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Informationen zum Dokument  BGer 5P.325/2005  Materielle Begründung
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BGer 5P.325/2005 vom 20.01.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.325/2005 /bnm
 
Urteil vom 20. Januar 2006
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
 
Gerichtsschreiber Gysel.
 
Parteien
 
X.________ (Ehemann),
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Beeler,
 
gegen
 
Y.________ (Ehefrau),
 
Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Josef Dettling,
 
Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts Schwyz, 6431 Schwyz.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsprozess; Rückzug des Rekurses, Folgen für den Anschlussrekurs),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts Schwyz vom 22. Juli 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Im Rahmen des zwischen den Eheleuten X.________ und Y.________ hängigen Scheidungsverfahrens erliess der Einzelrichter des Bezirks A.________ am 5. Juli 2004 eine Verfügung über vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 137 ZGB. Er ordnete einerseits an, dass X.________ mit Wirkung ab 1. Januar 2004 von der Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter Z.________ befreit werde und Y.________ ihm für diese keine Unterhaltsbeiträge zu bezahlen habe. Andererseits verpflichtete er X.________, der Ehefrau für die Zeit vom 15. September 2003 bis zum 30. Juni 2004 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'800.-- und ab 1. Juli 2004 einen solchen von Fr. 470.-- zu zahlen.
 
B.
 
Mit Rekurs vom 24. September 2004 beantragte Y.________, X.________ zu verpflichten, ihr ab 1. Juli 2004 (weiterhin) Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'800.-- im Monat zu bezahlen. In seiner Rekursantwort vom 17. November 2004 erhob X.________ Anschlussrekurs und verlangte im Wesentlichen, er sei ab 1. Juli 2004 von der Unterhaltspflicht gegenüber Y.________ zu befreien und diese sei mit Wirkung ab 1. Juli 2004 zu verpflichten, ihm an den Unterhalt der Tochter monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 400.-- zu bezahlen.
 
Y.________ erklärte mit Eingabe vom 21. Juli 2005, sie ziehe den Rekurs zurück.
 
Am 22. Juli 2005 verfügte die Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts Schwyz, das Rekursverfahren werde als durch Rückzug gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben. Die Kosten des Rekursverfahrens wurden Y.________ auferlegt und diese wurde verpflichtet, X.________ eine Prozessentschädigung von Fr. 3'000.-- zu zahlen.
 
X.________ reichte hierauf ein Erläuterungsgesuch ein, das von der genannten Richterin mit Verfügung vom 29. Juli 2005 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 12. September 2005 führt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, es sei die Verfügung der Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts vom 22. Juli 2005 aufzuheben, soweit damit auch das Anschlussrekursverfahren als gegenstandslos geworden abgeschrieben worden sei, festzustellen, dass das Anschlussrekursverfahren nicht dahin gefallen sei, und die kantonale Richterin anzuweisen, das Anschlussrekursverfahren an die Hand zu nehmen.
 
Y.________ (Beschwerdegegnerin) und die Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts Schwyz schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 131 I 137, E. 1.2 S. 139, und 166, E. 1.3 S. 169, mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer mehr verlangt als die Aufhebung der kantonsgerichtlichen Verfügung, ist auf die Beschwerde daher von vornherein nicht einzutreten.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer erblickt in der Annahme der Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts, der von ihm erhobene Anschlussrekurs sei mit dem Rückzug des Rekurses der Beschwerdegegnerin dahin gefallen (und somit nicht mehr zu behandeln), eine willkürliche Anwendung kantonalen Prozessrechts. Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die beanstandete ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur dann auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder sonst wie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids rechtfertigt sich in jedem Fall nur dort, wo nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 131 I 57, E. 2 S. 61, und 217, E. 2.1 S. 219, mit Hinweisen).
 
3.
 
3.1 Seiner Natur nach ist ein Anschlussrechtsmittel nicht eigenständig; es hängt vom Bestand des Hauptrechtsmittels ab und fällt deshalb grundsätzlich dahin, wenn dieses zurückgezogen wird (Max Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Auflage, S. 499 und 513; Oscar Vogel/Karl Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Auflage, 13. Kapitel, Rz. 67, S. 373; Walther J. Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Auflage, S. 445, Rz. 732; Fabienne Hohl, Procédure civile, II. Band, S. 261, Rz. 2968; Jean-François Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, II. Band, S. 487, N. 2.7). Das Prozessrecht einzelner Kantone sieht indessen vor, dass das Anschlussrechtsmittel selbstständig weiter besteht, wenn das Hauptrechtsmittel erst in einem bestimmten (fortgeschrittenen) Verfahrensstadium zurückgezogen wird (vgl. § 266 Abs. 2 ZPO/ZH; Art. 298 Abs. 2 ZPO/GE).
 
3.2 Der vom Beschwerdeführer angerufene § 197 Abs. 3 der Schwyzer Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt, dass eine Anschlussberufung dahin fällt, wenn die Hauptberufung vor Schluss der Berufungsverhandlung oder des Schriftenwechsels zurückgezogen wird oder darauf nicht eingetreten wird. Auf Grund von § 210 ZPO, wonach für den Anschlussrekurs die entsprechenden Vorschriften des Berufungsverfahrens gelten, kommt § 197 Abs. 3 ZPO auch im vorliegenden Fall zum Tragen.
 
3.2.1 Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass er von der Präsidentin der 1. Rekurskammer mit Verfügung vom 1. Oktober 2004 unter Anwendung des schriftlichen Verfahrens (§ 209 ZPO) zur Klageantwort (recte: Rekursantwort) und zum allfälligen Anschlussrekurs aufgefordert worden sei. Mit Eingabe vom 17. November 2004 habe er innert erstreckter Frist die Rekursantwort eingereicht und gleichzeitig Anschlussrekurs erhoben. Die Beschwerdegegnerin sei alsdann zur Anschlussrekursantwort eingeladen worden, habe aber dann die ihr hierfür angesetzte Frist verpasst. Das Zugeständnis des Verpassens der Frist sei ihm mit Präsidialschreiben vom 3. Januar 2005 mitgeteilt worden. Damit sei der in der Schwyzer Zivilprozessordnung vorgesehene Schriftenwechsel abgeschlossen gewesen, finde doch ein weiterer Schriftenwechsel grundsätzlich nicht statt.
 
3.2.2 Schon in der Verfügung vom 29. Juli 2005, mit der das vom Beschwerdeführer eingereichte Gesuch um Erläuterung der hier angefochtenen Verfügung vom 22. Juli 2005 behandelt worden war und die dem Beschwerdeführer noch vor Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde zugegangen war, hatte die Präsidentin der 1. Rekurskammer darauf hingewiesen, dass nach § 48 ZPO das Verfahren vom Gericht geleitet werde. Wohl sei grundsätzlich ein einfacher Schriftenwechsel mit Rekursschrift und Rekursantwort vorgesehen. Hier habe der Anschlussrekurs des Beschwerdeführers vornehmlich Anträge zu Kinderbelangen enthalten, für die auch im Massnahmenverfahren von Bundesrechts wegen die uneingeschränkte Offizial- und Untersuchungsmaxime gelte. Mit Bezug auf Obhut, Besuchsrecht, Unterhalt und Kindesschutz seien vorsorgliche Massnahmen, soweit sie nötig seien, von Amtes wegen zu treffen und gegebenenfalls abzuändern. Das Fehlen entsprechender Parteianträge sei unerheblich und der Richter sei nicht an die Anträge der Parteien gebunden. Auch die Rechtsmittelinstanz habe sich von Amtes wegen mit der Kinderfrage zu befassen. Sie ordne bestehende Lücken und berichtige mangelhafte erstinstanzliche Massnahmenentscheidungen ohne Rücksicht auf Parteierklärungen und Rechtsmittelanträge. Das Gericht hätte demnach von Amtes wegen den Tatbestand, auf dem der Anschlussrekurs beruht habe, abzuklären gehabt. Im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer für die Tochter Z.________ geltend gemachten Unterhaltsbeitrag wären sowohl die Leistungsfähigkeit wie auch der Bedarf der Parteien zu ermitteln gewesen, was Weiterungen bedingt hätte. Dem Gericht hätte es dabei freigestanden, den Parteien Gelegenheit zu einem zweiten Schriftenwechsel einzuräumen. Dieser sei mithin im Zeitpunkt des Rückzugs des Rekurses keineswegs bereits abgeschlossen gewesen.
 
3.2.3 Dass es ihm mit seinem Anschlussrekurs (auch) um Belange der Tochter gegangen war, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Sodann ist dem Wortlaut des Gesetzes entgegen seinen Vorbringen nicht zu entnehmen, dass ein zweiter Schriftenwechsel zwingend ausgeschlossen wäre. Unbehelflich ist auch der vom Beschwerdeführer angestellte Vergleich mit dem mündlichen Verfahren: Die kantonale Richterin weist mit Recht darauf hin, dass auch in einem solchen die Parteien zu mehreren Vorträgen zugelassen werden können.
 
Angesichts des Gesagten erscheint die der Abschreibung des Rekursverfahrens auch bezüglich des Anschlussrekurses zugrunde liegende Annahme der kantonalen Richterin, der Schriftenwechsel sei im Zeitpunkt des Rückzugs des Rekurses noch nicht im Sinne von § 197 Abs. 3 in Verbindung mit § 210 ZPO abgeschlossen gewesen, jedenfalls nicht als vollkommen unhaltbar. In Betracht fällt vor allem, dass einer der Gegenstände, auf die der Anschlussrekurs sich bezog, unter Beachtung der Offizial- und Untersuchungsmaxime zu prüfen gewesen wäre (dazu Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Rz. 20 zu Art. 137 ZGB). Daneben ist zu bedenken, dass - wie oben E. 3.1 dargelegt - nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen das Anschlussrechtsmittel mit dem Rückzug des Hauptrechtsmittels dahinfällt, sein Weiterbestand mithin die Ausnahme bildet.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtsgebühr ist ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Dieser ist ausserdem zu verpflichten, die Beschwerdegegnerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer wird verpflichtet, die Beschwerdegegnerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und der Präsidentin der 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts Schwyz schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Januar 2006
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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