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Informationen zum Dokument  BGer 1S.50/2005  Materielle Begründung
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BGer 1S.50/2005 vom 12.01.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1S.50/2005 /ggs
 
Urteil vom 12. Januar 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
Parteien
 
XA.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jakob Rhyner,
 
gegen
 
Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
 
Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, Postfach 2720, 6501 Bellinzona.
 
Gegenstand
 
Zwangsmassnahmen (Haftverlängerung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer,
 
vom 28. November 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt gegen XA.________ ein Strafverfahren wegen Verstosses gegen das Güterkontrollgesetz vom 13. Dezember 1996 (GKG, SR 946.202) und das Kriegsmaterialgesetz vom 13. Dezember 1996 (KMG, SR 514.51) sowie Geldwäscherei. Sie verdächtigt ihn, zusammen mit seinen Söhnen XB.________ und XC.________, bewusst für das libysche Atomwaffenprogramm tätig gewesen zu sein.
 
XA.________ wurde am 5. September 2005 verhaftet und befindet sich seit dem 8. September 2005 in Untersuchungshaft. Am 31. Oktober 2005 beantragte die Bundesanwaltschaft der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts in Bellinzona, die Untersuchungshaft gegen XA.________ um drei Monate zu verlängern.
 
Die Beschwerdekammer hiess das Gesuch der Bundesanwaltschaft am 28. November 2005 gut und bewilligte die Verlängerung der Untersuchungshaft gegen XA.________ bis zum 31. Januar 2006. Sie befand, dieser sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, und es bestehe Kollusionsgefahr.
 
B.
 
Mit Beschwerde vom 15. Dezember 2005 beantragt XA.________, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er, den Vollzug des angefochtenen Entscheids zu hemmen und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
 
Die Bundesanwaltschaft beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Die Beschwerdekammer verzichtet auf Vernehmlassung.
 
XA.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde vollumfänglich fest.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Beim angefochtenen Entscheid der Beschwerdekammer handelt es sich um einen Entscheid über eine strafprozessuale Zwangsmassnahme, gegen den nach Art. 33 Abs. 3 lit. a des Strafgerichtsgesetzes vom 4. Oktober 2002 (SGG, SR 173.71) die Beschwerde ans Bundesgericht zulässig ist (BGE 130 I 234 E. 2). Als von der Zwangsmassnahme betroffene Partei ist der Beschwerdeführer ohne weiteres zur Beschwerde befugt (Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG i.V.m. Art. 214 Abs. 2 BStP; BGE 130 I 234 E. 3.1). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
Mit Beschwerde nach Art. 33 Abs. 3 lit. a SGG kann die Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden, wobei das Bundesgericht die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Rechtsfragen mit freier Kognition prüft.
 
2.
 
Nach Art. 44 BStP darf Untersuchungshaft gegen einen Angeschuldigten nur angeordnet oder aufrecht erhalten werden, wenn dieser eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und zudem entweder Fluchtgefahr oder Kollusionsgefahr vorliegt.
 
2.1 Der Beschwerdeführer hat in den 70er-Jahren als Mitarbeiter und Projektmanager für die Firma D.________ gearbeitet, welche Ventile für die legalen Nuklearprogramme europäischer Staaten herstellte. Nach der Auffassung von Bundesanwaltschaft und Beschwerdekammer ist er seither ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Urananreicherung. In der Folge soll er ins pakistanische Urananreicherungsprogramm involviert gewesen sein, welches zur Herstellung einer Atombombe führte; aus dieser Zeit stamme seine Beziehung zu E.________, dem "Vater der pakistanischen Atombombe". Im Jahre 1998 - nach Abschluss des pakistanischen Projekts - soll der Beschwerdeführer zusammen mit seinem Sohn XB.________ an einem Treffen mit einem Stellvertreter von E.________ - F.________ - und weiteren Personen in Dubai teilgenommen haben, bei welchem ein Projekt gestartet worden sei, um Libyen zur Atomwaffentechnologie zu verhelfen. Dabei seien verschiedene Personen beauftragt worden, einzelne Teile des Produktionsmechanismus zu beschaffen. Der Beschwerdeführer und seine Söhne XC.________ und XB.________ seien dabei für die Beschaffung wesentlicher Komponenten der Gasultrazentrifugen zur Anreicherung von Uranhexafluorid zu waffenfähigem Uran zuständig gewesen. Die Familie X.________ sei vor allem für die Lieferung von technisch hoch stehenden Ventilen verantwortlich gewesen; sie habe mindestens 100 davon in der Firma G.________ AG hergestellt und über die Firma H.________ nach Dubai geliefert. Bei der G.________ AG seines Sohnes XB.________ sei der Beschwerdeführer Verwaltungsrat und als solcher kollektiv zeichnungsberechtigt gewesen. Unter der Leitung von XB.________ seien in Malaysia bei der Firma I.________ weitere Komponenten für Gasultrazentrifugen hergestellt worden. XB.________ sei 1998/99 zudem beauftragt gewesen, in Dubai eine entsprechende Test-Produktionsanlage aufzubauen. Weiter seien Lieferungen von Anlageteilen über Südafrika getätigt worden. Der Beschwerdeführer soll bei diesen Unterfangen als technischer Fachberater einen wesentlichen Einfluss gehabt haben.
 
Der Beschwerdeführer vertritt zwar beiläufig die Auffassung, dringender Tatverdacht bestehe allenfalls in Bezug auf eine fahrlässige, nicht aber eine vorsätzliche Verletzung des Kriegsmaterial- und des Güterkontrollgesetzes. Er macht indessen ausdrücklich nicht geltend, die gegenteilige Auffassung der Beschwerdekammer verletze Bundesrecht; dies im Übrigen völlig zu Recht, wurde der Beschwerdeführer doch nach der Aussage von F.________ bereits zu Beginn des Projekts von E.________ über dessen wahre Natur als libysches Atomwaffenprogramm informiert. Auch wenn über die Glaubhaftigkeit dieser Aussage der Sachrichter abschliessend zu befinden haben wird, so begründet sie jedenfalls den dringenden Verdacht, dass der Beschwerdeführer wusste, dass er an der Herstellung einer libyschen Atombombe mitarbeitete.
 
2.2 Kollusion bedeutet, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass ein Angeschuldigter die Freiheit dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Dabei genügt nach der Rechtsprechung die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen, vielmehr müssen konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (BGE 128 I 149 E. 2.1; 123 I 31 E. 3c; 117 Ia 257 E. 4b und c).
 
2.3 Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, über Jahre am libyschen Atomwaffenprogramm mitgearbeitet zu haben. Dabei handelt es sich um ein internationales, arbeitsteiliges und konspiratives Projekt mit vielen, zumeist schwer fassbaren, Beteiligten, deren genaue Tatbeiträge häufig im Dunkeln liegen. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer derartigen Ausgangslage in einem frühen Stadium der Untersuchung praktisch immer Kollusionsgefahr besteht, ist es doch für die Untersuchungsbehörde - anders als für den Angeschuldigten - nur schwer vorhersehbar, wo sich die entscheidenden Beweismittel befinden könnten und ob der Angeschuldigte in Freiheit die Möglichkeit hat, deren Erhebung zu beeinflussen bzw. zu vereiteln. Konkret bringt die Bundesanwaltschaft u.a. vor, dass Libyen nunmehr bei der Aufklärung der Affäre mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kooperiere, weshalb es ihr gelungen sei, die Identität von zwei bisher nur als "Karim" und "Ali" bekannten Libyern aufzudecken. Diese hätten am Atomwaffenprogramm mitgewirkt, stünden indessen nicht in erkennbarer Weise in einer näheren Beziehung zum Beschwerdeführer. Daher könnten von ihrer rechtshilfeweisen Einvernahme detaillierte Auskünfte über dessen Rolle bei der Entwicklung der libyschen Atombombe erwartet werden. Es sei davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer dank seines weit verzweigten Beziehungsnetzes in Freiheit ohne weiteres möglich wäre, die beiden Libyer zu kontaktieren und zu beeinflussen.
 
Diese Argumentation ist vertretbar. Wenn "Karim" und "Ali", die zunächst in libyschen Diensten am Atomwaffenprogramm beteiligt waren, nunmehr auf Geheiss des libyschen Staates sachdienliche Aussagen machen, können durchaus erhellende Informationen zu den gegen den Beschwerdeführer erhobenen Tatvorwürfen erwartet werden. Sollte der Tatverdacht der Bundesanwaltschaft zutreffen, wovon für die Beurteilung der Haftgründe auszugehen ist, handelt es sich bei diesem um einen gewieften Geschäftsmann mit einem grossen Beziehungsnetz auch zu ausserhalb der Legalität im internationalen Atomgeschäft verdeckt operierenden Personen. Die Annahme der Beschwerdekammer, es müsse damit gerechnet werden, dass er in Freiheit in der Lage wäre, die beiden Libyer zu beeinflussen, ist nicht zu beanstanden. Dass er angesichts der gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe - allein die Widerhandlungen gegen das Kriegsmaterialgesetz sind mit einer bis zu 10-jährigen Zuchthausstrafe bedroht (Art. 34 Abs. 1. KMG) - ein erhebliches Interesse daran haben könnte, die Beweiserhebung auf unlautere Weise zu seinen Gunsten zu gestalten, ist offensichtlich. Die Beschwerdekammer hat daher schon aus diesem Grund zu Recht Kollusionsgefahr angenommen.
 
2.4 Besteht somit ein dringender Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer und Kollusionsgefahr, konnte die Beschwerdekammer die Fortführung der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer ohne Bundesrechtsverletzung bewilligen. Dass die Untersuchungshaft bereits Ende Januar 2006, nach rund 5 Monaten, unverhältnismässig wäre, behauptet der Beschwerdeführer offensichtlich zu Recht nicht.
 
3.
 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache wird auch der (ohnehin aussichtslose) Antrag des Beschwerdeführers, ihn vorsorglich aus der Haft zu entlassen, gegenstandslos. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Schweizerischen Bundesanwaltschaft und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Januar 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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