VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2A.730/2005  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2A.730/2005 vom 02.03.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2A.730/2005 /vje
 
Urteil vom 2. März 2006
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
 
Gerichtsschreiber Wyssmann.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Steueramt des Kantons Solothurn, Schanzmühle, Werkhofstrasse 29c, 4509 Solothurn,
 
Kantonales Steuergericht Solothurn, Centralhof, Bielstrasse 9, 4502 Solothurn.
 
Gegenstand
 
Staatssteuer 2003,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
 
des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom
 
12. September 2005.
 
Sachverhalt:
 
X.________ führte am 22. November 2004 gegen die definitive Veranlagung 2003 Einsprache. Sie beantragte, die Steuer sei teilweise zu erlassen oder die Veranlagung sei nach Tarif A vorzunehmen. Die Veranlagungsbehörde Solothurn behandelte die Eingabe als Gesuch um Steuererlass und wies mit Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 das Erlassgesuch ab.
 
Die Steuerpflichtige wandte sich an das Steuergericht des Kantons Solothurn, wo sie ihre Anträge wiederholte. Dieses wies mit Urteil vom 12. September 2005 den Rekurs ab, wobei auch das Gericht den Fall ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel des Steuererlasses behandelte.
 
Hiergegen führt X.________ staatsrechtliche Beschwerde/Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, das Urteil des Steuergerichts Solothurn vom 12. September 2005 sei aufzuheben und es sei die Veranlagung nach Tarif A vorzunehmen. Sie rügt die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
 
Die beteiligten Behörden erhielten Gelegenheit zur Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Steuerverwaltung bezweifelt die Rechtzeitigkeit der vorliegenden Beschwerde. Der angefochtene Entscheid des Steuergerichts des Kantons Solothurn vom 12. September 2005 wurde am 3. November 2005 zur Post gegeben und am 10. November 2005 in Subingen abgeholt (www.post.ch/trackandtrace). Die am 10. Dezember 2005 bei der Post aufgegebene Beschwerde erfolgte mithin rechtzeitig innert der dreissigtägigen Beschwerdefrist.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf § 44 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons Solothurn vom 1. Dezember 1985 (in der Fassung vom 12. Juni 1994, nachfolgend abgekürzt StG/SO), wonach ledige Steuerpflichtige, die mit unterstützungsbedürftigen Personen allein zusammenleben und deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten, nach dem gleichen Tarif A besteuert werden wie die in ungetrennter Ehe lebenden Steuerpflichtigen. Eine entsprechende Bestimmung enthält auch Art. 11 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (StHG; SR 642.14). Es handelt sich um eine im zweiten Titel des Steuerharmonisierungsgesetzes geregelte Materie. Entscheide letzter kantonaler Instanzen in dieser Materie unterliegen nach Art. 73 Abs. 1 StHG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Die Eingabe der Beschwerdeführerin ist daher als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen und zu behandeln. Das gilt auch, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt. Insoweit übernimmt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Rolle der staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 123 II 289 E. 1c; 122 IV 8 E. 1b mit Hinweisen).
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin wirft dem kantonalen Steuergericht vor, dass dieses nicht geprüft habe, ob sie Anspruch auf die Anwendung des Tarifs A habe. Dadurch sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
 
Die Beschwerdeführerin machte bereits mit Einsprache vom 22. November 2004 geltend, dass ihr Lebensgefährte, mit dem sie seit 1999 zusammenlebe, im Februar 2003 erkrankt sei und seither keiner Arbeit nachgehen könne. Da ursprünglich die Hoffnung bestanden habe, dass sich sein Zustand bessere, habe er die Gemeinde erst im November 2003 um Unterstützung ersucht. Seit Mai 2004 bezahle die Arbeitslosenkasse nicht mehr, da es sich um eine Krankheit handle. Auch die Gemeinde verweigere die Unterstützung mit der Begründung, dass die Beschwerdeführerin und ihr Partner in einem stabilen Konkubinat zusammenleben würden. Die Beschwerdeführerin habe im Jahre 2003 vollumfänglich für den Lebensunterhalt einschliesslich Mietanteil und Versicherungsprämien ihres Lebensgefährten aufkommen müssen. Vom Anwalt ihres Lebenspartners sei ihr geraten worden, entweder einen Teilsteuererlass zu beantragen oder die Veranlagung nach Tarif A zu verlangen, was sie hiermit mache.
 
Aus diesen Ausführungen geht klar hervor, dass die Beschwerdeführerin beantragte, nach Tarif A veranlagt zu werden, weil sie allein mit einer unterstützungsbedürftigen Person zusammenlebe und für deren Unterhalt aufkomme. Für diesen Fall sieht § 44 Abs. 1 lit. b StG/SO vor, dass die steuerpflichtige Person nach Tarif A zu veranlagen sei. Ob die gesetzlichen Voraussetzung hierfür erfüllt waren, wäre daher von der Einsprachebehörde zu prüfen gewesen. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt nicht nur die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen, sondern auch, dass sie die Vorbringen des Betroffenen auch wirklich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 123 I 31 E. 2c S. 34; 112 Ia 107 E. 2b S. 109). Diese Prüfung hat die Einsprachebehörde unterlassen und die Eingabe der Beschwerdeführerin ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel des Steuererlasses geprüft. Sie hat damit einen für die Veranlagung wesentlichen Gesichtspunkt ausser Acht gelassen.
 
4.
 
Mit dem Rekurs vom 21. Juni 2005 an das Steuergericht wies die Beschwerdeführerin erneut darauf hin, dass sie Anspruch habe, nach Tarif A veranlagt zu werden. Sie legte dar, dass sie in eheähnlicher Gemeinschaft lebe und für ihren kranken Partner vollumfänglich aufzukommen habe.
 
Im angefochtenen Entscheid legte die Vorinstanz dar, dass das monatliche Einkommen der Beschwerdeführerin erlaube, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Im Übrigen sei die Staatssteuer 2003 bereits bezahlt worden. Mit dieser Begründung erachtete die Vorinstanz die Voraussetzungen für einen Steuererlass oder Teilerlass nicht als erfüllt. Zur Frage, ob die Beschwerdeführerin nach Tarif A oder nach Tarif B zu veranlagen sei, enthält das angefochtene Urteil - wie bereits der Einspracheentscheid - keine Ausführungen. Die Beschwerdeführer hat diesen Punkt bereits in der Einsprache und erneut im Rekurs rechtsgenügend und in dem hierfür vorgesehenen Verfahren vorgebracht. Der Einwand der Beschwerdeführern, sie sei nach Tarif A zu veranlagen, zielt auch nicht auf den Erlass der Steuer, sondern auf die Veranlagung ab. Wenn daher das Steuergericht (wie bereits die Einsprachebehörde) diesen Punkt nicht überprüft hat, sondern einzig die Frage des Teilerlasses, hat es den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzt.
 
Die Beschwerde ist offensichtlich begründet und das angefochtene Urteil des kantonalen Steuergerichts aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 73 Abs. 3 StHG). Ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Tarifs A erfüllt sind, hat nicht das Bundesgericht, sondern die Vorinstanz zu entscheiden.
 
5.
 
Da die Steuerverwaltung unterliegt und es sich um Vermögensinteressen des Kantons handelt, sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Kanton Solothurn aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG).
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist bei diesem Verfahrensausgang gegenstandslos geworden. Eine Parteientschädigung ist der Beschwerdeführerin, die nicht vertreten war, nicht zuzusprechen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die Beschwerde wird als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen und gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid des Steuergerichts des Kantons Solothurn vom 12. September 2005 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Kanton Solothurn auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Steueramt des Kantons Solothurn, dem Kantonalen Steuergericht Solothurn sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. März 2006
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).