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Informationen zum Dokument  BGer 1P.775/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.775/2005 vom 15.02.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.775/2005 /gij
 
Urteil vom 15. Februar 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Nay,
 
Gerichtsschreiber Steinmann.
 
Parteien
 
- X.________,
 
- Y.________,
 
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lorenz Erni,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
 
Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, Amtshaus I, 4502 Solothurn.
 
Gegenstand
 
Entsiegelung/Durchsuchung;
 
Verletzung des rechtlichen Gehörs,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
 
des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, vom 21. Oktober 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Untersuchungsrichteramt (heute Staatsanwaltschaft) des Kantons Solothurn führt seit 1993 u.a. gegen X.________ ein Verfahren im Zusammenhang mit dessen Engagement bei der A.________ AG. Am 6. Januar 1999 eröffnete der Untersuchungsrichter gestützt auf neuere Informationen und Anzeigen u.a. gegen X.________ ein ergänzendes Ermittlungsverfahren.
 
Am 1. Februar 2005 verfügte der Untersuchungsrichter, dass u.a. gegen X.________ wegen mehrfacher Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und ordnungswidriger Führung der Geschäftsbücher ein Ermittlungsverfahren eröffnet werde und u.a. bei X.________ in K.________ und bei der nicht angeschuldigten Y.________ in K.________ eine Hausdurchsuchung durchzuführen sei. Der entsprechende Durchsuchungsbefehl datiert vom 10. Februar 2005.
 
Dieser Verfügung war eine Aktennotiz des Untersuchungsrichters vorgelagert, wonach die Untersuchung des Falles A.________ im Jahre 2004 wieder habe aufgenommen werden können und zu einer Schlussverfügung und einer ergänzenden Voruntersuchungsverfügung geführt habe. In den Jahren 1998 bis 2003 seien neue Anzeigen eingegangen, welche die Gesetzmässigkeit der Jahresrechnungen der A.________ AG in Frage stellten. Die Durchsicht der Jahresrechnungen habe Verdachtselemente bestätigt. Die Jahresrechnungen der A.________ AG seien gekennzeichnet durch buchhalterische Überlebensübungen und eine Bilanzierung nach dem Prinzip Hoffnung.
 
In den Akten findet sich u.a. eine 11-seitige Zusammenfassung der Sachverhalte. Diese ist den Beteiligten nicht zur Verfügung gestellt worden. Die Beschuldigten hatten Gelegenheit, zu einem Auszug Stellung zu nehmen, aus welchem die zu untersuchenden Vorhalte den Grundzügen nach hervorgehen sollen.
 
Am 26. April 2005 erfolgten die angeordneten Hausdurchsuchungen, u.a. bei X.________ und Y.________ in K.________. Es wurden zahlreiche Akten und diverse Computer und Datenträger sichergestellt und auf Einsprache von Y.________ hin versiegelt. Berichte der Kantonspolizei vom 3. Mai 2005 halten den Ablauf der Hausdurchsuchung fest und listen die sichergestellten Gegenstände auf.
 
B.
 
X.________ und Y.________ erhoben am 3. Mai 2005 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Solothurn. Sie beantragten,
 
- dem Untersuchungsrichteramt Solothurn sei zu verbieten, die sichergestellten Schriftstücke und Datenträger zu durchsuchen;
 
- das Untersuchungsrichteramt Solothurn sei anzuweisen, die sichergestellten Schriftstücke und Datenträger umgehend herauszugeben,
 
- eventuell sei eine Triage der beschlagnahmten Akten und Datenträger vorzunehmen und sämtliche nicht verfahrensrelevanten bzw. sämtliche dem Berufsgeheimnis von Y.________ unterstehenden Akten und Datenträger seien herauszugeben.
 
C.
 
Am 19. August 2005 erliess der Leitende Staatsanwalt des Kantons Solothurn die Eröffnungsverfügung. Danach wird u.a. gegen X.________ eine Strafuntersuchung eröffnet wegen mehrfacher Urkundenfäschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und ordnungswidriger Führung der Geschäftsbücher. Die den Beschuldigten zur Last gelegten Vorhalte werden aufgeführt. Dem Beschuldigten wird das Recht eingeräumt, in die wesentlichen Verfahrensakten Einsicht zu nehmen, soweit dies der Ermittlungszweck zurzeit nicht ausschliesse.
 
D.
 
Mit Urteil vom 21. Oktober 2005 hiess die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn die Beschwerde von X.________ und Y.________ vom 3. Mai 2005 teilweise gut. Das Obergericht hielt fest, dass X.________ keine Geheimnisse geltend mache und sich daher eine summarische Einsichtnahme in die beschlagnahmten Informationsträger durch die Untersuchungsbehörde gefallen lassen müsse. In Bezug auf Y.________ erweise sich die Beschlagnahme im Grundsatz ebenfalls als rechtmässig; hingegen sei für diejenigen Positionen, hinsichtlich derer das anwaltliche Berufsgeheimnis geltend gemacht wird, eine Triage durch das Zwangsmassnahmengericht vorzusehen.
 
Demnach ordnete das Obergericht hinsichtlich X.________ an,
 
- dass dessen Informationsträger im Sinne der Erwägungen von der Staatsanwaltschaft in dessen Beisein einer Vortriage zu unterziehen seien,
 
- dass die nicht als relevant erachteten Informationsträger zurückzugeben seien,
 
- dass umstritten bleibende Informationsträger erneut zu siegeln seien und eine neue, wiederum anfechtbare Durchsuchungsverfügung zu erlassen sei.
 
In Bezug auf Y.________ hält das Urteil fest,
 
- dass die sie betreffenden Positionen von der Beschwerdekammer bzw. einem Beauftragten in deren Beisein einer Triage zu unterziehen seien und auftretende Differenzen alsdann von der Beschwerdekammer des Obergerichts entschieden würden.
 
E.
 
Gegen diesen Entscheid des Obergerichts haben X.________ und Y.________ beim Bundesgericht am 28. November 2005 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragen die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides. Sie rügen im Wesentlichen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV).
 
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht beantragen unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition. Im vorliegenden Fall ist insbesondere zu prüfen, ob die Beschwerde unter dem Gesichtswinkel von Art. 87 Abs. 2 OG zulässig ist.
 
Mit dem angefochtenen Entscheid wird die Staatsanwaltschaft ermächtigt, die versiegelten Informationsträger von X.________ in dessen Anwesenheit bzw. seines Rechtsvertreters zu öffnen und diese, soweit sie als verfahrensrelevant erachtet werden, förmlich zu beschlagnahmen. Gegen die Beschlagnahme soll erneut das Beschwerderecht offen stehen. In Bezug auf Y.________ soll die Triage vor der Beschwerdekammer des Obergerichts vorgenommen werden, welche über Differenzen zu entscheiden habe.
 
Mit diesem Verfahren sollen die bereits beschlagnahmten Akten und Informationsträger einer weitern Triage unterworfen und allenfalls erneut förmlich beschlagnahmt werden. Für den Fall, dass X.________ Geheimhaltungsinteressen geltend macht, kann nach § 55 Abs. 1 und § 58 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Solothurn (StPO) Einspruch erhoben werden, mit der Folge, dass die Informationsträger versiegelt und verwahrt werden und beim Obergericht Beschwerde geführt werden kann. Diesfalls darf die Durchsuchung erst erfolgen, wenn die Beschwerdefrist unbenützt abgelaufen ist oder das Obergericht die Beschwerde abgewiesen hat. Hinsichtlich Y.________ findet das Verfahren vor dem Obergericht seinen Fortgang. Dieses wird über die Öffnung der Informationsträger und die Rückgabe entscheiden.
 
Aus dem Dispositiv des angefochtenen Entscheides und aus der genannten Regelung der Strafprozessordnung ergibt sich für X.________ und gleichermassen für Y.________, dass über eine Öffnung der Informationsträger und deren Durchsuchung zurzeit noch nicht entschieden worden ist. In Bezug auf beide Beschwerdeführer bedarf es hierfür weiterer Schritte und Entscheidungen.
 
Daraus folgt, dass die Öffnung und Durchsicht der Informationsträger nicht unmittelbar bevorsteht und insoweit ein nicht wiedergutzumachender Nachteil gemäss Art. 87 Abs. 2 OG, wie er von Entsiegelungsentscheiden ausgehen kann (vgl. Urteil 1P.501/2002 vom 17. Dezember 2002, BGE 126 II 495), nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich ist. Einen solchen Nachteil begründet im Falle von X.________ auch der Umstand einer (weitern) Triage durch die Staatsanwaltschaft nicht, da er hinsichtlich von Geheimhaltungsinteressen jederzeit die Möglichkeit des Einspruchs hat und die Informationsträger versiegeln lassen kann. Gleichermassen erfährt Y.________ durch den Fortgang des Verfahrens vor dem Obergericht zurzeit keinen Nachteil.
 
2.
 
Demnach kann gestützt auf Art. 87 Abs. 2 OG auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. Februar 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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