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Informationen zum Dokument  BGer 5P.304/2005  Materielle Begründung
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BGer 5P.304/2005 vom 01.02.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.304/2005
 
5P.305/2005 /bie
 
Urteil vom 1. Februar 2006
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
A.X.________ und B.X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf,
 
gegen
 
C.________ AG, Beschwerdegegner,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter,
 
Obergericht des Kantons Luzern, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission,
 
als Rekursinstanz, Hirschengraben 16, Postfach,
 
6002 Luzern.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (Rechtsöffnung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als Rekursinstanz, vom 6. Juli 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.X.________ und B.X.________ betreiben als Kollektivgesellschafter das Restaurant G.________ in D.________, welches sie seit dem 7. April 1994 von der C.________ AG mieten.
 
Zwischen den Parteien war eine Mietstreitigkeit hängig. Mit Erledigungsentscheid vom 9. Januar 2003 genehmigte das Amtsgericht E.________ den von den Parteien abgeschlossenen Vergleich. Dieser enthielt u.a. die Reduktion des Mietzinses auf Fr. 13'000.-- nebst Fr. 2'416.65 (Nebenkosten à conto) mit Wirkung ab 1. November 1999. Die übrigen Bestimmungen des Mietvertrages wurden als unverändert wirksam und gültig bestätigt.
 
Als Folge eines im Juni 2003 von A.X.________ und B.X.________ eingeleiteten neuen Schlichtungsverfahrens wegen Mängeln am Mietobjekt hinterlegten diese die Mietzinse beim Amt für Finanzdienstleistungen des Kantons Luzern. Nachdem die Hinterlegung für die Monate September und Oktober 2004 nicht erfolgt war, leitete die C.________ AG am 22. November 2004 beim Betreibungsamt F.________ die Betreibungen Nrn. 0000005 (gegen B.X.________) und 0000006 (gegen A.X.________) über je Fr. 30'832.50 ein. Die Schuldner erhoben Rechtsvorschlag.
 
B.
 
In Gutheissung der entsprechenden Rechtsöffnungsgesuche der C.________ AG erteilten am 18. Mai 2005 der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Land und am 6. Juli 2005 auch das Obergericht des Kantons Luzern, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, in beiden Betreibungen die definitive Rechtsöffnung.
 
C.
 
Gegen die Rechtsöffnungsentscheide des Obergerichts haben A.X.________ und B.X.________ am 30. August 2005 je eine staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit Präsidialverfügung vom 14. September 2005 wurde den Beschwerden aufschiebende Wirkung erteilt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die angefochtenen Rechtsöffnungsentscheide haben denselben Wortlaut und betreffen inhaltlich gleiche Betreibungen; sodann sind die beiden staatsrechtlichen Beschwerden identisch. Demnach können die Verfahren 5P.304/2005 (A.X.________) und 5P.305/2005 (B.X.________) antragsgemäss vereinigt werden.
 
2.
 
Das Obergericht hat erwogen, im gerichtlichen Vergleich seien nicht nur die zurückliegenden Ansprüche geregelt, sondern auch die Mietzinse für die Zukunft festgelegt worden, wie die Schuldner selbst eingeräumt hätten. Somit seien die fraglichen Mietzinse in einem definitiven Rechtsöffnungstitel ausgewiesen und entsprechend wäre für die möglichen Einwände der Tilgung, Stundung und Verjährung ein Dokument vorzulegen gewesen, das mindestens einem Titel für die provisorische Rechtsöffnung entspreche. Nicht zu hören sei die Einwendung der fehlenden Gegenleistung (Beseitigung der behaupteten Mängel am Mietobjekt). Mangels Rechtskraft könne in diesem Zusammenhang auch der Entscheid der Schlichtungsbehörde vom 11. September 2003, mit welchem der Mietzins reduziert und die Vermieterin zur Mängelbeseitigung angehalten worden sei, nicht berücksichtigt werden. Bestehe aber für die Kosten der ersatzweise beseitigten Mängel kein provisorischer Rechtsöffnungstitel, sei die Verrechnungserklärung der Beschwerdeführer im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung unbeachtlich.
 
3.
 
Für willkürlich halten die Beschwerdeführer zunächst die Erwägung, wonach mit dem gerichtlichen Vergleich für die Mietzinse ein definitiver Rechtsöffnungstitel vorliegt; Grundlage der Mietzinsforderungen sei weiterhin der Mietvertrag, der nur zur provisorischen Rechtsöffnung berechtige und den Mietern alle Einwände nach Art. 82 SchKG belasse.
 
Unstreitig stellt der mieterseits unterzeichnete Vertrag in der Höhe des vereinbarten Anfangsmietzinses einen provisorischen Rechtsöffnungstitel im Sinn von Art. 82 SchKG dar. Ist die Höhe des Mietzinses durch gerichtliches Urteil neu festgesetzt worden, verfügt der Vermieter nach der Lehre fortan über einen definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinn von Art. 80 SchKG (Staehelin, in Basler Kommentar, N. 48 zu Art. 80 SchKG; Heinrich, Rechtsöffnung für Mietzins, in MRA 1996, S. 140 f.).
 
Die zitierte Lehre geht stillschweigend davon aus, dass die richterliche Mietzinsfestsetzung nicht ein Feststellungs- oder Gestaltungs-, sondern ein Leistungsurteil ist (vgl. Staehelin, a.a.O., N. 6 zu Art. 80 SchKG), das dem Vermieter eine vollstreckbare Forderung zuspricht (vgl. Stücheli, Die Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 221 ff.) und an die Stelle des Mietvertrages tritt. Ob dies zutrifft, kann mangels entsprechend begründeter Rügen offen bleiben (zur Substanziierungspflicht bei Willkürrügen: BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.; 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). In hinreichend substanziierter Form machen die Beschwerdeführer einzig geltend, bei einem Urteil, das beiden Parteien Zug um Zug zu erbringende Leistungen auferlege, könne nur derjenige Rechtsöffnung verlangen, der selbst leiste. Mit diesem an sich zutreffenden Vorbringen scheinen die Beschwerdeführer auf die Lehrmeinung anzuspielen, wonach das richterliche Urteil für die Mietzinse insofern nur einen bedingten Rechtsöffnungstitel darstellt, als das Mietverhältnis fortbestehen muss (Staehelin, a.a.O., N. 48 zu Art. 80 SchKG). Vorliegend sind jedoch der Fortbestand des Mietverhältnisses und die uneingeschränkte Überlassung des Mietobjekts zum Gebrauch weder strittig noch zweifelhaft; vielmehr geht es einzig um die Frage, ob die Mietsache Mängel aufweist, die von der Vermieterin - freilich nicht als synallagmatische Hauptleistung - zu beheben sind (zur Relevanz der Mängel im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung siehe unten, E. 4).
 
Steht aber die gerügte Erwägung, wonach für richterlich festgesetzte Mietzinse - die gleichen vollstreckungsrechtlichen Wirkungen eignen dem gerichtlich genehmigten Vergleich (vgl. Art. 80 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG), wozu auch die Einigung vor einer Schlichtungsbehörde gehört (Art. 274e Abs. 1 OR) - definitive Rechtsöffnung verlangt werden kann, soweit das Mietverhältnis fortbesteht, im Einklang mit der ungeteilten Lehre und vermögen die Beschwerdeführer für ihren gegenteiligen Standpunkt keine Nachweise in Literatur oder Rechtsprechung zu nennen, lässt sich nicht von einer willkürlichen Entscheidung sprechen.
 
4.
 
Zu prüfen bleibt, ob der gerichtliche Vergleich im vorliegenden Fall deshalb kein tauglicher Rechtsöffnungstitel für die fraglichen Monate Oktober und November 2004 sein konnte, weil die betreffenden Mietzinse Gegenstand des zwischenzeitlich neu eingeleiteten mietrechtlichen Verfahrens sind. Die Beschwerdeführer machen in diesem Zusammenhang denn auch geltend, die Schlichtungsbehörde habe die von ihnen behaupteten Mängel mit Entscheid vom 11. September 2003 anerkannt und deren Nichtberücksichtigung bei der definitiven Rechtsöffnung führe zu einer Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung durch die Mieterschaft, was vor dem Willkürverbot nicht standhalte.
 
Nach der konstanten bundesgerichtlichen Definition liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn ein Entscheid auf einem offensichtlichen Versehen beruht, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 128 II 259 E. 5 S. 280 f.; 129 I 49 E. 4 S. 58).
 
Inwiefern vorliegend eine der drei ersten Konstellationen gegeben wäre, wird in der Beschwerde nicht substanziiert. Hingegen machen die Beschwerdeführer geltend, die fehlende Berücksichtigung der Mängelbeseitigung im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung und die dadurch bewirkte Vorfinanzierung sei umso stossender, als die Mängel vorliegend gerichtlich, wenn auch noch nicht rechtskräftig festgestellt seien.
 
In der Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung als solcher ist keine stossende Ungerechtigkeit zu erkennen. Die Mieterschaft kann die Beseitigung der Mängel ebenso gerichtlich durchsetzen wie die Vermieterschaft die Zahlung der Mietzinse. Nimmt jedoch der Mieter die Mängelbeseitigung ersatzweise selbst vor, so ist es eine hinzunehmende Konsequenz der Formstrengheit des Rechtsöffnungsverfahrens, dass die betreffenden Kosten nur unter bestimmten Umständen mit den Mietzinsen verrechnet werden können: Nach dem gesetzgeberischen Konzept soll bei der Vollstreckung von Geldansprüchen derjenige rasch voranschreiten können, dessen Forderung in einem Titel ausgewiesen ist. Handelt es sich dabei um einen definitiven Rechtsöffnungstitel, verlangen Lehre und Rechtsprechung, dass die Einwendungen des Schuldners entsprechend stringent und deshalb in einem Titel ausgewiesen sein müssen, der wenigstens zur provisorischen Rechtsöffnung berechtigen würde (BGE 115 III 97 E. 4 S. 100; 119 II 6 E. 4b S. 8; 124 III 501 E. 3a S. 503; Stücheli, a.a.O., S. 238; Staehelin, a.a.O., N. 4 und 10 zu Art. 81 SchKG). Ein solcher Titel liegt vor, wenn die Schuld in einer öffentlichen Urkunde festgestellt oder vom Schuldner unterschriftlich anerkannt ist (vgl. Art. 82 Abs. 1 SchKG). Vor diesem Hintergrund kann es zumindest nicht willkürlich sein, wenn das Obergericht befunden hat, ein nicht in Rechtskraft erwachsener Schlichtungsentscheid könne nicht mit einem provisorischen Rechtsöffnungstitel gleichgesetzt werden, zumal die gegenteilige Auffassung vom Ergebnis her einer materiellen Überprüfung des nunmehr im Rechtsmittelstadium sich befindenden Mietstreites gleichkäme oder jedenfalls im Ergebnis dessen Ausgang vorwegnehmen würde.
 
5.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtlichen Beschwerden abzuweisen sind. Die Gerichtsgebühr ist folglich den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da in der Sache selbst keine Vernehmlassungen eingeholt worden sind und hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung entgegen dem Antrag der Beschwerdegegnerin entschieden wurde, ist dieser keine Entschädigung geschuldet.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Verfahren 5P.304/2005 und 5P.305/2005 werden vereinigt.
 
2.
 
Die staatsrechtlichen Beschwerden werden abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als Rekursinstanz, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Februar 2006
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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