grund einer Untersuchung vor Ort erstellte Abklärungsbericht für Hilflosenentschädigung vom 26. Juli 2004 erfüllt die rechtsprechungsgemässen Anforderungen für eine voll beweiskräftige Entscheidungsgrundlage (BGE 130 V 61 ff.).
 
3.
 
3.1 Unbestritten ist, dass erhebliche Dritthilfe für den Bereich Fortbewegung/Kontaktaufnahme erforderlich ist. Keine erhebliche Dritthilfe ist dagegen in den Bereichen An-/Auskleiden und Aufstehen/Absitzen/ Abliegen notwendig.
 
Zu prüfen ist, ob die Versicherte mindestens in einem weiteren der drei anderen Lebensbereiche (Erw. 1.2 hievor) in erheblicher Weise auf Hilfe Dritter angewiesen ist.
 
3.2 Der Begriff der Erheblichkeit ist in Relation zu setzen zum zeitlichen Aufwand, den die Hilfsperson hat (vgl. z.B. SVR 2004 AHV Nr. 19 S. 63 Erw. 5.2). Sodann ist auf den im Gebiet der Invalidenversicherung ganz allgemein geltenden Grundsatz hinzuweisen, dass die versicherte Person, bevor sie Leistungen verlangt, auf Grund der ihr obliegenden Schadenminderungspflicht alles ihr Zumutbare selber vorzukehren hat, um die Folgen der Invalidität bestmöglich zu mildern. Demnach liegt Hilflosigkeit nicht vor, wenn mit zumutbaren Vorkehren die Selbstständigkeit erhalten bleiben kann (SVR 2004 AHV Nr. 19 S. 61 f. Erw. 1.3 mit Hinweisen).
 
3.3 Bezüglich der Körperpflege hat die Vorinstanz die Notwendigkeit der erheblichen Dritthilfe bejaht.
 
In diesem Bereich ist Hilfsbedürftigkeit gegeben, wenn z.B. für den Wechsel aus dem Rollstuhl in die Dusche Hilfe notwendig ist (Urteile B. vom 4. Februar 2004 Erw. 4, H 128/03, und S. vom 3. September 2003 Erw. 3.2, I 214/03).
 
Die Vorinstanz hat angenommen, der Abklärungsbericht vom 26. Juli 2004 habe die Hilfsbedürftigkeit in Bezug auf die Körperpflege nur mangels Regelmässigkeit verneint. Das ergibt sich indessen aus dem Bericht nicht. Es geht daraus in Bezug auf die Körperpflege nur hervor, dass beim Duschen meist jemand in der Wohnung sei, um bei starkem Schwindel zu helfen. Falls der Schub sehr stark sei, wasche sich die Beschwerdegegnerin nur oberflächlich mit Unterstützung. Somit ist nicht bei jedem Duschen bzw. Waschen effektiv Hilfe erforderlich. Für den Reinigungsvorgang selber kann man zumutbarerweise auch in die Badewanne sitzen oder einen Duschsitz einrichten, sodass keine Gefahr besteht, während der Reinigung zu stürzen. Somit ist jedenfalls nicht (wie beim Wechsel vom Rollstuhl in den Duschsitz oder dergleichen) in erheblicher Weise Hilfe nötig (erwähntes Urteil S. Erw. 3.3 e contrario).
 
3.4 Die Begleitung zur Toilette gilt in besonderen Fällen als Hilfe zur Notdurft, aber nicht generell (SVR 2004 AHV Nr. 19 S. 63 f. Erw. 5.3). Vorliegend wird die Versicherte nur manchmal während eines Krankheitsschubes zur Toilette begleitet. Sie kann sich selbst reinigen und die Kleider richten. Unter diesen Umständen ist nicht in erheblichem Masse Dritthilfe notwendig.
 
3.5 Die Hilfsbedürftigkeit im Bereich Essen betrifft nur die Nahrungsaufnahme als solche, nicht aber das Zubereiten der Speisen oder das an den Tisch bringen (erwähntes Urteil B. Erw. 3.2 mit Hinweisen). Aus dem Abklärungsbericht vom 26. Juli 2004 geht hervor, dass die Beschwerdegegnerin während den Krankheitsschüben keinen Hunger hat und es ihr übel ist. Sie trinkt dann nur. Es wird aber nicht geltend gemacht, sie könne nicht selber das Essen zu sich nehmen. Im Weiteren ist sie auch nicht aus psychischen Gründen unfähig, ihr Essverhalten unter Kontrolle zu halten (vgl. Urteil R. vom 15. Dezember 2003 Erw. 4.1.1, I 104/01). Vielmehr ist sie beim Essen selbstständig, wenn kein Krankheitsschub vorliegt. Demnach liegt im Bereich Essen keine erhebliche Hilfsbedürftigkeit vor.
 
3.6 Somit ist die Beschwerdegegnerin nur in einem der Bereiche (Fortbewegung/Kontaktaufnahme; Erw. 3.1 hievor) auf erhebliche Hilfe angewiesen, weshalb keine mittelschwere Hilflosigkeit besteht.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer bestreitet auch leichte Hilflosigkeit.
 
4.1 Für leichte Hilflosigkeit ist, da nicht in zwei Lebensverrichtungen erhebliche Hilfsbedürftigkeit besteht, eine dauernde persönliche Überwachungsbedürftigkeit nötig (Art. 37 Abs. 3 lit. b IVV), zumal die Voraussetzungen von Art. 37 Abs. 3 lit. c-e IVV nicht erfüllt sind (Erw. 1.3 hievor).
 
"Dauernd" meint nicht ununterbrochen, sondern ist als Gegensatz zu "vorübergehend" zu verstehen (Erw. 1.3 hievor). Aber nur eine Überwachung von einer gewissen Intensität ist anspruchsbegründend (vgl. auch erwähntes Urteil R. vom 15. Dezember 2003 Erw. 4.1.2 und Urteil K. vom 23. Januar 2003 Erw. 4, I 231/02). Es geht darum, dass die versicherte Person überwacht werden muss, damit nicht eine unkontrollierte Lage entsteht, in welcher sie gefährdet würde.
 
4.2 Gemäss dem Abklärungsbericht vom 26. Juli 2004 kommt die Nachbarin dreimal täglich zur Versicherten, da die Schwindelschübe unverhofft und schnell auftreten. Aber aus dem Bericht geht nicht hervor, dass dies nötig wäre, um eine bedrohliche Situation abzuwehren. Der Beschwerdeführer macht mit Recht geltend, dass die Beschwerdegegnerin sich bei Anzeichen von Schwindel setzen kann, womit keine bedrohliche Lage ersichtlich ist. Soweit nötig, kann sie dann die Nachbarin anrufen. Damit ist eine dauernde persönliche Überwachungsbedürftigkeit nicht gegeben (vgl. auch Urteil R. vom 7. Juni 2004 Erw. 3.6, H 299/03).
 
4.3 Nach dem Gesagten liegt auch keine leichte Hilflosigkeit vor. Die von der Beschwerdegegnerin betonte Arbeitsunfähigkeit (auch im Haushalt) ändert daran nichts. Dieser wird bereits mit der Invalidenrente Rechnung getragen. Für die Hilflosigkeit ist sie nicht ausschlaggebend (ZAK 1971 S. 38 Erw. 3b, 1970 S. 478 Erw. 1c; erwähntes Urteil R. vom 7. Juni 2004 Erw. 3.4).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. April 2005 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 3. Januar 2005 aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin nicht hilflos ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der IV-Stelle des Kantons Zürich und der Ausgleichskasse des Kantons Zürich zugestellt.
 
Luzern, 13. Oktober 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Vorsitzende der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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