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Informationen zum Dokument  BGer 2P.149/2005  Materielle Begründung
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BGer 2P.149/2005 vom 13.12.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2P.149/2005 /leb
 
Urteil vom 13. Dezember 2005
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Ersatzrichter Locher,
 
Gerichtsschreiber Schaub.
 
Parteien
 
V. und W.X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Dr. Johannes Säuberli,
 
gegen
 
Steueramt des Kantons Aargau, Rechtsdienst,
 
Telli-Hochhaus, 5004 Aarau,
 
Steuerverwaltung des Kantons Schwyz,
 
Postfach 1232, 6431 Schwyz,
 
Steuerkommission A.________.
 
Gegenstand
 
Art. 127 Abs. 3 BV
 
(Doppelbesteuerung; Nebensteuerdomizil),
 
Gegenstand
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der Steuerkommission A.________
 
vom 29. April 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
V. und W.X.________ wohnen mit ihrem Sohn im eigenen Einfamilienhaus in A.________ (AG). Der Ehemann betreibt die Einzelfirma Y.________ (nachfolgend: Einzelfirma). Diese verlegte ihre Geschäftsniederlassung am 14. Januar 2000 von A.________ nach B.________ (SZ) und am 2. Januar 2001 nach Freienbach (SZ) an die C.________strasse. Dort ist sie im Handelsregister eingetragen und mietete sie ein Büro in den Räumlichkeiten der Z.________ AG zu einem Mietzins von Fr. 3'000.-- pro Jahr, wobei sie das WC, die Telefonanlage sowie die Teeküche mitbenützen durfte.
 
B.
 
V. und W.X.________ wurden für das der Einzelfirma zuzurechnende Einkommen von Fr. 256'000.-- (satzbestimmend Fr. 136'000.--; kein Vermögen) am 26. April 2005 für die kantonalen Steuern des Steuerjahres 2001 von der Kantonalen Steuerverwaltung Schwyz definitiv veranlagt. Drei Tage später, am 29. April 2005, erliess die Steuerkommission A.________ ihren Einspracheentscheid und bestätigte das steuerbare Einkommen von V. und W.X.________ für die Steuerperiode 2001 mit Fr. 262'858.-- (zum gleichen Satz; Vermögen null). Sie nahm an, der steuerrechtliche Sitz der Einzelfirma befinde sich am Hauptsteuerdomizil der Eheleute, und verzichtete auf eine Steuerausscheidung zugunsten des Kantons Schwyz.
 
C.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 30. Mai 2005 beantragen V. und W.X.________ dem Bundesgericht, den Einspracheentscheid der Steuerkommission A.________ vom 29. April 2005 betreffend Kantons- und Gemeindesteuern aufzuheben und die Veranlagungsbehörde anzuweisen, die Einkünfte und die zurechenbaren Vermögenswerte aus der Einzelfirma dem Geschäftsort im Kanton Schwyz zuzuweisen; zudem sei die Steuerbehörde des Kantons Aargau zu verpflichten, allfällige bereits bezahlte Steuern zu erstatten; eventuell sei die Veranlagungsverfügung 2001 der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz für die Gemeinde Freienbach aufzuheben und die Steuerbehörde zu verpflichten, die bezahlten Steuern zu erstatten.
 
Das Kantonale Steueramt Aargau beantragt die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde, soweit sie sich gegen den Kanton Aargau richtet und die ersatzlose Aufhebung der Veranlagungsverfügung 2001 der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz für die Gemeinde Freienbach. Die Steuerverwaltung des Kantons Schwyz beantragt, das Hauptbegehren der Beschwerdeführer abzuweisen, das Eventualbegehren gutzuheissen und von jeglichen Kostenfolgen für den Kanton Schwyz abzusehen. Die Veranlagung durch den Kanton Schwyz sei vorab erfolgt, um zu verhindern, dass der Gewinn und das Vermögen aus der Einzelfirma in keinem Kanton besteuert werden. Aufgrund der Ausführungen des Kantonalen Steueramtes Aargau sowie der Steuerkommission A.________ sei davon auszugehen, dass im Kanton Schwyz ein Scheindomizil vorliege. Die Beschwerdeführer legten nicht glaubhaft dar, dass sich in Freienbach die effektive Geschäftstätigkeit der Einzelfirma befinde. Das treuwidrige Verhalten der Beschwerdeführer sei in Bezug auf die Kostenfolgen nicht durch die Entlastung von Gerichtskosten und Zusprechung einer Parteientschädigung indirekt zu fördern.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots (Art. 127 Abs. 3 BV) ist spätestens im Anschluss an die Geltendmachung des letzten der einander ausschliessenden Steueransprüche zu erheben, wobei der kantonale Instanzenzug nicht ausgeschöpft zu werden braucht, aber gegenüber dem angefochtenen Entscheid die dreissigtägige Beschwerdefrist einzuhalten ist (Art. 86 Abs. 2 und Art. 89 Abs. 3 OG; BGE 131 I 145 E. 2.1 S. 147). Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) kommt hier nicht zur Anwendung (vgl. dazu ausführlich BGE 131 I 145 E. 2.1 S. 147 f.).
 
Mit der Beschwerde gegen die Veranlagung des zweitverfügenden Kantons kann auch die bereits rechtskräftige Steuerveranlagung des erstverfügenden Kantons angefochten werden (Art. 89 Abs. 3 OG). Deshalb kann hier mit dem Aargauer Einspracheentscheid der Besteuerungsanspruch des Kantons Schwyz ebenfalls vollumfänglich überprüft werden, obwohl die dort vorgenommene Veranlagung unangefochten rechtskräftig wurde (Urteil 2P.2/2003 vom 7. Januar 2004, publ. in: ASA 73 S. 420, E. 1.2).
 
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur. Eine Ausnahme besteht bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung von Art. 127 Abs. 3 BV. Hier kann das Bundesgericht zusammen mit der Aufhebung des kantonalen Hoheitsaktes Feststellungen treffen und den beteiligten Kantonen verbindliche Weisungen erteilen (Urteil 2P.235/2003 vom 5. April 2004, publ. in: StE 2004 A 24.31 Nr. 1, E. 1.3 mit Hinweisen). Die Anträge der gemäss Art. 88 OG legitimierten Beschwerdeführer sind daher zulässig, auch wenn darin mehr verlangt wird als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
 
2.
 
2.1 Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet oder eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton eine steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten, weil sie nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot; BGE 131 I 409 E. 2.1 S. 411 f.).
 
2.2 Im vorliegenden Fall ist das Hauptsteuerdomizil der Beschwerdeführer für die Steuerperiode 2001 im Kanton Aargau unbestritten. Hingegen wurden die der Einzelfirma zuzurechnenden Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit sowohl vom Hauptsteuerdomizil als auch vom behaupteten Nebensteuerdomizil (Geschäftsort) im Kanton Schwyz besteuert. Damit lag an sich eine aktuelle Doppelbesteuerung vor. Allerdings räumt der Kanton Schwyz in der Beschwerdevernehmlassung selbst ein, er sei zu Unrecht von einem Nebensteuerdomizil in seinem Kanton ausgegangen, weshalb er die Gutheissung des Eventualbegehrens beantragt. Aufgrund dieser Stellungnahme ist die aktuelle Doppelbesteuerung der Beschwerdeführer an sich beseitigt. Allerdings vermag dieses Einlenken des Kantons Schwyz die Beschwerdeführer nicht zu binden (Urteil 2P.14/2003 vom 10. Dezember 2003, publ. in: ASA 72 247, E. 3). Nach deren Auffassung ist vorliegend nicht der Kanton Aargau, sondern der Kanton Schwyz zur Besteuerung der Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit zuständig. Unter dieser neuen Ausgangslage rügen sie implizit einen Verstoss gegen das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung.
 
3.
 
3.1 Das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit, das in einer Geschäftsniederlassung mit ständigen Einrichtungen ausserhalb des Wohnsitzkantons erzielt wird, und das dieser Tätigkeit dienende bewegliche Vermögen sind nach der bundesgerichtlichen Praxis am Geschäftsort zu versteuern (Urteil P.1382/1986 vom 22. Juni 1987, publ. in: ASA 57 582, E. 4a). Allerdings genügt nach dieser Praxis für das Vorhandensein einer Geschäftsniederlassung ausserhalb des Wohnsitzkantons nicht eine bloss formale Erklärung durch einen Handelsregistereintrag, ein blosser Briefkasten oder gar ein Postfach (Urteil P.1382/1986 vom 22. Juni 1987, publ. in: ASA 57 582, E. 4b).
 
Nur, aber immerhin soweit sich die Tätigkeit auch wirklich in den ständigen körperlichen Anlagen und Einrichtungen am Ort der Geschäftsniederlassung abspielt, sind das dort auf eigene Rechnung erzielte Einkommen und das der Berufsausübung dienende Vermögen am Geschäftsort steuerbar. Wickelt sich hingegen die Erwerbstätigkeit nicht in ständigen Anlagen und Einrichtungen ausserhalb des Hauptsteuerdomizils ab, sind Einkommen und Vermögen am Hauptsteuerdomizil steuerbar, selbst wenn sich hier keine spezifischen Einrichtungen befinden (vgl. Ernst Höhn/Peter Mäusli, Interkantonales Steuerrecht, 4. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 2000, § 13 Rz. 10 und 15).
 
3.2 Im vorliegenden Fall war zwar das Geschäft des Beschwerdeführers im Handelsregister in Freienbach eingetragen und hatte er dort auch für Fr. 3'000.-- pro Jahr einen Büroraum gemietet. Dieser könnte als "ständige Anlage oder Einrichtung" aufgefasst werden, wenn sich die fragliche Tätigkeit hauptsächlich dort abgespielt hätte. Aber gerade daran fehlt es hier. Die Steuerkommission A.________ weist in ihrem Einspracheentscheid schlüssig nach, dass der Beschwerdeführer seine Einkünfte ohne Bezug zur dieser Geschäftsniederlassung erwirtschaftet hat. Die Spesenbelege (Restaurantbesuche, Benzinbezüge) beziehen sich nicht auf dortige Adressen. Über den dortigen Festnetzanschluss wurden auch keine Telefonanrufe getätigt. Sodann stammt die Kundschaft nach Angaben des Beschwerdeführers in wesentlichem Umfang aus dem Raum Zürich, und Kundenbesprechungen finden vielfach in den Räumlichkeiten der U.________ AG in Zürich statt. Die Geschäftsniederlassung in Freienbach muss daher als künstlich, ohne realen Hintergrund angesehen werden, vergleichbar einem blossen Briefkastendomizil.
 
3.3 Bei dieser Sachlage muss, entgegen der Annahme des Kantonalen Steueramts Aargau, keine Steuerumgehung geprüft werden. Es genügt die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seine Einkünfte nicht dank der - rudimentären - Einrichtung im Kanton Schwyz erwirtschaftet hat. Damit sind sie am Hauptsteuerdomizil steuerbar, wo kein Spezialsteuerdomizil (Geschäftsort) nachgewiesen werden muss (vgl. E. 3.1 am Ende).
 
4.
 
4.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gegenüber dem Kanton Schwyz gutzuheissen, und die Veranlagungsverfügung der Kantonalen Steuerverwaltung vom 26. April 2005 ist aufzuheben. Dieser Kanton ist gestützt auf Art. 127 Abs. 3 BV verpflichtet, die für die Steuerperiode 2001 bereits bezahlten Steuern zurückzuerstatten. Gegenüber dem Kanton Aargau ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen.
 
4.2 Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht (Art. 156 Abs. 6 OG). Nachdem die Beschwerdeführer gegenüber der Schwyzer Steuerverwaltung ein künstliches Nebensteuerdomizil angegeben haben, kann diesem Kanton nicht angelastet werden, dass er seine Steuerhoheit zunächst bejahte und erst in Kenntnis der gesamten Umstände in seiner Vernehmlassung beantragt, die Steuerhoheit dem Kanton Aargau zuzuweisen. Die Verfahrenskosten sind deshalb den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1, 6 und 7 OG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 und 5 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Kanton Aargau wird abgewiesen.
 
2.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Kanton Schwyz wird gutgeheissen, die Veranlagungsverfügung der Kantonalen Steuerverwaltung vom 26. April 2005 wird aufgehoben, und die für die Steuerperiode 2001 bereits bezahlten Steuern sind zurückzuerstatten.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftung auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Steueramt des Kantons Aargau, der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz und der Steuerkommission A._______ schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Dezember 2005
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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