VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4P.231/2005  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4P.231/2005 vom 19.12.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.231/2005 /ruo
 
Urteil vom 19. Dezember 2005
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiber Luczak.
 
Parteien
 
A.B.________ und B.B.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Christian Clopath,
 
gegen
 
C.________ AG,
 
Beschwerdegegnerin, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Luzi Bardill,
 
Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, Poststrasse 14, 7002 Chur.
 
Gegenstand
 
Art. 8 und 9 BV sowie Art. 6 EMRK (Zivilprozess, unzulässiger Parteiwechsel, einseitige Sicherheitsleistung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Zivilkammer,
 
vom 17. Januar 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Vertrag vom 23. Januar 2002 erwarben A.B.________ und B.B.________ (Beschwerdeführer) als Miteigentümer je zur Hälfte von D.________ (Verkäufer) eine Stockwerkeigentumseinheit umfassend 51/1000 Miteigentum an einem Grundstück in Klosters zum Preis von Fr. 1'700'000.--. Die Wohnung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt. Die Wohnungsübergabe erfolgte am 18. Dezember 2002. Mit Datum vom 27. Februar 2003 stellte die C.________ AG (Beschwerdegegnerin) den Beschwerdeführern Rechnung über Fr. 144'921.86 als Schlusssaldo nach Verrechnung der durch die Änderungswünsche der Beschwerdeführer entstandenen Mehr- und Minderkosten, wovon die Beschwerdeführer Fr. 80'000.-- bezahlten.
 
B.
 
Mit Vermittlungsbegehren vom 5. Mai 2003 gelangte der Verkäufer an den Kreispräsidenten Klosters und verlangte von den Beschwerdeführern anlässlich der Sühneverhandlung Fr. 64'921.86 nebst Zins zu 5% seit dem 30. November 2003. Am 10. Juli 2003 prosequierte die Beschwerdegegnerin den Leitschein gegen die Beschwerdeführer mit unveränderten Rechtsbegehren, mit Ausnahme des Zinses, der ab dem 30. November 2002 verlangt wurde. Mit Verfügung vom 9. September 2003 verpflichtete der Bezirksgerichtspräsident die Beschwerdeführer zur Sicherstellung der mutmasslichen aussergerichtlichen Kosten. Am 1. Juli 2004 hiess das Bezirksgericht Prättigau/Davos die Klage im Umfang von Fr. 63'924.70 nebst Zins von 5% seit dem 30. November 2003 gut. Die von den Beschwerdeführern erhobene Berufung wies das Kantonsgericht des Kantons Graubünden am 17. Januar 2005 ab, nachdem die Beschwerdeführer auf Gesuch der Beschwerdegegnerin wiederum die Sicherstellung der Parteikosten für das Berufungsverfahren geleistet hatten.
 
C.
 
Gegen dieses Urteil haben die Beschwerdeführer sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung an das Bundesgericht erhoben. In der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen sie, das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Beschwerdeführer rügen den angefochtenen Entscheid lediglich in Bezug auf zwei Punkte. Einerseits sind sie der Auffassung, dass der während des Verfahrens erfolgte Parteiwechsel vom Verkäufer zur Beschwerdegegnerin nach kantonalem Prozessrecht unzulässig sei, da weder die Beschwerdeführer noch der erstinstanzliche Gerichtspräsident dem Wechsel zugestimmt hätten. Überdies erblicken sie in der Tatsache, dass nur sie und nicht auch die Gegenpartei zur Sicherstellung der Parteikosten angehalten wurden, eine Verletzung der Verfassung sowie von Art. 6 EMRK. Der angefochtene Entscheid ist mithin nur in Bezug auf diese beiden Punkte zu überprüfen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.).
 
2.
 
Der Parteiwechsel ist in Art. 36 ZPO/GR geregelt, der wie folgt lautet:
 
"Parteiwechsel
 
1 Büsst eine Partei das eingeklagte Recht ein oder wird sie von der eingeklagten Verpflichtung frei, weil sie den Streitgegenstand während des Prozesses veräussert, ist der Erwerber berechtigt, an ihrer Stelle in den Prozess einzutreten.
 
2 Im übrigen ist ein Parteiwechsel nur mit Zustimmung aller bisherigen Parteien zulässig.
 
Der Erwerber nimmt den Prozess in der Lage auf, in der er ihn vorfindet."
 
Die Beschwerdeführer machen geltend, nach dem massgebenden kantonalen Recht hätte zum Parteiwechsel ihre Zustimmung eingeholt werden müssen. Zudem berufen sie sich auf BGE 118 Ia 132, wonach ein Parteiwechsel ohne Zustimmung der beklagten Partei verfassungswidrig sei.
 
2.1 Das Bundesgericht unterscheidet zwischen zwei Arten des Parteiwechsels. Auf der einen Seite steht der Parteiwechsel im Rahmen einer Rechtsnachfolge. Dabei wird die Klage von der in diesem Zeitpunkt aktivlegitimierten Partei anhängig gemacht. Im Laufe des Verfahrens geht die Legitimation indessen auf eine andere Partei über. Daneben gibt es auch den sogenannten schlichten oder gewillkürten Parteiwechsel, bei welchem die Klage von einer nicht aktivlegitimierten Partei anhängig gemacht wird und während laufendem Verfahren von der tatsächlich aktivlegitimierten fortgesetzt werden soll (BGE 118 Ia 129 E. 2a und 2b S. 131; vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl., N. 3 zu Art. 41 ZPO/BE).
 
2.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nur beim schlichten Parteiwechsel die Zustimmung der Gegenpartei unerlässlich, da durch diesen die Verteidigungsposition der beklagten Partei erschwert wird (Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl., Kapitel 5 Rz. 109 S. 156; Frank/Sträuli/Messer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., N. 21 zu § 49 ZPO/ZH). Die beklagte Partei geht bei Anhebung des Verfahrens von der mangelnden Aktivlegitimation der Gegenpartei aus und kann ihre Vorbringen auf diesen Punkt beschränken. Tritt nach Anhebung des Verfahrens die tatsächlich legitimierte Partei in den Prozess ein, sind diese Vorbringen unbehelflich, denn im Prozess mit der tatsächlich aktivlegitimierten Partei stellt sich nur die Frage der materiellen Berechtigung, welche im Prozess mit einer nicht aktivlegitimierten Person überhaupt nicht aufgeworfen werden muss. Dies rechtfertigt es, bei fehlender Zustimmung der Betroffenen die Einleitung eines neuen Verfahrens zu verlangen (BGE 118 Ia 129 E. 2b S. 132; Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 3 zu Art. 41 ZPO/BE; Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N. 21 zu § 49 ZPO/ZH; Vogel/Spühler, a.a.O., Kapitel 5 Rz. 109 S. 156).
 
2.3 Bei einem Übergang der Aktivlegitimation während hängigem Verfahren stellen sich keine analogen Probleme, da die ursprünglich klagende Partei die Aktivlegitimation besass. Bei dieser Konstellation hat die Gegenpartei keinen begründeten Anlass, sich in ihren Ausführungen auf die Aktivlegitimation zu beschränken. Soweit die "neue" Partei in die Position des ursprünglich Klagenden eintritt, ist nicht ersichtlich, inwiefern die beklagte Partei durch den Eintritt prozessual benachteiligt werden sollte. Ähnliche Regelungen finden sich denn auch in anderen kantonalen Zivilprozessordnungen und werden von der Lehre nicht als verfassungswidrig angesehen (vgl. die Übersicht bei Vogel/Spühler, a.a.O., Kapitel 5 Rz. 102 - 109 S. 154 ff.; ferner Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 1a und 3 zu Art. 41 ZPO/BE; Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N. 1 ff. zu § 49 ZPO/ZH; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, N.1 zu §§ 64 + 65 ZPO/AG, mit Hinweisen).
 
2.4 Die in Art. 36 ZPO/GR getroffene Regelung entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, indem sie, sofern kein Übergang der Aktivlegitimation während des Verfahrens vorliegt, die Zustimmung der Gegenpartei verlangt. Damit ist sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BGE 118 Ia 129 E. 2a und 2b S. 131).
 
2.5 Das Bezirksgericht, auf dessen Erwägungen das Kantonsgericht verweist, erkannte, dass die Abtretungserklärung erst nach Mitteilung des Leitscheins erfolgte. Damit liegt kein schlichter Parteiwechsel vor, und die Zulässigkeit des Parteiwechsels gemäss den kantonalen Bestimmungen erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich. Angesichts des Wortlauts der Regelung in Art. 36 ZPO/GR, der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 118 Ia 129 E. 2a und 2b S. 131) und der in der Lehre zur Zulässigkeit des Parteiwechsels vorherrschenden Auffassung (Vogel/Spühler, a.a.O., Kapitel 5 Rz. 102 - 109 S. 154 ff.; Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O., N. 1a und 3 zu Art. 41 ZPO/BE; Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N. 1 ff. zu § 49 ZPO/ZH; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N.1 zu §§ 64 + 65 ZPO/AG) sind die Beschwerdeführer in ihrem Vertrauen auf die Unzulässigkeit eines Parteiwechsels ohne ihre Zustimmung nicht zu schützen.
 
2.6 Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, der Parteiwechsel wirke sich zu ihrem Nachteil aus, da der Verkäufer im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin ein loyaler Vertragspartner gewesen sei, ist ihnen entgegenzuhalten, dass die Verfassung dem Rechtsuchenden ein faires Verfahren garantiert (vgl. Art. 9, 29 und 30 BV), nicht dagegen, dass einer Prozesspartei die ihr genehme Gegenpartei erhalten bleibt. Dies ergibt sich bereits aus der Zulässigkeit der Abtretung von Forderungen (Art. 164 OR), welche für den Schuldner regelmässig derartige Konsequenzen zeitigen kann.
 
3.
 
Auch soweit die Beschwerdeführer beanstanden, dass nur sie und nicht auch die Beschwerdegegnerin zur Sicherstellung der Prozesskosten angehalten wurden, erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
 
3.1 Zum einen hält die Vorinstanz fest, dass die Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren nie eine Sicherstellung der Prozesskosten durch die Beschwerdegegnerin verlangt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht zu beanstanden, wenn keine Aufforderung zur Sicherstellung an die Beschwerdegegnerin erging.
 
3.2 Hinzu kommt, dass die Sicherstellungspflicht als Ausgleich für die erschwerte Durchsetzung der Parteikosten im Ausland dient. Dadurch soll eine Ungleichheit beseitigt werden gegenüber der Beschwerdegegnerin, der eine Durchsetzung der allfälligen Parteientschädigungsforderung gestützt auf das zu ergehende Urteil im Ausland weit mehr Probleme bereiten würde als den Beschwerdeführern gegenüber der Beschwerdegegnerin. Auch insoweit ist weder eine Verletzung der Verfassung noch von Art. 6 EMRK ersichtlich. Auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte erachtet Bestimmungen, die darauf abzielen, der obsiegenden Partei den Ersatz der Parteikosten zu gewährleisten, grundsätzlich nicht für mit Art. 6 EMRK unvereinbar (vgl. Urteil i. S. TOLSTOY MILOSLAVSKY gegen ROYAUME-UNI vom 13. Juli 1995 Serie A, Bd. 316 B, Rz. 61 ff.).
 
4.
 
Damit erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen. Die Beschwerdeführer haben unter solidarischer Haftbarkeit die Gerichtsgebühr zu tragen und der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 156 Abs. 1 und 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. Dezember 2005
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).