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Informationen zum Dokument  BGer 1P.24/2006  Materielle Begründung
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BGer 1P.24/2006 vom 20.03.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.24/2006 /gij
 
Urteil vom 20. März 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiberin Scherrer.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt,
 
Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung
 
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
 
vom 8. November 2005 [recte: 8. Dezember 2005].
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Strafbefehlsrichter des Kantons Basel-Stadt auferlegte X.________ mit Verfügung vom 22. September 2004 eine Busse von Fr. 120.-- wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 7 km/h. Auf Einsprache hin bestätigte der Strafgerichtspräsident diese Busse am 4. November 2005. Dagegen gelangte X.________ mit Beschwerde ans Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Er machte sinngemäss geltend, die Verurteilung sei einzig gestützt auf Radarbilder erfolgt, auf welchen er nicht zu erkennen sei. Auf den Fototafeln sei das halbe Gesicht bis zur Nase unkenntlich, da es durch die Sonnenblende verdeckt werde. Augen und Haaransatz fehlten gänzlich. Auch seien wegen der schlechten Bildqualität keine Gesichtskonturen erkennbar, welche auch nur im Geringsten auf ihn (X.________) schliessen liessen. Der Sachrichter habe seinen Schuldspruch auf völlig unklare Grundlagen abgestützt und den Grundsatz in dubio pro reo verletzt. Gleichzeitig ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
 
B.
 
Mit Verfügung vom 8. November 2005 (recte 8. Dezember 2005) wies der Präsident des baselstädtischen Appellationsgerichtes das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab. Gleichzeitig setzte er dem Beschwerdeführer Frist, bis 22. Dezember 2005 einen Kostenvorschuss von Fr. 800.-- zu leisten, widrigenfalls die Beschwerde dahinfalle.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 9. Januar 2006 erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde gegen die Ablehnung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 29 BV. Gleichzeitig ersucht er auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege.
 
Der Präsident des Appellationsgerichtes Basel-Stadt schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Der angefochtene Entscheid des Präsidenten des Appellationsgerichts, mit dem das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wurde, ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid, der das Beschwerdeverfahren nicht abschliesst. Gegen diesen Entscheid ist nach Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131, 281 E. 1.1 S. 283 f., je mit Hinweisen). Dies trifft auch auf den hier in Frage stehenden Zwischenentscheid zu. Die Anhandnahme der Eingabe des Beschwerdeführers wird im angefochtenen Entscheid von der Bezahlung des Kostenvorschusses abhängig gemacht. Wird dieser nicht rechtzeitig geleistet, fällt die Beschwerde dahin. Damit kann der angefochtene Entscheid für den mittellosen Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG bewirken. Der Entscheid des Appellationsgerichtspräsidenten ist daher mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar.
 
1.2 Der Beschwerdeführer ist durch die Abweisung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG). Er rügt eine Verletzung von verfassungsmässigen Rechten (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
 
2.
 
2.1 Der Präsident des Appellationsgerichtes lehnt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab, weil sich die Beschwerde bei der summarischen Prüfung als aussichtslos erweise. Der Beschwerdeführer habe sich darauf beschränkt, die Qualität der Radarbilder zu rügen und darauf hinzuweisen, dass nicht der Halter an Stelle des Lenkers gebüsst werden dürfe. Gebüsst worden sei er indessen als Lenker. Wie ihm aus einem früheren, ihn betreffenden Entscheid (AGE vom 14. Januar 1998) bekannt sein müsse, genüge selbst die hier fehlende blosse Bestreitung der Täterschaft jedenfalls dann nicht, wenn der Halter wiederholt versuche, sich der Bestrafung durch die Bestreitung der Täterschaft zu entziehen.
 
2.2 Der Beschwerdeführer erblickt darin eine Rechtsverweigerung, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine willkürliche Verweigerung seines Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege. Die angefochtene Verfügung halte die Tatsachen offensichtlich falsch fest. Zudem treffe ihn als Angeschuldigten im Strafprozess keinerlei Mitwirkungspflicht. Indem ihm vorgeworfen werde, er wolle sich der Bestrafung durch Bestreitung seiner Täterschaft entziehen, gehe der Gerichtspräsident von der Schuld des Beschwerdeführers aus, obwohl er die ihm unterbreiteten Sachrügen nicht geprüft habe. Damit zeige er sich befangen und verletze die Unschuldsvermutung.
 
2.3 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133; 128 I 225 E. 2.3). Die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, untersucht es in rechtlicher Hinsicht frei; soweit es um tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133; 124 I 1 E. 2 S. 2, 304 E. 2c S. 306 f., je mit Hinweisen). Da der Beschwerdeführer nicht geltend macht, der hier einschlägige § 173 Abs. 1 der baselstädtischen Zivilprozessordnung vom 8. Februar 1875 (ZPO/BS) gehe weiter als der bundesrechtliche Minimalanspruch, beschränkt sich die Prüfung insoweit auf die behauptete Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV.
 
2.4 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (vgl. BGE 127 I 202 E. 3 S. 204 f.). Mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege soll verhindert werden, dass dem bedürftigen Rechtsuchenden der Zugang zu Gerichts- und Verwaltungsinstanzen in nicht zum Vornherein aussichtslosen Verfahren wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verwehrt oder erschwert wird (vgl. BGE 110 Ia 87 E. 4 S. 90). Dieses Recht gewährleistet der bedürftigen Person, dass die entsprechende Gerichts- oder Verwaltungsinstanz ohne vorherige Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig wird (BGE 109 Ia 12 E. 3b; 99 Ia 437 E. 2 S. 439).
 
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236, je mit Hinweisen). Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136; 125 II 265 E. 4b S. 275; 124 I 304 E. 2c S. 306). Ob im Einzelfall genügend Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 129 I E. 2.3.1 S. 126 mit Hinweisen).
 
2.5 Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass er sich in seiner Beschwerde nicht einzig darauf beschränkt hat, die Qualität der Radarbilder zu rügen und darauf hinzuweisen, dass der Halter nicht an Stelle des Lenkers gebüsst werden dürfe. Er hat seine Argumentation im Wesentlichen darauf aufgebaut, dass er auf den Radarbildern nicht zu erkennen sei, weil die obere Gesichtshälfte durch die Sonnenschutzblende gänzlich verdeckt werde. Dazu hat er zwei Zeugen benannt, die ihn auf den Fotos auch nicht zweifelsfrei hätten identifizieren können. Um seine Behauptung zu belegen, hat er der Beschwerde drei Fotomontagen zum Vergleich beigelegt, auf welchen er jeweils den oberen Teil des Gesichts abgedeckt hat. Infolgedessen hat der Strafrichter nach Meinung des Beschwerdeführers gegen die Unschuldsvermutung und den Grundsatz in dubio pro reo verstossen, liegen doch nach seiner Auffassung keine überzeugenden Beweise für seine Täterschaft vor.
 
2.6 Selbst wenn jedoch der Präsident des Appellationsgerichts diese Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich in seine Erwägungen mit einbezieht und im angefochtenen Entscheid allenfalls der Eindruck vermittelt wird, er auferlege dem Beschwerdeführer die Pflicht, seine Unschuld zu beweisen, ist die Abweisung des Gesuchs im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Radarfotos zeigen unbestritten den Wagen des Beschwerdeführers. Das Bild "Gesamtansicht Front" wurde am 30. November 2003 um 2.18 Uhr morgens gemacht. Der Fahrer benötigte zu dieser Tageszeit keine Sonnenblende. Die Erklärung für ein solches Verhalten ist naheliegend: Es scheint offensichtlich, dass der Lenker nachgerade verhindern wollte, auf einem allfälligen Radarfoto erkannt zu werden. Dass ein fremder Fahrer zu dieser Zeit mit dem Auto des Beschwerdeführers unterwegs gewesen sei, wurde offenbar im bisherigen Verfahrensverlauf weder behauptet noch plausibel dargelegt. In diesem Zusammenhang durfte der Präsident des Appellationsgerichtes bei seiner auf die Akten gestützten summarischen Prüfung durchaus berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nie geltend gemacht hat, jemand anderes sei gefahren, sondern lediglich - wenn auch unter Angabe von Beweismitteln - bestreitet, auf dem Foto klar identifizierbar zu sein. Aufgrund der Indizienlage ist in nachvollziehbarer Weise davon auszugehen, dass der Beschwerde kaum Erfolg beschieden sein dürfte. Für den Strafrichter dürften sich aufgrund der Umstände kaum ernsthafte Zweifel an der Schuld des Beschwerdeführers aufgedrängt haben. Der Präsident des Appellationsgerichts ist daher im Ergebnis mit Recht zum Schluss gelangt, die Beschwerde erscheine aussichtslos. Er hat den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht verletzt, wenn er das entsprechende Gesuch des Beschwerdeführers abgewiesen hat.
 
3.
 
Unbegründet ist die Rüge, der Präsident des Appellationsgerichtes habe das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt, weil er sich nicht mit dessen materiellen Argumenten auseinandergesetzt habe. In diesem Verfahrensstadium war zunächst summarisch über die Erfolgschancen der Beschwerde zu befinden; eine eingehende Prüfung der Rügen erfolgt erst im Hauptverfahren, sofern der Kostenvorschuss geleistet wird.
 
4.
 
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auch die Vorwürfe der Willkür und der Rechtsverweigerung unbegründet sind.
 
5.
 
Demzufolge ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Ausnahmsweise ist von der Erhebung von Kosten abzusehen (Art. 154 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit hinfällig. Parteientschädigungen werden nicht geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Parteientschädigungen werden keine zugesprochen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. März 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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