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Informationen zum Dokument  BGer 1P.623/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.623/2005 vom 16.02.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.623/2005
 
1P.624/2005 /ggs
 
Urteil vom 16. Februar 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiber Härri.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Erdös,
 
gegen
 
Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Greiner,
 
Bezirksgericht Bülach, Einzelrichter in Strafsachen, Spitalstrasse 13, 8180 Bülach,
 
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland,
 
Hermann Götz-Strasse 24, Postfach, 8401 Winterthur,
 
Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Hirschengraben 13, Postfach, 8023 Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung,
 
Grundsatz "in dubio pro reo",
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
 
vom 24. Mai 2005 (SB050098 und SB050099).
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 13. Februar 2004 erhob die Bezirksanwaltschaft Bülach Anklage gegen Y.________ und X.________ wegen Raufhandels; dies gestützt auf folgenden Sachverhalt:
 
Am Samstag, den 31. August 2002, um ca. 23.00 Uhr sei es vor einem Dancing im Anschluss an eine zunächst verbale Auseinandersetzung zwischen Y.________ und X.________ zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, bei der sie sich gegenseitig mit der Faust ins Gesicht geschlagen hätten. A.________ (separates Verfahren bei der Jugendanwaltschaft), der sich zusammen mit Y.________ im Dancing aufgehalten habe, sowie zwei Unbekannte hätten sich sofort eingemischt, um Y.________ zu unterstützen. Darauf seien B.________ und C.________, die Mutter bzw. Freundin von X.________, diesem zu Hilfe gekommen. Dadurch habe sich eine tätliche Auseinandersetzung zwischen allen diesen Personen, mit Ausnahme von C.________, entwickelt, in deren Verlauf sämtliche Beteiligten aktiv Schläge gegen die jeweils anderen Personen ausgetauscht hätten. Dabei habe Y.________ eine Quetschung an der Oberlippe und eine Schürfung am rechten Knie erlitten; X.________ einen Nasenbeinbruch, eine Rissquetschwunde auf dem Kopf und eine Quetschwunde an der rechten Augenbraue; C.________ eine Prellung im Genitalbereich und einen gestauchten Kleinfinger; B.________ ein Hämatom am rechten Knie und Prellungen im Gesicht und an der Oberlippe.
 
Ausserdem klagte die Bezirksanwaltschaft X.________ wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln an, da er am 21. Juni 2003 mit seinem Personenwagen auf der Autobahn die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 42 km/h überschritten habe.
 
B.
 
Mit Urteil vom 24. Mai 2005 (SB050098) sprach das Obergericht des Kantons Zürich im Berufungsverfahren Y.________ des Raufhandels schuldig und bestrafte ihn mit 30 Tagen Gefängnis, als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 11. Juni 2003. Es gewährte Y.________ den bedingten Strafvollzug bei einer Probezeit von 5 Jahren. Es stellte fest, dass Y.________ dem X.________ dem Grundsatz nach für den adäquat kausal durch den Raufhandel verursachten Schaden zu 70 % ersatzpflichtig ist. Es verpflichtete Y.________, X.________ eine Genugtuung von Fr. 3'500.-- zuzüglich 5 % Zins seit dem 1. September 2002 zu bezahlen. Auf die geltend gemachten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche aufgrund des Verlustes des Geruchs- und Geschmackssinnes von X.________ trat es nicht ein. Es stellte fest, dass Y.________ B.________ für den adäquat kausal durch den Raufhandel verursachten materiellen und immateriellen Schaden zu 100 % ersatzpflichtig ist. Im Übrigen verwies es den Entscheid über die Höhe der Zivilansprüche (Schadenersatz und Genugtuung) von B.________ auf den Zivilweg.
 
Mit separatem Urteil vom gleichen Tag (SB050099) sprach das Obergericht im Berufungsverfahren X.________ ebenfalls des Raufhandels schuldig; überdies der groben Verletzung von Verkehrsregeln. Es bestrafte ihn mit 10 Tagen Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren.
 
C.
 
X.________ erhebt in einer einzigen Eingabe staatsrechtliche Beschwerde. Er beantragt, die Urteile des Obergerichts seien aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuweisen; er sei vom Vorwurf des Raufhandels freizusprechen; in Aufhebung von Ziffer 4 und 6 des Urteils SB050099 seien die Kosten auf die Gerichtskasse zu nehmen, eventualiter Y.________ aufzuerlegen; dem Beschwerdeführer sei eine angemessene Prozessentschädigung zuzusprechen zulasten der Vorinstanz, eventualiter zulasten von Y.________; in Aufhebung von Ziffer 4-6 des Urteils SB050098 sei festzustellen, dass Y.________ gegenüber dem Beschwerdeführer dem Grundsatz nach für den am 31. August 2002 adäquat kausal verursachten Schaden zu 100 % ersatzpflichtig sei; Y.________ sei zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Genugtuung von Fr. 71'750.-- zuzüglich Zins von 5 % seit dem 1. September 2002 sowie eine angemessen Prozessentschädigung zuzusprechen; in Aufhebung von Ziffer 10 des Urteils SB050099 seien die Kosten vor Vorinstanz Y.________ aufzuerlegen; die Kosten der angerufenen Beschwerdeinstanz seien auf die Gerichtskasse zu nehmen und der Beschwerdeführer sei für dieses Verfahren angemessen zu entschädigen.
 
D.
 
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
 
Y.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur. Es kann mit ihr nur die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt werden (BGE 131 I 137 E. 1.2; 124 I 327 E. 4, mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung der angefochtenen Urteile verlangt, kann auf die Beschwerde deshalb nicht eingetreten werden.
 
Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Beweiswürdigung des Obergerichtes. Diese stimmt in beiden angefochtenen Urteilen überein. Als Verurteilter bzw. Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG ist er zur Beschwerde befugt (vgl. BGE 131 I 455 E. 1.2.1, mit Hinweisen).
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe die Beweise willkürlich gewürdigt und den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt.
 
2.2 Das Obergericht hat sich zur Beweislage einlässlich geäussert und ist - teilweise unter Hinweis auf die Erwägungen des Einzelrichters in Strafsachen am Bezirksgericht Bülach - zum Schluss gekommen, dass der in der Anklageschrift geschilderte Sachverhalt erwiesen ist.
 
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, beschränkt sich überwiegend auf appellatorische Kritik und ist offensichtlich ungeeignet, eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte darzutun. Zu den wesentlichen Einwänden ist - mit summarischer Begründung (Art. 36a Abs. 3 OG) - Folgendes zu bemerken:
 
2.3
 
2.3.1 Der Beschwerdeführer rügt, indem das Obergericht davon abgesehen habe, D.________ als Zeugin einzuvernehmen, habe es das Willkürverbot nach Art. 9 BV und den Untersuchungsgrundsatz nach Art. 32 BV verletzt.
 
Der Beschwerdeführer legt nicht näher dar, inwiefern sich der Untersuchungsgrundsatz aus Art. 32 BV ergeben soll. Doch kann dies dahin gestellt bleiben. Das Vorbringen ist ohnehin unbehelflich. Das Obergericht hat von der Einvernahme von D.________ abgesehen, weil diese seiner Auffassung nach die entscheidende Anfangsphase der Auseinandersetzung nicht mitbekommen hat (Urteil SB050099 S. 7). Was der Beschwerdeführer (S. 4 f.) dazu vorbringt, erschöpft sich in appellatorischer Kritik und ist nicht geeignet, die Auffassung des Obergerichtes als geradezu willkürlich erscheinen zu lassen.
 
2.3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe aufgrund der tätlichen Auseinandersetzung den Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Dies stelle eine schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB) dar. Indem es die kantonalen Gerichte abgelehnt hätten, die Anklage auf schwere Körperverletzung zu erweitern, seien sie in Willkür verfallen. Ausserdem hätten sie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und den Untersuchungsgrundsatz (Art. 32 BV) verletzt.
 
Das Obergericht hat sich (Urteil SB050098 S. 21 ff.) - teilweise mit Hinweis auf die Erwägungen des Einzelrichters - eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Anklage zu ergänzen sei. Es hat dies (S. 22. f.) mit einer Doppelbegründung verneint. Der Beschwerdeführer ficht nicht beide Begründungen an, weshalb die Beschwerde insoweit schon deshalb unbehelflich ist (BGE 121 IV 94; 107 Ib 264 E. 3b S. 268). Das Obergericht erwägt (S. 23 f.) insbesondere, dem Beschwerdegegner könne der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes des Beschwerdeführers nicht angelastet werden; eine direkte Verursachung durch den Beschwerdegegner lasse sich aufgrund des Untersuchungsergebnisses nicht nachweisen. Das Obergericht bemerkt dazu, der Beschwerdeführer selber laste die Verantwortung für den Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns nicht dem Beschwerdegegner direkt an, sondern führe diese Verletzung auf die Schläge bzw. Tritte gegen seinen Kopf zurück, die nach seiner Darstellung A.________ und die beiden Unbekannten ausgeführt hätten. Dagegen bringt der Beschwerdeführer substantiiert nichts vor. Im Übrigen ist das Obergericht nicht in Willkür verfallen, wenn es angenommen hat, es könne nicht rechtsgenügend nachgewiesen werden, dass der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer eine schwere Körperverletzung zugefügt habe.
 
2.3.3 Der Beschwerdeführer rügt, indem das Obergericht die Akten A.________ nicht beigezogen habe, habe es den Untersuchungsgrundsatz (Art. 32 BV) und das Willkürverbot verletzt.
 
Die Beschwerde ist auch insoweit jedenfalls unbehelflich. Der Beschwerdeführer räumt (S. 7) selber ein, dass er keinen förmlichen Antrag um Beizug der Akten A.________ gestellt hat. Es trifft deshalb zu, wenn das Obergericht (Urteil SB050099 S. 9) ausführt, es sei insoweit kein konkreter Antrag gestellt worden. Im Übrigen legt das Obergericht (a.a.O.) näher dar, weshalb es auf den Beizug der Akten A.________ verzichtet hat. Es bemerkt, es sei nicht ersichtlich, was sich aus den Akten A.________ Entlastendes für den Beschwerdeführer ergeben könnte, nachdem die Aussagen von A.________ im vorliegenden Verfahren (act. 3/1 und 3/2) sowie die Schlusseinvernahme der Jugendanwaltschaft vom 18. Juni 2003 (act. 35/1) vorlägen. Dagegen bringt der Beschwerdeführer in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise nichts vor.
 
2.3.4 Soweit sich der Beschwerdeführer (S. 7 ff.) gegen die Beweiswürdigung der kantonalen Gerichte im Einzelnen richtetet, übt er appellatorische Kritik. Er stellt den Erwägungen des Obergerichtes im Wesentlichen lediglich seine Version des Tatgeschehens gegenüber. Das genügt nicht, um Willkür darzutun. Die Beweiswürdigung des Obergerichtes ist nicht offensichtlich unhaltbar und hält damit vor dem Willkürverbot stand. Das Obergericht hat auch den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht verletzt, wenn es den in der Anklageschrift geschilderten Sachverhalt als erwiesen erachtet hat und zum Schluss gekommen ist, dass auch der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hat. Auf die Erwägungen des Obergerichtes kann verwiesen werden (Art. 36a Abs. 3 OG).
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
Da sie aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht bewilligt werden.
 
Der Beschwerdeführer trägt damit die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Da er arbeitslos ist und von einer IV-Rente lebt, wird lediglich eine reduzierte Gerichtsgebühr erhoben.
 
Der Beschwerdegegner hat eine Vernehmlassung eingereicht. Da er obsiegt, hat ihm der Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Der Beschwerdegegner ersucht ebenfalls um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 152 OG. Er macht geltend, er sei bedürftig und lebe zurzeit vom Einkommen seiner Freundin. Er belegt die Bedürftigkeit jedoch in keiner Weise. Das Gesuch kann deshalb ebenfalls nicht bewilligt werden (BGE 125 IV 161 E. 4a S. 164 f.). Die Bezahlung der Entschädigung aus der Gerichtskasse kommt damit nicht in Betracht.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
2.
 
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung werden abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren ein Entschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Bülach, Einzelrichter in Strafsachen, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Februar 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
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